Claudia am 13. Dezember 1999 —

Bedürfnisse und Pyramiden

Als ich am letzten Mittwoch so furchtbar gelangweilt von allem Tun & Lassen meinen Frust in dieses Diary ausgoß, schrieb mir Christiane:

„Was uns antreibt, uns motiviert, sind in letzter Konsequenz unsere unbefriedigten Bedürfnisse, wenn wir es auch oft eher mit anderen Worten umschreiben. Nach dem amerikanischen Psychologen Abraham Maslow sind diese unser Antrieb und Motor, und indem wir uns auf der „Bedürfnispyramide“ nach oben leben oder ausleben (ohne eine Stufe auslassen zu können, das klappt nicht), entwickeln wir uns. Irgendwann ist etwas „abgegessen“, im tiefsten Innern ausgelebt und dann folgt etwas Neues.“

Ja, ich kenne Maslow und seine Pyramide! Ich war mehr als begeistert, als ich vor ca. 20 Jahren sein Buch las. Genauso begeistert wie daneben und danach von vielen vielen anderen Autoren, Psychologen, Philosophen und spirituellen Lehrern, von denen ich glaubte, sie könnten mir die Welt und mich selbst erklären. Fasziniert verschlang ich ein Buch nach dem anderen, immer mit dem Gefühl: DAS IST ES! Es genügt, das zu wissen, und dann wird alles anders….

Weit gefehlt, wer Bescheid weiß, wie Regen funktioniert, kann noch lange keine Trockenheit schaffen. Nichts änderte sich, allenfalls gab ich anderen gegenüber mein Wissen zum Besten, immer dann, wenn ich sie ein bißchen manipulieren wollte (auch „helfen“ genannt). Und schon bald kaufte ich das nächste „Weisheitsbuch“….

Eigentlich ist das völlig klar. Maslow und seine Bedürfnispyramide ist ein gutes Beispiel. Ich halte für wahr, was er schreibt – aber es steht mir deshalb nicht zur Verfügung. Ich kann nicht selbst bestimmen, welche Bedürfnisse ich nun programmgemäß zu entwickeln habe! Zwischen 15 und 25 standen z.B. Männer, Beziehungen und Sex an erster Stelle – nicht nur im Denken, sondern im „Real Life“. Für Politik und öffentliches Engagement interessierte ich mich nicht die Bohne. Total gelangweilt studierte ich Jura, weil mir nichts besseres eingefallen war. 1980 schmiß ich fröhlich alles hin, als mein damaliger Freund einen Weg suchte, die Bundeswehr zu vermeiden, und wir zogen nach Berlin, auf zu neuen Ufern! In unseren Beziehungskonflikten waren wir lange schon ohne Hoffnung auf Auswege, mal ein großer Wechsel im Äußeren wirkte faszinierend.

Und das war er auch, nur anders, als ich gedacht hatte. Ich geriet schnell an einen neuen Mann und mit ihm in die Hausbesetzerbewegung, mitten in heftigste Berliner Stadtpolitik. Auf einmal lernte ich die Welt ganz neu kennen: ich kommunizierte die Mieter- und Besetzerinteressen, schrieb Flugblätter und Bewegungszeitungen, trat Vereinen, Mieterläden und der alternativen Partei bei und studierte nebenbei Kommunikation. Da mir das Steine-werfen nicht so lag (Angst!), wandte ich meine juristischen Kenntnisse an, um manches Haus zu verteidigen – ich ging völlig auf in alledem und wurde von der fröhlichen Revoluzzerin im Lauf weniger Jahre zur nervigen Funktionärin, die im Stadtteil Machtpolitik betrieb. Immer in der Meinung, GUTES für die Welt zu tun, immer im Dienst, Privatleben nicht vorhanden.

Auch das fand ein Ende. Mit Mitte 30 war ich am Tiefpunkt angekommen, hatte sämtliche Ideale und Motivationen verloren, konnte nicht mehr übersehen, daß ich in einem Laufrad strampelte, das mich einfach nur fertig machte: Bekannt sein, Einfluß haben, sozialer Status mittels Leistung und Ämtern – ich „selber“ war garnicht mehr vorhanden und das rächte sich gewaltig. Ich zog mich aus der Politik zurück und meinte, eine Zeitung zu machen sei weniger stressig. Als letztes wollte ich nur noch nette Menschen in einer Kiezkneipe bewirten, die mir mehr oder weniger zugefallen war – doch nichts auf dieser „öffentlichen Schiene“ war noch irgendwie „besser“, im Gegenteil. Ich mußte ganz aufhören mit alledem. Es war hart, bis ich es akzeptierte, doch dann war es die Befreiung von einer unendlich großen Last. Nicht mehr glauben, „die Welt auf den Schultern zu tragen“ – welch eine Freude!

Im letzten Jahrzehnt machte ich nur noch, was mir „von selbst“ entgegenkam – von innen als Impuls, von außen als Gelegenheit. Der wesentliche Unterschied zu vorher ist die Abwesenheit von Planung und Grübeln, dieses ganze Berechnen von Nutzen und Kosten, das Rechten über GUT oder SCHLECHT…. Und auf einmal war alles leicht und besser und erfolgreicher als jemals zuvor. Der „Kick“ in dieser Lebensweise ist die Freude, etwas einfach tun zu können, nicht links nicht rechts schauend, was andere dazu meinen mögen. Man muß nicht rechfertigen, was „von selber“ kommt, es ist ein Gefühl des „fließens“ und nicht mehr das alte „sich-einen-Tunnel-freihacken“.

Was jetzt ist, was sich vielleicht gerade ändert, kann ich nicht sagen, dazu fehlt mir die Distanz. Ich merke nur, daß sich nichts mehr „von selber“ als Hauptimpuls anbietet – eher eine Landschaft von Möglichkeiten, in denen ich aus meiner Sicht überall mitgehen kann. Warum aber hier und nicht dort? Warum dies und nicht jenes? Ein Rückfall ins Grübeln ist nicht drin, ich weiß einfach, daß ich es nicht ERDENKEN kann.

Schon garnicht kann ich „neue Bedürfnisse“ entwickeln. Im Gegenteil, eher habe ich Angst, daß sich wirklich etwas verändert. Denn immer waren diese Paradigmenwechsel mit Zerstörung dessen, was ist, verbunden. Und hier bin ich keineswegs gelassen (früher sagte man „demütig“), sondern hänge am Bestand, an der Sicherheit des Bekannten, an dem, was ich „erreicht habe“.

Genug Autobio für heute! Die Hühner auf der Gadebuscher Geflügelschau gestern waren wirklich super. Kein langweiliges dreckig-gelbes Federvieh, sondern wunderschöne Vögel in wahnsinnigen Farben und Formen! Ich freu mich auf „unsere Hühner“!

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