Claudia am 08. Dezember 1999 —

Im grünen Bereich: zu Tode gelangweilt!

Ein Freund und Kollege sagt manchmal, wenn wir einen Auftrag besprechen, es sei „alles im grünen Bereich“. Also kein Stress, keine Probleme mit dem Kunden, keine schwierigen Fragen, eben alles paletti.
So geht es mir, bezogen auf das Leben insgesamt, nun schon länger: alles im grünen Bereich – und ich langweile mich zu Tode! Man merkt es daran, daß ich hier oft über das Wetter schreibe und mir nicht viel einfällt, was ich zur Welt sagen könnte. Es erscheint mir alles so ausgelutscht und abgehalftert, so allzu bekannt und immer wieder dasselbe, eine automatenhafte Welt mit automatenhaften Menschen.

Nicht, daß ich etwa irgendwie „geläutert“ wäre oder über den Dingen stünde, keineswegs! Ich bin mir selber ungemein langweilig in den immer wiederkehrenden Impulsen und mag ihnen nicht mehr folgen. Sogar das verläßlichste Moment am Mensch-Sein, das Streben nach Anerkennung und „bemerkt-werden“, ringt mir ein Gähnen ab, denn ich weiß, wie simpel das funktioniert. Man braucht ja bloss ein bißchen Leistung bringen, ein wenig Unterhaltung und Originalität bieten und schon rieselt die Anerkennung von der Decke.

Es ist, als hätte ich in einem Spiel alle Möglichkeiten mehrfach durchprobiert, dabei viel gelernt, sogar gelernt, zu gewinnen und – etwas schwieriger – zu verlieren. Und jetzt? Während des Spiels sieht es jeweils so aus, als wäre das Gewinnen etwas Wunderbares, als würden sich dann die Tore zu irgendwelchen Paradiesen öffnen. Ein Reiz, ein Versprechen, ein Geheimnis lockt – und deshalb strengt man sich an, ist man immer wieder bereit, die Mühsahl und die Gefahren des Spiels auf sich zu nehmen. Doch irgendwann wird das ganze Spiel transparent: tue ich dies, dann geschieht das…. da ist gar kein Geheimnis!

An diesem Punkt war ich schon öfter. Zum Glück hab‘ ich gelernt, mich deshalb nicht selbst zu zerstören, theatralisch zu werden oder die „existenziell Verzweifelte“ zu geben. Das ist nämlich auch nur eine Pose, zumal eine für mich und meine Mitmenschen besonders ätzende.

Ich bleibe dann also „cool“, lasse die Tage ins Land gehen, das Wetter ändert sich und in der Regel kommt bald irgend etwas, was wieder den Anschein (die Illusion!) eines kleinen Geheimnisses mitbringt, etwas, das es lohnend aussehen läßt, wieder etwas Energie zu investieren. Oder – und das ist die schlechtere Lösung – irgendwelche wichtigen Parameter der aktuellen Lebenssituation rutschen aus dem „grünen Bereich“, werden zum Problem: schon bin ich wieder beschäftigt und strample im Laufrad, um den Status Quo wieder zu erreichen, in dem ich eben noch so unendlich gelangweilt war…

Ein wirklich blödes Spiel! Ist es das einzige? Spirituelle Lehren versprechen seit jeher: es gibt etwas Anderes, ein „Jenseits“ des Spiels. Das Spiel heißt „die Welt“ und du kannst daraus erwachen. Doch das „Erwachen“, wie ich es kenne und hier beschreibe, erscheint mir als etwas Schreckliches: Wegfall aller Wünsche und Träume, Leerlaufen der Triebstruktur, Verlust der Motivationen, Unfähigkeit zu VOR-STELLUNGEN – und die stete Frage: Was nun? Was tun? Warum überhaupt etwas tun?

Holz hacken, Wasser holen. Mein verehrter Yoga-Lehrer gab den berühmten ZEN-Spruch zum Besten, wenn ich während der 8 Jahre bei ihm manchmal von solchen Irritationen berichtete. Und ich dachte mir verärgert: „Du hast gut reden, wir haben doch alle genug Holz und Wasser! Hätten wir keins, hätten wir genug zu tun!“ Das ist die agressive Stimmung, die auftritt, wenn das Spiel allzu durchsichtig geworden ist und man ernsthaft bemerkt, daß die einfache Kick-Suche zu Ende geht.

Schlicht machen, was anliegt. Das ist wirklich 1000 mal besser, als sich zu besaufen oder einen Streit vom Zaun zu brechen, sogar besser, als „literarisch“ zu werden. Deshalb hör‘ ich jetzt auch auf und werde – endlich mal!!! – die Steuer ’98 machen. Da lockt zwar kein großes Geheimnis, sondern nur eine unübersichtliche Zettelwirtschaft. Doch ich wette, hinterher sieht die Welt wieder anders aus.

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