Claudia am 17. Mai 2001 —

Vertrauen zum Arzt?

Wie entsteht Vertrauen? Doch ganz gewiß nicht, indem man es einfach einfordert! Die meisten Schulmediziner wissen heute, dass ihnen viele Patienten nicht mehr über den Weg trauen und bemühen sich deshalb um Transparenz. Alles wird genau erklärt, die möglichen Diagnose- und Therapieverfahren vorgestellt und besprochen – zumindest hab‘ ich das so erlebt, schon vor vielen Jahren, damals, als ich noch öfter zum Arzt gegangen bin.

Hier auf dem Land bin ich mit meinen nun schon viele Wochen andauernden Beschwerden einfach ins nächste Dorf gegangen, wo eine anthroposophische Ärztin praktiziert. Wenn nötig, so dachte ich mir, wird sie schulmedizinische Behandlungen anwenden, und ansonsten ihre bevorzugten Alternativen vorstellen.

So ein Arztbesuch ist immer auch eine Selbsterfahrung, wie man sie nicht alle Tage erlebt. Dass meine Neigung zur Alternativmedizin eine recht intellektuelle Angelegenheit ist, weiß ich schon länger: Wenn’s ans eigene Leben geht (übertrieben ausgedrückt!), dann will ich erstmal Fakten, Fakten, Fakten, also eine klare Diagnose. Und dann eine Reihe begründeter Therapievorschläge, klassische und alternative, jeweils mit Risiken und Chancen vorgetragen. Anspruchsvoll, ich weiß, aber ich kann nicht zurück und „einfach glauben“, dem Arzt vertrauen, dass er weiß…. Denn ich weiß, dass sie oft nichts wissen, daß sie manchmal das Falsche denken und – genau wie in anderen Berufen auch – gelegentlich im Trüben fischen und halt herumprobieren. Kann ich verstehen, doch wenn ich selbst das Aktionsfeld bin, werde ich übervorsichtig, ja ängstlich.

Erst recht, wenn mir jemand gleich eine Behandlung anbietet, bevor auch nur der Schimmer einer Diagnose da ist. Eigenbluttherapie! Man entnimmt Venenblut und spritzt es wieder in die Muskeln. Wird seit 100 Jahren erfolgreich angewendet, sagt die Ärztin. (Und von der Kasse nicht bezahlt, konnte ich im Wartezimmer an der Wand lesen). Ich hasse es auf jeden Fall, gestochen zu werden und nehme das bei einer Blutuntersuchung nur zähneknirschend in Kauf, weil es mir sinnvoll vorkommt, nach Viren und Entzündungen zu forschen. Aber das? Einfach so, ohne zu wissen, was los ist? Ohne daß ich weiß, was das wie bewirken soll?

Heute, nach einem wenig ergiebigen Bluttest, hab‘ ich den wiederholten Vorschlag („Ich möchte jetzt wirklich die Eigenbluttherapie mit Ihnen machen“) glatt abgelehnt. Mit dem Hinweis auf meine leichte Spritzenphobie und mit der Bemerkung, ich würde mich gern erstmal über das Verfahren ausführlich informieren.

Naja, vermutlich ist so ein für mich ganz selbstverständliches Verhalten für ihre Patienten nicht typisch. Und immerhin versuchte sie, nicht allzu bleidigt zu wirken, sondern ließ mich nur wissen, daß sie sich wünsche, Ihre Patienten würden ihr vertrauen. Es war mir nicht besonders wohl dabei, an ihrer Enttäuschung schuld zu sein, doch konnte und wollte ich nicht „ihr zuliebe“ anders handeln. Schließlich ist es mein Körper, meine Krankheit, meine Angst. Ich sagte klar und deutlich, daß es für mich nicht in Frage kommt, eine solche Sache mit mir machen zu lassen und auch noch „extra“ dafür zu bezahlen, ohne mehr darüber zu wissen. (Dass ich das im Internet recht schnell recherchieren kann, hatte ich schon erwähnt. Ist nicht so gut angekommen..).

Ob ich denn überhaupt bereit sei, irgendwelche Mittel zu nehmen, z.B. homöopathische? Klar, ich war froh, hier endlich mal JA sagen zu können! Erstens hatte ich damit schon mal eine heilende Wirkung erlebt, und zweitens sind die „Globuli“ schulmedizinisch gesehen sowieso wirkungslos, was die wissenschaftsgläubige Seite in mir beruhigt. Die Theorie, wie die bis zum „Nichts-mehr-drin“ potenzierten Mittel wirken sollen, ist mir außerdem geläufig, wenn auch wissenschaftlich nicht bestätigt (Die Pharma-Industrie hätte hier viel zu verlieren, das bedenke ich gleich mit). Über Homöopathie konnte ich schon oft nachlesen, ich kenne Geheilte und sogar einen praktizierenden Homöopathen, der mir vertrauenswürdig vorkommt.

Ihn lernte ich vor Jahren als Auftraggeber einer Website kennen und wir sind in gute Mail-Gespräche geraten, Dialoge über Gott und die Welt, aber nie über Krankheiten. Trotzdem, oder gerade deswegen, kann ich ihm jetzt vertrauen, womöglich auch „als Arzt“. Doch wäre er auch nie im Leben beleidigt, wenn ich über eine Sache mehr wissen wollte! Im Gegenteil, er würde mir gescannte Artikel schicken, mich auf Bücher und URLS hinweisen und mir vermutlich auch herrschende und Mindermeinungen mit ihren jeweiligen Begründungen vortragen, wenn das noch nicht reicht. (Wie er das bei seinen Patienten hält, muß ich ihn direkt mal fragen..;-)

Vertrauen entsteht, wenn man sich dem Anderen zeigen kann und er das, was er zu sehen bekommt, erstmal so akzeptiert. Ohne Murren und Beleidigtsein, ohne Bezug aufs eigene Ego. Gefühle hab‘ ich selber genug, wenn ich mich krank fühle! Mit einem Arzt will ich mich beraten, will die Lage sichten und die Möglichkeiten besprechen, bei freier Wahl der informatorischen Basis, bzw. im Austausch über die Quellen. Die Intensität dieses Forschens und Besprechens bemesse ich danach, wie gefährdet ich mich fühle und als wie offen und zur Transparenz bereit ich den Arzt erlebe. Weiter muß ich das Gefühl haben, daß mein eigenes Erleben als Quelle erster Ordnung gilt und nicht nur das, was Tests oder spontane Einfälle gerade ergeben.

Wenn ich z.B. wochenlang morgens und abends leichtes Fieber habe, das ich nur für den Besuch beim Arzt mal mit einem Thermometer messe, sollte der mir das glauben – und nicht auf eine andere Meßweise umrechnen und sagen, die Werte seien normal. Oder mir eine Tabelle über eine Woche als Hausaufgabe mitgeben. Wenn ich mit 47 nämlich noch immer nicht spüren könnte, wann ich Fieber habe, wäre ich vermutlich schon früh gestorben und hätte das nicht mal bemerkt!!!

Alternative Ärzte, das hab‘ ich schon verschiedentlich erlebt, widmen durchaus dem einzelnen Patienten viel Zeit. Das ist der größte Unterschied zum Schulmediziner, sozusagen der Ausweis der „anderen Medizin“. Was hilft es aber, wenn sie dabei nicht fragen, ob ich z.B. trinke oder rauche, sich für die Lebensumstände nicht weiter interessieren, wenn Gewicht und Ernährung kein Thema sind, sondern der Arzt eher selber viel redet, von diesem und jenem und vor allem von sich?

Genug davon. Eigentlich hatte ich nicht vor, jemals im Diary eigene Krankheiten zu erwähnen. Mit Grausen erinnere ich mich an einen Studenten-Job in der Zentralkarte beim Bundeskriminalamt, damals in Zeiten der Papierakten und riesigen Karteimaschinen. Ausser mir waren da noch 50 alte Männer, die keine anderen Themen kannten als ihre Kranheiten. Morgens ging es los mit der Farbe des Urins, über den Tag folgten anstehene Operationen und Kuren, die jeweiligen Medikamentierungen und dann die der Bekannten und Verwandten zum Vergleich, natürlich Vor- und Nachteile verschiedener Fachärzte, und so weiter. Nur mittags kurz unterbrochen von freiwilligem Aktenstudium, wenn nämlich die gelben Formulare mit den Sexualdelikten herumgereicht wurden (damit wir anhand der Täternamen die Aktennummer heraussuchen).

So wollte ich nie werden! Doch jetzt stelle ich fest, daß ich auch bei Krankheit nicht gern schweige. Das Webdiary benutze ich, um Klarheit und Distanz zu gewinnen, mich ein bißchen von außen zu sehen. Auch manchmal, um zu schimpfen, um über die Dinge zu lachen, um meine eigene Beschränktheit wahrzunehmen und die der Anderen zu verstehen. Damit ausgerechnet dann aufzuhören, wenn’s ernst wird, und mich in meine Höhle zu verziehen, bis das Wetter wieder besser ist, ist definitiv nicht mein Weg. Andere Themen, andere Seiten, andere Autoren sind ja zum Glück immer nur einen Mausklick entfernt ;-)