Claudia am 12. Juli 2015 —

#NichtMeinEuropa

Heute einfach mal ein Zitat, das mir aus der Seele spricht – vom Kiezneurotiker, der so gut „ranten“ kann wie keiner sonst:

„Ihr habt es geschafft, dass Europa mich anekelt. Ich finde den Umgang mit Anderen, mit Schwächeren, mit Minderheiten, anderslautenden Meinungen widerwärtig, es macht die Idee kaputt und führt sogar dazu, dass ich es schade finde, dass Helmut Kohl nicht mehr regiert. Sogar der hätte es besser gemacht. Jetzt noch würde er es besser machen.

Das Bild ist erbärmlich. In den Schaltzentralen sitzen die Technokraten. Das Sagen haben Technokraten. Die Mehrheit stellen Technokraten. Ihren Willen setzen durch: Technokraten. Die Presse jubelt hoch: Die Technokraten. Es geht um Exceltabellen, Nachkommastellen, Prozentsätze, mit denen sie die Armen be- und die Reichen entlasten wollen. Doch. Ja. Bitte. Nehmen Sie zur Kenntnis, was seit 2008 faktisch und nachweislich passiert. Und gehen Sie mir weg mit Ihrem anachronistischen Reflex. Denn mit Kommunismus hat das nichts zu tun. Europa rettet seit 2008 kontinuierlich die Spekulanten (und ich weigere mich, dieses Kroppzeug verbrämend Finanzindustrie zu nennen, es sind Spekulanten, denen sie finanzielle Massenvernichtungswaffen in die Hand gegeben haben). Und wenn die sich verspekulieren, dann retten sie die. Eine Heuschrecke nach der anderen. Und sie hören nicht mal damit auf, wenn das, was sie da tun, in den letzten kritischen Nischen des Öffentlich-Rechtlichen Fernsehens für jeden einsehbar dokumentiert wird. Sie machen einfach weiter.“

kiezneurotiker

Und noch eins:

„Das Europa 2015 ringt mir keinen Pathos mehr ab. Es steht nur noch für die Herrschaft der Buchhalter, für die Ablehnung demokratischer Instrumente wie Abstimmungen, für das Mobben legitimer Regierungen, das Europa 2015 steht für tausende ersoffene Flüchtlinge im Mittelmeer, Überwachung, Militarisierung, Freihandel zugunsten der globalisierten Konzerne, und ganz sicher steht es für furchtbar unsympathisches Personal, dem hoffentlich keiner von uns auch nur fünf Minuten seine Kinder anvertrauen würde.

Und es steht für Plünderung. Sie plündern Ihre Rentenkassen. Ihre Infrastruktur. Ihre Sozialkassen. Ihre Lebensversicherungen. Ihre Zukunft. Das, was sie damals in der Schule unser Gemeinwesen genannt haben. Das bauen sie ab. Das privatisieren sie. Das sourcen sie aus. Das wollen sie haben und verscheuern. Und davon sehen die Griechen, gegen die die Nebelkerzen geworfen werden, im Übrigen gar nichts. Das geht zu den Spekulanten, die inzwischen überall euphemistisch Geldgeber genannt werden als würde das etwas an dem ändern, was sie tun.

So ein Europäer will ich gar nicht sein. Sie haben mich angelogen. Es geht gar nicht um Menschenrechte. Europäische Familie. Nie wieder Krieg. Es geht um Profite. Und Disziplinierung. Dominanz. Und schon wieder sind es die Deutschen. Kann den Scheißjob nicht mal jemand anderes machen? Müssen immer wieder die Deutschen so bereitwillig die Rolle dessen einnehmen, den alle hassen weil er sich wie ein Arschloch aufführt? Muss das sein?“

***

Auch sehr lesenswert:

Sascha Lobos letzte Kolumne „Deutschlands Neonationalismus“:

„Die Stimmung im Netz ist vergiftet. Nun geht es mit Pickelhauben gegen die Griechen, mit Nazi-Slogans gegen Flüchtlinge. Die Politik biedert sich diesem Hass aufs Fremde an. Höchste Zeit für den Zorn der Zivilisierten!“

Diskussion

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22 Kommentare zu „#NichtMeinEuropa“.

  1. Wenn man bedauert, dass Kohl nicht mehr regiert, dann ist das Ende da.

  2. Ja, das ist eine gute Idee von Sascha Lobo, sich im „ Zorn der Zivilisierten“ dem deutschen Neo-Nationalismus entgegenzustellen. Zivilisiert! Was war das eigentlich nochmal? Bei Gelegenheit schau ich mal in Wikipedia vorbei.

    Hhm,… so Beiträge werden tatsächlich gelesen. Sind also lesenswert. Werden geliket.
    Klar – die Freitaler Demonstranten verstehen das wahrscheinlich. Alle. Sascha Lobo. Bestimmt. Auf Anhieb. Vielleicht, wenn`s klappt, werden sie (also die Freitaler) dann ja morgen schon die Initiative „Unser Dorf soll schöner werden“ multikulturell gemeinsam neu erblühen lassen. Wenn nicht? Gut – dann ekelt mich Europa auch ab morgen einfach an. Ganz – so wie den Kiezneurotiker. Easy. Wem sprech ich dann damit aus der Seele?

    Eigentlich – wenn ich das alles so im Netz lese – gibt es in mir nur einen Wunsch: Abstellen.
    Das ganze Internet.
    Einfach und sofort. Ab(-be)stellen. Für immer. Oder zumindest: für lange, lange Zeit.

    Und mittlerweile allen voran im abbestellen: die Blogs. Die Alle alles so genau wissen. 100-prozentig. In allen Details. Fachmännisch. Wissenschaftlich. Global.

    Die Blog Schreiber, die einfach nicht verstehen können, wieso es noch so viele dumme Menschen gibt, die einfach nicht verstehen wollen und können, das es gar kein Geld gibt, nur Spekulanten die Welt nach ihrem Gutdünken dirigieren und das der Klimawandel uns tödlich bedroht wie auch wir alle sehr bald sterben müssen, wenn wir uns weiterhin so ungesund ernähren und nicht auf die basische Ausgeglichenheit achten, die im Einklang mit dem BMI und dem glykämischen Index steht.

    Und zur Untermauerung ihres großen blogerwissenens wird mit Links und Copy&Paste der Beweis der publizistischen Größen eingebunden, die eigentlich nur alles bestätigen, was die Blogger schon immer durchschaut, bewiesen und beschrieben haben.

    Doch:
    Internet abschalten – ist auch keine Lösung.

    Ich möchte, das verlangt es in mir, so oft ich kann und es mir möglich ist, an den Diskussionen „zivilisiert“ teilnehmen.
    Alles andere wäre „ den Kopf in den Sand gesteckt“.

    Zivilisiert, was von mir als Umgangsart noch weiter erobert werden muss, soll heißen, dass (pardon, auch ich muss mich erst wieder mühsam den alten Werten annähern) ich mich „sachlich konstruktiv“ und vor allem mit den Gegenüber unverletztend austauschen möchte.

    Druck erzeugt doch nur Gegendruck.

    Trotzdem – und das ist die Herausforderung, soll etwas zum eigenen Nachdenken anregen.(Im Gegensatz zu den den oben im deinem Beitrag zitierten, die nur einer hungrigen Meute etwas zum fressen vorwerfen. Egal – welch glykämischer Index. Dabei richtet sich meine Abneigung nicht gegen die, die Hunger haben. Sie richtet sich gegen die, die den Hungrigen einfach was zum Fraß vorwerfen. Dabei betrachte ich das sich „bedienen“ einer fressenden Menschengruppe, die, aus welchen Gründen auch immer, derzeit keine Möglichkeit zum reflektieren hat, als Missbrauch zum Aufbau der eigenen Performance.

    Ich bin bereit, auch für diesen Kommentar, mir meine Prügel abzuholen. Definitiv. Es ist für mich so, wie das bekannte Bild in der Straßenbahn: – wenn zwei junge Flegel aufstehen und eine alte Dame ( nennen wir sie Europa) anpöbeln und ich versuche, der „alten Dame“ beizustehen.
    Ich nenne es für mich: Zivilcourage. Dabei bleiben.

    Abschließen möchte ich mit der Analogie:
    Wer sich mit den Umständen eines Landes nicht einverstanden erklären kann, der möge sich doch bitte dort versuchen glücklich zu fühlen, wo, z.B. das Kopftuchtragen, als feste Konstante selbstverständlich ist.

    Umgekehrt: Wer sich von Europa angeekelt fühlt – ja, bitte! Warum es dann nicht mal im Sudan versuchen?

  3. Hallo Menachem,

    gut, dich wieder zu lesen!!! Und „Prügel“ gibts von mir nicht, nie! (soweit ich mich erinnere). Gerade weil ich gar nicht gut bin im Brandreden halten („ranten“), hab ich diese Zitate gepostet. Nicht weil es bekannte Blogger sind, sondern weil sie es können, sogar richtig gut können (und DESHALB sind sie so bekannt und werden „geliked“).

    Wenn ich selbst über diese Sachverhalte schreibe, stehen mir ständig gefühlte 1000 Aspekte im Kopf, die prägnante Äußerungen eher erschweren – und dennoch bin ich manchmal schier entsetzt, verzweifelt, wütend über das, was passiert.

    Bzgl. der „Einigung“ in Sachen Griechenland etwa: Klar, dieser Staat braucht dringend Reformen und es ist auch legitim, diese zu verlangen, wenn man Geld gibt. Wenn ich dann aber Details lese wie die geforderte Öffnung der Geschäfte am Sonntag (=Sonntagsarbeit), dann geht mir der Hut hoch! War da nicht mal was mit christlich-jüdischer Tradition im Abendland? Muss man dermaßen kleinkrämerisch in ein Land hinein regieren, dass eh schon am Boden ist? Ist der Vorwurf der Demütigungsabsicht da wirklich so entlegen?

    Der Text vom Kiezneurotiker handelt im übrigen ja nicht nur von Griechenland, sondern wagt den Blick aufs Ganze: und stimmt es etwa nicht, dass wir seit den 90gern von einem entfesselten Finanzkapitalismus in die Enge gedrängt werden? Dass das „Soziale“ immer mehr den Bach runter geht zugunsten von Markt und Profit? Dass „die Märkte“ das Sagen haben und kaum noch die Politik?

    Und das innerhalb eines Geld&Finanzsystems, bei dem einige mächtige Schuldner nach Belieben an den Stellschrauben drehen können, wenns mulmig wird und im Gebälk knirscht – andere aber „sparen“ müssen, egal was das wirtschaftlich für Folgen hat?

    Es lohnt im übrigen, auch mal den GANZEN Text vom Kiezneurotiker zu lesen, denn die erste Hälfte handelt von seiner (einstigen) Begeisterung für Europa, die „europäische Idee“, die ich und viele andere teilen. Umso größer die Enttäuschung, wenn man dann erleben muss, wie nurmehr den Konzernen zugearbeitet wird (TTIP, TISA, Agrar-Politik u.v.a.) und die Institutionen weitab demokratischer Prozesse agieren.

    Da passt ein „geh doch rüber“ (wie man früher im Westen sagte, wenn die BRD von links kritisiert wurde) gar nicht. Soll man deiner Ansicht nach etwa am eigenen Staat nichts mehr kritisieren, weil es andernorts schlimmer ist? Seltsame Reaktion, finde ich!

    Was das Thema „zivilisiert“ angeht, bitte ich dich, mal das Video „Worst of Freital“ zu sichten. Mir fehlen da echt wie Worte – Sascha Lobo nicht! Es ist gut, dass es solche Autoren gibt, die viele erreichen. Die klar machen, dass diese Scheusslichkeiten nicht harmlos sind und von der Politik nicht verharmlost werden sollten. Sein Aufruf endet mit dem schrecklichen Satz „bevor Menschen brennen“ – und ja, ich kann mir mittlerweile wirklich vorstellen, wie weit dieser Hass gegen Fremde noch gehen kann, wenn man ihm nicht Einhalt gebietet.

    Soll man das nicht mehr schreiben können, weil es ja zur „eigenen Performance“ als Autor beitragen könnte? Meinst du das ernst?

    (Auch sind jene, die sich diesen Themen widmen allermeist NICHT identisch mit jenen, die sich um basische Ausgewogenheit und glykämischen Index kümmern. Erstere protestieren, Letztere vollziehen den zunehmenden Zwang zu Selbstoptimierung, die ein integraler Bestandteil der neoliberalen Agenda ist: Jeder sei für seine Gesundheit selbst verantwortlich, Krankheit durch falsches Leben selbst verschuldet – und die damit einher gehenden Risiken solle man gefälligst privat absichern. Solidarische Systeme ade…mit Fitness-App gibts schon bessere Konditionen).

    Die „alte Dame Europa“ ist lange nicht mehr das, was du damit meinst! Eigentlich sollte auch dir der Kíezneurotiker aus der Seele sprechen (der genau diese alte Dame schätzte)- und ich frag mich echt, warum das nicht so ist.

    Und das mit dem Kopftuch? Gehört es nicht zum eigentlichen europäischen Geist, die Kopfbedeckung der Wahl den Bürgern zu überlassen? Hier wird niemand dazu gezwungen – und ich finde es auch richtig, dass sich derzeit eine Rechtsprechung durchsetzt, die auch das generelle Verbot an Schulen ablehnt. Weil eben mittlerweile klar ist, dass es viele muslimische Frauen gibt, die es gern und freiwillig tragen. Warum sollte ein liberaler Staat sie daran hindern? (Bzgl. „vermummender“ Varianten bin ich anderer Ansicht, aus Gründen).

    *** Grade gelesen: Morddrohung gegen Flüchtlingsaktivisten – für schnelle Leser ein Zitat aus „Perlen aus Freital“ bei Hardy.

  4. claudia,

    let’s agree to disagree.

    ich stehe da gegen den strom. ds ist zwar auch nicht das europa, das ich gerne hätte, aber … ich hab‘ kein besseres im keller. du?

    stimmen jetzt alle ein in einen chor: „komm‘, lass es uns kaputt machen, wir finden ein besseres?“ weil „wir deutschen ja soo was von sind, aber sooo was von …“?

    ich nicht. dieses europa, so elend es gerade funktioniert, weil die anderen deutschen SPD & CDU gewählt haben, ist unser schutz gegen die, die gerade das land renationalisieren wollen. das gebe ich nicht auf, nur weil mir einiges missfällt.

    in der sache, lass uns uns also darauf verstndigen, uns nicht verständigen zu können ;-)

    liebe grüße aus der garage

  5. Liebe Claudia, ich denke es geht darum, wie wir uns miteinander über die Veränderungen dieser Welt austauschen. Letztendlich werden wir uns in den Foren und Gruppen finden, die unsere Sprache sprechen. Ich kann nur hoffen, das wir vor einer weiteren und zunehmenden Radikalisierung verschont werden.

    Ich bin hier und möchte es auch bleiben und verspüre derzeit keinen Drang, zukünftig Sascha Lobo zu lesen.
    Brandreden sind nicht meins.
    Nach meinem Empfinden berufen sie sich zu oft auf Fakten/Tatsachen, die verzerrt, entstellt und aus dem Kontext gerissen sind. Benutzt für die eigene Thesenuntermauerung. In ihrem ursprünglichen Sinn einfach „gefälscht“.
    Nach dem bekannten Beispiel: “ Stell dir vor es wäre Krieg….“

    Auch ich war mal ein jungen, sportlicher, dynamischer und visionärer junger Mann. 1962. Wie Europa. Heute, fast haarlos, mit 3. Zähnen, Bierwampe und Brille …
    Kann ja gut sein, dass diese Altersveränderungen den einen oder anderen anekeln, aber da es auch defintiv andere positive Veränderungen bei mir gibt, gibt es doch keinen Grund, mich als Ekel derart vor der gesamten übrigen Welt so „als Ganzes“ darstellen zu lassen.
    Ich sehe auch keinen Grund, ob dabei in mir, als Menachem, oder als Europa, einen Unterschied zu machen. Die Grundstimmung ist für mich entscheidend.

    Zum Kopftuch mag ich noch sagen, dass es mich selbst ganz furchtbar nervt, dass ich damit nur schwierig parat komme. Das nehm` ich wahr und stört und mich ungemein. Ich wünsche mir sehr, dass unsere Kinder und Kindeskinder niemals mehr sich mit diesen Ressentiments beschäftigen werden müssen.

    Natürlich, liebe Claudia, nicht alles ist gut.
    Ich, für meinen Teil, komme mir vor, als säßen wir auf einem Floß, das inmitten eines großen und gewaltigen Flußes treibt. Und unweit vor uns: die Wasserfälle.

    Nun macht es doch aber keinen Sinn darüber zu lamentieren, woher in Gottes Namen das ganze Wasser herkommt, und wieso ich überhaupt auf dem Boot sitze. Und wer hat überhaupt die Wasserfälle dahingestellt und wieso haben die Chinesen keinen Rückwärtsgang in das Floß eingebaut und die Ami`s sowieso, mit Absicht haben die den Anker vergessen….

    Reden wir darüber, was wir noch sinnvolles unternehmen können und wie wir uns auf diesen gewaltigen Sturz vorbereiten können.

  6. @Menachem: was meinst du mit dem „Sturz“? Nicht selten verstehe ich deine Abstrahierungen nicht!

    Auch den Passus über deine Altersveränderungen verstehe ich nicht wirklich. Willst du damit sagen, dass auch EUROPA verständlicherweise jetzt „haarlos, mit 3. Zähnen, Bierwampe und Brille …“ vor sich hinwest und es irgendwie normal sei, dass da nicht mehr viel Positives passiert?

    Was dein Problem mit dem Kopftuch angeht: Ist dir denn tatsächlich unbekannt, dass in den 50gern/60gern auf dem Land in DE noch alle älteren Frauen Kopftuch trugen? (Ohne dass sie es wussten, ziemlich ähnlich „religions-ideologisch begründet“, wie bei Moslems? Das Haar nicht zeigen, weil irgendwie erotisch konnotiert…)

  7. @Hardy: ich sagte doch: natürlich braucht der Griechische Staat massive Reformen! Aber gerade Syriza wäre doch als Unbeteiligte ein Bündnispartner – statt dessen erwartet man, dass sie binnen 6 Monaten schon Griechenland komplett umgestaltet hätten. Was Varoufakis und andere als „Alternative“ verlangten, war doch eigentlich diskussionswürdig: Luft in Sachen Schulden, und Zeit für die Umgestaltung!

    Statt dessen gibts das Angebot bzw. die alternativlose Erpressung eines „weiter so“. 3.Hilfsprogramm ohne Hoffnung… im Wesentlichen darauf zielend, die Gläubiger zu „retten“.

  8. @claudia

    mit so wenig worten wie möglich:

    ich bin seit fast 2 jahrzehnten anhänger der idee der „bundesrepublik europa“ mit „länderfinanzausgleich“, also europa so organisiert wie die BRD, jeder behält seine identität, aber es gib eine „bundesregierung“ und einen „bundeshaushalt“.

    „mein mann“ ist juncker, den ich gerne vor einem dutzend jahren als chef der EU gesehen hätte, aber das hat ja dann mdme merkel verhindert. ich weiss, der ist ein christdemokrat, aber einer von den herzjesujungs.

    was ich jetzt sehe ist eine renationalisierung, die auch von „links“ betrieben wird. dieser hohn, dieser spott, diese unfähigkeit zu verstehen, daß eine verwaltung nun mal nicht sexy ist sondern eben arbeitet.

    was mich ärgert: wir haben jetzt ein halbes jahr tsipras zugeguckt, wie er den bunten hund gegeben hat und sich über die grauen mäuse lustig gemacht hat. er wusste um unser schlechtes gewissen, unseren eisernen willen, griechenland nicht hängen zu lassen, unsere „mechanismen“ … und hat permanent alles getan, um es sich mit einem nach dem anderen zu verderben, bis hin zu juncker, der ihn – als er das referendumskarnickel aus dem hut gezogen hat – gewarnt hat, daß danach der preis, den er würde bezahlen müssen, höher sein werde. und da sind wir nun.

    für mich war das so, als ob tsipras ständig eine katze hochgehalten und gedroht hat, sie zu erschiessen. deine und die reaktion vieler anderer ist die, die sagt „die arme katze!“ meine ist die, die sagt „hör auf mich zu erpressen“

    jetzt so zu tun, als sei das am sonntag eine grausamkeit gewesen, am liebsten uns selbst in grund und boden zu schämen und zu boykottieren, das ganze für einen „coup“ zu halten, das ist (imho) eine bizarre verkehrung der dinge: 18 haben ihre hausaufgaben gemacht und der eine, der sie nicht gemacht hat, möchte über den sinn von hausaufgaben reden. nein, er soll sie einfach machen .. und wenn er sie nicht von alleine macht, schicken wir ihm jemand, der ihm dabei hilft.

    ich bin beileibe kein fan von merkel & schäuble, aber für die nummer am sonntag bin ich ihnen, gerade weil ich überzeugter europäer bin, geradezu dankbar.

    wenn alle mal von diesen großen worten runterkämen, wenn alle mal einen vorschlag machen könnten, wie sie es denn besser gemacht hätten angesichts 6 mit erpressungen und kapriolen verschwendeter monate, dann wären wir weiter als wir es in diesem strom von emotionen sind: nein, die demokratie ist nicht zu grabe getragen, nein, wir deutschen sind nicht die einzigen, denen das auf den wecker ging, was er veranstaltet hat und nein, tsipras ist nicht das opfer.

    das ist ein „narrativ“. daran kann man glauben. muss man aber nicht … und ich glaube nicht daran. ich glaube, er hat es sich so sehr mit den anderen versemmelt, daß die ihn am sonntag ultimativ gezwungen haben, mit dem unsinn aufzuhören. dabei hat deutschland die rolle des bad cop gespielt, weil es sonst keiner machen konnte. das fühlt sich eklig an, ich weiss, aber jetzt sind die dinge auch ihm klar und deshalb hat er den schwanz eingezogen.

    ich sehe ihn nicht gerne gedemütigt, ich mag auch varoufakis und auch ich wünsche mir eine andere union, aber, das ist nun mal das, was wir haben, das womit wir umgehen müssen. und ehrlich, da hrift bei mir kein westdeutscher reflex der scham für zwei weltkriege, kein ostdeutscher reflex, der diese eu-sache noch nie verstanden hat, keine gefühligkeit.

    das musste gemacht werden und es wurde in einer blutigen operation gemacht. wer den patienten und mit ihm den ort, an dem er lebt, lieber sterben gesehen hätte, um ihm die schande, die er sich selbst eingerührt hat, zu ersparen, ht so wenig verstanden wie tsipras, was politik und demokratie ist: das bohren dicker bretter mit einem dünnen bohrer und – vor allem – das organisieren von mehrheiten.

    und da, da scheint ja auch keiner zu verstehen, daß die merkel jetzt eine solche organisieren muss. das kann sie nur, wenn sie ihren eigenen leuten klar macht, daß tsipras doch das vertrauen verdient, daß keiner mehr in ihn hat.

    nur reagan konnte die abrüstung erreichen, nur nixon nach china fahren und nur deGaulle frieden mit den deutschen machen. auch das will und muss verstanden werden: die merkel konnte gar nicht anders und deshalb hat sie schäuble knurren, drohen und … bluffen lassen.

    ist länger und erregter geworden als beabsichtigt – und ich bin sicher, du teilst meine meinung ganz und gar nicht ;-)

    ich weiss, der strom ist breit und verlockt, in ihm mitzuschwimmen, er deckt all unsere aversionen gegen deutschland auf das feinste ab …

    aber ich schwimme in die andere richtung.

  9. Sorry, Claudia.

    Mit dem Sturz meine ich, dass die bestehenden Systeme (finanz/politisch) irgendwann gegen die Wand fahren. Zuerst finanztechnisch, in der Folge gesellschaftlich politisch. Das denke ich, wird zu großen Unruhen führen (vorsichtig ausgedrückt).

    Diese gewaltigen Schuldenberge, die alle vor sich herschieben, werden eines Tages nicht mehr manövrierbar sein. Und mit der Schuldenbremse ist es ja nicht so, dass keine weiteren Schulden mehr gemacht werden. Nur – sie werden nicht mehr als Schulden ausgewiesen. Der Berg wächst also stetig weiter.

    Das ist für mich nicht anders, wie in jedem kleinen Haushalt. Die Anzahl der Nullen einer Zahl ändert m.E. nichts daran, dass langfristig nur das ausgegeben werden kann, was man auch zur Verfügung hat. Man kann sicher eine ganze Zeit lang tricksen, wie es auch die Schneeballsysteme immer wieder versucht haben. Aber irgendwann – ist das Spiel gespielt.

    Wollen wir allem, weil es nun alt, hässlich und gebrechlich ist, unsere ehemalige Zuneigung nun entziehen? Die Zuneigung mag sich ändern, wie ich es z.B. bei meinem Papa erlebe. Er ist nun alt und gebrechlich, aber trotzdem meine ich ihn jetzt lieber zu haben, als ich mich bisher daran zurückerinnern kann. Vielleicht auch, weil er jetzt hilfsbedürftiger ist.

    Nein, Claudia, mit dem Kopftuch kenne ich das so nicht. Aber, ich erinnere mich Fotos, auf denen das so zu sehen ist.
    Einerseits finde ich es absolut geil, wie die Mädels in Neukölln sich mit Kopftüchern modisch kleiden. Farbig und prächtig. Stolzen Blickes mit hocherhobenen Kopf prominieren sie. Andererseits verspüre ich in meinem Bauch immer wieder dieses komische Gefühl des ungewohnten und fremdartigen, wenn ich die sehr Konventionellen sehe.
    Mir ist das Gefühl sehr wichtig, weil ich dabei erkenne, das bei aller Rationalität, die ich gerne walten lassen möchte, trotzdem Gefangener meiner Erziehung und Konventionen bin.

    Das Gute daran ist, das ich in diesem speziellen Fall meinem Bauch nicht ohne mein Hirn agieren lasse. Wie ich auch in anderen Fällen, mein Hirn nicht ohne meinen Bauch freien Lauf lasse.

  10. ich hänge mal einen pod dran, der die lage vor ort, die unzufriedenheit schildert. wichtig ist mir der mann, der am ende sagt: „wir brauchen einen, der uns tag für tag ruhig und geduldig erklärt, warum wir jetzt dieses oder jenes tun müssen …“.

    http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2015/07/14/drk_20150714_0711_3e9321b5.mp3

    was ich erlebe, sind immer heisser laufende diskussionen, mit sich immer mehr überschlagenden stimmen und immer größeren worten. und genau da sollten alte und erfahrene menschen wir wir nicht auch noh öl ins feuer giessen, sondern ruhig und geduldig erklären.

    aber damit stehe ich im moment ziemlich alleine da.

  11. „aber damit stehe ich im moment ziemlich alleine da.“

    Dem muss ich leider entschieden widersprechen, hardy :)
    Teile ganz deine Meinung deiner Kommentare.

  12. @Hardy, danke für den Pod!

  13. @menachem

    ich weiss, daß ich nicht alleine bin, aber wenn ich auf die blogs derer gucke, die mag, also auch auf claudias, dann erschrecke ich über die bereitschaft, ganz große gefühle zu bedienen und den mangel an bereitschaft, sich gegen den strom zu stellen.

    @gerhard

    das hat bei mir ein grundsätzliches nachdenken über die art, wie wir immer nur das negative bedienen und zu wenig für das gerade stehen wollen, was doch in unserem interesse wäre. ich habe den „kiezneurotiker“ ja zuerst gelesen und dann erst claudias kommentar & beitrag.

    wir wollen in einem befriedeten land leben. dann sollten wir den frieden befördern und nicht den krieg in den köpfen füttern. wohin das führt, das hat uns gerade her lucke mit seiner AFD vor augen geführt, ich nenne das das „AFDsyndrom“: man übt (berechtigte) kritik, sammelt menschen um sich … und verliert irgendwann die kontrolle und andere, die viel schlimmer sind, übernehmen den laden.

    ich sehe diesen effekt auch für blogs wie sagen wir mal den von niggemeier. der hat ja grund, zu maulen … aber er vergisst, regelmäßig mal zu sagen, was er gut findet. am ende hat er die ganzen GEZ-nein-danke jungs befördert und bringt uns um so etwas we die berichterstattung der ÖR (im radio, davon verstehe ich was) und das ist nun mal ein bärendienst.

    meine bitte also: bitte, bitte, bitte einfach ab und an mal was erzählen, was nicht nur herumgemaule ist. man muss ja nicht in hurrapatriotismus verfallen, aber die dinge mal zurechtrücken wäre schon okay

    http://bazonline.ch/ausland/europa/15-Laender-stuetzen-Schaeuble/story/12779216

  14. @Hardy: dein „Erklären“ ist doch auch nur ein Vertreten deiner eigenen Meinung – nichts dagegen, aber ich bin nun mal anderer Ansicht!

    Allein deine Wortwahl bzgl. der Griechen zeigt, dass du dich nie in ihre Lage hinein versetzt hast. Diese linke Regierung ist immerhin nicht beteiligt an den „alten Eliten“ in Griechenland, die diesen Schlamassel erheblich mit zu verantworten haben – allerdings nicht alleine.

    Goldmann & Sachs hat geholfen, Daten so zu frisieren, dass Griechenland in den Euro kam – und dann wunderte man sich, dass es nie im Stande war, mit seinen mangelnden Strukturen im EU-Raum mitzuhalten? Dass zudem die Finanzkrise eine Mega-Rolle bei der Entwicklung der letzten Jahre spielte, dass „Banken retten“ immer das wesentliche Ziel der Maßnahmen war, nicht etwa der Aufbau einer wettbewerbsfähigen griechischen Wirtschaft wird doch von kaum mehr jemandem bestritten! Die Agenda der Troika hat binnen 5 Jahren zum Schrumpfen der Wirtschaft und ziemlich viel Elend geführt – auch das ist mittlerweile unbestritten, wird sogar selbstkritisch vom IWF bestätigt.

    Auch jetzt: der IWF sagt klar, dass eine Schuldentragfähigkeit mit dem 3.Hilfspaket (so es denn kommt) nicht erreicht werden kann, sondern dass ein Schuldenschnitt her muss – sonst beteiligt er sich gar nicht erst. Damit bestätigt er im Grunde, was Varoufakis die ganze Zeit sagte und forderte: Man sollte Griechenland von Schuldenrückzahlungen erstmal frei stellen und den Wirtschaftsaufbau unterstützen – und dann die Rückzahlung ans Wachstum knüpfen – verbunden mit einem „Haircut“, der eine Rückzahlung ins Reich der Realität zurück holt, also Hoffnung gibt, dass man mal normale Verhältnisse erreicht.

    Wobei diese „normalen Verhältnisse“ bei jeder Menge Staaten immense Schuldenlasten bedeuten, die auch andere nicht wirklich zurück zahlen können. Deshalb haben wir z.B. eine NaheNullZins-Politik, die es den Staaten noch ermöglicht, ihre Schulden zu „bedienen“, den Sparern jedoch ihre Altersversorgung raubt.

    „Das ist für mich nicht anders, wie in jedem kleinen Haushalt. Die Anzahl der Nullen einer Zahl ändert m.E. nichts daran, dass langfristig nur das ausgegeben werden kann, was man auch zur Verfügung hat.“

    Das eben ist falsch. Das Denken der schwäbischen Hausfrau ist unsinnig im Rahmen eines Geldsystems, bei dem Geld einzig aus Schulden entsteht und keinerlei Wertdeckung hat als den Glauben, dass es funktioniert. Deshalb gibt es Schuldner, denen niemand etwas anhaben kann, weil „to big to fail“, sowie mächtige Schuldner, die die Bedingungen ihrer Rückzahlung praktisch diktieren können (USA) und andere, die man herum schubsen kann (Griechenland).

    In Sachen Finanzkrise und Geldsystem stehen zwei verschiedene Methoden/Konzepte/Glaubenssysteme gegeneinander:

    1)
    Einmal das jedem Bürger aus eigener Praxis vertraute Sparen/Schulden machen/rückzahlen. Man geht dabei davon aus, dass Geld eine feste Größe sei und versucht als Staat, mit einer „schwarzen Null“ und vielleicht irgendwann auch einer Rückzahlung die Abhängigkeit von den „Märkten“ zu verringern. Gut gedacht, klar!

    2)
    Aber dagegen steht das andere Konzept, das das Geld als flexible, vermehrbare Masse ansieht, das man beliebig aus dem Nichts schöpfen kann, wenns eng wird. Wenn es im System knirscht, wird eben von den Mächten dieses Konzepts (FED, USA, Investmentbanker, in Ansätzen EZB) an den Stellschrauben gedreht, die Zentralbanken kaufen Staatsanleihen und verleihen Geld ohne Ende für nahe nichts.

    Dass dabei eine Menge Akteure verdammt reich werden, während den Massen die sozialen Errungenschaften zusammen gestrichen werden, erzeugt dann verständlicherweise eine Kritik, die sagt: Warum zum Teufel nicht mal an den Schräubchen zu Gunsten der armen Bevölkerungen drehen?

    Ich empfinde mich mit meinen Ansichten nicht etwa „im Strom“, denn wie du ja selbst schreibst und belegst, ist der Megatrend der EU-Staaten auf Schäubles Seite – genau wie laut Umfragen eine Mehrheit der Bürger. Warum du allerdings, als Vertreter einer „Transferunion“ auf Schäuble-Linie liegst, verstehe ich NICHT.

    Im übrigen bin auch ich für Reformen des Staatswesens in Griechenland, wie ich ja schon schrieb. Aber gerade dafür hätte man Syriza durchaus als Verbündete ansehen können, die als einzige bisher Unbeteiligte und vom Volk im Wunsch nach Veränderung gewählte Partei glaubwürdig gegen die Zustände angehen könnten. (sie sind im Grunde gar keine klassische Partei, sondern eine Bewegung, die erst in den Troika-Jahren zu Relevanz gelangte, weil sich viele da einklinkten in der Hoffnung, etwas zu verändern).

    Und was das Erklären angeht: Was ich in den letzten Wochen und Monaten in Medien über Griechen gelesen habe, spottet an Häme, Gehässigkeit und Lügenhaftigkeit jeder Beschreibung! Selten mal, dass jemand im Detail ERKLÄRT, was es z.B. mit den Renten in Griechenland auf sich hat, einem Land ohne Sozialhilfe, ohne „Hartz4“ etc.!

    Und da findest du es bedauerlich, dass ich mich aufrege? Wie gesagt kann ich das nicht so gut wie die zitierten Autoren! Sascha Lobos neuer Beitrag „Sie machen mir mein Europa kaputt“ spricht mir erneut aus der Seele!

    *

  15. Und nochmal was, grade in der SZ im Beitrag „Hört auf, Europa kaputt zu reden“ gelesen:

    „In Verträge gegossener Ausgleich der Interessen statt Feindschaft. Die Montanunion am Anfang, offene Grenzen, gemeinsame Währung: Das waren politische Projekte. Keine vornehmlich ökonomischen. Allerdings mit dem Effekt, dass vor allem der wirtschaftsstarke Norden der EU profitiert hat.

    Das darf doch noch gesagt werden, oder? Deutsche Konzerne wie Siemens oder Hochtief haben über Jahre gute Geschäfte mit den günstigen Krediten gemacht, die Griechenland mit dem Eintritt in den Euro-Raum gewährt wurden. Das hat viele deutsche Arbeitsplätze gesichert. Nur die Wertschöpfung in Griechenland blieb überschaubar.

    ….Deutschland ist Krisengewinnler! Jens Boysen-Hogrefe vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel hat ausgerechnet, wie viel Deutschland allein daran verdient hat, dass die Zinsen für eigene Kredite wegen der Griechenland-Krise so in den Keller gegangen sind. Mehr als 100 Milliarden Euro waren es von Beginn der Krise 2009 bis zum Jahr 2014. Nur damit sei Schäubles schwarze Null überhaupt zu erreichen gewesen.

    Aber das sind Argumente, die in den Debatten am Stammtisch, auf Facebook oder Twitter kaum noch Gehör finden. „Der Grieche“ nervt, ist faul, er kostet uns Geld. Und will immer noch mehr von unseren hart erwirtschafteten Euros. Punkt. Dass wir manchen Euro auf dem Rücken der Griechen erwirtschaftet haben, spielt da keine Rolle mehr. Das wäre zu differenziert.“

    Ich bezeifle, dass einzig die Griechenlandkrise für die niedrigen Zinsen verantwortlich ist. Dass DE aber auf dem Rücken der Südstaaten prosperiert, halte ich für einen Fakt.

  16. @claudia

    [..] dein “Erklären” ist doch auch
    [..] nur ein Vertreten deiner eigenen Meinung

    das wird’s wohl sein.

  17. „Aber dagegen steht das andere Konzept, das das Geld als flexible, vermehrbare Masse ansieht, das man beliebig aus dem Nichts schöpfen kann, wenn’s eng wird. „

    Wenn dem so ist, versteh`ich nicht, warum Griechenland nicht die notwendige Masse aus dem „Nichts“ schöpft?

    Derzeit erscheint es mir doch so, dass Griechenland dringend Geld braucht, um seinen Verbindlichkeiten nachzukommen. Hätte es nach dem Prinzip der schwäbischen Hausfrau gehandelt, bräuchte es heute nicht schon wieder Europa anzupumpen. Das ist doch eine ganz einfache Sache. Dazu braucht man doch keine weltfinanztechnischen Wissenschaftserklärungen. Ohne Moos nix los.

    Dass auch bei dir die SZ als Informationslieferant dient, Claudia, lese ich gerne. Ich nehme an, auch andere überregionale Onlinedienste gehören dazu. Nur – zumeist haben all diese Online Medien einen Button: „aktualisieren“. Die Verwendung dieses Buttons führt dazu, jedenfalls auf meinem Bildschirm, dass schon seit Wochen in diesen Medien nur noch extrem selten über die angeblich faulen Griechen in einem paradiesischen Rentensystem berichtet wird. Das ist allerletzter Schnee von gestern. Auch das die Troika die Dinge falsch eingeschätzt hat. Ebenfalls Schnee von gestern. Hinterher sind immer alle gescheiter. Sowieso – und schon immer gewesen.

    Deine Wut ist ja sehr verständlich und den meisten geht es ja nicht anders. Aber dass wir alle nicht sehr schlimm finden, was der Grieche derzeit durchleben muss, weil es Griechenland mal wieder verbockt hat – ich denke – auf diesen asozialen Standard lassen wir uns nicht reduzieren.

    Die, die die miese Stimmung anheizen, sind doch die, die ständig über dieses miese Europa herziehen, das keine Gnade kennt, wenn es um den armen Rentner geht, der kein Geld am Automat mehr bekommt um seine Medikamente zu kaufen. Das sind für mich die Hetzer.

    Und dazu gehört, neben meinen besonderen Freunden der Brandreden, auch dein SZ-Artikel. Was soll denn der suggerieren?

    Deutsche Konzerne wie Siemens oder Hochtief haben über Jahre gute Geschäfte mit den günstigen Krediten gemacht, die Griechenland mit dem Eintritt in den Euro-Raum gewährt wurden. Was ist denn das?

    Da kriege ich absolut keinen Zusammenhang hin. Das sind doch Wirtschaftsunternehmen, die verkaufen weltweit wie Boeing Flugzeuge und Phillips Glühlampen – und, ob es wirklich „gute“ Geschäfte waren! Das weiß die SZ? Du? Das steht doch auf einem ganz anderen Blatt.

    Es ist doch Griechenlands Entscheidung, wenn es billig Geld „geliehen“ bekommen, für was und an wen es das verprasst. Sicher, Siemens hätte auch zu Griechenland sagen können, nein, nein – wir können euch leider keine ICEs verkaufen. Legt euer billig erhaltenes Geld besser in die Neueinstellung von Finanzbeamten ein. Haben sie nicht getan.
    Und Apple? Und Toyota? Und Peugeot?

    Wird jetzt weltweit gerechnet, was die Unternehmen in Griechenland verdient haben? Müssen die dann einen Soli an Griechenland zahlen?

    Liebe Claudia, das ganze Hin- und Hergeschiebe bringt doch keine Punkte. Ich weiß, du bist ein sehr sozial engagierter Mensch. Ebenso, wie ich glaube, ganz, ganz viele Leser deiner Seite. Das die Meinungen unterschiedlich sind, sollte doch aber den Raum der Diskussion vergrößern.

    Vieles ist wirklich eine Glaubensfrage. Doch auch diese kann sich doch nur im Austausch weiter entwickeln.

    Zu den unterschiedlichen Betrachtungen fällt mir gerade die Geschichte von Christiane F. ein: „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“. Sie war süchtig und abhängig. Doch auch Methadon konnte langfristig den Rückfall nicht verhindern.
    Fremde Hilfe und von außen, und das wissen wir beide, ist nicht immer eine wirkliche Hilfe. Zumeist ist es nur eine unnötige Leidensverlängerung.

  18. Lieber Menachem, herzlichen Dank für deine Ausführungen!

    Ich finde, man kann gut unterschiedlicher Meinung sein und in einer Kontroverse die je eigene „Glaubensfrage“ weiter entwickeln! Wie denn sonst?

    Das „fremde Hilfe“, die nicht immer eine Hilfe ist, stimmt ja IM PRINZIP. Wenn aber bereits vom Start weg das „AUSSEN“ heftig dazu beigetragen hat, dass ein Dilemma sich überhaupt erst entwickelt, kann man sich nachher m.E. nicht einfach so raus ziehen aus den Lösungsversuchen, finde ich.

    So habe ich in seriösen Quellen über die Historie der Griechenschulden gelesen, dass Griechenland sich IMMER SCHON verschuldet hat bis an die Grenze des Möglichen. Sie hatten vor dem Euro krasse Zinsen auf ihre Staatsanleihen zu zahlen und wenn das nicht mehr ging, war eben Schluss mit weitere Verschuldung. Dann wurden sie in den Euró „gehievt“ mittels Zahlentricksereien, bei denen Goldmann Sachs massiv geholfen (und dafür 300 Mio kassiert) hat. (Siehe Handelsblatt. Und plötzlich lief das wieder besser mit dem Verschulden, denn jetzt war das ja ein Euro-Land…

    Die ganze Story bis zurück zur Militärdiktatur (Demokratie beginnt erst 1975) kann man hier nachlesen, einer gewiss unumstritten seriösen Quelle, die wahrlich kein Blatt vor den Mund nimmt bzgl. der Missstände in Griechenland:

    Die Ursachen der Krise in Griechenland – Landeszentrale f. polit. Bildung in BaWü.

    Mich regt bei alledem ja weniger die Tatsache auf, dass man anstehende Reformen einfordert, sondern die Art und Weise des Umgangs, die Detailversessenheit (Sonntagsarbeit!) und – aus meiner Sicht natürlich nur – die mangelnde Bereitschaft, der Syriza-Regierung eine echte Chance zu geben, wofür es mehr Zeit, Sorgfalt und aufrichtiges Bemühen gebraucht hätte.

    Ich lese wirklich quer durch den Medien-Garten, selbstverständlich allen voran die sog. „seriösen Leitmedien“. Und ja, es gibt Phasen, da mäßigen sie sich wieder etwas! Das macht aber nicht gleich alles wieder gut, was man in den letzten Monaten so lesen und hören durfte (prägnant und gar nicht lange her zusammen gefasst von Böhmermann).
    Mich schmerzt das alles und es sollte nicht wundern, dass ich dann emotional eher dazu neige, die griechische Seite zu verstehen und zu unterstützen.

    Was den Grexit angeht: Billiger wäre das doch für die Gläubiger nicht, oder meinst du das?

    Zu anderen Gesichtspunkten evtl. später mehr. Nur eines noch: schon während der letzten Rettungspaket-Verhandlung ist mir aufgefallen, dass es offenbar ein Anliegen von DE war, dass das U-Boot-Geschäft mit Griechenland nicht in Gefahr gerät – zumindest hier sehe ich durchaus einen deutlichen Zusammenhang, den du in Sachen „Geschäfte mit Griechenland“ vermisst.

    Die Arbeit ruft… :-)

  19. Menachem schreibt etwas, an dem für mich sehr klar wird, wie schwierig es ist, in der ‚griechischen Krise‘ Roß und Reiter zu nennen:

    Deutsche Konzerne wie Siemens oder Hochtief haben über Jahre gute Geschäfte mit den günstigen Krediten gemacht, die Griechenland mit dem Eintritt in den Euro-Raum gewährt wurden. Was ist denn das?
    Da kriege ich absolut keinen Zusammenhang hin. Das sind doch Wirtschaftsunternehmen, die verkaufen weltweit wie Boeing Flugzeuge und Phillips Glühlampen – und, ob es wirklich „gute“ Geschäfte waren! Das weiß die SZ? Du? Das steht doch auf einem ganz anderen Blatt.
    Es ist doch Griechenlands Entscheidung, wenn es billig Geld „geliehen“ bekommen, für was und an wen es das verprasst. Sicher, Siemens hätte auch zu Griechenland sagen können, nein, nein – wir können euch leider keine ICEs verkaufen. Legt euer billig erhaltenes Geld besser in die Neueinstellung von Finanzbeamten ein. Haben sie nicht getan.
    Und Apple? Und Toyota? Und Peugeot?
    Wird jetzt weltweit gerechnet, was die Unternehmen in Griechenland verdient haben? Müssen die dann einen Soli an Griechenland zahlen?

    Hier liegt meiner Ansicht nach einer von vielen, ziemlich fetten Hasen im Pfeffer begraben: Es werden verschiedene Ebenen der Entwicklung rund um Griechenland miteinander vermischt, was dazu führt, daß es kaum mehr möglich zu sein scheint, sich einen Faden aus dem Knäuel herauszusuchen, an dem es für einen selbst entwirrt werden könnte. Ich will trotzdem einmal versuchen, eine Sichtweise zusammen zu fassen, der ich mich momentan anschließen kann. Entwickelt habe ich sie wahrlich nicht aus mir allein und sie ist selbstverständlich nicht der Weisheit letzter Schluß, spricht aber ein paar Gesichtspunkte an, die zumindest mir erlauben, den vertrackten Komplex etwas ‚logischer‘ zu betrachten, als er mir – viel zu oft und von viel zu vielen, interessierten Seiten – verkürzend und nach meinem Gefühl ‚unlogisch‘ dargestellt wird.

    Ad 1: Die Finanzierung Griechenlands und seines Beitritts zum Euro durch enorme Kredite, welche in keiner Weise an die Leistungsfähigkeit der griechischen Nationalökonomie (die auch in Zeiten der Globalisierung immer noch für die Beurteilung des Schuldentraglast eines Staates, nicht der von Unternehmen wohlgemerkt, die primäre Grundlage bildet) geschah mit Wissen und Einverständnis sämtlicher Gläubiger und Kreditgeber und ebenso der Regierungen der Eurozone. Die nachträgliche Konstruktion eines ‚levantinisch-schlitzäugigen‘ Betruges ‚der Griechen‘ an den ’schwäbisch-soliden‘ Ehrbarkeitsaposteln aus dem Norden dient der Verschleierung der Tatsache, daß eine politisch gewollte Ausdehnung der Eurozone, welche national-ökonomisch im Falle Griechenlands nicht leicht zu realisieren war, mit Hilfe von riskanten Krediten ermöglicht wurde, die nur eingesammelt werden konnten, weil man auf Seiten der Kreditgeber die gesamte Eurozone als potenten Bürgen ansah.

    Der Fall ‚Griechenland‘ war so gesehen eine Geschäftsidee, die darauf baute, daß ihr ‚realer‘ Teil (die griechische Volkswirtschaft) problemlos in die Hose gehen könnte, alldieweil der ‚monetäre‘ Teil, nämlich das Geradestehen für mögliche Kreditausfälle durch den Rest der Eurozone, auf jeden Fall gesichert sei.

    Ad 2: Die Geschäfte, die Konzerne und Banken mit Griechenland (als Staat) gern machten, betrafen vor allem den Rückfluß der Kreditsumme (insbesondere auch für militärische Großprojekte, aber natürlich nicht allein dafür, sondern ebenso fürs ’normale‘ Tagesgeschäft, von Luxusjachten bis zu Mobiltelefonen usw.) sowie den durch sie erforderlich gemachten Schuldendienst, und bauten damit von vornherein auf die Finanzkraft der Eurozone als Geldgeber im Hintergrund. So gesehen waren es in meinen Augen keine ‚guten‘ Geschäfte im Sinne einer ‚Realwirtschaft‘ (von denen etwa beide Seiten nachhaltig profitieren sollten), sondern es waren ‚reine‘ Finanztransaktionen unter dem Mäntelchen tatsächlicher (Kompensations-)Geschäften. Profitieren können von diesen Geschäften nachhaltig nur Kreditgeber und Geschäftspartner (plus jene, welche mittels Korruption ihre nimmersatten Mägen in die Verdauungstrakte öffentlicher Kassen aus allen beteiligten Ländern und ‚heimlicher‘ Kassen aller beteiligten Firmen platzieren konnten). Kurzzeitig profitierte sicherlich auch der griechische Staat, indem er seine scheinbare Kreditwürdigkeit (mehr für die Öffentlichkeit als für potentielle Geldgeber, die ihre Weltsicht nicht aus Zeitungen oder dem Fernsehen beziehen) dabei nach oben hin korrigieren konnte.

    Ad 3: Die griechische Bevölkerung profitierte anfangs von diesem ’schlechten‘ Konstrukt in dem Sinne, daß sie insgesamt auf einen Lebensstandard angehoben wurde, der in den anderen, als gesünder angesehenen Volkswirtschaften der Eurozone quasi als selbstverständlich betrachtet wird. Diese Vorteilsnahme erfolgte aber nun keineswegs allein nach dem Gießkannenprinzip, sondern in der Regel sehr differenziert nach verschiedenen sozio-ökonomischen Strati und insbesondere überproportional im öffentlichen, urbanen Sektor, auf den sich die damals regierenden Parteien als Wählerpotential wesentlich stützten und aus dem sich ihr Personal größtenteils rekrutierte.

    Ad 4: Bis zur Abwahl dieser Parteien gab es in Griechenland wenig Motivation, grundlegende Änderungen an dieser für weite Teile des griechischen Mittelstandes, für nahezu die gesamte griechische (Wirtschafts- und Politik-)Elite, und natürlich ebenso für die privaten Geldgeber, trotz des wachsenden Krisengeredes und der drückenden Schuldenlast immer noch äußerst vorteilhaften Konstellation einzuleiten, da das, was in den Medien als ‚Krise‘ gehandelt wurde, nichts anderes war als die im Geschäftsmodell ‚Griechenland wird Euroland auf Pump‘ vorgesehene Phase seiner Refinanzierung durch die Inanspruchnahme des dazu eingeplanten Bürgen, also der Eurozone. Erst mit Zypras als hauptsächlicher Regierungspartei entstand das Problem, daß der griechische Staat aus seinem Stillhalteabkommen mit seinen Gläubigern aussteigen könnte, was umgehend dazu führte, daß der konkrete Druck in Richtung jener Reformen erhöht wurde, die über Jahre hinweg sowohl recht zögerlich als auch mit eher negativem Erfolg (gemessen an ihren angeblichen Zielen) mehr vor sich her geschoben als in Angriff genommen wurden.

    Ad 5: Mit dem Heraufschimmern der Möglichkeit eines vom Staat Griechenland im Alleingang durchgeführten Schuldenschnitts (Staatsbankrott) drängte nun die Zeit, die Refinanzierung der investierten Gelder zum Abschluß zu bringen (was heißt, daß diese durch öffentlichen Mittel ersetzt wurden, eine Entwicklung, die heute vermutlich so gut wie abgeschlossen sein dürfte, sonst wäre die Grexit-Drohung keine beiden Seiten zur Verfügung stehende Waffe), und es ergab sich zugleich eine willkommene Gelegenheit, rasch das Geschäftsmodell (pumpe einem armen Schlucker viel zu viel Geld und mache irgendwie einen reichen Schlucker dafür verantwortlich, daß es dir auf Heller und Pfennig zurückgezahlt wird) abzuwickeln hinter einem mächtig eskalierenden Krisengetöse aka die linke Zypras-Regierung, bar jeden ökonomischen Sachverstandes, fährt den griechischen Karren vor die Wand, zu verbergen. Man vergleiche nur einmal dieses Märchen (denn der Karren stand ja bereits vor der Wand, das Eurogeld drehte nur an seinen Rädern, ohne ihn aus dem Dreck heraus zu ziehen) mit der deutschen Dolchstoßlegende von 1918, um sich via Analogie auszurechnen, wer da sich davon schleichender Täter, wer die Schuld schulterndes Opfer und wer das dumme Schaf sein könnte, das alles glaubt, was man ihm vorkaut!

    Ad 6: Dieses war und ist möglich, weil das politische Projekt Europa von den Kreditgebern quasi in Geiselhaft genommen wird. Erweist sich Europa als nicht in der Lage, eines seiner Mitglieder als in das internationale Finanzsystem eingebundene Volkswirtschaft am Leben zu erhalten, obwohl man Unsummen an Geld in den Versuch pumpt, wird Europa damit ökonomisch zu einer lahmen Ente und bietet sich als Opfer für die nächsten Versuche an, seine ja immer noch vorhandene Fähigkeit zur Wert- oder besser Geldschöpfung erneut auf ähnliche Weise auszunutzen. Das Prinzip, dort zu investieren, wo alles scheinbar marode ist, um die Perlen herauszubrechen und mit Gewinn zu versilbern, läßt sich am Beispiele der großen Firmenpleiten der Zeit vor jener der kommenden Staatspleiten recht gut studieren.

    Dazu kommt, daß die Träger des politisches Projektes, also die Regierungsparteien und die meisten Oppositionsparteien in den Euroländern, sich weder politisch noch persönlich, weder finanziell noch juristisch ein Scheitern des Projektes erlauben können, ohne schwerwiegende Konsequenzen für ihr führendes Personal und ihre Aussichten auf weitere Teilhabe an der politischen Macht zu erleiden.

    Ad 7: Die ‚einfachen Leute‘ in Griechenland spielen bei all dem hier so gut wie keine Rolle, sind allenfalls Staffage für Drohszenarien und mediale Konstruktionen, welche gängige Klischees aka ‚Florida-Rolf‘ (der dann wohl besser ‚Mykene-Miltiádis‘ oder ‚Lesbos-Leándra‘ hießen) oder gar rassistische Ausrutscher wie ‚der faule Südländer‘ bedienen. Das zumindest scheint man überdreht zu haben, jedenfalls höre ich um mich her momentan fast nur Stimmen, die empört über diese Form der Verächtlichmachung von Menschen sind.

    ***

    Wie das alles weitergeht, weiß natürlich ich auf keinen Fall. Ich fürchte, daß Griechenland als eine Folie für den Niedergang des Staates (oder auch staatlicher Gruppen wie etwa der Eurozone) als ökonomischem Machtfaktor und qua Gesetzgebung die Reproduktion seiner Gesellschaft in die gewünschten Bahnen (und weg von unerwünschten) lenkender, nicht-ökonomischer Machtfaktor zu sehen ist. Staat reduziert sich womöglich – und unleugbar bereits tendenziell – auf einen aus dem privaten Sektor ausgegliederten Beruhigungsapparat seiner Bürger, während sein gesetzgeberisches und interventionistisches Handeln zunehmend auf fallweises Krisenmanagement im Interesse der korrekten Abwicklung von Schuldendiensten zwecks globaler Investitionssicherheit reduziert wird. Das ist z.B. eines der Ziele solcher Abkommen wie TTIP. Frau Merkels oft karikierter Sprachduktus der ‚Alternativlosigkeit‘ paßt da recht gut hinein, ebenso die immer lauteren Stammtischparolen, mit denen je nach Bedarf die öffentliche Aufmerksamkeit (ab-)gelenkt werden kann.

    Ins Bild paßt ebenso ein sich immer rasanter auftürmender, materieller Ordnungsapparat, der auf programmierbare Geräte statt auf zu motivierende Funktionäre setzt. Militär und Polizei, die der Ausrüstung und dem Auftreten nach fast ununterscheidbar geworden sind, egal ob sie staatlich oder privat organisiert und bezahlt werden. Gesetze und Produkte, die jedes unkontrollierte Handeln und Reden (begründet als Anti-Terror- oder Anti-Einwanderungs-Maßnahme) dem Zugriff des Staates wie auch privater Firmen aussetzen. Eine Medienlandschaft, die ihre Glaubwürdigkeit als ‚vierte Macht‘ schon längst verspielt hat, während der nachdrängende Wildwuchs aka sozialer Netzwerke im Internet sich erst gar keine hat verschaffen können, und beide zunehmend auf emotionalisiertes event-hopping setzen, um die ökonomisch benötigte Aufmerksamkeit zu erregen. Und ein globaler Kapitalfluß, der so unbelastet von jeglichen inhaltlichen Kriterien (Nachhaltigkeit der Produkte, Schonung endlicher Ressourcen, Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit, Solidarität usw. usf.) zu sein scheint, als könne er noch im Vakuum des Weltalls lustig vor sich hin funktionieren, wenn es gar niemanden mehr gibt, der die kosmisch gigantischen Profite, die er ‚erwirtschaftet‘, noch ausgeben kann, etwa indem er all das schöne Geld ins nächste schwarze Loch wirft.

    Insgesamt, wie man leicht sieht, ein extrem pessimistisches Bild. Und sicherlich ein Bild, das bereits zu viele Sätze brauchte, um es zu zeichnen, so daß kaum Sätze bleiben, es aufzuhellen. Das muß ich daher anderen überlassen, weil ich jetzt los ziehe, mir einen neuen Aluhut zu kaufen… ;-)

  20. Danke Susanne!!! Du hast genau zu dem Punkt viel geschrieben, zu dem ich nicht mehr gekommen bin! (Hab mir erlaubt, ein paar Fettungen nachzuformatieren, um die Übersicht zu erleichtern.)

  21. Die Knäuel, liebe Susanne, die es in weiterer Zukunft noch zu entflechten gilt, werden wahrscheinlich immer komplizierter. Hab Dank, dass du dich dem derzeitigen Knäuel „Griechenland“ so intensiv angenommen hast, dem ich in deiner sachlichen Stringenz intellektuell sehr gut nachvollziehen konnte. Deinem darin gelegten „roten Faden“ folge ich ganz.

    Und auch deinem Link, liebe Claudia, über die „Die Ursachen der Krise in Griechenland“ habe ich mit Interesse gelesen. Er fasst mittlerweile Bekanntes in einer gut nachvollziehbaren chronologischen Reihenfolge zusammen, ohne polemisch zu werden. Vielleicht hätte eine Rückschau, die noch ein paar Jahrzehnte dazu gepackt hätte, die ganze Misere noch einfühlsamer und verständnisvoller gemacht. So, wie es auch in der deutschen Geschichte meist nicht reicht, mit 1923 zu beginnen. Dem nicht sehr schmeichelhaften LINK für die in Griechenland Regierenden entnehme ich beim lesen: Es gilt zu differenzieren, zwischen – den gewachsenen historischen Gepflogenheiten der griechischen Regierungen in ihrem Bevorteilungssystem und dem einfachen Bürger. Dies aber nur als Randnotiz.

    Ich weiß nicht wie es euch geht, Claudia, Susanne und hardy. Ich jedenfalls, brauch Stunden, bis ich einen Kommentar wie diesen ins Netz stellen kann. Damit möchte ich nur sagen, dass mir das alles nicht einfach am Arsch vorbeigeht. Die Zeit, die ich damit verbringe, ist mir aber extrem wichtig und dabei bin ich auch bereit, mich jeder Konfrontation zu stellen, obwohl das im normalen Leben meinem Naturell ganz entgegensteht. Damit stehe ich bestimmt nur als Einer unter Vielen.
    Die Idee „Europa“ hat m.E. verdient, dass wir über deren Zukunft diskutieren, mindestens so gut, wie mir das als Laie möglich ist.

    Was die Syriza Regierung betrifft, @Claudia, so habe ich schon in einem anderen Kommentar dargelegt, dass es einfach Dinge gibt, mit denen ich nicht kann. Aus dieser Nummer komme ich nicht raus.
    Das heißt aber nicht, dass ich es auch irgendwie toll finde, dass es genau das Ding ist, mit denen Andere gut können.

    Das belebt, das heizt ein, und –
    das bringt uns vorwärts.

  22. Nachtrag:

    „Das “fremde Hilfe”, die nicht immer eine Hilfe ist, stimmt ja IM PRINZIP. Wenn aber bereits vom Start weg das “AUSSEN” heftig dazu beigetragen hat, dass ein Dilemma sich überhaupt erst entwickelt, kann man sich nachher m.E. nicht einfach so raus ziehen aus den Lösungsversuchen, finde ich.“

    Respekt, Claudia. Den tieferen Sinn erkenne ich erst jetzt.

    Dabei meine ich allerdings, „Abhängigkeit“ (Griechenland) und „Co-Abhänigkeit“ (Europa) sucht und FINDET sich.