Claudia am 03. Juli 2009 —

Steuern: Eine Debatte, die nur ablenkt

Dieses Gezerre um Steuererhöhungen ja oder nein, wann oder doch lieber nicht, kotzt mich regelrecht an und trägt zu meiner Politikverdrossenheit in Bezug auf die „klassischen Parteien“ deutlich bei.  Es vermittelt den Eindruck, als gehe es den Bürgern immer nur ums Geld und kaum je um Inhalte: dem Schnäppchenjägervolk sein Schnäppchenwahlprogramm, so unglaubhaft das auch klingen mag angesichts der staatlichen Ausgaben in Sachen Krise.

Ich wünsche mir, dass unseren Parteien und Regierenden diese Neigung, das Volk für dümmer zu halten, als es ist, nochmal so richtig auf die Füße fällt! Gerade die Krise hat bei vielen einen Bildungsschub bewirkt: Aha, da knirscht was im Gebälk, da müssen wir glatt mal selber hinschauen, was eigentlich los ist…  – und nachdem nun fast jeder, der des Lesens mächtig ist, viel über den ganzen Krisenkomplex weiß und sich eine Meinung gebildet hat, kommen die Politiker daher, als seien alle noch immer mit Schlicht-Programmen (CDU: Steuern runter, SPD: Arbeitsplätze retten) zum richtigen Kreuzchen auf dem Wahlzettel zu bewegen. Wie armselig und beschränkt!

Mich interessiert nicht, was die Parteien HEUTE in Sachen Steuern verlautbaren, denn das wird sich sowieso an den Notwendigkeiten entlang entwickeln, egal, was sie alle vor den Wahlen noch sagen werden. Mich interessieren weit mehr konkrete Inhalte, z.B.:

  • Wann und wie gedenken die Parteien, dem Mehrheitswillen nach Abzug aus Afghanistan zu entsprechen? Wenn nein, warum nicht?
  • Wie und wann will man eigentlich das Bankenproblem lösen, das im Moment nur ein wenig verschleiert und mittels voraussichtlich unwirksamer Maßnahmen nur in die Zukunft verschoben wird?  Wie soll mit der sich verschärfenden Kreditklemme umgegangen werden?
  • Warum wird die Gesundheitskarte nicht gecancelt, die nur Milliarden frisst und niemandem nutzt?
  • War da nicht mal ein Problem mit der Alterspyramide und dem Generationenvertrag? Ist das etwa mit dem Beschluss, aktuelle Renten nicht zu senken, schon vom Tisch?
  • Was wird aus dem Zensur(sula)-Gesetz? (Immerhin war die FDP dagegen, die demnächst ja mit der CDU regieren will).

Weiter fallen mir ein: Urheberrecht, Leistungsschutzrecht, Datenschutz/Überwachung, Haftung im Internet – alles Themen, die meine Wahlentscheidung deutlich mehr beeinflussen als die Steuer-Frage!

Dass von den Alt-Parteien gar irgendwelche Initiativen kommen, die derzeitige Politisierung vieler Bürger zum Anlass zu nehmen, an so etwas wie Demokratie 2.0 zu arbeiten, wäre dagegen utopisch: Das wird man ihnen AUFZWINGEN müssen, denn noch glauben sie ja, es könne alles so hübsch übersichtlich und Parteien-zentriert bleiben, wie es ist.

Womit sie sich irren, doch ist das ein Thema für einen eigenen Artikel – demnächst in diesem Theater.

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Diskussion

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16 Kommentare zu „Steuern: Eine Debatte, die nur ablenkt“.

  1. Dein vorletzter Absatz klingt wunderbar und macht beim Lesen froh.

    Kratzt aber in mir an einer wachsenden Ungewißheit, die aus noch jedem ‚politischen‘ Gespräch mir erwächst. Was du an Items anführst, sehen tatsächlich fast ausnahmslos alle Menschen, mit denen ich am Arbeitsplatz oder in anderen Zusammenhängen (selten genug, muß ich zugeben) zu solchen Themen rede. Für eine Weile sind sich alle in dem Gefühl einig, immer wieder an der Nase herum geführt zu werden. Jede/r kann ja Punkt für Punkt aufzählen, an dem deutlich wird, wie die gewaltige Umverteilung des erarbeiteten Reichtums immer fadenscheiniger ummäntelt wird. Und dann, auf einmal, ich weiß nicht, woher und wieso, ist ein Einschnitt im Gespräch da. Nämlich dort, wo der subjektiv direkt oder auch nur moralisch stellvertretend empfundene Leidensdruck in einen Handlungsdruck umschlagen sollte, wenn alles so zuginge, wie ich es mir – vermutlich zu naiv – vorstelle.

    Dann passiert etwas Seltsames. Oder vielleicht gar nicht einmal Seltsames. Mangels einsichtiger Alternativen (Wie solle denn politische Meinungsbildung anders als etwa qua Parteien strukturiert und formiert vor sich gehen? Wer wisse noch Bescheid, was alles zu beachten sei? Welche unangenehmen Wechselwirkungen hätten grobe Eingriffe? Und, natürlich, das übliche: Wo alles zentral reguliert werde, herrschten ja viel schlimmere Zustände!) verfallen diejenigen, die eben noch recht klare Einsichten formulierten, in ein dumpfes Was-soll’s!

    Ich rede jetzt nicht von Welt/Web-Bürgern, sondern von Menschen, die ihren Pauschalurlaub planen, die die Hypotheken ihres Hauses abzahlen müssen, auf die Reparaturrechnungen ihrer Wagen schauen, die Ausbildung der Kinder und womöglich die Pflegekosten ihrer Eltern auf sich zukommen sehen. Sie scheinen mir einzementiert in ein System von Abhängigkeiten, das höchstens den harmlosen, weil individuellen Ausstieg (psychische Verweigerung, Resignation, Depression, diverse Suchten usw.) möglich macht, nicht aber ein ‚grundlegend‘ Anderes. Auch kein ‚Yes-We-Can‘. Inzwischen nehmen meiner Erfahrung nach zunehmend viele auch diesen Hollywood-kompatiblen Optimismus als einen von der ‚anderen‘ Seite, als eine Manipulation, einen Gimmick.

    Ein – schlimmes – Beispiel scheinen mir die – mich an Strohfeuer erinnernden – Aufgeregtheiten der (Web-)Weltbürgergemeinde über Themen wie Gaza und jetzt den Iran zu sein. Das moralisch und medial Hochgekochte wird dankbar adaptiert – für die eine oder andere Woche. Und fällt dann unter der nächsten Welle eines neuen Hypes in sich zusammen wie ein Sturm im Wasserglas. Wer überall sein will, so sehe ich das, ist halt am Ende nirgends. Eine virtuelle Gemeinschaft von Twitternden, so befürchte ich, besitzt die Nachhaltigkeit einer sich begeistert mit dem, was ein DJ ihnen via Technik in die Ohren brüllt, solidarisierenden Partybesuchergemeinschaft. Am nächsten Tag verwandeln sich all die Großartigen wieder zurück. Bis zur nächsten Party. Und zum nächsten Treffpunkt des wilden Wunsches nach dem großen Kick.

    Das heißt nicht, daß es nicht Menschen gibt, die beharrlich an einem Item bleiben und ihre ganze Existenz dahinter setzen. Aber eine Erfahrung scheinen doch alle zu teilen: Daß hinter jedem lauten Geschrei sich – neben den leisen Tönen von Leid, Elend und Qual – auch immer Betrug und rasche Verführung einnistet. Und so kehren die Menschen – so befürchte ich – stets in ihren Alltag zurück. (Siehe – jetzt auf der ‚anderen‘ Seite – die Banker in London, und vermutlich bald auch woanders).

    Das sind Eindrücke, die ich habe, keine gesicherten Erkenntnisse, und auf keinen Fall etwa Hoffnungen. Nur scheint mir, um zu dem Thema ‚politische Parteien‘ zurück zu kehren, daß Wahlentscheidungen ähnlich rational ablaufen wie Verliebtheiten – die gefühlte Attraktivität an einigen wenigen Punkten übertüncht das Nachdenken und Urteilen an anderen mit der Gewalt des Sehnens und Hoffens. Oder, um es überspitzt zu formulieren: die Begeisterung im Bett wird zu gerne für eine Garantie ähnlicher Begeisterung in der Küche, im Kinderzimmer und dem Wäschekeller genommen. Ein Plan, der selten aufgeht.

  2. SuMuze bringt es auf den Punkt

    > Alle scheinen in dem Gefühl einig, immer wieder an der Nase herum geführt zu werden.

    > einzementiert in ein System von Abhängigkeiten…

    > ‘Yes-We-Can’ Manipulation bzw. Gimmick.

    > Wer überall sein will, ist halt am Ende nirgends.

    Deine Eindrücke und die resultierenden Einschätzungen teile ich voll und ganz. Aber resignieren brauchen wir deswegen noch lange nicht – tust Du ja auch nicht. Sehr erfreulich.

    @Claudia macht Mut mit ihrem Schlußstatement, Demokratie 2.0 müsse ggfs den Altparteien aufgezwungen werden, denn noch glauben sie ja, es könne alles so hübsch übersichtlich und Parteien-zentriert bleiben, wie es ist.

    „Womit sie sich irren, doch ist das ein Thema für einen eigenen Artikel – demnächst in diesem Theater.“

    Dein Theater gefällt mir mehr und mehr die letzten Wochen liebe Claudia. Manchmal, wie auch in diesem Fall, kann ich nur noch vollständig zustimmen und dankend anerkennend meinen „Diener“ machen, selbst auf die Gefahr hin, komplette Zustimmung könnte anbiedernd oder irgendwie unangenehm klebrig wirken.

    Dein Motto für die heiße Zeit in 2009 scheint:

    „Lieber Sommertheater als Sommerloch“ zu heißen.

    Dank Dir für Deine Arbeit und sei lieb gegrüßt

    Hermann

  3. Steuern? Können Menschen individuelles Leben überhaupt regulieren und steuern, ohne daß sich die Gesteuerten irgendwie „an der Nase herum geführt“ und „einzementiert in ein System von Abhängigkeiten“ fühlen?

  4. Die Steuerdebatte fänd ich gar nicht so schlecht, was ja die wichtigeren Punkte nicht ausschließen muss.
    Wenn es um die Steuern auf Lebensmittel geht, gibt es etliche Ungereimtheiten. Trackback wollte nicht, deshalb manuell:
    http://fressnet.de/blog/?p=1980

  5. Moinmoin

    Interessante Beiträge, vor allem Su hat sehr brilliant beobachtet.

    Schaut mal hier, ein ganzheitlicher Neuansatz für eine erfrischende Politik, der zwar noch sehr zaghaft ist, aber sehr viel Zuversicht und Freude bereitet, dass wenigstens das erste Keimblatt einer wirklichen politischen Alternative sichtbar wird: (keine Angst, das ist nicht der deutsche Ableger der Evolutions-Verweigerer…)

    http://die-violetten.de/de/programm

    Gruß Micayon

  6. Natürlich hast Du vollkommen recht, Claudia, mit dem was Du feststellst und forderst.

    Ich hatte Gelegenheit, vor kurzem, „Das Haus der Geschichte“ in Bonn zu besuchen. Seither bin ich getröstet – unser „Heute“ wird auch bald Geschichte sein.Und angesichts der Sorgen und Nöte der Nachkriegszeit „jammern“ wir auf „hohem Niveau“.

    Ich vertraue dem alten Carlo Schmidt: „Die normative Kraft des Faktischen“ wird es richten.

    Gruß Hanskarl

  7. Ich danke Euch für Eure Beiträge!

    @Su: die „Einzementierten“, die du beschreibst, nannten wir in meiner wilden Jugendzeit „die Etablierten“: von Ihnen geht Veränderung niemals aus. Sondern immer von denen, die nicht viel zu verlieren haben und zudem Zeit und Freiräume haben, um sich mit den „Items“ zu befassen. Sie schaffen erst die Handlungsalternativen, denen dann andere folgen können – im einfachen Fall durch „anders wählen“, doch glaube ich, dass heute aufgrund der vorhandenen Technik MEHR drin sein könnte: mehr Mitbestimmung zu einzelnen „Items“ und dem entsprechend strukturelle Veränderungen im politischen System.

    @HErmann: dir auch einen lieben Gruß! :-)

    @Uwe: in einer Demokratie sollte das Gefühl, „fremdgesteuert“ zu werden, nicht überhand nehmen, sonst stimmt etwas nicht!

    @Klaus-Peter: danke für den Link! Klar gibts auch im Bereich Steuern einiges zu diskutieren – aber diese pauschale Steuern-runter-oder-doch-nicht-Debatte ist in ihrer Flachheit angesichts der aktuellen Probleme einfach unangemessen: Wahlkampfgetöse, sonst nichts!

    @Micayon: die „Violetten“ hab ich schon bemerkt, halte aber eine explizit „spirituelle“ Politik für eine zumindest SCHWIERIGE Klammer für die „Ansprache der Massen“!

    @Hans-Karl: ja, ich bin durch meine Kambodscha-Aufenthalte über „andere Niveaus“ im Bilde. Auf “Die normative Kraft des Faktischen” alleine kann ich nicht vertrauen, denn es ist ja ausgesprochen schwer bis unmöglich, hier menschliches Handeln von (systemischen) Naturgegebenheiten zu trennen! Und aufs Handeln haben wir ja schon Einfluss, bzw. unterliegen den von Anderen geschaffenen Zwängen und Umständen.

  8. Hallo Claudia,

    alles richtig! Aber wer sagt mir denn, das mein Wollen ( die von mir angestrebte Richtung ) das Geeignete ist? Ich bin über die Maßen unsicher, wenn ich mich einer Meinung anschließen soll ( oder mir eine eigene bilden soll ) über einzuschlagende Wege, die „zum Besseren“ führen – in Erinnerung an Max Weber ( Gesinnungsethik und Verantwortungsethik ).

    Daher mein Glaube an die o. g. „Die normative Kraft des Faktischen” – ihr unterliegen ja auch „die Anderen“.

    Bleiben wir gelassen angesichts unserer Nöte, und versuchen den „Brunnenkinder“ zu helfen, wenn wir es vermögen und wenn es deren Not erfordert.

    Gruß Hanskarl

  9. @Hanskarl,

    nichts dagegen, doch heißt das eine tun ja nicht, das andere lassen. Mein Schreiben ist nicht durch irgend eine persönliche Not angestoßen, sondern durch das brennende Interesse an dem, was vorgeht. Ich hätte ja nicht gedacht, dass ich nochmal „bewegte Zeiten“ erlebe – und nun das!!

  10. Kürzlich las ich:

    „Demokratie im neoliberalen Kapitalismus =

    Zwei Wölfe und ein Schaf beschliessen, was es zum Abendessen geben soll… “

    Tja, wenn die Schafherde in ihrer Überzahl mal geschlossen antreten würde, könnte sie aus dieser Glosse den Zynismus austreiben… hätte, wäre, wenn… Die mediale Egokultivierung hats leider geschafft die Schäfchen zu opportunistischen Solitären zu machen…

    Braucht es allgemeines Elend um das wieder zu korrigieren, oder schaffen wir’s aufgrund von Erkennen und Verstehen? Ich hab da so meine Zweifel…

    Wenn das alles war von dieser Jahrhundertkrise, dass die Schäfchen die Last der Schirme von der einen zur nächsten Generation schleppen dürfen, dann mag man es fast bedauern dass „es gerade nochmal gut gegangen ist“…

    Gru? Micayon

  11. Zum Thema Demokratie, Mehrheitswillen und dem Gefühl, an der Nase herumgeführt zu werden:

    Frau Käßmann, Chefin der evangelischen Kirche in D, hat sich öffentlich wiederholt kritisch zum Afghanistan-Krieg geäußert, den rund 75 % der Bevölkerung nicht wollen. Am 12. Januar hatte sie ein persönliches Gespräch mit dem Verteidigungsminister. Nun gibt es ganz zufällig ein Skandälchen und ihr Rücktritt wird gefordert.

  12. „wird gefordert…“, aber wohl ohne Erfolg. Der Rat der EKD sprach ihr einmütig das Vertrauen aus, lese ich gerade.

    Eine so besoffene Gesellschaft muss auch eine mal unziemlich betrunkene Bischöfin ertragen, finde ich!

  13. Leider mit Erfolg. Und es war ganz einfach.
    Eine kritische und aufrechte Stimme weniger. Jetzt können weiter die Waffen gesegnet werden …

  14. Ich hab das auch grade gesehen und denke: sie kann aus sich selbst heraus nicht anders. MÜSSEN hätte sie definitiv nicht, so wie alle zu ihr gestanden sind!

    Aber mal eine andere Frage: mit welchem Recht meldet die Polizei derlei Vergehen eigentlich der Öffentlichkeit? Mich würde da mal grundsätzlich die Rechtslage interessieren – auch, was diese seltsamen „Polizei-Videos“ bei Privatsendern angeht, die Polizei-Einsätze zeigen, oft ohne den Betroffenen zu verfremden.

    Weiß da jemand was?

  15. Was wäre, wenn man Frau Käßmann, die am fraglichen Abend lediglich ein Glas Wein getrunken hätte, aber plötzlich mit einem 1,5-Promille-Ergebnis konfrontiert wurde, gesagt hätte, beim nächsten Mal würde sie dann eben einen Unfall erleiden, wenn sie jetzt nicht zurücktrete? Dann wäre der Rücktritt, der nicht sein MÜSSTE, vielleicht plausibler. Eine blühende Phantasie habe ich wieder, KANN man ja garnicht ernst nehmen. ;)

  16. Nein, das halte ich NICHT für möglich – und zwar, weil Käßmann KÄMPFEN würde. Und nicht brav abdanken, wenns SO gewesen wäre….