Claudia am 05. März 2006 —

Wieder daheim

Wie schön, wieder eine deutsche Tastatur zu benutzen! Y und Z sitzen an der richtigen Stelle, deutsche Umlaute müssen nicht mehr mühsam umgeschrieben werden – das enthebt von der Überlegung, ob es der aufzuschreibende Satz wert ist, solche Anstrengungen zu machen. In drei Wochen Kambodscha brachte ich es auf genau einen Satz: ein kleiner Test, wie es so ist, aus solcher Ferne ins selbe Netz zu schreiben. Dann nichts mehr. Erleben kann so überwältigen, dass Schreibimpulse gar nicht mehr aufkommen – für mich eine seltene Erfahrung!

Angkor Wat

In einem Land, in dem schon derjenige sein Gesicht verliert, der offen Kritik an irgend etwas äußert, erscheint dieses Verhalten alleine schon als Ergebnis eines kulturellen Übergriffs, wenn auch ohne böse Absicht. Wir wollen ja nur helfen und das kann doch nicht ganz schlecht sein – oder ?

Ein Junge, der mir die 510 Stufen zum Tempel Oudong hinauf Luft zufächelte Ich weiß es nicht. Nicht mehr. Wenn ich mir zum Beispiel die Bettler ansehe, die sich nicht vornehmlich an die – noch spärlichen – Touristen wenden, fällt mir auf, dass sie keine Demutsgesten nötig haben. Es genügt, an den richtigen Stellen zu sitzen, meist nahe einem buddhistischen Heiligtum, einem Wat, in dem auch Mönche leben. Dort kommen die Gläubigen vorbei und verteilen kleine Scheine an die Bettler und in die durchsichtigen Geldsammelkisten der Mönche, bevor sie zum Buddha, zu den Ahnen, Göttern und Schutzgeistern beten. Mit ihren Gaben verbessern sie ganz eigennützig ihr persönliches Karma – und offenbar wissen sie, wie sehr sie das nötig haben! Inmitten einer Welt für uns schier unvorstellbarer Armut sehe ich mit Scheinen gespickte Buddha-Statuen und gut gefüllte offene Spendenboxen ohne jede Bewachung. Ich staune. Ein Lehrer verdient in Kambodscha weniger als dreißig Dollar im Monat – und gehört damit zum gehobenen Mittelstand. Nur mal so zum Vergleich.

Aber selbst die mittellose Bettlerin verzichtet lieber auf ein Abendessen als auf die persönliche Spende an irgend einem der vielen Altare. Geben macht reich und glücklich, wenn nicht in diesem, dann im nächsten Leben. Und tatsächlich erfüllen die so bespendeten Mönche in ihren von überall fußläufig zu erreichenden Wats vielerlei soziale Funktionen – man darf dort z.B. ungestört im Schatten herum liegen, wann man krank und allein ist. Studenten finden eine Bleibe, die sich keine eigene leisten können, Alte sitzen in sich gekehrt herum und warten auf den Tod, viele kleine Händler und Dienstleister bieten ihre Früchte, Getränke und Opfergaben an und erwirtschaften sich so ein minimales Einkommen.

In all der extremen Armut, die ich in diesen drei Wochen sah, erschienen mir die Menschen meist ausnehmend fröhlich und guter Dinge. Das Lächeln der Khmer rührt den coolen Europäer seltsam an: man vermisst irgendwie das in die Gesichtszüge eingemeißelte Hadern mit dem Schicksal, den verurteilenden Blick auf die Missstände – obwohl es daran in Kambodscha wahrlich nicht mangelt.

Wäscherin am Fluss Jetzt bin ich zurück in der Heimat, die auf einmal so seltsam abgefahren wirkt. Die Flughäfen so still und sauber, statt der vielen aufräumenden Hände einfach keine Mülleimer, alles scheint ordentlich und präzise zu funktionieren, doch das täuscht: Unser Gepäck hat es bis München geschafft, nicht aber bis Berlin. Unsere Platznummern waren beim Einstieg schon besetzt, es herrschte ein Chaos, das den Piloten sprachlos machte, wie er über Lautsprecher ansagte (es war Freitag abend und der Schnee in München noch kein Problem). Herr Schily, der ebenfalls mitflog, trug das seine dazu bei, indem er an ganz bestimmter Stelle sitzen wollte, was etliche Umplatzierungen erforderte – so jedenfalls hörte ich es eine der verzweifelten Damen am Boarding-Desk mit erhobener Stimme ins Telefon sagen. Niemand lächelte. Nicht mal der so gut bediente Schily.

Kulturschock Kambodscha heißt ein spannendes Buch, das bei meinem Gastgeber herum lag. Und ja, ich bin geschockt – aber eigentlich nicht von all dem Fremden, das mir begegnete, sondern vom Eigenen, dessen spezifische Kaputtheit und Verrücktheit aus der Ferne auf einmal so deutlich sichtbar wird. Ich kann es nicht anders sagen: unser Leben hier erscheint mir in weiten Teilen vergleichsweise würdelos: eine Kultur des Jammerns und Schimpfens, immense Anspruchshaltungen ohne Blick über den Tellerrand – der Verdi-Streik wegen 18 unbezahlter Mehrminuten pro Tag wirkt von Phnom Penh aus geradezu peinlich! Mehr noch manche Fernsehsendung, durch die ich nach der Rückkehr zappte: wie man sich etwa mit professioneller Hilfe von allzu viel zusammen geshoppten Klamotten wieder befreien kann. Oder wie Extremtouristen 35000 Dollar bezahlen, um mal eben runter zur Titanic zu tauchen. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Ich bin jetzt fast froh, mich am letzten Tag noch erkältet zu haben: zuwenig Schlaf in den letzten Nächten, die Verdunstungskälte auf der Haut nach dem Duschen – wer glaubt schon, dass da bei tropischen Temperaturen sowas passieren kann! (Immerhin gab es am deutschen Flughafen dann endlich Papiertaschentücher und Medikamente, wonach ich in Bangkok vergeblich suchte – die kalte Welt hat durchaus ihre Vorteile). Dass ich erst mal flach liege und nichts weiter tun muss, tun kann, tun sollte, gibt mir die äußerst notwendige Muße, all die vielen Eindrücke halbwegs in Ruhe zu verarbeiten. Es ist wie Kupplung treten zwischen zwei Gängen – wenn das nicht klappt, kreischt das Getriebe auf!

Deshalb ein andermal mehr.

Fahrrad-Rikschafahrer warten auf Kunden

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Ein Kommentar zu „Wieder daheim“.

  1. […] Nur noch wenige Tage, dann steige ich in den Flieger und betrete eine komplett andere Ebene des Daseins – zumindest kommt es mir gerade so vor, obwohl die Erinnerung an die letzte Reise nach Kambodscha natürlich da ist. Ich weiß recht genau, was mich am Ziel erwartet, realistisch betrachtet gibt es keinen Grund für irgendwelche Ängste. Und doch… […]