Claudia am 07. April 1999 —

Vom Krieg…

Einige Tage hatte ich soviel Arbeit, daß an Tagebuch und andere nette Privataktivitäten nicht zu denken war. Ich freu mich schon auf Mai, wo es ein bißchen besser aussieht! Dennoch ist es mir zwischendurch gelungen, den Wörterwald zu updaten und ihm ein neues Outfit zu geben. Irgendwie fühle ich mich dieser Textsammlung besonders verbunden. Sie ist mein erstes Webprojekt, mit dem ich 1996 mit dem Webseiten-bauen begonnen hatte. Mit dem neuen Design bin ich noch nicht ganz glücklich, es STIMMT noch nicht – aber zum Herumprobieren reicht die Zeit nicht. Immerhin, besser so als vorher.

Glücklicherweise war der Tagesspiegelartikel am Ostersonntag wirklich nett geschrieben. Trotzdem komme ich mir vor wie ein komisches Insekt, wenn ich in einer Zeitung „über mich“ lese. (Der Untertitel „Claudia Klinger gehört zu einer neuen Spezies Mensch, dem Netizen“ ist ein Lacher…) Aber Schwamm drüber, wer die Printmedien machen läßt, darf sich nicht wundern, was dabei herauskommt. Das muß immer irgendwie „knallen“, da kann man nix machen.

Weiter Krieg…

Jeden Abend schaue ich Tagesschau und den Brennpunkt – mehr Krieg am Tag mag ich nicht ertragen. Doch auch in vielen Mailinglisten wird diskutiert, die pazifistisch Eingestellten („Bomben sind immer falsch“) werden lauter und es gibt manche Wortgefechte. Ich beteilige mich kaum daran, wundere mich nur, wie einfach sich manche die Sache noch immer machen. Es will mir nicht in den Kopf (und auch nicht ins Herz!), daß man einen Milosevic einfach so machen lassen soll, eine ganze Bevölkerung vertreiben und berauben, Leute ermorden wie’s beliebt – soll man da daneben stehen und weisse Fahnen schwenken?

Und wenn insbesondere junge Menschen das „historische Argument“ in den Mund nehmen und sagen, weil Deutschland dereinst Serbien angegriffen habe, dürfe man jetzt nicht an der NATO-Aktion teilnehmern, finde ich geradezu verrückt. Schließlich ist dies nicht Hitler-Deutschland und ich erinnere mich genau, was ich dachte, als ich als Teenager von den Nazi-Verbrechen hörte: gerade WEIL dies alles geschehen ist, sind wir in der Pflicht, dafür zu sorgen, daß es nicht ein neues Mal geschieht.

Im Krieg wird besonders deutlich, daß Politik eine Veranstaltung ist, die den Realitätsverlust der Einzelnen möglichst bewahren will. Politiker bemühen sich, die Traumvorstellungen ihrer Wähler zu erhalten und zu bedienen, die Dinge, wie sie sind, zu verschleiern und Unangenehmes nur Häppchenweise herauszulassen, wenn es denn unbedingt sein muß. Dazu gehört die Ablehnung von Bodentruppen, aber auch bei ganz unkriegerischen Themen verhält es sich nicht anders:

Unternehmen verlangen Steuersenkungen, wehren sich aber gegen Streichung von Subventionen. Wissen sie denn nicht, daß ein Staat Geld kostet und daß auch sie einen Staat brauchen, der ein menschenwürdiges Leben ermöglicht? Und wenn die Bauern für die Erhaltung der irrsinigen Agrarpolitik auf die Strasse gehen – wissen sie denn nicht, daß nur freiweilliges Teilen auf Dauer Frieden schafft? Daß Europa ein Ergebnis vieler furchtbarer Kriege ist und die Haltung „Was schert mich der Bauer in Portugal!“ ein gefährlicher Rückschritt? Und schließlich: wenn die Gewerkschaften mit aller Macht die im Weltvergleich besonders privilegierten Arbeitsbedingungen in DE verteidigen – wissen sie denn nicht, daß damit vielen der Zugang zu Arbeit überhaupt genommen wird?

Oh doch. Alle wissen. Alle wissen, daß ihnen die eigene Jacke sehr viel näher ist als die des mittellosen Nachbarn. Doch man versucht, das nicht allzu offen zu zeigen, man kleidet den Eigennutz in edle Worte, sucht die Schuld bei anderen oder in irgendwelchen Strukturen (z.B. „der Kapitalismus!“ – als wäre man zum Kommunismus willens oder fähig). Und wehe dem Politiker, der sagt, was Sache ist.

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