Claudia am 15. Mai 2013 —

Männlichkeit: Was ist das? Was war das?

Ich fange an mit „was war das?“ – denn grade hab‘ ich auf ein Twitter-Statement (eines Mannes) reagiert, das so lautete:

„Scheiß doch auf die Seemannsromantik Ein Tritt dem Trottel, der das erfunden hat. Niemand ist gern allein mitten im Atlantik – Element of Crime“

Meine Resonanz: Ja, richtig, aber… hör doch mal:

Dieser Uralt-Song transportiert ein archaisches Männlichkeitsbild, das frau erst dann freundlich-nostalgisch zitieren und wertschätzen kann, wenn es definitiv überwunden ist. Verrückt, nicht wahr? :-)

Es gibt eine deutlich peinlichere deutsche Fassung:

Mit 14 Jahren fing er als Schiffsjunge an,
Er war der Jüngste aber er war schon ein Mann
Ein Mann wie ein Baum und stark wie ein Bär,
So fuhr er das erste mal über das Meer

Sie hieß Mary- Ann und war sein Schiff
Er hielt ihr die Treue was keiner begriff
Es gab so viele Schiffe so schön und groß
Die Mary- Ann aber ließ ihn nicht los…

und später dann:

Und als er eines Tag`s erster Steuermann war
Da liebte er ein Mädchen mit strohblondem Haar
Er gab ihr sein Herz doch sie war ihm nicht treu
So fuhr er bald wieder zur See Ahoi.

Das markiert – abgesehen vom archaischen Besitzdenken – ein für mich noch immer relevantes Attraktivitätsmerkmal der Männlichkeit: Unabhängigkeit, Interessen abseits und jenseits von „Beziehung“, die IHN letztlich halten, auch wenn ansonsten alles den Bach runter geht. Ein „Heldentum der Autonomie“, das komplett irreal, aber doch irgendwie attraktiv ist. Auch für Frauen.

Ich schreibe über dieses Thema im gleichen Geiste wie ein ehemaliger Raucher nach der Befreiung ein schönes nostalgisches Buch über die Freuden und Schönheiten des Rauchens, über die Erotik des Sargnagels verfassen kann. :-)

Denn „nachhaltig“ ist diese Art Männlichkeit nicht. Es handelt sich eher um das kollektive schön-reden der Drohnen-Existenz: es braucht letzlich nicht viele Männer für die Reproduktion der Art. Das weiß selbst der zitierte Song-Text:

„Nach jeder Reise schwur er jetzt mustre ich ab
Er schwur`s als Kapitän doch sie wurde sein Grab
Die Mary-Ann sank am 19 Mai
Bei einem Orkan vor der Hudson Bay“.

Einer weniger. Wen kümmerts…

Liebe Männer, liebe Frauen: wir sollten verdammt froh sein, dass all das hinter uns liegt! SPIELERISCH kann man solche Geschlechter-Imagos im erotischen Kontext natürlich gerne zur beiderseitigen Lust inszenieren. Aber im Ernst, im richtigen Leben haben solche Bilder keinen förderlichen Platz mehr in der Welt.

Das ist meine Meinung. Nicht etwa Feminismus.

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Diskussion

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15 Kommentare zu „Männlichkeit: Was ist das? Was war das?“.

  1. Liebe Claudia, nachhaltig ist das menschliche Leben nicht, es geht alles ins Grab. Und du hast recht: Freddy Quinns Song ist eine spielerisch-erotische Inszenierung, nicht das ‚wirkliche Leben‘. Er enthält alles, was ich nicht bin. Und das tut mir leid, rückblickend betrachtet. Weil ich an einem 19. Mai geboren bin, schenkte meine Mutter mir vor Jahren die Single. Die große Zynikerin. „Einer weniger. Wen kümmerts…“ Ja, aber tatsächlich musste ich erst krank und 50 werden, das auch genießen zu können. Es gibt keinen Grund ‚männlich‘ und ‚weiblich‘ zu scheiden, somit auch keinen „neuen Mann“ – aber immerhin gibt es tatsächlich die ’neue Frau‘ – seit etwa Beginn der Schriftkultur (mein Lieblingsdichter: Sappho), wenn nicht davor ein Matriarchat war, vor allem aber heute, also z.B. dich, und das finde ich sehr entspannt – nur die Verkaufszahlen der Liebes- und Kriegsromane sprechen dagegen. Ich bin froh, dass das hinter uns liegt – aber wer sind wir?

  2. Liebes- und Kriegsromane – und im TV täglich Serienmörder- und Horror-Filme. Wir müssen unsere archaischen Tier-Anteile offenbar irgendwie „ausleben“ – ich kann mich auf sowas durchaus einlassen, es mitempfinden… aber schnell ist es zuviel und ich werde wach, sage mir: welch arme Tiernaturen wir doch immer noch sind… dafür aber doch recht weit darüber hinaus gekommen! Noch nicht bis zur Weltrettung, aber individuell doch viele Schritte weit…

    Nicht nachhaltig? Das ist nicht ausgemacht. Zwar geht jedes Individuum ins Grab, aber als Gattung sind wir recht erfolgreich. Selbst wenn Klimakatastrophe und Atomkrieg gleichzeitig eintreffen: was schert die Menschheit eine Reduktion um 90%`? Bei 7 Milliarden blieben da immer noch übergenug übrig….

    Wer ist wir? Na alle, die das verstehen, mitempfinden, in transformatorische Richtungen wollen und ganz persönlich auch ein paar Schritte machen.

    Sei herzlich gegrüßt! (Und komm mal wieder in den Garten!!! Bevor du anderweitig ins Gras beisst… ;-)

  3. Liebe Claudia,
    @Dirk,
    was mir an dem Artikel gefällt, ist die Leichtigkeit, mit der „die Männlichkeit“, besser: die Todesnähe der Männlichkeit in Frage gestellt wird. SO läßt sich darüber leichter sprechen, als im feministisch- abwertenden Kontext. Danke dafür.
    Und ich breche hier eine Lanze für die Polarisierung von Mann und Frau, und wenn schon, dann gründlich:
    Stellt Euch vor, Frau stünde für Vielfalt, das Leben an sich, Licht, Liebe- und Mann für das krasse Gegenteil: den Tod, das Einzige (Ziel), die Einsamkeit, die Leere (wie im Zen) UND wir würden dieser Polarität eine Kultur geben- wie im Song geschehen – wir müssten dagegen nicht mehr kämpfen, sondern könnten Sie geniessen. Wie im Spiel. Angstfrei, in der Anerkennung von Yin und Jang, Tag und Nacht, Sommer und Winter – Ohne das eine oder andere zu bekämpfen…
    Ich LIEBE das Leben so sehr…

  4. Für die Diskussion eines so grundlegenden Themas „büschen“ dünn. Deshalb von mir in ähnlicher Kürze nur soviel: Unabhängigkeit ist durchaus ein wichtiger Wert von Männlichkeit, aber natürlich nicht der einzige. Ein weiterer ähnlich wichtiger Wert: Verantwortung, Verantwortlichkeit – für sich selbst, für den eigenen Umgang mit Anderen, damit mittelbar auch für jene Anderen, für die Lebensbedingungen Aller, um mal die wichtigsten Bereiche von Verantwortung abzustecken. Unabhängigkeit ist also als Wert von Männlichkeit wenig wert, wenn sie nicht mit Verantwortung wahrgenommen und ausgefüllt wird. Natürlich ist das, insbesondere Verantwortung, kein allein männlicher Wert. Es geht also mehr oder weniger um menschliche Werte insgesamt und deren spezifische „geschlechtliche“ Ausprägung.

  5. @Thomas: fühlen sich Frau und Mann in deiner extremen Polarisierung aber wohl? Vielleicht in gewissen Stunden, doch kann ich mir auch von Männern kaum denken, dass sie gerne nur für „Tod, Leere, Ziel“ stehen – und all die anderen Empfindungen und Impulse in sich selbst unterdrücken. Ist nicht lange klar, dass jeder Mensch das GANZE der Möglichkeiten in sich trägt?

    was das „Ziel“ angeht, gibt es auch gute Gründe, sachliche Zielorientiertheit nicht allein der Männlichkeit zuzurechnen. Denn ist es nicht oft so, dass Männer sich in Konkurrenz zueinander vom Thema, um das es geht, leichter entfernen als Frauen? (Was wiederum für Frauen oft ein Karrierehindernis darstellt, da sie zu sachlich bleiben und weniger Aufhebens um ihre Leistung machen).

    Ja, ja – es ist schwierig, darüber „mal eben so“ zu plaudern, denn natürlich sind es immer Klischees, die man einander zuordnet und es gibt unzählige Individuen, die damit gar nichts anfangen können, die „ganz anders drauf“ sind! Weshalb ja auch Michael mit Recht anfügt:

    „Natürlich ist das, insbesondere Verantwortung, kein allein männlicher Wert. Es geht also mehr oder weniger um menschliche Werte insgesamt und deren spezifische “geschlechtliche” Ausprägung.“

    @Michael: na klar ist das „dünn“!!! Ein Blogpost über die Assoziationen, die ein alter Song auslöste… mehr nicht!

    Mein letzter Satz ist übrigens nicht so zu deuten, dass ich mich grundsätzlich vom Feminismus distanziere, der gesellschaftlich sehr sehr not-wendig war und noch immer ist (es gibt da auch nicht „den“ Feminismus, sondern vielerlei Strömungen). Ich wollte nur nicht das ganz große Fass aufmachen, sondern „einfach so“, ohne Weiterungen in riesige gedankliche Überbauten einen Eindruck teilen.

  6. Das ist doch ein Kiffer-Song! Mary-Ann!

  7. „..ein für mich noch immer relevantes Attraktivitätsmerkmal der Männlichkeit: Unabhängigkeit, Interessen abseits und jenseits von “Beziehung”, die IHN letztlich halten, auch wenn ansonsten alles den Bach runter geht. Ein “Heldentum der Autonomie”, das komplett irreal, aber doch irgendwie attraktiv ist.“

    Ist das, was Männer wirklich auszusenden gedenken? Oder ist es was, was Frauen als Emotion zu empfangen wünschen?

    Die „archaischen Tier-Anteile“ in uns, von denen du oben schriebst, fallen uns scheinbar unglaublich schwer, zu akzeptieren. Aber erst in der Akzeptanz dieser, können wir mit diesen in Verhandlung treten.
    Was wollen wir zivilisieren, wenn wir überhaupt nicht richtig wissen, – WAS? –

    „Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit“ – das schrieb ich gestern in meinem blog.

    „Gleichheit“ ist aber doch nich perse das, dass Frauen gleich z.B. in der männderdominierten Welt der Unternehmen gleich sind.

    „Gleichheit“ hat für mich etwas mit der Akzeptanz und dem Respekt eines Menschen zu tun, unabhängig vom Geschlecht und unabhängig davon, welche Position er in dieser Gesellschaft wahrnimmt.

    Ich würde nicht behaupten wollen, dass jedes Vorwärtskommen in der Zeit und der gesellschaftlichen Strömungen unbedingt zum richtigen Ziel führen.

    Im „weißen Band“, gestern auf arte, wurde mir wieder bewusst, dass das, was wir heute denken, in 100 Jahren von Menschen wieder kopfschüttelnd und ungläubig als Ausgangspunkt einer Wende betrachtet werden kann, für die wir das Prädikat „mittelalterliches Denken“ bekommen könnten.

    Für Fortschritte in diesen Fragen braucht es meiner Meinung nach, ein sehr sensibles Miteinander im vorwärtstasten.

  8. Mit Garten steht’s schlecht, 15 Minuten Gespräch oder 30 min. draußen erschöpfen mich für einen Tag. Aktuell dazu eine Kiefer-Entzündung, im Juni geht’s wieder ins Krankenhaus. Ich lese das Gartenblog.

    Um die Menschheit mache ich mir, im Guten wie im Bösen, keine Sorgen. Sie wird bestimmt auch morgen über Schaf und Ziege siegen.

    Das Lob der Polarisierung verstehe ich, wenn man das Leben so liebt, sie schien auch mir mal verlockend. Ich meide sie nun aus persönlichen Gründen. Davon abgesehen ist es unfair, WIE polarisiert wurde (es gab bessere Zeiten), heute noch wird, positiv und negativ, + -, Männer herrschend, Frauen folgend. Der Seemann, der nicht heißt, verfällt nur im Lied als Mann dem Schiff, Frauen können das ebenso, Mann ließ sie bloß in der christlichen Seefahrt nicht, blond und treulos sind Männer genug, zumindest in Schweden. Wie wäre die Treulose ihm gut gewesen – im Warten? Schaut man Menschen näher an, sind sie verschieden, bunt, nicht schwarz oder weiß. Ich schätze an Frau A und Mann B nicht Weiblichkeit oder Männlichkeit (was immer das da und dann sein soll), sondern Alichkeit und Blichkeit.

    Unabhängigkeit und Verantwortlichkeit – ja, das sind auch für Frauen gute Werte, bzw. letztere; Unabhängigkeit ist eher ein Gut, hat weder Mann noch Frau, wenn arm, krank, alt usw. Mir z.B. ist wichtig, dass das gegebene Wort gilt – dabei spielt das Geschlecht keine Rolle. Ich denke, man kann die Debatte nicht dünn genug halten, einzig die Schwangerschaft hat da einen Grund – wenn „die Gesellschaft“ Frauen Pflichten auferlegt („Rabenmutter“ u.a.m.), dann sollten auch Rechte daraus folgen. (Zuerst aber gehört ihr Bauch ihr.)

    Tatsächlich werden mit Klischees Geschäfte gemacht. Und Schlager. Also mit dem, was gerade von Gestern ist. Da gibt es Sieger und Verlierer. Und die Frage: Was geht mich das an? Oder: Was lasse ich mir gefallen?

  9. Daß, was Menachem schrieb, gefiel mir sehr. Angefangen mit „Was wollen wir zivilisieren, wenn wir überhaupt nicht richtig wissen, – WAS? -“ bis hin zu „Für Fortschritte in diesen Fragen braucht es meiner Meinung nach, ein sehr sensibles Miteinander im vorwärtstasten“.
    Auch Dirks Kommentar gefällt mir, z.b. „Unabhängigkeit ist eher ein Gut, hat weder Mann noch Frau, wenn arm, krank, alt usw. Mir z.B. ist wichtig, dass das gegebene Wort gilt “

    Mit Männerwerten, das ist jetzt mein JETZT geäusserter Gedanke, wird viel Schindluder betrieben. Wohin soll das Schiff Mann getrieben werden? Und hat sich das Schiff ein wenig bewegt, sind auch die Frauen dran…und dann auch wieder die Männer, sozusagen angleichend.

    Wenn ich mir als Beispiel die Geschichte der Schwarzen ansehe und mir da einzelne kürzlich erworbene Informationen ansehe, so konstatiere ich für mich, daß der Prozeß hier schon etwa 110 Jahre im Gange ist. Schritt für Schritt ging es da voran, partiell, nur an manchen Orten und auch natürlich mit Rückschritten. Das Suffering in Emanzipations- und Freiheitsprozessen geht weiter, weil Dinge Zeit brauchen und Kräfte intern und extern existieren, die am Zug eines Weiterschreitens zerren, sich stemmen, blockieren, zuviel wollen, zu schnell, zu gründlich und nur in eine Richtung.
    So, das war ins Ungereimte mein Beitrag.

  10. Angeregt durch @Gerhard:

    „Was ist das? Was war das? – Weiblichkeit:“

  11. „Hallo, mein Schatz, ich liebe dich
    Du bist die Einzige für mich
    Die anderen find ich alle doof
    Deswegen mach ich dir den Hof….“

    siehe den ganzen Text der „Ärzte“ auf Youtube.

    Anmerkung: ursprünglich stand hier einzig der Volltext des Liedes, den ich gelöscht habe, da das Posting Urheberrechte verletzt und ich keinen Bock auf eine Abmahnung habe! CK, 20.5.

  12. Die Unterschiedsfrage in Bezug auf die beiden Geschlechter lässt sich leicht auf eine Frage reduzieren: folgen die Klischees einem faktischen Unterschied oder erzeugen die faktischen Unterschiede die Klischees?
    Ich halte mich als Wissenschaftler lieber an die Fakten: http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/PSYCHOLOGIEENTWICKLUNG/Geschlechtsunterschiede.shtml – eine kleine Sammlung davon. Und im Übrigen an Loriot: Männer und Frauen passen einfach nicht zusammen.

  13. Hach, die Worte die Sven Regener findet …

    „Fad‘ und ohne Lustgewinn ist dir die immer gleiche Jagd nach Ruhm und Ehre auf dem Schlachtfeld der Geschlechter, hast du doch vor Jahren schon den seither gültigen Rekord im Schnellvergessen eines Ex-Freunds aufgestellt.“ (Mittelpunkt der Welt)

  14. Es gehört halt beides zur Männlichkeit dazu.

    Die harte, bestimmende und starke Seite und die weiche, verstehende und Beste-Freund-Seite.

    Ganz ohne Männliche-Rollenbilder kommen weder die Frauen noch die Männer aus. Meine Erfahrung.

    Die Frauen wollen Männer, die auch mal ihren Mann stehen können.
    Und wenn Männer ihre Männlichkeit nicht leben werden sie unglücklich und depressiv.

    Erfahrungen eines Männercoaches

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