Claudia am 04. März 2014 —

Online-Engagement: unverzichtbar, aber auch ein reissender Mahlstrom

Heut‘ bin ich aufgewacht und bemerkte verwundert, dass die ersten Gedanken des Tages wütend-frustrierten Überlegungen zur GEMA galten. Ich erinnerte mich, dass ich mal den plötzlich allgegenwärtigen „Gangnam-Style“ hören wollte, jedoch am bekannten Spruch „dieses Video ist in deinem Land nicht verfügbar, weil die GEMA die Rechte nicht eingeräumt hat“ scheiterte. Und das, obwohl der Song grade mal zwei Tage alt war und der Sänger aus Südkorea von einer GEMA hochwahrscheinlich noch nie gehört hatte. Verdammt, wie kommt eine deutsche Institution dazu, sich für sämtliche Musik weltweit zuständig zu fühlen? Wie bescheuert muss ein Gesetzgeber sein, der sowas ermöglicht?

Aber hey, warum rege ICH mich JETZT – Jahre später! – darüber auf? Weder bin ich Musikerin, noch höre ich viel Musik! In den letzten Tagen hatte ich nicht den geringsten Kontakt zu diesem Thema. Den gestrigen Abend verbrachte ich in einer Planungsrunde für mein Formularprojekt, wonach wir noch in der Kneipe saßen und über die Unterbringung der Geflüchteten, problematische Vorgaben der Behörden und feindselige Proteste aus der Bevölkerung redeten – nix GEMA, bei weitem nicht!

Online Welt verbessern – mehr als ein Fulltime-Job!

Warum ich das erzähle? Weil ich aufgrund des lesenswerten Artikels „Im Hamsterrad – Online-Aktivismus brennt aus und bewegt wenig“ von Teresa Bücker auf einmal deutlicher sehe, was mich so aufreibt: Das Internet macht es möglich, gegen jeden erdenklichen Missstand irgendwie anzugehen. Petitionen haufenweise, streitbare Meinungsäußerungen, „Aufklärungsarbeit“, Mails an Politiker und Institutionen, Beschwerden bei Firmen, Veröffentlichung von deren Reaktionen, persönliches Filtern und weiter melden, twittern, sharen, liken für WICHTIG erachteter Infos, immer in der Hoffnung, das eine oder andere werde „eine Welle machen“, vom Mainstream aufgenommen – und letztlich irgendwie voran gebracht in Richtung der an so unendlich vielen Ecken nötigen Weltverbesserung.

Manchmal gelingt das sogar, ganz so pessimistisch wie Teresa sehe ich das alles nicht. Aber: die MÖGLICHKEIT, an schier allem, was bewegt, Anteil zu nehmen und sich zu engagieren, gebiert auch das Gefühl, das zu sollen und zu müssen. Jedenfalls dann, wenn man es ernst meint mit der Kritik, der Wut, der Betroffenheit – zum Beispiel, wenn die EU eine Saatgutverordnung vorbereitet, die im Wesentlichen den Interessen von Konzernen wie Monsanto dient. Als Gartenfreundin hat mich das schwer empört, ich hab‘ drüber gebloggt, Petitionen gezeichnet, jede Meldung weiter gegeben, einen Europa-Abgeordneten kontaktet, dessen Info-Mail ich seitdem bekomme…. Und ja, die Verordnung ist (vorerst) nicht durchgekommen, aber es gibt ja noch so viele andere Themen, die mindestens ebenso viel Engagement erfordern. Wo mache ich mit? Wo bleib‘ ich draußen? Wo fang‘ ich an und wo höre ich auf? Keine Ahnung, ich wusele mich so durch im Rahmen dessen, was ich halt‘ schaffe – immer mit dem Gefühl, dass ich zuwenig mache angesichts der vielen Möglichkeiten, die das Netz doch bietet!

Gefühle der Ohnmacht und Unzulänglichkeit ergeben sich so zwangsläufig. Wenn man nicht aufpasst, schleicht sich auch Ärger über jene ein, die das Netz nur zum Einkaufen nutzen und ansonsten nette Bildchen und allerlei Witziges austauschen: verdammt, merken sie denn nicht, was um sie herum passiert? Leicht wird man so zum Misanthropen, was letztlich die Wurzeln jeglichen Engagements unbemerkt verfaulen lässt.

Kleine Rückschau

In den Anfängen war das Web ein Spielplatz für Künstler, Dichter, Philosophen, meist freundlich über Gott und die Welt Debattierende. Dann kam „der Mainstream“ mit allem, was dazu gehört: Einkaufen, Geld verdienen, Werbung überall, klassiche Medien, sämtliche Institutionen. Die Wirtschaft etablierte sich im Netz und dominierte es alsbald, so dass Neulinge gar nicht mehr ohne weiteres merkten, dass man auch noch anderes tun kann als konsumieren und sich informieren. Die Mitte der Nullerjahre boomenden Blogs machten es zwar erneut möglich, sich auch ohne Kenntnisse des kompliziert gewordenen Codes im Web zu äußern, dort selbständig eine kleine Community aufzubauen und ähnlich Gesinnte um sich zu versammeln. „Die Massen“ strömten aber letzlich lieber in die aufsteigenden „sozialen Medien“, wo alles so einfach und bunt und bequem ist, aber auch ziemlich irrelevant, abgesehen vom Unterhaltungsfaktor. Heute kann man auf Facebook nicht einmal mehr selbst bestimmen, wessen Meldungen man zu Gesicht bekommt! Totale Enteignung und Überwachung gilt als „normal“ und keinen störts, jedenfalls nicht so sehr, dass sich etwas ändern würde.

These: Wir lernen noch

Dennoch gibt es immer mehr Menschen, die „mit dem Netz leben“ und es auch im Sinne ihrer politisch-gesellschaftlichen Interessen nutzen. Wer nur frustriert auf all das schaut, was nicht klappt, nicht die kritische Masse erreicht, bzw. nach einer kurzen Empörungswelle wieder versandet (oder als neues Parteiprojekt wieder zerfällt), verfällt einer verzerrten Sicht der Wirklichkeit. Vergleichen müsste man nämlich immer mit den Chancen und Möglichkeiten, die uns VOR den Zeiten des Netzes zur Verfügung standen: Leserbriefe schreiben, mühsames Flugblätter produzieren und verteilen, endlose Meetings im physischen Raum, um überhaupt eine Aktiven-Gruppe zu versammeln, die sich dann mal EINEM THEMA widmet – nein, dahin will wohl kaum jemand zurück!

Was gebraucht wird, um das zersplitterte und bei vielen sehr punktuelle, fluktuierende Engagement in effektiver Weise zu bündeln, sind einerseits neue Institutionen, die Geld einsammeln, „hauptamtlich Aktive“ bezahlen (!) und für die jeweils tragende „Crowd“ Transparenz und Teilhabe ermöglichen.
Andrerseits müssen wir als Individuen lernen, nicht im Mahlstrom der Möglichkeiten zu versacken, sondern uns zu konzentrieren auf eine überschaubare Anzahl „Herzensthemen“.

Das gelingt nicht von heute auf morgen, ich selbst oszilliere auch immer wieder zwischen Phasen großer Effektivität und völliger Verwuselung (letztere dann mit Träumen über Themen von irgendwann – siehe GEMA!) Aber immerhin: manches gelingt und führt zu Ergebnissen, die ohne das Netz nie und nimmer denkbar gewesen wären.

Ein Misserfolg ist im Übrigen immer auch ein Lernerfolg. Das gilt sogar für die Piratenpartei, die sich zwar derzeit selbst zerlegt, aber unzähligen jungen Menschen ein hoch wirksamens Experimentierfeld in Sachen „Politik machen“ bot.
Egal wie das alles ausgeht, umsonst war es nicht!

Diesem Blog per E-Mail folgen…

Diskussion

Kommentare abonnieren (RSS)
2 Kommentare zu „Online-Engagement: unverzichtbar, aber auch ein reissender Mahlstrom“.

  1. Liebe Claudia,
    gibt es denn eine Aufstellung, wieviele Menschen “mit dem Netz leben und es auch im Sinne ihrer politisch-gesellschaftlichen Interessen nutzen“?

  2. Wohl kaum – wer sollte denn diese Volksbefragung WIE durchführen?

    Aber man merkt es ja, wenn man wie ich ein an den politischen Themen interessierter Mensch ist. Immer mehr Initiativen, die ihre Infos verschicken, immer mehr Petitionen und Kampagnen, auch immer mehr Firmen, die sich durchaus kümmern, nicht zum Gegenstand von Shitstorms zu werden, bzw. darauf reagieren. Immer mehr Politiker, die auch twittern und ihre Heimseiten betreuen, bzw. mit der vernetzten Bevölkerung in irgend einer Weise interagieren. Großmedien und TV, die „den Rückkanal Internet“ nutzen, um die jeweiligen Meinungen der sich zu einer Problematik äußernden Menschen einfließen zu lassen..
    Auch immer mehr Crowdfounding für soziale und politische Aktivitäten, wie mir meine derzeit häufigeren Blicke auf Plattformen wie betterplace.org zeigen. Dazu jede Menge Themen-Debatten auf verschiedensten Plattformen, nicht nur „vertrollte“…

    Der ganze, von vielen noch gemachte Unterschied zwischen offline und online ist im Grunde von gestern und nurmehr ein Generationenproblem. Die Netzfernen werden einfach auf die Dauer wegsterben und dann wird niemand mehr von sowas wie „Offline-Politik“ versus „Online-Engagement“ sprechen.

    Und vielleicht gibt es ja eines Tages endlich auch „offizielle Teilhabe-Plattformen“, auf denen wir als Bürger unsere Votings abgeben. Ich finde z.B. lange schon den Anspruch, man müsse für oder gegen irgendwas „auf die Straße gehen“ irgendwie vorzeitlich – aber es fehlt eben noch das passende Äquivalent online.

    .