Claudia am 27. Juli 2008 —

Das Obama-Phänomen: Yes-we-can trifft Geht-nicht-weil

Die Reaktionen auf den „Obama-Event“ an der Siegessäule hab‘ ich mir genau so vorgestellt, wie sie dann auch eingetreten sind: Ja, er habe Charisma und könne gut reden, ABER er sei doch nicht „der Messias“, denn in den USA werde er bereits „entzaubert“. Schließlich verlange er mehr Kampftruppen in Afghanistan, sei in Einzelfällen für die Todesstrafe und werde im übrigen als Präsident auch nur machen können, was machbar sei, usw. usf.. Der Rest ist Spott und Geläster über die Begeisterung, die Obama auch hierzulande entgegen schlägt: die „Obamania“ erscheint weiten Teilen der politischen Klasse als Provokation, gegen die es anzuschreiben und anzureden gilt.

Die gegen Ende der Veranstaltung auf 200.000 angewachsene Schar der Zuhörer rund um die Siegessäule skandierte neben „Obama, Obama“ versuchsweise auch das „Yes, we can!“, den aufmunternden Leitspruch der Kampagne. Für meine Ohren klang es seltsam bemüht, was ja auch nicht wundert im Lande des „geht nicht weil“. Denn bei uns verhandelt man Politik im Geiste der Anklage und Verdrossenheit: „denen da oben“ werden regelmäßig üble Motive unterstellt und das Streben nach Machtpositionen gilt alleine schon als kritikwürdig. Wer für eine wichtige Position ins Gespräch kommt, darf keinesfalls zu früh Interesse signalisieren, denn damit ist er als Kandidat auch ganz schnell wieder „verbrannt“. Ein munteres „Yes, we can!“ klingt für deutsche Ohren anmaßend und allenfalls naiv: wissen wir doch, dass alle nur mit Wasser kochen, dass Macht korrumpiert und Politiker sowieso nur Marionetten mächtiger Interessengruppen sind, die hinter den Kulissen die Fäden ziehen, um uns alle immer weiter auszuplündern. Begeisterung in der Politik ist demnach eine geistig-emotionale Verwirrung im Bann der Rattenfänger – im harmlosen Fall bloße Event-Jubelei: mal der Pabst, mal unsere Fußballer, jetzt halt Obama.

Klar, diese Sicht der Dinge hat ihre Berechtigung und ist insbesondere mit Blick auf die deutsche Geschichte verständlich: dieses Volk hat sich mal so wahnsinnig begeistert, dass die Welt in einen Abgrund gerissen wurde, der ohne Beispiel ist. Das kurze und äußerst erfolgreiche Aufflackern einer Aufbruchstimmung im Zuge der Wiedervereinigung („wir sind das Volk!“) wurde sehr schnell herunter gedimmt und per „Anschluss“ im lange ersehnten Konsum erstickt: wir wollen nicht mehr „ganz anders“ („change“), sondern wünschen, dass alles so bleibt, wie es ist, bzw. lieber noch, wie es zu Zeiten der vergleichsweise gemütlichen Bonner Republik gewesen ist.

Und dann kommt so ein Obama und begeistert die Massen, zumindest kurzzeitig, bis die mediale „Entzauberung“ alle erreicht hat. Natürlich ist der Kandidat kein „Messias“, gerade diese Erwartung beschreibt ja eine untergründig schwelende Demokratie-Verdrossenheit: Kompromisse gelten als Verrat an den eigenen Überzeugungen, nicht etwa als Alltagsgeschäft im Verhandeln unterschiedlichster Interessen. Die hoch gehaltene Nüchternheit in der Politik, die jedem, der etwas verändern will, sofort die Grenzen aufzeigt (geht nicht, weil…), ist für mein Empfinden nicht einmal wirklich echt: Käme da ein „Messias“, wäre man vielleicht ja doch dabei….

Meine Eindrücke angesichts des Obama-Phänomens gebe ich hier nicht wieder, um etwas als richtig oder falsch, gut oder böse zu bewerten. Ich spüre im Moment nur der Janusköpfigkeit unserer herrschenden politischen Stimmung nach: die mal ressentiment-geladene, mal sachlich-nüchterne Kritik an jeglicher Begeisterung für irgend etwas, die verhindern will, dass man irgendwelchen Rattenfängern hinterher läuft; andrerseits die „gedeckelte Visionslosigkeit“, die damit untrennbar verbunden ist: wer sich für nichts mehr begeistern kann, wird auch nichts ändern, sondern sich nur noch in Abwehrkämpfen verschleißen. Oder sich einfach abwenden und politische Themen gähnend ignorieren, wie es ja viele schon lange tun.

Diskussion

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10 Kommentare zu „Das Obama-Phänomen: Yes-we-can trifft Geht-nicht-weil“.

  1. Du hast das auf den Punkt gebracht, worüber ich schon lange, als Frage, nachgedacht hatte: Warumm schreit keiner empört auf, wenn es ihn fast vom Hocker reisst, was so abgeht? Warum ist alles so dumpf geworden, die Stimmung dementsprechend, und so irgendwie trostlos?
    Spitzenkommentar von Dir. Mag ja etwas dran sein am Fädenziehen der Interressengruppen, aber ist es nicht eine Ausrede dafür, sich nicht selber einbringen und für etwas engagieren zu müssen – statt nur einfach gegen alles zu sein?
    Die gedeckelte Visionslosigkeit – das ist es, und die Begeisterungsarmut. Dadurch natürlich, wie Du es schreibst, der Verschleiss des Bisschen an Restenergie in Abwehrkämpfen. Das ist eigentlich alles, was man allgemein so vorfindet. Das ist hier wo ich lebe auch so, allerdings noch vermischt mit viel Frömmigkeit und Warten auf Armaggedon, und Resignation im Jammertal, das diese Welt doch ist.
    Danke für Deinen erfrischend gut überlegten Artikel. Er hat gut getan nach allen den wirren anderen Bekenntnissen und Kommentaren, die eher feindlich klangen.
     

  2. Die Frage ist nicht Obama? Die Frage ist Obama oder MacCain? Obama scheint eine tolle Frau an der Seite zu haben und das gibt berechtigte Hoffnung das er seine möglichen Defizite ausgleicht.  Sie war ja seine Chefin, einmal Chefin immer Chefin. Mit McCain  haben wir wieder einen Machtgeilen Militaristen auf dem Präsidentenstuhl. Ob das gut würde? Ich hoffe nur das in der heutigen Zeit Rassisten, kein Chance mehr haben.
    Liebe Grüsse zentao

  3. „dieses Volk hat sich mal so wahnsinnig begeistert, dass die Welt in einen Abgrund gerissen wurde, der ohne Beispiel ist.“

    Wieviel Prozent haben 33 den Schnauzbart gewählt?

    „Natürlich ist der Kandidat kein “Messias”, gerade diese Erwartung beschreibt ja eine untergründig schwelende Demokratie-Verdrossenheit: Kompromisse gelten als Verrat an den eigenen Überzeugungen, nicht etwa als Alltagsgeschäft im Verhandeln unterschiedlichster Interessen.“

    Demokratie-Verdrossenheit?
    Kompromisse gelten als Verrat?

    Wenn Lobbyisten Gesetze(!) schreiben, Politiker von Konzernen für getane Arbeit fürstlich belohnt werden, nebenbei etliche Nebenjobs bei eben solchen haben und nicht mehr in der Lage sind etwas anderes als die leeren Sprechblasen der INSM wiederzukäuen dann redet man von DEMOKRATIE-Verdrossenheit beim VOLK??

    Und nicht zu vergessen: wir haben offiziell eine representative Demokratie also nicht mal eine richtige und selbst das scheint die Herren Jung, Schäuble, Glos, Steinmeier, Steinbrück und wie sie alle heißen zu stören.

    Den Volk stören obengenannte Sockenpuppen, sprich: die Umsetzung und die die es zu verantworten haben.

    Aber der Buhmann ist wie immer die „dumme“ Masse über die man sich als Pseudointellektueller erhaben fühlt und meint sie durchschaut zu haben, ohne auch nur einen Hauch von Ahnung bis auf die angelesenen „Infos“, besser gesagt: Unterstellungen, der Massenmedien die wiederum einigen wenigen Großkonzernen gehören.
    Was du da oben behauptest konnte man die letzten Wochen von der WELT bis zum ehemaligen Narichtenmagazin SPIEGEL überall nachlesen.

    Und wenn Obama seinen potentiellen Wähler erzählt Sinn und Zweck seiner Reise war u.a. Geld zu sparen in dem man zukünftig mehr deutsche und weniger amerikanische Soldaten nach Afghanistan schickt, dann weiß man was seine „Charme“-Offensive bezweckt.

    Und es gibt noch einige ganz gravierende Punkte warum Obama äußerst zweifelhaft ist, dafür aber müsste man mal recherchieren, sich mal mit TATSACHEN auseinandersetzen statt hier heiße Luft abzulassen, sein politisches Unwissen nichts ahnend zu feiern und auf andere zu projezieren.

  4. Hey Paul,
    mir ging es hier gar nicht um die Themen, die du da aufzählst, sondern um das Phänomen „Begeisterung“ im Kontext des Obama-Besuchs. Dazu schreibe ich meine Eindrücke, wofür ich nicht extra recherchieren muss. (Dennoch habe ich genug mitbekommen, um daran zu zweifeln, dass irgendwelche Großmedien angeblich dasselbe schreiben wie ich hier in diesem sehr persönlichen Blog – sollte mich wundern!)
    Wenn du ein Politblog sucht, dass die vielfältigen Missstände hierzulande anprangert, empfehle ich die wunderbaren „Nachdenkseiten“ oder das herrlich polemische „Duckhome„, die ich selber gerne lese. Ich habe gar nicht vor, hier Obama zu diskutieren (der im übrigen ja deutlich sagte, was er will – und DENNOCH gibt es diese hierzulande unübliche Begeisterung!), sondern ich frage mich, woran es eigentlich liegt, dass es keine positiven Visionen mehr gibt, die eine ganz andere „Kraft zur Veränderung“ vermitteln könnten, als es bloße Abwehrkämpfe je vermögen. Ein Thema, das gewiss nicht in einem einzelnen Artikel abzuhandeln ist, das ich aber gerne weiter verfolge.

  5.  
    Du fragst dich, „woran es eigentlich liegt, dass es keine positiven Visionen mehr gibt, die eine ganz andere ‚Kraft zur Veränderung‘ vermitteln könnten, als es bloße Abwehrkämpfe je vermögen“ – dabei habe ich das Gefühl, daß gerade du auf deinen Blogs eine große Vielfalt an positiven Visionen anbietest, vor denen ich mit meiner Miesepetrigkeit nur den Hut ziehen kann (laufe schnell und setze mit einen auf dazu!). Zum Glück für mich kenne ich einige Leute, die solche Visionen haben. Und sehe eigentlich auch überall genug von solchen Menschen.
     
    Nur – das alles sind keine Visionen (mehr?), die sich verallgemeinern wollen. Es sind Visionen, die sich wie Wasser, das du in einem großen Schwall auf Sand gegossen hast, in viele kleine Rinnsale verzweigen. Scheinbar unverbunden. Vielleicht speisen sie sich aus wenigen Quellen, aber ihr Lauf hat ihnen je ein eigenes Bett gegraben. Diese Eindruck habe wohl nicht nur ich.
    Woran das liegt? Nun ja.
     
    Da gibt es das bombastische Argument (das deswegen ja nicht falsch sein muß) der großen Niederlagen zweier gesellschaftlicher Utopien im 20.Jahrhundert (Faschismus und Sozialismus), die das Feld für Utopien verwüstet hinterlassen haben. Ich mag das Argument nicht, aber ich empfinde einen bohrenden Verdacht, es träfe einige Aspekte sehr gut. Ihm jedoch wird gerade durch Herrn Obama und die Begeisterung über ihn (wie übrigens auch durch die Begeisterung über den Herrn Ratzinger als Papst auf dem Weltjugendtag der Katholiken) fröhlich ins Gesicht gelacht. Was mir wiederum gefällt.
     
    Dann das der Ungleichzeitigkeit. Das Tempo, mit dem sich der Weltmarkt etablierte in den letzten Jahren, hat seine Gegner hinter sich gelassen wie ein mit modernem Epo gedopter Rennfahrer seine Konkurrenten, die nur normal dopen, beim letzten Anstieg nach Alpe d’Huez. Irgendwie müssen die nun langsam aufholen, und Rauschmittel, Designerdrogen, fernöstliche Religionen und gesundes Leben sind scheinbar kein ausreichendes Doping. Ob’s der Islam schafft, bezweifele ich. Auch der ist viel zu sehr in sich zerfasert und sieht nur für Spiegel-Leser wie ein monolithischer Klotz aus.
     
    Endlich ein individueller Grund. Wenn ich mir Biographien aus der 2. Hälfte des vorigen Jahrhunderts anschaue oder anhöre, dann fällt mir immer wieder auf, wie sehr für diejenigen, die sich damals Utopien verschrieben, die Umsetzung dieser auch mit ihren persönlichen Erfolgserwartungen (Beruf, Karriere, Sex und Geld) verknüpfen ließen. Und letztlich sind ja einige dieser Leute durchaus dort angekommen, wo sie selbst den Erfolg zu Hause glauben. Anders aber, so meine ich, für die nachfolgenden Generationen. Persönlicher Erfolg ist – auch wenn das niemals gerne zugegeben wird – sehr deutlich an erfolgreiche Anpassung gekoppelt. Noch die Karikatur des Erfolges in der Gestalt der Stars und Superstars bestätigt, daß Erfolg hat, wer zum richtigen Zeitpunkt das Richtige mitmacht, d.h. wer so ist, wie er zu sein hat, wenn es darauf ankommt. Solch ein Denken, so verständlich und berechtigt es individuell auch ist, ist das Denken von Menschen, die hoffen, aufgrund ihres individuellen Wohlverhaltens zu denen zu gehören, die aus einem untergehenden Schiff gerettet werden – nicht das von Menschen, die das Schiff um jeden Preis nicht untergehen lassen wollen.
     
    Vielleicht zwei rein symbolische Beobachtungen am Ende:
     
    In älteren Filmen umarmen sich oft Menschen, wenn der Film einen Höhepunkt aufweist.
    In neueren Filmen knallen hoch erhobene Hände im Moment des Triumphes ineinander.
     
    Vor Jahren riefen Menschen auf der Straße beim Versuch, ihrer Wut über die Gegenwart und ihrem Verlangen nach Zukunft Ausdruck zu geben: wir sind das Volk.
    Heute rufen Menschen auf einem Werksgelände sauber choreographiert bei der Auslieferung des von ihnen hergestellten Flugzeuges: Wir sind Airbus.

  6. Der persönlich Nutzen, von mir aus auch Erfolg, ist ein mächtiger Antrieb der Visionäre. Brailles Sehnsucht nach Büchern etwa. Daher kommen die Kraft und der lange Atem. Vor allem aber die Legitimität des Anliegens. Weltverbesserern im Allgemeinen mangelt oft beides. „Wir brauchen Visionen“ ist Marketingsprache. „Auch ich will Karriere machen“ hingegen klingt zwar nach Anpassung, hat aber durchaus Sprengkraft, wenn Hochschulen Männern vorbehalten sind. Ein wichtiger Schritt ist vielleicht, solche persönlichen Ziele nicht allein für sich zu verfolgen, statt dem eigenen Ritterschlag das aktive Wahlrecht für alle zu erstreben. Manchmal ist auch das nicht nötig. So baute der Uhrmacher Stephan Farfler nur für sich einen Rollstuhl, den er selbst bewegen konnte, inspirierte damit aber viele; und nur weil sie müde war und es satt hatte, sich herumschubsen zu lassen, stand Rosa Parks einfach nicht auf, als sie ihren Platz im Bus einem Weißen räumen sollte. Das alles verstehe ich, auch Frau Woolfs Ruf nach dem eigenen Zimmer, obwohl sie selbst ja eins hatte. Die Leute aber, die erzählen, was sie Gutes tun würden, wenn sie nur ein Amt hätten, bleiben mir fremd. Ich erwarte das gar nicht. Mit Präsidenten bin ich schon zufrieden, wenn sie mich leben lassen.

  7. hi Claudia,

    entschuldige bitte die harsche Reaktion, nach dem Lesen weiterer Artikel hier hatte ich das schon bereut und wollte es eigentlich auch schreiben, na ja das Kurzzeitgedächtnis…

    Danke für die Blogempfehlung, da haben wir ja was gemeinsam ;)

    schönen Abend noch

  8. @Su:  du denkst genau in die Richtung, die ich auch im Auge habe – und deine Vergleiche und Beobachtungen find‘ ich wieder mal klasse!
    @Dirk: warum immer mehr die individuelle Lösung einer kollektiven Vorgezogen wird, ist genau der Kern des Problems – und weil die Individuen offenbar immer unterschiedlicher sind, wird es immer seltener, dass das Individuelle zum Allgemeinen wird. (->These)
    @Paul:  schon ok1 :-)

  9. Diese begeisterten Massen sind wirklich ermüdend. In den USA gehört euphorische Begeisterung vor jeder Wahl zum Standard – hernach folgt dann die sogenannte „Enttäuschung“ (also die fällige Ent-Täuschung). Etwas von manisch-depressiv hat dieser Rhythmus ja durchaus. Oder findets jemand begeisternd, was da stattfindet? Dann wäre mein Vorschlag: sofort als Cheerleader anmelden und schon mal das Hopsen trainieren. – Es gibt hierzulande aber auch „spirituelle“ Begeisterung: manche sind geradezu besessen von der „Zeitenwende in 2012“ und fangen wahlweise jetzt schon an zu feiern oder zu fürchten. – All diese Begeisterungen sind m.E. im Grunde Suchtphänomene. Denn erstens sehnt man sich dabei nach einer Art von Erlösung, zweitens genau hinschauen was los ist will dabei keiner, und drittens der darauffolgende Katzenjammer ist vorprogrammiert … Aber zum Auffangen des Frusts gibts ja dann wieder die Fußball-WM.

  10. Ich schließe jetzt diesen Thread, was ich in Zukunft öfter tun werde, um nicht Diskussionen „in die Ewigkeit ausufern“ zu lassen – habt nochmal Dank für Eure Beiträge!

    Die Ankündigung, die über jedem Kommentarfeld steht, setze ich übrigens tatsächlich um: ich LÖSCHE Kommentare, die zur einer ausschließlich kommerziellen Seite verlinken – solche SEO-motivierten Kommentare bringen also nichts!