Claudia am 08. September 1999 —

Wer einmal eine Maus geklickt….

Was für ein schrecklicher Tag! Dabei hatte er sehr gut angefangen: warme, leicht diesige Luft, so, als wäre noch ganz ungebrochen Sommer. Der Körper entspannt ganz von alleine und ich dachte: nutze die Stunde und kauf‘ was ein!

Ich hatte es wochenlang vor mir hergeschoben: eine Arbeitsplatte soll in die Küche neben die Spüle. Eigentlich ganz einfach – schon mein erster Gedanke dazu war: Platte kaufen, Winkel drunter, an die Wand dübeln, fertig.

Auf der Fahrt zum OBI-Heimwerkermarkt wollte ich noch Geld abheben: Kleine Läden haben hier in den Dörfern diesen Dienst übernommen und wirken als Filialen von Post und Postbank. Ich stoppe also auf halbem Weg nach Schwerin, will, wie immer, mit einem Auszahlungsschein abheben (die Geheimnummer konnte ich mir noch nie merken…), doch leider: der Ladeninhaber herrscht mich an, ohne Nummer gehe es nicht. Schließlich wolle der Computer eine PIN-Nummer und er sei nur der, der den Computer bedient. Außerdem habe er sein Leben lang IMMER mit Geheimnummer Geld holen müssen….

Also weiter nach Schwerin. Schwerin ist für unkundige Autofahrer der Horror. Endlos fährt man vielspurige Straßen im Kreis, das Zentrum ist weitgehend autofrei – und genau da liegt die einzig findbare Post. Ich erspare die Schilderung meiner Leiden, die zunehmende Wut, die Schweißausbrüche, die Wortwechsel mit Parkplatz-Aufpassern…. sage und schreibe zwei Stunden nach meinem Aufbruch bin ich endlich mit ausreichend Bargeld bei OBI. Der direkte Weg hätte 15 Minuten gedauert.

Und dann diese Heimwerker-Kathedrale! Alles schreit aus allen Ecken: Das könntest du auch mal brauchen… Und das, was ich brauche, erfordert jede Menge Einzelentscheidungen: die Platte – welches Holz? Fichte, Kiefer, Preßspan? Welche Oberflächenbehandlung? Wachsen, ölen, lackieren, lasieren oder versiegeln? Welche Winkel werden das Gewicht tragen? Welche Schrauben dazu – einmal für’s Holz, einmal für die Wand? Und wie werde ich die Platte zurecht sägen? Eine Pendelstichsäge muß her (schließlich wartet auch noch ein Schrank auf die Bearbeitung), doch davon gibt es ca. 15 verschiedene von fünf Herstellern. Allein diese Entscheidung kostet mich eine halbe Stunde, insgesamt bin ich fast 2 Stunden im Markt, was sag‘ ich: in der Hölle! In der Weitläufigkeit verliere ich öfter mal meinen Einkaufswagen aus dem Blick, irre durch die Regalreihen, stehe manchmal still und frag‘ mich: Läßt du es jetzt alles stehen und haust lieber ab??? Oder gibt es nicht doch eine Alternative zu dieser arbeitsintensiven Herangehensweise?

Mehrfach suche ich andere Lösungen: Böcke, Werkbänke, Tischbeine – doch nichts paßt, es gibt keinen Weg vorbei an Platte, Winkel, Streichen, Dübeln, Bohren, Sägen….. igitt! Verwundert erinnere ich mich daran, daß ich in früheren Jahren eigenhändig mehrere Wohnungen renoviert, Regale gebaut, Löcher verputzt, Schränke abgeschliffen und lackiert hatte, ohne daran irgend etwas unangenehm zu finden. Sogar den Lösungsmittelrausch konnte ich genießen, der dabei beiläufig aufkam.

Jetzt jedenfalls stehen mir alle Haare zu Berge angesichts dieses Vorhabens mit all seinen mühevollen Einzelhandgriffen, dem ganzen sperrigen Umgang mit fester Materie. NIE WIEDER, denke ich mir, das ist jetzt das LETZTE MAL. Nächstens hohl‘ ich einen Dienstleister und sage: „Bau hier mal eine Platte ein!“, zahle per Mausklick den Handwerkerlohn und bleibe gänzlich unbeschwert.

Ist es das Älter-Werden, daß mich derart Do-it-yourself-inkompatibel macht? Oder ist es das Herumklicken mit der Maus, das für mich seit Jahren „Arbeit“ ist? Das schwerelose Arrangieren virtueller Welten entwöhnt offenbar vom Umgang mit gewichtigen Dingen, läßt die Erden-Schwere der Objekte vergessen.

Doch sei’s drum! Dagegen kritisiere ich jetzt nicht mehr an, schließlich gibt es in der Virtuality unendlich viel Arbeit – ganz bestimmt genug, um gelegentlich einen Meister fürs Grobe mit ein wenig Reality-Design zu beauftragen!

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