Claudia am 21. Januar 2018 —

Weiter wurschteln – zum SPD-Parteitag #spdbpt18

Blogposts, die Gefahr laufen, schon am Abend desselben Tages veraltet zu sein, mag ich nicht schreiben. Deshalb will ich weder das „Nein“ zur #Groko noch das „Ja“ oder das „Ja, aber nur mit Ergänzungen“ beschwören. Egal wie es ausgeht: der SPD wird es auf absehbare Zeit nicht besser gehen, ganz im Gegenteil. Persönlich denke ich, es wird eine Groko geben – und zwar einfach wegen der mangelnden Aussicht auf eine Alternative, die irgend etwas bessert. Wenn es keine faszinierende, neuartige Perspektive gibt, die es wert wäre, dafür den großen Aufstand zu wagen, wählt man halt das Bekannte und freut sich über kleine Verbesserungen. Kein Wunder, nix Besonderes, sehr verständlich.

Dass es die faszinierende neue Perspektive nicht gibt, ist nicht allein Schuld der SPD. Es fehlt ganz allgemein an einer positiven Vision, die man der absurden „Alternative von rechts“ (zurück in die 50ger) und der herrschenden neoliberalen Agenda entgegen setzen könnte. Wobei „neoliberal“ ein unscharfes Label ist, unter dem man gern alles erdenklich Schlechte versteht: Globalisierung, Ökonomisierung, Individualisierung/Entsolidarisierung, auseinander klaffende Einkommensschere etc. – gleichzeitig hätte diese Politik nie derart den Durchmarsch machen können, wenn sie nicht auch Bedürfnisse befriedigen würde, die nicht nur „die Reichen“ haben.

Wenn die Welt sich drastisch ändert

Das kann man z.B. an der konkreten Forderung der SPD nach Abschaffung der „sachgrundlosen Befristung“ von Arbeitsverträgen zeigen. Selbst wenn das durchginge, bin ich überzeugt, dass die Unternehmen Wege finden (müssten), die Befristungen zu erhalten, dann halt MIT irgendwelchen Gründen (Papier ist geduldig, sagte man früher – wie könnte man das in Zeiten papierloser Kommunikation nennen?). Schon die Abschaffung der unlimitierten Reihung befristeter Arbeitsverhältnisse kam ja bei den Betroffenen nicht nur gut an, denn deshalb haben viele erfahrene, eingearbeitete und beliebte Mitarbeitende ihre Jobs verloren und mussten durch andere Personen ersetzt werden, die noch nicht durch zu viele Befristungen „verbraucht“ waren.

Bevor diese befristeten Arbeitsplätze zum Massenphänomen wurden, war es leichter, sich scheiden zu lassen als ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zu kündigen. So haben mir das Freunde erzählt, die in leitenden Positionen in der Privatwirtschaft tätig waren. Dabei gab und gibt es nachvollziehbare Gründe für Kündigungen, sowohl für solche, die mit dem Individuum zu tun haben, als auch solche, die wg. der Auftragslage der Firmen bzw. Änderungen der Unternehmensausrichtung erforderlich werden.

Anstatt nun die Kündigung im normalen Arbeitsrecht leichter zu machen, hat man all diese Befristungen, Leiharbeitsfirmen und prekären Minijobs eingeführt und gleichzeitig Hartz4, das auf einmal „Aufstocker“ ermöglichte. Zuvor war man entweder arbeitsloser ALG- ALHI- und Sozialhilfeempfänger oder eben ganz oder mindestens halbtags angestellt. Etwas dazwischen gab es nicht.

Und warum das alles? Nicht etwa aus reiner Böswilligkeit. Sondern weil rein nationale Arbeitsmarktpolitik auf Dauer nicht mehr gegen international agierende Konzerne und einen entsprechenden Markt anregieren konnte – ein Markt, dessen Globalisierung und Flexibilisierung allgemein gern genutzt wird: Alle Waren von fast überall her zu jeder Zeit kaufen können, von jetzt auf gleich auf Neuerungen umsteigen, die das Gestrige „disruptiv“ vom Markt fegen, kurze Produktzyklen und schnell wechselnde Moden – und ganz allgemein die Verbreitung „Projekt-orientierter“ Arbeit: Entwicklung von irgend etwas in einem bestimmten Zeitraum mit den entsprechenden (zunehmend „freien“ und „befristeten“) Arbeitskräften. Die festen Arbeitsplätze, die das ganze Leben „planbar“ machen und rundum Sicherheit gewähren, passen nicht mehr auf viele Anforderungen dieser neuen Wirtschaftwelt.

Das ist Fakt und bloße Empörung und Jammern über die Folgen wird dagegen nicht helfen. Es muss eine durchdachte Antwort auf diese Entwicklungen geben, die ich hier nur kurz angerissen habe. Sonst wenden sich immer mehr Unzufriedene weit nach rechts und glauben jenen, die das Heil in nationaler Abschottung sehen, ohne dass sie irgendwelche wirklich machbaren Alternativen hätten. Sie haben nur deshalb Zulauf, weil sie es verstehen, die Unzufriedenheit und Wut auf Minderheiten zu lenken, die zu Sündenböcken gemacht werden. Deutschland ohne Flüchtlinge, ohne „Genderwahn“? Wäre damit irgend etwas bezüglich der oben angesprochenen Problematik gewonnen? Nicht im Ernst!

Genug für jetzt. Im Hintergrund hör‘ ich die Schulz-Rede und denke: Das mit der Groko wird am Ende schon klappen. Außer „weiter wurschteln“ ist ja nichts Besseres in Sicht. Wozu also Neuwahlen?

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Diskussion

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14 Kommentare zu „Weiter wurschteln – zum SPD-Parteitag #spdbpt18“.

  1. Die nächste GroKo war der Grund dafür, dass ich am 24.9. zuerst nicht wählen gehen wollte. Dass ich es doch gemacht habe, lag daran, dass die bloße Möglichkeit im Raum war, dass die SPD nicht in eine weitere GroKo eintreten würde. Inzwischen ist viel passiert.

    Ich verfolge bei Phoenix den Parteitag der SPD. Mein Gefühl nach den ersten Reden von Delegierten aber auch nach der lahmen, glanzlosen Rede von Martin Schulz halte ich es für möglich, dass der Parteitag #nogroko entscheiden wird.

    Du kennt meine Meinung zur Minderheitsregierung. Ich glaube, dass die SPD durch ihre Verweigerung nicht Neuwahlen, sondern die Minderheitsregierung durchsetzen könnte. Neuwahlen würden an den Stimmenverhältnissen nichts Wesentliches verändern. Die SPD würde etwas verlieren (vielleicht auch mehr) und die AfD gewinnt bestimmt. Deshalb klammere ich mich an die Chance für eine Minderheitsregierung.

    Kevin Kühnert redet gerade. Er überzeugt mich. Und der Applaus zwischendrin scheint zu belegen, dass es auch vielen Delegierten so geht. Also, ich glaube nicht an eine Fortsetzung der #GroKo.

  2. @Horst: na, ich beschwere mich bestimmt nicht, wenn es so ausgeht, wie du hoffst! Vielleicht würde ja wenigstens die Informiertheit des Wahlvolks steigen, wenn dann mehr kontrovers debattiert werden würde.

    Das Wohl und Wehe einer Partei ist es sowieso nicht, das mich umtreibt. Parteien sind schließlich kein Selbstzweck, sondern sollen laut GG „an der politischen Willensbildung mitwirken“. Was mir fehlt, ist die Debatte über eine Veränderung des Parteienstaats. Nicht nur klassiche Medien mussten in den letzten Jahren bemerken, dass ENTBÜNDELUNG den Durchmarsch macht. Man will nicht mehr „den Spiegel“ im Paket, sondern einen bestimmten Artikel. Man will auch nicht mehr so gerne „im Sportverein sein“, sondern zieht den Besuch themenspezifischer Kurse vor. Alle großen Institutionen verlieren Mitglieder – aber die Parteien zeigen sich alternativlos. Sie haben „Programme“ (Pakete), aber was dann passiert, entscheiden die Funktionäre in Ämtern und Regierung ohne jede Mitbestimmung der Basis, gar des Wahlvolks.

    Ein Zustand, der immer mehr Menschen politikverdrossen macht, denn an so vielen Fronten entsteht der Eindruck, dass „die da oben doch machen, was sie wollen“.
    Einfache Lösungen gibt es nicht, man kann nicht alle relevanten Dinge durch Volks- oder auch nur Mitgliederentscheid entscheiden. Sofern es das geben sollte, muss es die großformatige Ausnahme bleiben. Schließlich gibt es viele gute Gründe für die „reprästentative“ Demokratie mit Berufspolitikern.

    Weil aber nicht mal drüber nachgedacht wird, wie man die erstarrten Verhältnisse rund um Parteien ändern könnte, wie man mehr Partizipation an konkreter Politik umsetzen könnte, wird es auch nicht besser/wesentlich anders werden. Was soll denn „Erneuerung“ sonst sein?

  3. Gut wär’s, wenn’s so wäre, daß die SPD eine Merkel-Minderheitsregierung anstrebt!
    Dann kann unsere Sonnenkanzlerin mal zeigen, ob und was sie drauf hat, ohne sich hinter einer GroKo zu verstecken.

    Mit der Schlaftablette Merkel kann es keine Erneuerung in den deutschen Politik geben; die kann nur „weiter-so“ und das wäre FATAL!

  4. Nun hab ich mir den ganzen Nachmittag mit den Reden und der Abstimmung angesehen und bis zuletzt gedacht: Der Antrag des Vorstandes wird abgelehnt. Denkste! Jetzt hoffe ich darauf, dass die Koalitionsgespräche scheitern und zu guter Letzt noch darauf, dass die 440 ‚ Parteimitglieder ein Einsehen haben und – falls das Papier zustande kommt – nein sagen werden.

    An die Partei denke ich dabei eigentlich auch nicht zuerst. Mir gehts um die Wirkung auf die Demokratie, die von alledem ausgeht. Die Freunde von der AfD warten nur auf diese Art von Futter. Die Auswirkungen für die SPD werden so oder so negativ ausfallen. Sie wird als unglaubwürdig angesehen. Die Hypothek der Schröder-Ära hängt wie Blei an ihren Füssen. Das Spitzenpersonal wirkt viel mutloser als die Ebenen darunter. Ich erwarte nicht, dass – sollte es doch zu einer Regierungsbildung kommen – dass sie lange halten wird.

  5. Jetzt nach der knappen Entscheidung am gestrigen Abend und ein paar Stunden Schlaf bin ich immer noch fassungslos, das es eine neue Koalition mit der Union gibt (von großer Koalition mag ich nicht sprechen bei 53% Stimmenmehrheit). Allerdings war mir schon am Wahlabend klar, dass das Versprechen, welches zum Ende des letzten Jahres oft von SPD Granden zu hören war, dass es keine Koalition mit der Union geben würde, nie und nimmer Bestand haben wird. So hat sich der Parteivorstand selbst in diese Situation gebracht, auch wenn sie gestern versucht haben, die Schuld natürlich wieder auf andere Parteien zu schieben. Dieses Schauspiel ist einfach unwürdig. Von dringender Erneuerung keine Spur, nicht mal im Ansatz. Also bleiben uns vier weitere Jahre mit alternativlos, Deutschland geht es gut, Arm wird ärmer und Reich reicher. Keine Antworten auf die Digitalisierung, keine auf die bevorstehende Altersarmut, die Spaltung der Gesellschaft und die Integration der aufgenommenen Flüchtlinge.

    Wenn ich das mal so aus meiner Sicht als kleiner Wahlhelfer aus dem Ruhrgebiet sehe, wird die katastrophale Wahlbeteiligung (teilweise unter 50%) weiter sinken, es wird aber Verschiebungen geben, was die Direktmandate anbetrifft, weg von der SPD hin zu den Alternativen. Ich gehe davon aus, dass Sie mindestens fünf verlieren werden (Duisburg Nord, Essen Nord, Gelsenkirchen, Oberhausen und Dortmund Nord) wahrscheinlich auch mehr. Seit gestern hat die SPD ihr letztes, verbliebenes Kerngebiet aufgegeben…

  6. Und was sagt Ihr zu dem auf dem Parteitag vehement vorgetragenen Argument, dass man im Wahlkampf bei Neuwahlen ja mit denselben eigenen Inhalten antreten müsse, darunter eine ganze Latte Dinge, die in den Sondierungen heraus verhandelt wurden? Was, wenn die Wahlbürger verärgert sagen: Was fällt euch ein, das alles habt ihr nicht mitgenommen, obwohl es uns doch einiges gebracht hätte?

    Muss zugeben, dass mich das beeindruckt hat!

  7. Deshalb bin ich ja auch nicht unbedingt für Neuwahlen aber sehr wohl für eine Minderheitsregierung. Aber auch Neuwahlen wären nichts Schlimmes. Die Menschen, die so argumentieren (wie Nahles es gestern ausgeführt hatte), gibt es bestimmt. Aber sie kann man in der Öffentlichkeit leider weit weniger laut wahrnehmen als alle anderen. Vielleicht bin ich deshalb so auf die Ablehnung einer weiteren GroKo fixiert. Mein Gefühl ist, dass die SPD sich erneuern muss und dass eine neue GroKo im Interesse unserer Demokratie unbedingt vermieden werden sollte. Bei mir steht nicht die Sorge im Vordergrund, dass die AfD sonst Oppositionsführerin würde, sondern eher generelle Bedenken um die Stabilität unserer Demokratie.

  8. Hmmmm… ziemlich abstrakt, das! Ich hab auch keine konkrete Vorstellung davon, wie die SPD sich „erneuern“ sollte. War sie nicht immer die „reformistische“ Partei? Also nicht eine, die Grundsätzliches ändern will, sondern halt hier und da Verbesserungen für die Bürger?

    Das einzige, was ich mir als Inhalt dieses Begehrens vorstelle, ist das Einschwenken auf Inhalte, die Rot-rot-grün ermöglichen würden. Aber genau das tun sie ja die ganze Zeit schon nicht, obwohl die Mehrheit rechnerisch da war und man nur hätte zugreifen müssen. Es sind offenbar genug Kräfte da am Werk, die den ganzen Agenda-Scheiss immer weiter fortschreiben und der Wirtschaft weitgehend zu Willen sein will. Würden die denn auf einmal verschwinden, wenn die SPD in der Opposition wäre? Ich erinnere an den Text oben: eine Antwort auf die neoliberale Agenda muss inhaltlich entstehen und von einer breiten Basis (nicht unbedingt nur der SPD) getragen werden. Damit sieht es aber schlecht aus in einer Welt, in der Trump den Unternehmenssteuersatz in den USA grad auf 15% gesenkt hat… das wird noch blöd für Europa.
    Ich weiß natürlich auch keine Antwort (außer: mehr Europa, aber wie genau?), doch wäre es ja schon mal nicht schlecht, wenn die Politiker in Staats- und Parteiämtern offener und häufiger über die ernsthaften Mega-Probleme sprechen würden anstatt über Marginalien, Symptome, Oberflächenphänomene. Aber die sind sich ja mit der Mehrheit der Journalisten einig darin, dass das Voök zu doof und zu ungeduldig ist, um komplexere und schwierigere Zusammenhänge zu verstehen. Und vor allem: dafür müssten sie ja ihre Machtlosigkeit an vielen Stellen zugeben!

  9. @Claudia Es ist doch nichts Substanzielles herausgekommen bei den Sondierungen. Viel klein klein. Versprechungen, die schon 2013 gemacht wurden. Da hatte Kühnert recht. Wohnungsbau, Mieten, Bildung, Digitalisierung, Hartz IV, prekäre Arbeitsverhältnisse. Nirgendwo ist ein wirklicher Kurswechsel vereinbart worden.

    Die Reaktion der potentiellen SPD Wähler wäre das genaue Gegenteil von dem gewesen, was Nahles gesagt hat.

  10. @Claudia, die Angst der Parteiführung vor den Reaktionen der Medien und der anderen Parteien, letztlich aber vor dem Wähler, hat sie davon abgehalten, die mögliche linke Option zu wählen. Jetzt sieht die Sache anders aus und wir erinnern uns an die Saarland-Wahl, in der eine unklare Haltung letztlich dazu geführt hat, dass die Union noch gewinnen konnte.

    In der Parteiführung sind immer noch zu viele vertreten, die „den Agenda-Scheiß“ verzapft haben. Sie haben nicht den Mut, sich klar gegen die Entwicklungen zu positionieren. Vielleicht liegt dort das größte Problem, das mit einem umfangreichen Revirement gelöst werden könnte? Trotz den Unmutes in der Bevölkerung ist aber längst nicht sicher, ob das Plädoyer gegen die Agenda bei Wahlen Früchte tragen würde.

    Es gibt in Europa wahrscheinlich einige Politiker, die Trumps „Beispiel“ folgen werden oder jedenfalls am liebsten eine ähnliche Steuersenkung vornehmen würden. Der Weltwoche-Kasper Roger Köppel ist ganz aus dem Häuschen und empfiehlt (immerhin als Nationalrat) seinem Land, es den Amis gleichzutun. Ich könnte mir vorstellen, dass die Briten viel Sympathien für Trumps Maßnahme haben. Damit wird, wie du wohl zurecht schreibst, eine unheilvoll Spirale in Gang gesetzt, die nur die Reichen und die Unternehmen jubeln lassen dürfte. Alle Staaten mit einem ausgebauten Sozialsystem werden ggf. schwer unter Druck geraten, weil aufgrund der zu erwartenden Verlagerungen hohe Einnahmeausfälle zu erwarten sind.

    Ich glaube nicht, dass die Zeit dafür gut ist, Europa in den Mittelpunkt der eigenen Politik zu stellen. Dafür ist die Europa-Skepsis auch bei uns zu ausgeprägt. Ich hätte erwartet, dass nach dem Brexit in Brüssel und Straßburg die Einsicht einkehrt, dass Dinge verändert werden müssen. Geschehen ist nichts. Die Rede, der Inhalt von Macrons Rede hat mir persönlich gut gefallen. Ich weiß aber, dass auf dieser Grundlage kaum Mehrheiten in Europa zu generieren. Deshalb hätte ich mir spürbare Reformen auf EU-Ebene gewünscht, um dann auf einer neuen Basis Europa weiterzubauen. Die Politik hat nicht begriffen, wie groß die Widerstände wirklich sind, die gegen bestimmte Dinge stehen, die mit Europa zu tun haben. Diese werden auch nicht nur von der AfD vertreten. Es geht um viele verschieden Sachen. Die Demokratisierung der EU-Institutionen muss unbedingt spürbar vorangebracht werden. Aber es passiert bisher rein gar nichts. In Brüssel und Straßburg wird einfach weiter herumgewurstelt, als wäre nichts geschehen.

    Einerseits sollten „die Medien & Politiker“ längst begriffen haben, dass wirklich vieles anders werden muss (und das sagen sie ja auch alle). Aber wenn es um Themen geht, werden Dinge hervorgekramt, die eher nach technokratischem Schickschnack klingen als nach den Punkten, die vielen auf den Nägeln brennen. Lass uns doch mal versuchen, die wichtigen Punkte herauszuarbeiten und zwar ganz konkret. Wie wichtig sind den Leuten die Bürgerversicherung, die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverhältnissen oder die paritätische Beteiligung an unseren Sozialsystemen? Kriegen nicht viele SPD-Mitglied Plaque, wenn ihre Partei sich für liberale Regelungen beim Familiennachzug von subsidiär Schutzberechtigten einsetzen? Kann Politik es sich leisten, moralisch-ethische Grundsätze gegen den Willen großer Teile einer Bevölkerung durchzusetzen?

  11. Meinst du, die SPD solle in der Flüchtlingspolitik auf die AFD-Agenda umschwenken?
    DE ohne Flüchtlinge – hätten wir denn dann all die angesprochenen Probleme nicht? Gäbe es wirklich ein Projekt, das auf vielen Ebenen Verbesserungen in Aussicht stellt, hätte das Flüchtlingsthema dann noch diesen Stellenwert? (der mit den Zahlen ja auch schon gesunken ist).

    Auch in Sachen Todesstrafe haben wir immer wieder eine andere Mehrheitsmeinung, doch beugt sich die Politik nicht diesen Stimmungen. Auch den Familiennachzug kann man gut mit dem GG begründen – und ebenso mit der Senkung der Gewaltbereitschaft aus Verzweiflung und Haltlosigkeit.

    Im Übrigen würde sich vermutlich nicht viel ändern, egal wie viele man nachziehen oder nicht nachziehen lässt. Da sind Ressentiments (und wurden befeuert, vergrößert, instrumentalisiert…) entstanden, die aus meiner Sicht der Judenhetze zur NS-Zeit vergleichbar sind – die KZs von heute (die die SPD auf den letzten Drücker noch aus den Sondierungspapieren gekippt hat, immerhin!) werden dann anders heißen und – sofern in DE errichtet – auch einen „menschenwürdigen“ Standard haben und nicht auf Vernichtung, sondern „Ausschaffung“ angelegt sein. Aber ob das so bleibt, ist keineswegs sicher, wenn ein zunehmender Teil der Bürger eine „weg mit denen um jeden Preis“-Politk gut findet. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal selber noch so eine Entwicklung erlebe!

    P.S. Warum macht man eigentlich nicht konkretere Politik da, wo es wirklich nervt? Z.B. durch ein Verbot des Tragens von Messern aller Art – und dann ein paar Monate heftige und ständige Kontrollen, Beschlagnahmungen etc. – das wäre doch mal eine sinnvolle Maßnahme / Reaktion auf die vielen Schlagzeilen bzgl. „Messerattacken“.

  12. Um Gottes willen, nein. Ich hab versucht, das Dilemma deutlich zu machen. Oder glaubst du nicht, dass viele Parteimitglieder dazu ähnlich skeptisch stehen, wie die besagten AfD-Fans? Das Thema ist nicht konsensfähig in Deutschland. Gerade eben habe ich ich dazu einen interessanten Kommentar von Frau Weidenfeld gelesen (https://goo.gl/J1yCWp), sie führt die diesbezüglichen Verhältnisse auch ins Feld. Es nützt ja nichts, sich was vorzumachen. Wenn die Partei drei Punkte zu den Hauptkriterien erklärt und davon gleich zwei voll in die Hose gehen, muss man das in unserer Diskussion für meine Begriffe schon entsprechend würdigen. Wenn die SPD an diesem Ziel festhält und irgendein fauler Kompromiss mit der Union gefunden werden sollte, wird das mit der nächsten GroKo sicher nix. Ich wär froh.
    Der geradezu unglaubliche Vertrauensbruch, für den wohl ein gewisser Andi Scheuer verantwortlich ist, hätte zum Abbruch der Gespräche führen müssen. Wie du schreibst: zum Glück wurde dieser Satz noch herausgestrichen. Aber daran sieht man, wie rigoros Teile der Union vorgeht. Die haben keinen Grund, sich über einen Vertrauensverlust aufzuregen.

    Vieles wäre einfacher, wenn der Staat nicht so massiv versagen würde. Wenn die Leute ihr Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates verlieren, dem sie schließlich das Gewaltmonopol überlassen haben, sieht es mau aus. Leute, die sich hier am laufenden Band Gesetzesverstöße erlauben, dürften nicht mehr im Land sein. Es gibt so schrecklich viele Beispiele darüber, dass Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte ihren Job nicht gemacht bekommen, dass man sich nur noch schütteln kann. Diese Dinge herunterzuspielen ist längst sinnlos geworden. Nimm das Beispiel von Neukölln. Frau Giffey drängt den Verfassungsschutz, wegen der zunehmenden Zahl von Salafisten endlich etwas Konkretes zu tun. Was passiert? Sie fleht und bittet und immer noch passiert nichts. Das ist nur ein Beispiel für zu viele.

  13. @Horst: Jetzt haben wir so viele Themen angetippt und könnten vom 100. ins 1000ste kommen! Alles wirklich spannend und relevant, deshalb (und auch inspiriert durch dieses Kommentargespräch) hab ich gerade einen Artikel verfasst, der die PHOENIX-Runde (gestern zur Möglichkeit der #Groko) mit Gründen als den besseren Talk lobt! Wenn du Zeit hast, guck doch mal rein!

    Ansonsten: Das mit den Salafisten in Neukölln muss ich erstmal nachlesen… ich weiß aber, dass unser Rechtsstaat es nicht so einfach macht, mal eben z.V. Moscheen zu schließen etc.
    Bei „Leute, die sich hier am laufenden Band Gesetzesverstöße erlauben, dürften nicht mehr im Land sein“ stimme ich im Prinzip zu, doch kommt es natürlich drauf an, was für einen Status sie haben. Auch liegen die Abschiebehindernisse nicht immer an einer Unwilligkeit/Unfähigkeit unserer Staatsorgane, wie du sicher weißt!

  14. […] So hat sich der Par­tei­vor­stand selbst in die­se Situa­ti­on gebracht, auch wenn sie ges­tern ver­sucht haben, die Schuld natür­lich wie­der auf ande­re Par­tei­en zu schie­ben. Quel­le: Wei­ter wursch­teln – zum SPD-Par­tei­tag #spdbpt18 › Digi­tal Dia­ry – Clau­dia Klin­ger | LINK […]