Claudia am 02. Oktober 1999 —

Arbeit bis zum Umfallen

Wie ein Tunnel, der bei zunehmender Länge immer enger wird, verdichtet sich meine aktuelle Arbeit zur Abgabe hin. Von morgens bis in die Nacht produziere ich Webseite um Webseite – noch nie zuvor musste ich derartige „Massen“ von Material verwebben, noch dazu schnell und sehr konzentriert. Normalerweise verlaufen meine Aufträge etwas gemütlicher, doch dies ist eine Uni-Website und das Semester beginnt nun mal zu einem festen Termin.

Je stärker ich mich selber antreibe und diszipliniere, desto größer werden auch die Bedürfnisse, ganz anderes zu tun. Einfach nur den Tag verbummeln, lesen, surfen, spazieren gehen, endlos einem Thema verfallen oder Mail-Dialoge zu schreiberischen Highlights vertiefen, endlich wieder an eigenen Projekten planen und basteln, recherchieren und gestalten. All das fehlt mir mehr und mehr. Ausbruchsversuche, trotz des Termindrucks DAS GANZ ANDERE zu tun, entfalten ungeahnte Verführungskräfte. Ich muß mich wirklich zusammenreißen, eine Disziplin, die ich noch nie sehr geschätzt habe.

Wäre es nicht nur eine kurze Phase, hätte ich den Auftrag nicht angenommen. Die Zeit, als Geld und Anerkennung, das „Sich-und-anderen-etwas-beweisen-wollen“ mich an die Grenzen treiben konnten, sind zum Glück lange vergangen. Ich erinnere mich, wie ich früher z.B. monatelang ohne jede Rücksicht auf Gesundheit, Ausgeschlafenheit, auf eintretende Verspannungen und andere Begleit-Leiden mit einer Gruppe gleich Verrückter an einem Projekt arbeitete, tatsächlich „besessen“ war vom MÖGLICHEN Erfolg. einem Erfolg, der dann darin bestand, dass ein Stadtrat das „große Werk“ entgegennahm und sagte: Schön! Auch wieder so ein Wälzer für die Schublade…!“

Die wildesten Erfahrungen in dieser Hinsicht waren noch nicht einmal die Arbeiten, die auch gut Geld brachten – nein, es waren solche, die besonders SINNVOLL und WELTVERBESSERND erschienen. Alles Illusion! Man hat die Welt nicht besser gemacht, sondern ist selber ‚auf dem Zahnfleisch gegangen‘, ist zu einem distanzlosen Bündel Nerven heruntergekommen, verbunden mit der Verblendung, das sei die wahre „Einheit von Leben und Arbeiten“.

Heute weiß ich es besser – stressiges Engagement gibt es nur noch sehr kurzfristig, und nur gegen entsprechendes Schmerzensgeld. Meine eigenen Sachen brauchen gar kein solches Krummlegen mehr, im Gegenteil, sie leben geradezu von der Muße, vom Verweilen im Moment, vom Ins-Sich-Hineinhören und warten können, was da kommt.

So eine Stressphase wie jetzt hat immerhin das Gute, meine Eigenzeit zu finanzieren – und es ist auch wirklich unübertrefflich schön, wenn der Schmerz nachläßt…. Ohne Spannung ist halt auch keine Entspannung.

Surftip: Monitor im Bett. Die seltsamen Blüten der Netzkunst. – Ein literaturbegeistertes Grüppchen schreibt abseits des großen Verlagszirkus im World Wide Web: Netzkunst im Untergrund.

Zu dem Artikel hat es in der Liste Netzliteratur eine spannende Kontroverse gegeben: ob wir denn wirklich so VERRÜCKT sind, wie der Spiegel es darstellt – oder doch „ganz normale Leute“? Ich kann das nicht sagen, denn ich finde die Welt heute in fast allen Aspekten so verrückt, daß man da sowieso nicht mithalten kann…

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