Claudia am 07. September 1999 —

Land-Marketing?

Volker Feddersen hat einen denkwürdigen Leserbrief zum Thema Stadt-Land geschickt, der die Frage nach dem Verhältnis von Stadt und Land unter dem Aspekt des Marketing stellt. Offensichtlich gibt es einen städtischen Bedarf an Authentizität und Echtheit, der nicht nur in der griechischen Eck-Kneipe gedeckt wird, sondern auch durch Ausflüge aufs Land. Dort aber will der Städter nicht etwa selber Früchte pflücken… nein, das ist to much! Allein die Umgebung will genossen werden – wie aber soll der Bauer davon leben? Hilft es ihm denn, „echt & authentisch“ zu sein – oder geht er daran pleite?

Wenn ich mich hier umsehe, bestehen 85% der Umgebung aus riesiegen Feldern, die gerade mit Monster-gleichen Landmaschinen unter unglaublichem Getöse abgeerntet, umgegraben und mit Gülle besprüht wurden. Tourismus ist in Mecklenburg noch nicht das selbstverständliche Credo der hinterletzten Gemeinde, sondern konzentriert sich auf bestimmte Seengebiete. So gibt es kaum Wege zum Wandern, alles wurde zu DDR-Zeiten im Zuge der vollen Ausnutzung des letzten Quadratmeters bereinigt – ulkigerweise stehen sogar in manchen Dörfern ein paar kleine häßliche Plattenbauten: der Boden war der landwirtschaftlichen Nutzung vorbehalten.

Es wird dauern, bis wirklich eine nachhaltige Änderung der „Optik“ der hiesigen Landschaft eintritt. Ich habe keine Ahnung, ob im Bereich Europäischer Agrarpolitik die Umwandlung landwirtschaftlicher Flächen zu etwas Anderem wirklich einen nennenswerten Stellenwert hat. Es gibt Initiativen, rund um manche Stadt Fahrradwege einzuführen, auch sollen Moore wieder geflutet, die Entwässerung gestoppt werden. Ich schätze, es ist noch ein weiter Weg, bis der Städter hier sein Ausflugserlebnis bekommt, wie es in westdeutschen, touristisch voll erschlossenen Landschaften üblich ist.

Doch Volker sagt ja: auch dort darben die Bauern, die authentischen Bauern (so es sie noch gibt) dümpeln vor sich hin, wenn sie nicht Gastronomen, Hoteliers oder erfolgreiche Direktvermarkter werden!

Ich denke mir, „authentische Bauern“ gibt es heute nicht mehr. Insofern ist das Land ganz Stadt: eine Agrarindustrie, die wir nicht einmal mehr nötig haben, sondern mit viel Steuergeld zu Lasten nicht-europäischer Länder am Leben erhalten.

Die in den 70er-Jahren entstandene Bio-Bauern-Bewegung hat für heutige Städter wahrscheinlich oft zu starken Sektencharakter: als wäre es etwas fast Religiöses, biologisch anzubauen. Der Vertrieb dieser Waren über mehrheitlich Tante-Emma-Laden-artige Ökoläden ist völlig unzeitgemäß und verteuert die Waren so, daß sie im Grunde nur von Besser-Verdienenden gekauft werden können. Eine Sackgasse, die psychisch bedingt ist, nämlich durch das übertriebene Anders-Sein-wollen der Aktiven (Supermarkt: igitt!).

Ein „authentischer Bauer“ muß m.E. heute den Städter in sich entdecken: faul und träge, genuß-süchtig, bequem, gierig nach außergewöhnlichen Eindrücken – aber auch zum (Förder-)Engagement bereit, wenn die Projekte gut aussehen und ein Sinn-Gefühl vermitteln!

Und da ist doch noch ein weites Feld: Projekte machen, nicht nur Konsum anbieten! Das „Trinkgeld“ muß in Form eines Beitrags zu konkreten Vorhaben erhoben, der Förderer muß gehalten, gebunden, mit regelmäßigen Infos versorgt werden. Community-Forming ist hier gefragt – und vielleicht braucht auch jedes erwähnenswerte Landprojekt eine entsprechende gemeinschaftsfördernde Website! (Nicht so etwas unprofessionell hingeschludertes, wie man es manchmal sieht.)

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