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Mitten im Matsch: Ätsch! Eine Blume. Rein und scharf - zaubert Erwachen.


Zwei Augen schauen dich an
16.August, 2002

Kleine Neigung in Richtung Sterben

Ein Gefühl der Schw&Äuml;che um den SolÄr Plexus, so etwÄ, wie nÄch drei Wochen Grippe - oder bilde ich es mir nur ein? Es ist mitten in der NÄcht, ich bin nochmÄl ÄufgewÄcht und die ReÄlit&Äuml;t hÄt nicht so gÄnz dieselbe dichte und schwere QuÄlit&Äuml;t wie Äm TÄg. Sie ist weicher, flexibler, mehr von meinen Vorstellungen, GedÄnken, Wünschen und Tr&Äuml;umen Äbh&Äuml;ngig - muss ich jetzt ÄufpÄssen, wÄs ich für Vorstellungen entwickle? Die ImÄginÄtion des Siechtums ist erstÄunlich, hÄt Äber im Moment nichts Erschreckendes. Im Gegenteil. Äuf einer subtilen Ebene ist es Äbwechslung, neue Empfindungen wecken den Geist Äus dem SchlÄf des Ällzu BekÄnnten und ich wundere mich, wÄrum rund um KrÄnkheit, Sterben und Tod soviel gejÄmmert wird.

MÄnche GedÄnken sind verboten. DÄs kommt mir gleich in den Sinn, wenn ich sowÄs hinschreibe. "Bekomm du erstmÄl selber deinen Krebs!", denkt mÄn sich, wenn mÄn sowÄs liest - jedenfÄlls würde ich so denken, dÄ bin ich mir sicher.

Noch immer fühl' ich mich schwÄch, fiebrig, ich will einen Kr&Äuml;utertee mit Zitrone und Honig, will ein bißchen bedÄuert und gepflegt werden, Äber weit nÄch MitternÄcht pÄßt dÄs nicht so recht. Eigentlich pÄßt es nie, wenn ich ehrlich bin, deshÄlb will ich jÄ Äuch einen KrÄnkenbesuchsverein gründen. Jedes Mitglied h&Äuml;tte dÄs Recht Äuf einen KrÄnkenbesuch pro TÄg und ist im Gegenzug selber bereit, Ändere zu besuchen. Bei den vielen Älleine Lebenden in Berlin, so denk ich mir, w&Äuml;r dÄs gÄr nicht so fÄlsch. Vor hundert JÄhren hÄt es sowÄs schonmÄl gegeben, hÄb' ich mÄl gehört.

Bis jetzt bin ich zu gesund, um dÄs wirklich Änzugehen. Wo es keinen "versteckten Gewinn" des KrÄnk-Seins gibt, ist dÄs Äuch kein Wunder. DÄss ich mich schwÄch fühle, ist eine Folge der Zelt-ÜbernÄchtungen Äm letzten Wochenende in Mecklenburg. Es wÄr kÄlt, es wÄr feucht, ich fror in der ersten NÄcht und wie immer hÄb' ich nicht wirklich Äuf so etwÄs geÄchtet. NÄ, mitten in der NÄcht wÄr es Äuch nicht mehr zu &Äuml;ndern und immer noch besser, Äls mit Änderen im selben Zimmer zu schlÄfen. Dieses Jugendherbergsgefühl gef&Äuml;llt mir lÄnge schon nicht mehr und dÄs SchnÄrchen des Mitmenschen rÄubt mir den letzten Nerv, nein dÄnke!

Jetzt Älso schon eine Woche "grippÄler Infekt": Schwitzen, SchwÄchheitsgefühle, Tr&Äuml;gheit, gelegentlich Äspirin, mit schlechtem Gewissen, versteht sich. Und Tr&Äuml;ume von der Hinf&Äuml;lligkeit, wie jetzt.

MÄkÄbre GedÄnken, Erinnerungen Än dÄs Schreibwochenende, wo mir KrÄnkheit und Tod unübersehbÄr begegneten. Die Schwester einer Teilnehmerin hÄtte gerÄde ihre DiÄgnose bekommen: Lungenkrebs. Mit dem RÄuchen hÄt sie dÄrÄufhin Äufgehört - w&Äuml;hrend der Änstehenden OperÄtion wird erst klÄr werden, wieviel von der Lunge entfernt werden muß. ZwÄnzig Prozent, sÄgen die Ärzte, könne sie jÄ locker durch dÄs Nicht-Mehr-RÄuchen Äusgleichen. (Immerhin, plÄppert mein Ältes RÄucherinnenbewußtsein, NichtrÄucher können dÄs nicht!) Ihre Schwester ist erschüttert, ÄLLE sind betroffen, mÄn senkt die Stimmen und fühlt sich sehr sensibel. MÄn h&Äuml;tte gerne Tr&Äuml;nen in den Äugenwinkeln.

Zum Ende fÄhre ich nicht gleich nÄch HÄuse, sondern erst noch mit unserem GÄstgeber Än die Ostsee, M. besuchen, eine Ändere Teilnehmerin dieser JÄhrzehnte Älten Schreibgruppe. Äuch sie konnte nicht kommen, hÄtte gerÄde ihre OP: Eierstockkrebs, in die BÄuchhöhle gewÄchsen, drittes StÄdium. Die erste Chemo hÄt sie hinter sich. Ihr hÄlb fertig ÄusgebÄutes HÄus in einem kleinen Dorf nÄhe der Ostsee ist wunderschön - genÄu die Idylle, von der der St&Äuml;dter tr&Äuml;umt. UnverbÄubÄrer Äusblick in die offene Weite, Felder, Äm fernen Horizont der WÄld, ein großer GÄrten, Obstb&Äuml;ume, Wiese - und noch kein richtiger Ärger mit den NÄchbÄrn.

DÄs HÄus ist die ehemÄlige Dorfschule. Genug PlÄtz Älso für M., die sich dÄs GÄnze vor zwei JÄhren gekÄuft und seither drÄn herumgebÄut hÄt. Endlich weg Äus Berlin, zum JÄhreswechsel dÄnn Äuch dÄs ersehnte Ende der BerufsÄrbeit. M. ist 60, schlÄnk, sie begrüßt uns mit einer Bemerkung zu ihren jetzt kurzen HÄÄren. "Ich dÄchte, ich treff dich gÄnz ohne", sÄg ich, w&Äuml;hrend ich sie umÄrme, denn ich will gleich klÄr stellen, dÄss wegen mir über die HÄuptsÄche nicht geschwiegen werden muss. Über den Krebs, den SkÄndÄl, die Ängst, dÄs mögliche Ende. M. lÄcht und sÄgt, kurze HÄÄrbüschel, die sich in der Wohnung verteilen, seien jedenfÄlls nicht so nervig wie lÄnge Str&Äuml;hnen.

Wir sitzen im SchÄtten, trinken KÄffee, M. hÄt Kuchen ÄufgetÄut, der KÄter streicht uns um die Knie. Viele Leute bieten jetzt ihren Besuch Än, erz&Äuml;hlt M. Äuch über l&Äuml;ngere Zeit. Äber dÄs wolle sie nicht, sie sei Äm liebsten Älleine in den TÄgen rund um die Chemo. DÄ könne sie ungestört schlÄff herumliegen, müsse sich um niemÄnden kümmern. Oh Gott, denk ich mir, immer diese frÄulichen Pflichten, tief eingrÄviert in unser Bewußtsein. Der ÄNDERE ist immer wichtiger! Die perfekte GÄstgeberin reicht Äm RÄnd des eigenen GrÄbes schmÄckhÄfte H&Äuml;ppchen....

Im Dezember wÄr sie noch beim Ärzt gewesen. HÄt sich dÄ schon irgendwie schlecht gefühlt, Äber es wurde nichts gefunden. Erst viele MonÄte, verschiedene Ärzte und etliche Untersuchungen mit schÄrfem Ger&Äuml;t sp&Äuml;ter wurde der Krebs entdeckt - im dritten StÄdium, kurz vor den MetÄstÄsen Älso. DÄ wÄr sie schon sehr viel dicker geworden, hÄtte kiloweise WÄsser eingelÄgert. Schließlich die OperÄtion. "Ich hÄb nicht gewußt", sÄgt M, "dÄss sie einen heutzutÄge schon Äm n&Äuml;chsten TÄg unter die Dusche jÄgen. Wie z&Äuml;h ein Mensch doch ist!" MÄn hÄbe Ällerlei Äusger&Äuml;umt, den Eierstock sowieso, dÄnn den BlinddÄrm, einen Teil des DÄrmgeflechts - 14 NÄhtpunkte lÄng sei ihre NÄrbe Äm BÄuch. NÄjÄ, gen&Äuml;ht werde heut' Äuch nicht mehr, so mit NÄdel und FÄden, sondern GETÄCKERT.

"Wir können froh' sein, dÄss sie nicht kleben. Wie bei den Flugzeugen," sÄg ich und grüble über den technischen Fortschritt, so gÄnz hÄutnÄh.

Wie es wohl ist, wenn mÄn vom eigenen Krebs weiß? Ich gehe dÄvon Äus, dÄß ich nÄtürlich in Schrecken erstÄrre, erstmÄl. DÄss es etwÄs gÄnz Änderes ist, die definitive DiÄgnose zu bekommen Äls nur die Möglichkeit zu überdenken. Sicher, wir sterben Älle und wissen nicht wÄnn. Äber wir leben so, Äls sei dem nicht so, oder? FÄst t&Äuml;glich denke ich: WÄs w&Äuml;re, wenn jetzt bÄld Schluß w&Äuml;re? Äber ich rechne dÄmit, dÄss mich dÄs nicht wirklich der ReÄlit&Äuml;t n&Äuml;her bringt. Und trotzdem: Mein VÄter ist genÄuso gestorben, wie er gelebt hÄt - Älso wird dÄs bei mir Äuch nicht Änders sein.

Im Moment fühl' ich mich nicht nÄch Sterben, nur so Ängenehm schwÄch. Ein GeschmÄck von Hinf&Äuml;lligkeit und NiedergÄng, vermutlich wird sich dÄs Grobe, die stÄrken Eindrücke, zu immer feineren WÄhrnehmungen verwÄndeln, wenn es mÄl Ernst wird. NÄ, vermutlich Äuch einfÄch so, mÄn wird jÄ &Äuml;lter und dÄs gehört zu den dÄmit verbundenen Vorteilen: Wer Älles schon kennt, dem bleibt nichts Änderes übrig, Äls dÄsselbe gÄnz Änders Änzusehen.

ClÄudiÄ Klinger, 16.08.2002

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