Claudia am 28. September 2009 —

Zum Wahlergebnis: Klare Fronten – viel Bewegung

Immerhin sind das jetzt klare Verhältnisse: Schwarz-Gelb schaffte es auch OHNE die umstrittenen Überhangmandate, was zumindest eine Legitimationsdebatte vermeidet. Angela („die Zuversicht“) kennen wir schon gut, doch was die in den letzten Jahren auf „Wort halten“ so heftig eingeschworene Westerwelle-FDP in Sachen Bürgerrechte unternehmen wird, das muss sich erst zeigen. Noch in der Elephantenrunde verkündete Westerwelle, dass da einiges anders werden müsse – schau’n wir mal, was davon übrig bleibt, bzw. WER die Bürger sind, deren Recht da gestärkt werden sollen (Zahnärzte?).

Der Absturz der SPD wundert mich nicht: ohne eine Machtperspektive jenseits der großen Koalition gingen viele SPD-Wähler gar nicht erst hin. Freunde von mir haben die SPD „aus Mitleid“ gewählt, doch es hatten offensichtlich nicht genug Menschen solches Mitgefühl. Nun stehen also vier Jahre Opposition an: die SPD kann sich neu erfinden, bzw. „re-sozialdemokratisieren“ und auf eine linke Mehrheit beim nächsten Mal hinarbeiten. Dass der gesamte „Tanker“ mit seiner nicht zu verachtenden Organisationskraft demnächst für oppositionelle Inhalte kämpfen wird (wovon ich nach einer Umgewöhnungszeit ausgehe), ist ein „Kollateral-Nutzen“ des Wahlergebnisses – nicht alles ist ja NUR schlecht.

Dass die LINKE drittstärkste Kraft wurde und sich nun nicht mehr ignorierbar auch im Westen etabliert hat, lag angesichts der kommenden Verteilungskämpfe nahe. Auch sie wird sich in den nächsten vier Jahren verändern, denn es gilt, „koalitionsfähig“ zu werden – es wird innerparteiliche Flügelkämpfe geben und ich tippe mal: die Realos werden gewinnen. Sympathischer wär‘ mir diese Partei allerdings OHNE Lafontaine!

Dass die GRÜNEN ihr Ziel, drittstärkste Partei zu werden, zugunsten der Linken verfehlten, finde ich nicht weiter schlimm. Das hätte zwar dem Partei-EGO geschmeichelt, doch auch die Zweistelligkeit ist ja ein schöner Erfolg. Und natürlich hat Ströbele in Friedrichshain-Kreuzberg wieder sein Direktmandat bekommen – auch mit Hilfe meiner Stimme.

Und die PIRATEN? Die knapp zwei Prozent werden vielen Neu-Aktiven wenig vorkommen, doch hatten die GRÜNEN bei ihrer ersten Bundestagswahl auch nur 1,5% der Stimmen. Partei werden ist ein Langfrist-Unternehmen, keine Party für nur einen heißen Sommer. Ich wünsche mir, dass die Piraten dran bleiben und zu einer schlagkräftigen, vorerst noch außerparlamentarischen Opposition heran wachsen. Der Geldregen der Wahlkampfkostenrückerstattung wird hoffentlich dazu dienen, die Strukturen und Abläufe zu verbessern, ganz im Sinne von „klar machen zum ändern“. Wären sie dieses Mal schon „drin“ gewesen, hätte sie der parlamentarische Schock vielleicht zu einem Schatten ihrer selbst gemacht: fortwährend zwangsverstrickt in Diskussionen um das Abstimmungsverhalten bei den „anderen Themen“.

Alles in allem haut‘ mich das Wahlergebnis nicht vom Hocker und deprimiert mich auch nicht. Unter Rot-Grün sind eine Menge Dinge beschlossen und umgesetzt worden, die man eigentlich zum Wunsch-Repertoire von CDU und FDP gerechnet hat. Vielleicht gibt es ja jetzt analoge Prozesse in umgekehrter Richtung – sag niemals nie!

*

Andere kommentieren:

Netzpolitik.org: Klare Fronten: Schwarz-Gelb

Weissgarnix: Rücktritt!

Piratenpartei: Zum Wahlergebnis

Cem Basman: Sprechblase – Nach der Wahl: SPD 2.0

Politblogger.net: Das Ende der Schröder-SPD

Lummaland: Blick nach vorn im Zorn

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Diskussion

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11 Kommentare zu „Zum Wahlergebnis: Klare Fronten – viel Bewegung“.

  1. Wo ist der Verstand des Souveräns geblieben:

    die am stärksten Großapital-gesponserten Parteien sollen jetzt die Kosten der Krise vom Volk und den künftigen Generationen fernhalten.

    Wer sich so stark selbst gefährdet, sollte aus humanitären und Wohlfahrtsgründen eigentlich in eine geschlossenen Abteilung.

    Aber das ist zu absurd, deshalb muss es einen anderen usweg aus der selbstverschuldeten Entmündigung geben.

    Wieder mal zeigt es sich: zwei Dinge kann man in Deutschland ohne jeden Qualifikationsnachweis:

    Kinder erziehen und Wählen

    und so geht es dann auch aus

  2. Ja, ich ging auch schon fast unaufgeregt ins Bett. Schöngeredet habe ich es mir mit „jetzt haben wir immerhin eine „starke“ Regierung und eine Chance auf eine starke Opposition“

    Was ich zur Zeit nicht leiden kann, ist das „bäh, der Westerwelle als Außenminister“-Geweine, denn bei den meisten Kritikern habe ich weniger das Gefühl, daß hier politischer Sachverstand bangt (den ich hier auch nicht habe) sondern einfach nur persönliche Aversion. (Wenn auch ich ihn nicht gerade zu meinem nächsten Geburtstag einladen würde…)

    Das mit den Überhangmandaten… da nervte mich die SPD doch sehr. Da haben die dieses krude System seit BRD-Bestehen mehr als nur billigend inkauf genommen, und plötzlich wollten sie im Vorfeld schon mal „echte Mandatsträger“ von „unechten“ unterscheiden. Gleichwohl war ich auch so ein strategischer Mitleidswähler des alten Tankers.

    Die Prozente der Piraten würde ich noch mit der Wahlbeteiligung herunterrechnen um sie, mit den freilich dann auch relativierten Grünenzahlen von damals zu vergleichen. Erst dann weiß man ja, wie weit die Parteien in der Bevölkerung vertreten sind. Gleichwohl ein Achtungserfolg, da man auch bedenken muß, daß die Grünen damals sich aus einem breiterem Spektrum gesellschaftlicher Bewegungen heraus entwickeln konnten als die Piraten heute.

    Wie schon mal erwähnt, mal schauen, wieviel Atem die Piraten haben, ausserhalb des Netzes und des Parlamentes Oppositionspolitik zu betreiben. Die Reibungsveranstaltungen zum schwenken oranger Fahnen werden ja etwas abnehmen.

    Man kann immerhin sagen: es wird spannend an allen Fronten.

  3. […] C. Klinger, Klare Fronten, viel Bewegung Anmerkungen:der Link bezieht sich nur auf Bayern, Deutschlandweit sank die Beteiligung um 6,9 %, Quelle ARD [↩] […]

  4. Hallo Claudia,

    wir erlebten einen „Einstellungswechsel“ – weniger von Denjenigen, die alles „von oben herunter geregelt“ haben wollen, die vom Staat „wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß“ erwarten – hin zu mehr von Denjenigen, die sich zutrauen sich selbst helfen zu können, die nicht gegängelt und schikaniert werden wollen, die diese unerträglich gewordene Bürokratie satt haben.

    Merkel kann sich nicht mehr hinter der SPD verstecken, die FDP wird zeigen, wieweit sie ihre Versprechen in der o. g. Richtung verwirklichen will und kann.

    Die Schulden müssen ohnehin wir alle bezahlen und zwar ungleich ( ungerecht ) – der Bürger heißt Bürger, weil er für die Dummheit der Herrschenden bürgt

    Gruß Hanskarl

  5. @Hanskarl: nach allem, was ich so an Wahlanalysen höre, gab es gar keinen echten Trend Richtung Schwarz-Gelb, das Ergebnis verdankt sich alleine den Verlusten der SPD: ehemalige SPD-Wähler sind massenhaft nicht wählen gegangen. Und das ist wohl der AGENDA-Politik, Hartz4 und Rente mit 67 zu danken.

    Was den Kampf gegen die Bürokratie angeht, den vor allem die FDP vertritt: wer ist NICHT für Bürokratie-Abbau? Leider überlegt sich kaum jemand, wie sich das zur vermehrten Forderung nach GERECHTIGKEIT verhält, die immer auch Kontrolle, komplexe Gesetze und jede Menge Formulare braucht. Und Gerechtigkeit wird ebenfalls zunehmend lautstark gefordert (natürlich eher nicht von der FDP, denn „sozial starke“ Bürger wollen lieber Freiheit und so wenig wie möglich an Macht und Geld abgeben).

    @Craecker: ich bin auch gespannt, wann die Piraten merken, dass die schlichte Basisdemokratie nicht das Gelbe vom Ei ist – und was dann folgt! Schon jetzt hört man ja Klagen über die endlosen Parteitage mit unzähligen Abstimmungen und Diskussionen.

  6. Ein nicht zu verachtender Effekt (der Prozentwerte) dieses Wahlergebnisses sollte in meinen Augen mehr gewürdigt werden: die Bewegung weg von stabilen, klotzigen Mehrheiten mit wenigen (alternativen) Pfeilern hin zu Mehrheiten, die sich aus mehreren Quellen speisen müssen, sowohl im Bund als auch in den Ländern.

    Ich hoffe, daß ein in der Bevölkerung sich allmählich verankerndes Verständnis von (Regierungs-)Politik als (je wechselnde) Resultante miteinander wetteifernder Kräfte sich hiermit in Deutschland ankündigt. Und ich hoffe, daß damit endlich die hergebrachte Version (starke Regierung! starke Hand!) an Bedeutung verliert. Schließlich sind nicht nur Menschen, die mit mir politisch oder moralisch oder religiös übereinstimmen, Teil dieser Gesellschaft (ich habe leider häufig den Eindruck, daß viele politische Aktivisten insgeheim so denken) und haben ebenso wie ich das Recht, ihre Interessen zu verfolgen und ggf. durchzusetzen.

    Am liebsten wären mir persönlich ohnehin Regierungen, die im Parlament keine Mehrheit zur Verfügung haben, sondern diese für wichtige Gesetzesvorhaben sich fallweise erstreiten (durch Vortrag, durch Argument, durch Überzeugen usw.) müssen. Auch wenn ich die Probleme (Effektivität, Populismus usw.) dabei durchaus sehe.

    Im Übrigen glaube ich nicht, daß heute eine lokale Regierung wie die der Bundesrepublik aus sich heraus einen ausreichend großen Gestaltungsrahmen hat, um auf die laufende Umverteilung des Reichtums, auf die Formen des finanziellen Krisenmanagements und die militärischen Optionen der globalen Außenpolitik einen entscheidenden Einfluß auszuüben.

    Und endlich noch etwas vielleicht nicht unbedingt Salonfähiges:

    Ich denke, daß Frau Merkel ihren Job als Bundeskanzlerin ganz ausgezeichnet macht. Nicht nur, aber vielleicht auch, weil sie in der Tat die ruhige Hand hat, die sich mancher pranzende Politikerhansel so gerne publikumswirksam ans Revers heftete. Sie wirkt auf mich zumeist ausgleichend und angenehm besonnen, und sie setzt sich da, wo Andere kneifen (z.b. beim Ansprechen von Menschenrechten gegenüber anderen Staatslenkern!) mit mehr Mut ein als mancher Schlipsträger vor oder neben ihr sich das traute. Daß eine Bundeskanzlerin, zumal eine aus den Reihen der Christdemokraten, keine grüne, linke, basisdemokratische Politik gegen die mächtigsten Interessen dieser Gesellschaft machen kann (ein Feld, auf dem ein Starkmeier wie der Herr Schröder ja so besonders geglänzt hat, während ein Herr Lafontaine lieber außerhalb des Sandkastens sich die Hände nicht schmutzig machen wollte), versteht sich für mich von selbst!

  7. Hi Su – danke für den umfangreichen Beitrag! Frau Merkel finde ich auch ganz ok als Bundeskanzlerine – sie hat ihren eigenen Stil und verweigert sich locker den Erwartungen bezüglich eines offensiveren Auftretens, lautstarker Machtworte und dergleichen Kraftmaier-Gesten. Sie macht das anders: als sich kürzlich gefragt wurde, wie sie das findet, dass dieser und jener Großbanker partout nicht auf riesige Abfindungen und Boni verzichten wollte, nachdem sie zu Mäßigung aufgerufen hatte, sagte sie leise lächelnd „Meine Erfahrung ist: man trifft sich im Leben immer zweimal!“.

    Dass die nationalen Politiker heute kaum Macht haben, ist das schmutzige Geheimnis, das keiner wissen will. Wenn ich immer wieder höre, die da oben würden nur machen, was sie wollen (und den Bonzen zuarbeiten etc.), bin ich oft richtig von den Socken über solche Naivität und Ignoranz – insbesondere, wenn ich dann auf Konkretisierungen bestehe und die Vorstellungen abfrage, was „mal eben so“ per Gesetz geändert werden sollte. Man glaubt, die alle haben ihre politische Bildung aus Märchenbüchern alter Zeiten – aus Geschichten vom guten König oder dem gerechten Harun al Raschid, der sich unerkannt unters Volk mischt, um tags drauf dessen Wünsche umzusetzen – du lieber Himmel!

  8. Man, bin ich froh, dass die SPD dieses Mal so Verluste gemacht hat.. ich hätte zwar auch gerne die Grünen mit mehr Gewichtung gesehen, aber Schwarz-Gelb ist super!

  9. »Nichts ist widerwärtiger als die Majorität, denn sie besteht aus wenigen kräftigen Vorgängern, aus Schelmen, die sich akkomodieren, aus Schwachen, die sich assimilieren, und der Masse, die nachtrollt, ohne nur im mindesten zu wissen, was sie will.«

    – Johann Wolfgang von Goethe –

  10. „Dass die LINKE drittstärkste Kraft wurde…“

    Ähm…
    Für mich kommt die LINKE nach CDU (ob mit CSU oder nicht), SPD und F.D.P. erst an vierter Stelle.
    Oder habe ich mich da verzählt?

    In Bayern hat übrigens die F.D.P. in diversen Wahlkreisen die SPD von Platz 2 gestoßen.
    So langsam sollte man die Sozialdemokraten in die Rote Liste der vom Aussterben gefährdeten Arten aufnehmen.
    Mein Mitleid indes hält sich in Grenzen…

    Erbsenzählender Gruß
    Ralf

  11. wenn es so weiter geht dann werden Parteine wie DIE Linke noch mehr Zulauf bekommen.