Thinkabout hat ein paar interessante Texte rund ums Tagebuch schreiben veröffentlicht. Ich konnte und wollte das nie und weiß nicht mal genau, warum. Langeweile ist das Gefühl, das ich am meisten damit verbinde: warum sollte ich Gedanken in Sätze fassen, um sie dann in der Schublade zu lassen?
Von sich schreiben
Entdeckt hab‘ ich das selbstreflexive Schreiben in Briefen an meinen Yoga-Lehrer, die ich wöchentlich schrieb. Ich berichtete, was ich in den Yoga-Stunden erlebte und was ich zu alledem dachte, was er da so erzählte – bezog also die Lehren (Yoga, ZEN, westliche Philosophie) auf mein alltägliches und nicht-alltägliches Leben und betrachtete es durch die Brille der neuen Erkenntnisse und Erlebnisse. Es war nicht angedacht, dass er brieflich antworten sollte, doch manchmal nahm er in der Stunde einen Gedanken oder eine Frage aus meinen Briefen auf und sagte etwas dazu.
Dieses Schreiben ergänzte die auf „Erleben“ ausgerichteten Yoga-Stunden aufs Beste. Ich erlebte große Inspiration, schrieb ungemein gern diese immer mehrseitigen Briefe und schätzte es sehr, mich dabei in die Themen richtig zu vertiefen, mir selber schreibend Dinge klar zu machen… toll!
Nach ein paar Jahren – mittlerweile hatte ich das Internet entdeckt – schaute ich mal ein paar dieser Briefe daraufhin an, ob sie sich nicht auch für mein Webzine eignen würden, zumindest als Themen-Steinbruch. Und hatte ein unverhofftes AHA-Erlebnis: die Briefe waren eigentlich gar keine. Es war diesen Texten nicht anzumerken, dass sie „an jemanden“ geschrieben wurden. Sie handelten von Gott und der Welt, von allem, was mich so bewegte: die jeweils drei bis vier Seiten konnten völlig für sich stehen, ohne ein Vorwissen um den Kontext oder den Adressaten zu brauchen. Manchen merkte man nicht mal mehr an, dass sie durch die Auseinandersetzung mit Yoga inspiriert waren.
Dialoge mit Fremden
Ganz im gleichen Geiste schrieb ich in den ersten Netz-Jahren E-Mails an ferne Dialogpartner, die ich „von Angesicht“ gar nicht kannte. Ja, das war sogar besser, als sie zu kennen, denn gegenüber dem unbekannten Fremden als Repräsentant von „allen“ konnte ich völlig frei schreiben, ohne mich auf einen vermuteten Meinungs- bzw. Erfahrungshintergrund beziehen zu müssen. Dennoch BRAUCHTE ich diese fernen Fremden, brauchte die Gewissheit, dass einer liest, was ich schreibe, um überhaupt ins Schreiben zu kommen. Das vermutete Gegenüber vermittelte mir die Disziplin, mich um klare Sätze und Verständlichkeit zu bemühen – und auch, um blitzgeschwind zu wissen, was relevant ist und was nicht.
Relevant ist für mich (fast) identisch mit mitteilenswert. Das „fast“ markiert die Rücksichtnahme auf konkrete Menschen in meinem persönlichen Umfeld, über die ich nicht schreibe. Bewegt mich etwas im Kontext persönlicher Beziehungen, abstrahiere ich es soweit, dass allenfalls derjenige merkt, woher die Inspiration zum entsprechenden Artikel kommt. Irgend etwas im Detail zu berichten, danach verlangt es mich gar nicht. Vermutlich, weil ich selber ausschweifende Erzählungen von Tante Erna oder vom letzten Lebenspartner eher langweilig finde. Für mich müssen Texte thematisch verdichtet und „auf den Punkt gebracht“ werden, um zu interessieren – und das gilt für mein Schreiben insgesamt. Oder würde jetzt jemand gerne lesen, wie ich mal mit 14 versuchte, ein Tagebuch zu schreiben (weil es Klassenkameradinnen taten) und nach zwei Einträgen damit aufhörte?
Dass das Schreiben für mich im wesentlichen als „intuitives Schreiben“ statt findet, also ohne Plan einen Impuls aufnehmend voran schreitet, steht der „Verdichtung“ nicht entgegen. Vielleicht ist das auch das falsche Wort: ich lasse halt schon gleich alles weg, was mir irrelevant für den Fortgang der Gedanken erscheint. Es ist eine Art Ungeduld, man könnte es auch als Nichtachtung des lebendigen Details beschreiben, doch stört mich das nicht. Ich will ja nicht „Literatur machen“, sondern aufschreiben, was ich denke.
Und die eigenen dunklen Seiten?
Dirk schrieb bei Thinkabout über seine eigenen Tagebuch-Erfahrungen:
„Mein Tagebuch ist für mich, da lasse ich alles raus, erlaube mir, ungerecht zu sein und unsympathisch. Ich schreibe da nicht für das Erinnern (fast nie lese ich es wieder), sondern zum Selbstgespräch. Aufschreibend wird mir vieles klarer. Ich tadle mich, lobe mich, entdecke Unbekanntes an mir selbst und stoße manchmal auf Möglichkeiten, die mir ohne Schreiben nicht aufgefallen wären.“
Das Anliegen, einfach mal „alles raus zu lassen“ hab‘ ich umfänglich ausexperimentiert, doch wiederum nicht privat: im „Kreativen Schreiben“ in der Gruppe, wo man oft einfach loslegt und z.B. 15 Minuten alles aufschreibt, was gerade durch den Kopf geht. Da legte ich Wert darauf, wirklich keinen degoutanten und abseitigen Gedanken auszulassen, schwelgte im Bösartigen und Lächerlichen und haute mich selbst bedenkenlos in die Pfanne, wenn es der Startimpuls oder die Folgegedanken hergaben. Was dabei heraus kam und in der Vorleserunde dann auch vorgetragen wurde, war – verglichen mit dem, was ich sonst schreibe – sehr „literarisch“ und (im Rahmen des Gruppenevents) auch oft verdammt unterhaltsam. Und doch bringe ich es nicht fertig, das für mich alleine zu machen. Die kleinen Gemeinheiten und Fehlleistungen des täglichen Lebens werfen für mich keine Fragen auf, die es mir wert wären, sie aufzuschreiben – schon gar nicht für die Schublade!
Bin ich aber ernsthaft bewegt und komme wegen eigener Probleme ins Grübeln, dann kann ich das durchaus so in Worte fassen, dass es keine Selbstentblößung darstellt, wie sie gerne von jenen gelesen wird, die sich an den Fehlleistungen anderer schadenfreudig delektieren. Ich verdichte es zur allgemeinen Fragestellung, mit der sich fast jeder identifizieren kann und handle es dann ab wie ich es mit jedem lebensphilosophischen Problem mache. Reines Jammern, Klagen und Schimpfen (über mich selbst und die böse Welt) findet gar nicht erst den Weg über die Tasten: schreibend finde ich den positiven Horizont oder ich lasse es sein.
Meistens jedenfalls. :-)
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25 Kommentare zu „Warum ich kein privates Tagebuch schreibe“.