Claudia am 23. Januar 2002 —

Die Niedermacher

Eigentlich hätte das „Philosophische Quartett“ gar nicht mehr gesendet werden müssen. Man konnte nämlich darauf wetten (und gewinnen!), dass allein schon das Ereignis „Sloterdijk im TV – in einer Autofabrik!“ eine Verriss-Welle nach sich ziehen werde, deren jeweilige Textgestalt kaum noch der Auffüllung mit Fakten und Anmutungen aus der Sendung am späten Sonntagabend bedurft hätte.

Und so ist es auch gekommen. Häme und Kritik ober- und unterhalb der Gürtellinie füllt die Feuilletons und vermittelt dem Leser die immer gleichen Erregungszustände: Schadenfreude und die Genugtuung, sogenannten „Erfolgreichen“ ans Bein zu pinkeln. Es darf einfach nicht wahr sein, dass denkende Menschen im Fernsehen Furore machen, indem sie weder die gern gesehenen Gladiatorenkämpfe vollführen, noch ihre Bildung an der Studiotür abgeben. Eine solche Veranstaltung MUSS einfach ein Flop sein, alles andere wäre geradezu gefährlich für das Selbstwertgefühl derer, die uns im Namen der Quote oder mangels besseren Vermögens täglich mit Unterhaltendem und Katastrophischem versorgen.

Sicher, ich hätte mir auch ein noch weit besseres Gespräch vorstellen können: Ein weniger umfassendes Thema, das besser in eine kurze Stunde passt und damit den Rednern mehr Raum lässt, ihre Sicht der Dinge zu vertiefen und zu konturieren. Üblicherweise braucht eine neuartige (nicht bloß neue!) Sendereihe ein paar Anläufe, um ihre Bestform zu finden. Diese Zeit wird in unseren beschleunigungssüchtigen Zeitläuften selbstredend nicht gewährt – aber was wäre auch „Bestform“ in einem Umfeld, das als Gegenstand der Betrachtung die „nachdenklich wippende Brille“ Sloterdijks und den „nachdenklich ruhenden Bauch“ Safranskis ins Feld führt? (Berliner Zeitung). Der Tagesspiegel mag sich erst gar nicht mit den „eher verhaltenen Temperamenten, deren Aura nur schwach glimmt“ befreunden. Ein Talk ohne Zoff ist halt dröge, es braucht Polarisierer, das Publikum will Emotionen statt Gedanken – oder wie meinen?

Ich verzichte auf weiteres Zitate-Picking. Meine übliche Linie, allem bloß Destruktiven nicht auch noch Energie durch Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, hab‘ ich dieses Mal sowieso schon viel zu weit verlassen. Aus einer ähnlichen Stimmung heraus gebucht, „parkt“ bei meinem Provider noch immer die Domain medienverdrossen.de, aus eben diesem Grund niemals in Betrieb genommen. Ich wünsche mir vieles anders, als es ist – doch mit diesem Impuls würde ich leer laufen, wollte ich nur auf dem Herumhacken, was nun mal ist, wie es ist.

An Peter Sloterdijks Philosophie und der Art, wie er sich unverdrossen ins Gespräch (und Gezeter) bringt, affiziert mich das für deutsche „Philosophie-Angestellte“ gänzlich fremde Engagement. Es ist ein leises Engagement, das sich erst aus längerer Lektüre seiner Bücher, Reden und Aufsätze erschließt. Skandalisierungen in den Medien regen vielleicht den einen oder anderen an, die ungewohnte Lesearbeit auf sich zu nehmen – und solch‘ mutigen Abweichlern vom 20-Zeilen-Mainstream kommt Sloterdijk mit staunenswerter sprachlicher Kreativität und originellem Selber-Denken entgegen. Ein Denken, das die „Sterilität des Verlangens nach kritischer Überhebung über Personen und Sachverhalte“ für sich erkannt hat und zumindest immer einen deutlichen Mehrwert (!) bietet.

Denn wozu brauchen wir Philosophen? Noch gar solche, die mit öffentlichen Geldern gut versorgt werden, um ihre ganze Zeit und Geisteskraft dem Denken übers Große und Ganze widmen zu können? Ich will keinesfalls gegen diese Alimentierung polemisieren, sondern wünsche mir nur, dass als Gegenleistung für den öffentlichen Auftrag auch eine Lieferung erfolgt – und nicht nur ein bloßes Tradieren, Diskutieren und Kritisieren altbekannter Konzepte und Denkweisen, die für sich interessant sein mögen, uns aber leider angesichts heute drängender Fragen so gar nicht weiter helfen.

Sloterdijk jedenfalls liefert – und das ist fürs deutsche Philosophiewesen so ungewöhnlich wie eine Talk-Runde ohne garantierte Erregungskurve á la Circus-Maximus.