Claudia am 31. Juli 1999 —

Gottesgabe, Tag 17: Abnehmende Arbeitslust (online)

Die Tage sind hier ausgesprochen lang. Nicht nur die sommerliche Helligkeit bis 22 Uhr macht diesen Eindruck, sondern auch, daß ich seit dem Umzug abends nicht mehr am PC arbeite. Zuerst war es die reine Erschöpfung, die Luftveränderung: soviel Sauerstoff ist der Stadtmensch nicht gewohnt!

Mittlerweile ist es mehr als das: eine Lustlosigkeit, mich auch noch abends der Online-Welt zuzuwenden, Zeichen und Bilder zu generieren, anstatt physisch und psychisch etwas „Richtiges“ zu erleben. Es scheint, als erzeuge die Abwesenheit der städtischen Menschenmassen eine Sehnsucht nach Sozialem, wogegen der tägliche Anblick 1000er Unbekannter das Gefühl hinterläßt: Wie schön, daß ich wenigstens in meinen vier Wänden allein und ungestört bin! Ich bin gespannt, ob in der dunklen Jahreszeit die Lust auf „Medien“ wiederkommt. Und heut‘ abend gucken wir mal, ob es in Schwerin ein „Nachtleben“ gibt…:-)

Gleich fahr‘ ich zu PLAZA, Gartenstühle kaufen. Konsumtempel auf der grünen Wiese sind ja hier die einzigen ‚kulturellen Veranstaltungen‘, die jederzeit zur Verfügung stehen. Mal sehen, ob es dort mehr Salatsorten gibt als „Grüner“ und „Eisberg“ – die Läden im Nachbardorf sind salatmäßig deutlich auf dem Stand der späten 60er.

Das Unbewußte ist ein träges Wesen. Es registriert Veränderungen zunächst ausschließlich im Sinne alter Gewohnheiten. Ein radikaler Wechsel, wie der von der Metropole aufs Land löst erstmal garnichts aus, wird wahrscheinlich schlicht als „Urlaub“, „Ausflug“, „Besuch“ oder ähnliches wahrgenommen. Erst mit der Dauer des Hierseins kommen die Wirkungen in der Tiefe an: Ich rechne nicht nur mit angenehmen und bestätigenden Reaktionen, immerhin hab‘ ich eine solche Umstellung seit Jahrzehnten nicht erlebt. Es wäre schön, jetzt ein paar Tage „frei“ zu machen, kein Buch, keine Zeitung, kein PC – um die Dinge auf die Spitze zu treiben, bzw. die untergründigen Wirkungen des Wechsels bewußt kommen zu lassen.

Das Webdiary ist ein kleiner Ersatz dafür. Eine ruhige Stunde am Tag, in der ich über die Dinge, wie sie sind, nachSINNE.

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