Claudia am 27. November 2014 —

Dienen statt ranten: Vom Umgang mit Aufregern

Gestern sah ich im RBB die Sendung „Krank durch Früherkennung“. Die in der Doku vermittelten Fakten über den fehlenden Nutzen der „Gesundheits-Checks“ sowie gängiger Früherkennungsuntersuchungen sind erdrückend, werden aber von bundesdeutschen Institutionen weitgehend ignoriert. Auch der Frage, warum das so ist, geht die Sendung nach und deckt das große Interesse verschiedener Akteure auf, aus eigentlich gesunden Menschen Kranke zu machen.

Anklagen und beschimpfen reicht nicht

Das ist nur einer von vielen Missständen, denen ich im täglichen Medienkonsum begegne. Ich rege mich dann furchtbar drüber auf, dass hier eine maßlose Ressourcenverschwendung im Gange ist, während an anderer Stelle (etwa beim Personal, in der Pflege, etc.) gespart wird und vielen Menschen sogar die Kostenübernahme für Medikamente verweigert wird, die ihnen helfen würden.

Und was folgt? Selten mal ein Blogpost, in dem ich das Thema kurz anreisse, meinen Abscheu kund tue, die böse Welt beklage – und das wars. Meist kommt es aber nicht dazu, da die Aufregerthemen eigentlich viel zu viele sind, als dass ich sie alle „verbloggen“ könnte. Aber selbst WENN ich drüber schreibe, dann lesen das vielleicht ein paar Stammleser und einige wenige Spontanbesucherinnen. Die Infos im Film würde ich nicht alle wiedergeben, sondern ganz ebenso wie die drüber schreibenden Journalisten nur einen Punkt rauspicken. Meist war das in den Reaktionen der Medien die Mammographie, die aber nur einen kleinen Teil der Sendung ausmacht. Das wirklich Wichtige, die großen Studien über lange Zeit mit zigtausenden Patienten, die „Hard Facts“ über all die vielen „Checks“ – grade sie gehen meist unter, denn es macht Arbeit, das mitzuschreiben, die Links zu den Studien zu suchen, und alles in einer komprimierten, nutzbaren und leicht zu findenden (!) Form darzustellen.

2. Beispiel: Männerbewegung versus Feminismus

Ich lese sowohl feministische als auch männerbewegte Blogs und sehe da im wesentlichen „Kampfgeschehen“, fast nie eine wirkliche Auseinandersetzung mit Argumenten und Fakten. „Auseinandersetzung“ bedeutet für mich, dass zwei unterschiedlich motivierte Seiten sich respektvoll mit dem Vortrag und den Interessen der Gegenseite befassen und man gemeinsam nach Lösungen für konkret benannte (!) Missstände sucht. Statt dessen dominiert das Niedermachen, die Brandrede, die Anklage (wenn mal nicht im Posting, dann in den Kommentaren), sowie komplette Ignoranz – und vor allem bleiben beide Seiten ganz in ihrer jeweiligen Filter-Bubble und bestätigen sich da gegenseitig, auch indem sie vom 100. ins 1000. kommen. Wie öd! Wie wenig nützlich….

Im Kommentargeschehen mitzustreiten bringt da kaum etwas. Kommentiere ich als Frau in einem „Männerblog“ und bringe sachliche Gegenargumente, bin ich sofort für die versammelte Stammleserschaft Projektionsfläche für alles, was sie Feministimmen oder Frauen insgesamt vorwerfen. Mache ich dasselbe in einem „netzfeministischen“ Blog, werde ich oft gar nicht erst frei geschaltet oder es gibt nicht mal eine Kommentarfunktion.

Klar, auch hier wäre die normale Blogger-Reaktion, einfach mal an einem Punkt einzusteigen und mitzustreiten. Meist wären das Artikel, die wenig Nutzen haben, weil man den gesamten Kontext kennen muss, um ihn zu goutieren. Also nur spannend für wenige zwischen den Welten schweifende Vielleser/innen und sowieso schnell in der Vergangenheit versackt. Aber entlastend fürs Gemüt: ich hab immerhin gesagt, was ich denke – ab zum nächsten Thema!

Informieren statt streiten

Mir reicht das nicht, das merke ich immer öfter und schreibe lieber gar nichts als etwas wenig Hilfreiches. Aber ich denke über Alternativen zumindest nach. Informative Seiten zu konkreten Themen mit allen erhältlichen Infos und Fakten gespickt – das wäre echter Dienst an der Informations- und Diskussionskultur, denn Kontrahenten (und deren Mitlesende) könnten darauf verweisen, bzw. die Seite als Info-Steinbruch verwenden.

Wie gerne würde ich auf diese Art webben: Dienen statt ranten! Aber verdammt nochmal, das macht viel Arbeit und im Moment sehe ich da kein Land. Vordringlich ist (neben meiner derzeit verdichteten „Brotarbeit“) im Moment das erneute Spenden sammeln fürs „Formularprojekt“, das grade im 8.Monat läuft und unbedingt ein zweites Jahr finanziert werden muss.

Aber hey, die Hoffnung stirbt zuletzt! Immerhin hab ich jetzt schon mal drüber geschrieben… :-)

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Diskussion

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20 Kommentare zu „Dienen statt ranten: Vom Umgang mit Aufregern“.

  1. Dann schnappe Dir doch nur ein einziges Thema und baue was draus! Du kannst eh nicht alles abhandeln, was Dich sonst zu Kommentaren reizt. Aber ein Thema wäre dann sauber abgehandelt!
    Die Kommentarkultur, ein weiteres Thema in Deiner Darstellung hier, ist eh so ein Ding. Fast fruchtlos, sich da mitzuteilen.
    Keiner hat Zeit und Willen, sich gründlich auseinanderzusetzen – theoretisch wäre es möglich, faktisch nicht. Das ist wie ein Auto mit Endgeschwindigkeit 240, das sich auf einer Gebirgsstrasse versucht auszutoben.

  2. Ja, das hab‘ ich auch vor – sehe aber erst zum Jahreswechsel genug „Luft“ dazu…

    Übrigens lohnt das Ansehen des Videos sehr! Erspart einem u.U. eine Menge. Aber wer hat schon Zeit und Lust, 45 Minuten ein per Link empfohlenes Video zu gucken? Ich meistens nicht – und es ist halt auch in der typischen TV-Manier gehalten: nicht schnell auf den Punkt, sondern versehen mit vielen persönlichen Geschichten, die da in aller Ausführlichkeit geschildert werden – gut beim Sofa-Fernsehen, aber zwecks schneller Info-Vermittlung ungeeignet.

  3. Ein Video, Claudia, hat natürlich auch Nachteile. Neben der Information, um die es eigentlich gehen sollte, konkurrieren „mindestens“ Bilder, Musik und Gesprochenes um die Aufmerksamkeit. Es geht auch alles in einem bestimmten Tempo vonstatten. Und wie Du auch sagst, ist die Abgrenzung der auflockernden Teile von den Facts nicht so leicht zu schaffen.

    Ich merkte die Schwierigkeit einst sehr schön bei einer Doku über die Qumranrollen. Ich musste das VHS-Video damals ständig wieder zurücklaufen lassen und dennoch bekam ich nicht alles mit.

  4. Was bedeutet „ranten“? Granteln? Ranzen? Ich habe schon bei Canoo nachgesehen, aber nichts gefunden. Ist das Dialekt? Bitte, klär mich dahingehend auf. Danke.

  5. Von „Rant“ = Brandrede – in der Bloggerszene verbreiteter Slang für einen Blogpost (=Blogartikel), in dem sich über irgendwas furchtbar aufgeregt bzw. darüber geschimpft wird.

    Siehe dazu

    Der Rant: Eine etwas spezielle Textsorte

    *

  6. @Claudia. Vielen Dank.

  7. Danke, habe mir das Video angesehen!

  8. Und? Hast du vorher gewusst, dass die Beweislage so deutlich und – EIGENTLICH – bekannt und unbestritten ist?

    Dass also alle genannten Institutionen vereint mit BigPharma im Grunde uns alle, zu Gunsten ihres jeweiligen Business regelrecht verheizen? Und die Politik keinen Finger rührt, um etwas zu verändern?

    Mitschuld ist natürlich auch die Hypochondrie, die Wissenschafts- und Arztgläubigkeit der „Patienten“, sowie der immer stärker werdende Kontrollwahn. Ich hab schon Aussagen gehört wie: „Wirklich sicher fühl ich mich nur auf einer Intensiv-Station!“

    Würde ich mit meinen diversen Langzeit-Zipperlein ernsthaft die Ärzte-Tour machen, wäre ich ein äußerst rentables Umsatzpaket und gewiss alsbald mit den von vielen gar nicht mehr ungewöhnlich gefundenen „zig“ Tabletten pro Tag versehen. Das Thema „Blutdruck“ wird im Film ja auch spitzenmäßig dargestellt – das kannte ich immerhin schon und werde den Teufel tun, irgendwann „Senker“ zu nehmen.

    Grade hab ich eine ähnlich verstörende Kurz-Doku zu Tablettensucht im Alter gesehen – gruslig! Erst werden die Alten bis an die Kante medikamentiert, alle Ärzte geben was dazu, aber bauen nix ab. Und insbesondere Schlaf- und Beruhigungstabletten, sowie „Stimmungsheber“ (schon ab 1/2 pro Tag!) führen in die Tablettensucht und ergeben ganz schnell Symptome wie die der Demenz. Ergebnis: viele landen „voll abgedreht“ in Pflegeheimen und gelten als dement, dabei haben sie lediglich massiv Nebenwirkungen und sind süchtig. Omas little Helper… gruslig!

  9. Gerhard, dein kleiner Kommentar war Zünder für mich und hat ausgereicht, dass ich mir auch das Video angesehen habe. Hätt`ich vielleicht sonst nicht gemacht. Dafür also, euch beiden ein „Danke“.

    Und das mit dem Bluthochdruck, selbst viel zu oft jenseits der 140, habe ich geeeeeeernnnee gehört. Und gesamt zu dem Thema darf ich hier mal nachfolgenden Link dazu aus meinem alten blog listen:
    http://menachem2008.wordpress.com/2008/07/14/psychoneuroimmunologie/

    Es ist das Dilemma, Claudia, in dem ich mich zur Zeit auch befinde und nicht weiß, damit umzugehen:
    Gestern noch lud ich meinen Frust hier bezgl. der „Zeiten, in denen wir leben“ hier ab und lese passend zu meinem Schimpfwerk 2 Stunden später in der Welt:
    „Frauenquotegesetz so schlecht gestrikt, dass es nur passieren konnte, weil Mutti es aus takt. Gründen durchwinkte“.
    Eine weitere Stunde später lese ich sinngem. in der SZ oder Zeit: „Frauenquotegesetz, endlich. Gut gemacht. In einigen Jahren wird es so selbstverständlich sein, dass man sich fragen wird, wieso es ein Gesetz dazu geben musste.“

    Der „contra“-Beitrag ist nur mit 2- 3 Fakten dürftig untermauert und geht selbstverständlich auf keine positiven Aspekte ein. Beim „pro“-Beitrag verhält sich ebenso, nur eben umgekehrt.

    Ich bin also informiert und weiß doch genau, dass ich nur einen Teil des Gesamtwerkes kenne. Ich spüre weiterhin, das vieles evtl. Wichtige unbenannt bleibt. Ich verstehe ebenso, das ein tiefes Eintauchen in die Materie den Berichterstattungsrahmen sprengen würde.

    Doch, genau diese „fehlenden“ Informationen machen mich unsicher, eine Positionierung für mich zu finden. Selbstverständlich kann ich mich mal eine Zeitlang im wechselnden Meinungsprozeß bewegen, doch irgendwann will ich auch mal festen Boden unter den Füßen haben.

    Ich denke, während ich das hier so schreibe, dass es gar nicht sein muss, immer über alles umfassend wissend und klug informiert zu sein und zu schreiben, weil, das geht wohl gar nicht. Ein gesunder und vielfältiger Austausch auf der Basis unserer allgemeinen Erkenntnis, und da darf auch schon mal wohl überlegter „Schrott“ dabei sein, bringt uns vielleicht alle weiter.

    Eins noch, Claudia, deren Meinung ich bin:
    Das du/wir über das schreiben, was uns aufregt, halte ich für die beste Medizin, uns über unsere Psyche auch körperlich ein wenig gesund zu erhalten. Ich denke, dass die Pharma, so groß sie auch sein mag, noch lange suchen muss, um hier ein adäquates Äquivalent zu finden.

  10. @Menachem:

    „Doch, genau diese “fehlenden” Informationen machen mich unsicher, eine Positionierung für mich zu finden. Selbstverständlich kann ich mich mal eine Zeitlang im wechselnden Meinungsprozeß bewegen, doch irgendwann will ich auch mal festen Boden unter den Füßen haben. „

    Eben! Damit bist du wieder beim Artikelthema, bzw. dem „Motivgestrüpp“, das ihn auslöste.

    Die Medien informieren meist nicht wirklich, bzw. immer nur punktuell, alltagsaktuell – und es ist mehr eine Kampfberichterstattung als Bemühen um umfassende Information. (Wer an welchem Stuhl sägt, sich in irgendwelche Nesseln setzt, was Falsches gesagt oder getan hat, ist sowieso interessanter als jeder INHALT. Oder gar eine LÖSUNG…)

    Bei strittigen Themen (wenn die sich inmitten von Ereignissen und Personalien mal nicht vermeiden lassen) gibts max. die zwei drei bekanntesten Argumente – und der jeweilige Autor und auch die Autorin sind meist klar als Kombattanden für eine Seite erkennbar.

    Auch Verlinkung der Substantive zu „Themenseiten“, wie es die Leitmedien fast alle machen, hilft nur der Suchmaschine, nicht den Lesern. Denn dort werden wiederum nur chronologisch die bisherigen Veröffentlichungen aufgelistet, die kaum in einem Zusammenhang stehen.

    Das alles verhilft kaum je zu einer fundierten Meinung, sondern vermittelt Erregungzustände und stachelt mehr zum Schlagabtausch auf als dass es zu positiven Veränderungen irgendwelcher Zustände inspiriert (auch Big Pharma ist nicht nur böse, ich nehme mich da nicht aus).

    Natürlich gibt es auch gute „Longreads“, die ein Gebiet von allen (naja vielen..) Seiten beleuchten, aber die „Alltagskost“ ist nicht sehr ergiebig, frisst aber gleichwohl Zeit, Aufmerksamkeit, Empörungsenergie – meist nutzlos verpuffend.

    Da entsteht dann das Bedürfnis, die Themen eben selber so aufzubereiten, dass sie den eigenen Stand der Befassung inkl. sämtlicher zugehöriger Infos und Quellen darstellen – mitsamt Bewertung und Begründung der Bewertung. Darauf könnte ich dann in Gesprächen verweisen, anstatt an zig Orten ins jeweilige „Kampfgeschehen“ auch nur wieder punktuell argumentierend einzusteigen. Was ich immer weniger mache, denn es ist weitgehend sinnlos – zumindest überall dort, wo „die Massen“ kommentieren oder streitbare In-Groups dominieren.

  11. @Claudia, was wirklich Sache ist, wer weiß das schon?!
    Ich konnte mich anhand der Doku auch an ein Buch erinnern, das ich vor einigen Monaten oder einem Jahr las und in dem ganze Tablettengruppen in ihrer Wirksamkeit und ihrem Sinn angezweifelt wurden. Das war mir dann doch zu schwarz gezeichnet.
    Was ist nun wirklich Sache? Man kann ja nicht alles anzweifeln und ins Gegenteil verkehren lassen.
    Wenn man im persönlichen Umkreis einzeln zu hören bekam, daß eine bestimmte Untersuchung hilfreich war, wieso soll man sie dann pauschal verdammen?

  12. Wer das Medikamenten-Thema über Jahre verfolgt, hat gewiss schon mitbekommen, dass tatsächlich die Wirksamkeit vieler Mittel sehr im Zweifel steht!

    Wie „hilfreich“ Untersuchungen sind (das sind ja erstmal nur Untersuchungen, noch keine Therapien, deshalb die Anführungszeichen), muss letztlich jeder für sich entscheiden. Ich gehe z.B. NICHT zur Mammographie, werde aber zum Arzt gehen, wenn ich einen Knoten spüren sollte.

    In der Doku wird ja auch die mangelnde Unterschiedlichkeit in der Mortalität (mit bzw. ohne Voruntersuchungen) damit begründet, dass die „Nicht-Voruntersuchten“ ja nicht nichts tun, sondern durchaus zum Arzt gehen, WENN ETWAS IST.

    Ich informiere mich über jegliche Beschwerde bzw. Symptom irgendwann mal intensiv im Netz und habe dann eine Meinung, die aus der Abwägung kommt: Aufwand, Nebenwirkungen und Risiken einer Therapie versus einfach damit leben.

    Bisher lebe ich z.B. mit meiner spinalen Stenose (Wirbelkörper stören Nervenleitungen, die in die Oberschenkel führe). Zwar kann ich dadurch leider nicht mehr lange Strecken schmerzfrei gehen, doch was ich bisher über die Risiken einer Wirbelsäulen-Op und deren mögliche Schäden ermittelt habe, lässt mich vorerst noch davon Abstand nehmen. Selbst meine Orthopädin sagte: „man kann nichts machen außer OP – und die Ergebnisse sind NICHT ermutigend! Also lassen Sie sich bloß nicht operieren…“

    Ds kann sich natürlich ändern, wenn der Leidensdruck zunimmt.

    Im Video geht es aber um Vorsorgeuntersuchungen an Gesunden – und deren Nützlichkeit ist angesichts der zitierten Studien definitiv nicht gegeben, wohl aber erhebliche Risiken und Schäden aufgrund der darauf folgenden Therapien (zig Frauen auf Krebs behandelt, mit allem was dazu gehört – aber sie hatten gar keinen!)

  13. “Informative Seiten zu konkreten Themen mit allen erhältlichen Infos und Fakten gespickt – das wäre echter Dienst an der Informations- und Diskussionskultur, denn Kontrahenten (und deren Mitlesende) könnten darauf verweisen, bzw. die Seite als Info-Steinbruch verwenden. Wie gerne würde ich auf diese Art webben: Dienen statt ranten!“ schreibst Du, Claudia.

    Das ist (oder sollte es sein, für den, der’s gern pessimistisch mag) die Funktion von Universitäten in dem Netzwerk, das sich scientific community nennt und in welchem das Sammeln, Behaupten, Abwägen und Verwerfen die Werkzeuge des Voranschreitens sind. Sogar innerhalb der Kirche(n) ist (war für den Miesepeter) es so, wo Klöster Orte der Aufbewahrung des Wortes Gottes wie der Menschen und zugleich eines Widerstreites verschiedener Verständnisse dieser Worte sind (oder, für den Schwarzsehen, waren).

    Kann nun ein Netzwerk wie das world wide web etwa die demokratische Form dieser eher elitären Gesprächskreise mit ihren klaren Zugangs-, Verfahrens- und Schlichtungsregeln werden – oder beweist dessen aktuelle Entwicklung gerade das Gegenteil?

    Ein Großteil der momentanen Verdrossenheit (um es vorsichtig zu formulieren) scheint mir am Fehlen von Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten zu liegen. Wo jede Auseinandersetzung nur dadurch beendet werden zu können scheint, daß eine Seite zum Sieger erklärt wird (oder sich dazu erklärt), wird irgendwann das Streiten unproduktiv, weil es die Verlierer ausgrenzt und damit das Gespräch aufkündigt. Nicht umsonst hat es sowohl im akademischen wie im religiösen Bereich stets die Institution eines ‚advocatus diaboli‘ gegeben, während etwa in den aktuellen Kontroversen eher die Institution der ‚Verteufelung des Anderen‘ in Mode gekommen zu sein scheint. Vielleicht eine der Folgen des zu enormen Gewichtes, das auf eine Übereinstimmung (in Gestalt von likes & followers wie von Abonnenten und zahlenden Kunden) gelegt wird, so als wäre nicht der Geist des Widerspruchs, sondern jener des eifrigen Abnickens der produktive. Eine Vorstellung, die ich angesichts der Geschichte des menschlichen Denkens für absurd halte.

  14. @Susanne: wie seltsam eigentlich, dass diese Idee

    „Das ist (oder sollte es sein, für den, der’s gern pessimistisch mag) die Funktion von Universitäten in dem Netzwerk, das sich scientific community nennt und in welchem das Sammeln, Behaupten, Abwägen und Verwerfen die Werkzeuge des Voranschreitens sind.“

    mir gar nicht gekommen ist, ja sogar beim ersten und zweiten lesen und überdenken immer noch entlegen wirkt. Vermutlich deshalb, weil sie „unter sich“ alles Erdenkliche in der wissenschaftlichen Manier (oder zumindest deren Anschein) analysieren und diskutieren. Durchaus mit dem Ziel, voranzuschreiten – aber: WER oder was schreitet da voran. in wessen Interesse und wohin?

    Ich will das jetzt nicht heut Nacht noch durchdeklinieren, wie sich das in Bezug auf den real existierenden Wissenschaftsbetrieb verhalten mag. Eines machen sie aber nicht, nämlich das, was fehlt: Dienen! Ihr durch vom Steuerzahler finanziertes Mehr-Denken/Analysieren und Diskutieren erzeugt einerseits einen illustren, gut dotierten Elfenbeinturm (auch der Eitelkeiten) und andrerseits forschen sie zu Gunsten „der Märkte“ im weiten Sinne. bauen also mit am Hamsterrad, um ihre Drittmittel zu bekommen…

    Als vor ca. 20 Jahren die Idee aufkam, wissenschaftlich Arbeitende sollten auch mal ab und an so schreiben, dass es auch Nicht-Fachwissenschaftler/innen verstehen. Huch, schon das erschien als große Zumutung und ist noch heute nicht gang und gäbe!

    Wenn nun noch hinzu käme, dass sie ihre Erkenntnisse und Bewertungen in den entsprechenden Formaten über aktuelle Kanäle der geneigten Bevölkerung vermitteln sollten – in der Gefahr stehend, dass diese sich eine Meinung bildet über die Relevanz fürs Gemeinwohl – ach nein, ich glaub nicht dran….

  15. Im Zusammenhang mit dem was Susanne schreibt lässt sich schon vorstellen, das es Datenbanken geben könnte, die rund um einen Aspekt Daten sammelt und im Internet zur Verfügung stellt. Auch eine sachliche pro/contra Diskussion würde der Wissenserweiterung dienen.

    Naheliegend, das ich mir unter diesem Aspekt nochmals wikipedia angesehen habe.

    Unter „Früherkennung“ wird auf die Aspekte aus dem o.g. Film hingewiesen. Allerdings werden diese wahrscheinlich erst richtig sichtbar, wenn der Artikel mit dem Hintergrundwissen des Films gelesen wird.

    Unter „Frauenquote“ lässt sich auf jeden Fall erfahren, dass das Thema viel breiter ist, als unter den kurzen Newsüberschriften der Presse vermutet. Interesant die pro/contra Studien, die erahnen lassen, das hier viele verschiedene Interessen umkämpft werden und, wie du schon schreibst Claudia, jeweils der Geldgeber der Studie die abschließende Aussage schon vorab festgelegt zu haben scheint.

    Unter „Freihandelsabkommen“ kann ich nur noch erkennen, dass es sich um ein Monstrum aus Dr. Frankensteins Behandlungszimmer handeln kann. Was da abgeht, meist hinter verschlossenen Türen und der Öffentlichkeit vorenthalten, so etwas darf eigentlich meiner Meinung nach nie das Licht der Welt erblicken. Den Durchblick, vor allem die Auswirkungen, dürften selbst den intensivst damit Beschäftigen Verhandlungspartners nicht ausreichend bekannt sein. Das Problem, nach Inkraftreten und schief gehen, trägt NIEMAND die Verantwortung dafür.

    Aber, das was ich eigentlich damit sagen möchte, ist, dass es ja schon viel nachlesenswerte Informationen im Internet gibt, aber sich dann auch intensiv damit zu beschäftigen – das sprengt wirklich den Rahmen. Und da ist es wahrscheinlich so, wie es Gerhard schon zu Anfang schreibt, in Alles kann man kein Expertenwissen ansammeln und es bleibt wohl nur die fokussierung auf wenige mir wirklich wichtige und nahegehenden Themen.

    Ich denke, das nehm ich mit aus dieser Diskussion. Ich muss zu irgendeinem Zeitpunkt auch im Halbwissen der Fakten einen Standpunkt beziehen. Entscheidend dabei ist meine Elastizität das jeweilige Thema weiter formen zu wollen.

    Und dabei erscheint mir auch ganz wichtig, was hier schon angesprochen wurde: Die Sachdiskussion sollte das Ziel sein, unabhängig und vielleicht auch nicht selten TROTZ fehlemden Stil in der Kommunikation.

  16. Es wird ja diagnostiziert und therapiert, was das Zeug hält. Als Dauernachtdienstler, der nächtlich für bis zu 36 Patienten Tabletten stellt, kann ich mich mit wunden Fingern wundern, wieviel zu schlucken ein Mensch in der Lage ist. Durch die gastrologischen und onkologischen Krankheiten sind viele, viele Schmerzmittel dabei. Mit manchen Medikamenten werden nicht Krankheiten kuriert, sondern ihnen vorgebeugt bzw. sollen Spätschäden vermieden werden. Wozu allerdings muß ein betagter Mensch einen Cholesterinsenker schlucken? Warum müssen sich knapp 90-Jährige durch Magen- und Darmspiegelung quälen? Warum werden Sterbende mit Infusions- und Sauerstoffgaben gefoltert? Wenn ich unseren diensthabenden Ärtzten Gian Domenico Borasios „Über das Sterben: Was wir wissen. Was wir tun können. Wie wir uns darauf einstellen“ zur gefälligen Lektüre empfehle, ernte ich nur ein Grinsen. Im Krankenhausalltag ist Routine ambivalent. Sie hilft meistens, sie verhindert aber auch ein Dazulernen, ein Be- und Umdenken. Die vielen Untersuchungen im stationären Bereich sind auch erst so eskaliert, seitdem die sp genannten Fallpauschalen diese Maßnamen seitens der Krankenkassen einfordern. Zu bestimmten Krankheitsbildern gehört eine Kaskade an gewollten diagnostischen Mitteln, bei denen es keine Rolle spielt, ob sie dem oft sehr alten Patienten eigentlich zugute kommen oder einem Berechnungssystem, welches sich verselbstständigt hat.

  17. Ich stelle mir das so vor: Das Problem sind wohl die Anzahl der Fälle, die gleichzeitig abgehandelt werden müssen und zudem von nicht immer den gleichen Leuten.
    Also werden Routinen und Prozesse ausgearbeitet, die genauso eingehalten werden sollen und müssen. Ob die im Einzelfall sinnvoll sind, steht dann nicht zur Debatte, aber sie stehen zur Verfügung auch ohne daß die jedesmal nachgehalten und überprüft werden müssen.

  18. @Markus: ich hatte mir gewünscht, dass du etwas zu diesem Punkt sagst. Klingt ja wieder mal schauderhaft: Alte als Geschäftsmodell des „Gesundheitssystems“.

    Allerdings vermute ich, dass die alle ja nicht gegen ihren Willen diagnostiziert und therapiert werden – hm? Es ist andrerseits noch eine Generation, für die die Ärzte „Götter in weiß“ sind, nach wie vor.

    @Gerhard: hinzu kommt wohl heutzutage das Prozessrisiko…niemand will zu wenig getan haben. Und natürlich muss Umsatz gemacht werden… gruslig.

  19. @Claudia Ablehnungen von Maßnahmen sind durchaus beobachtbar. Solche Patienten gelten schnell als Querulanten. Es gehört schon eine gehörige Portion Mumm dazu, sich gegen einen Facharzt zu stellen. Und im Normalfall hat er in seinem eng begrenzten Bereich ja auch wirklich Ahnung. Wichtig nur, ihm auf die Finger zu hauen, sobald er etwas über den Tellerrand seines Fachgebietes hinaus tun will. Meist tut er das nicht. In der Inneren beispielsweise werden medikamentöse Einstellungen von neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen auch fast nie verändert.

    Lustig ist es, wenn Mitpatienten für andere Beruhigungsmittel einfordern, damit sie nicht gestört werden. Nachts ist tatsächlich oft viel los, wenn Verwirrte, Desorientierte, Demente loslegen, denn die Nacht ist IHR Tag.

  20. Claudia, freilich geht es auch um Verhütung von möglichen Prozessen(und um Umsatz). Andererseits gibt es eben auch sogenannte Prozesse, die irgendjemand ausgearbeitet hat und die klare Vorschriften beinhalten :-(
    Die Masse an Leuten und die Rotation der Pflegekräfte, da sind Raster die geeignete Methode:-(
    Das ist ja auch so in der Wirtschaft!
    Man KANN manchmal garnicht mehr INDIVIDUELL handeln, da sind so viele Riegel vorgeschoben, daß der einzige Weg der bleibt, die Vorschriften einzuhalten. Damit hat man dann auch zur Genüge zu tun!