Claudia am 30. November 2015 —

Wir, ich, man – oder wie?

Peter bloggte kürzlich zu einem wiederkehrenden Problem:

Die Angewohnheit, „man“, „wir“ oder „uns“ – synonym für „(m)ich“ – zu benutzen, finde ich bei einigen Beschreibungen unmöglich. Mit „synonym benutzen“ meine ich: „man“, „wir“, bzw. „uns“ versteckt sich hinter der Allgemeinheit und distanziert sich (sprachlich) von mir selbst….
… „Ich“ zu benutzen macht mich verletzlicher, lässt weniger Platz zum Mogeln. Ich bin damit an mir und meiner Wahrheit dran – ich lasse Menschen näher an mich heran. Und wer ist überhaupt „wir“ in manchen Formulierungen, Beiträgen, Artikeln? Wenn ich solches lese, fühle ich mich meist nicht angesprochen, warum auch?

Da mir der Kommentar dazu länger geraten ist als Peters Blogpost, soll er auch hier ins Diary-Archiv eingehen – wobei ich „dort draußen“ die Beispiele nicht alle verlinkt habe, hier aber schon:

Als Vielschreiberin hab ich mir darüber schon oft Gedanken gemacht und bin der Ansicht, dass es für alle Schreibweisen richtige und passende Anwendungen gibt. Wenn ich tatsächlich NUR von mir spreche, dann ist es auch richtig, ich zu sagen. Spreche ich aber von einer Allgemeinheit bzw. einer Mehrheit, dann passt „man“ und „wir“ durchaus – und zwar unabhängig davon, ob ich mich selbst einschließe oder nicht (!).

Hab grade mal mein Blogarchiv nach Beispielen durchforstet:

„Demokratie: Wie kann man mehr Mitbestimmung der Bürger organisieren?“

Hier ist wohl unstrittig, dass ich das alleine nicht kann. Derlei Beispiele machen ganz allgemein die Mehrheit der „Man“- und „Wir“-Verwendungen aus – völlig korrekt.

Im Einzelfall kann man (nicht nur ich), das jeweilige „wir“ jedoch durchaus kritisch hinterfragen:

„Talkshows: die Arroganz der Großverdiener – oder: Wer ist WIR bei Anne Will?“

nämlich dann, wenn es nicht als Bezug auf eine Allgemeinheit, sondern zu Zwecken der Ausgrenzung (z.B. der Nichtwähler/Falschwähler) genutzt wird.

Wie steht es aber mit:

„Klimagipfel: WIR können, wenn wir wollen“ – ?

Der Beitrag handelt von vielen Möglichkeiten, Energie zu sparen und CO²-Ausstoß zu vermeiden. Erst ganz am Ende gibt es einen Satz mit „ich“, bezogen auf den Versuch, die Raumtemperatur bei 19 Grad zu halten.

Das WIR in einer solchen Rede will Misstände / Fehlverhalten anprangern, ohne dass ich mich von den Sünden ausnehme. Eine ziemlich gängige Version, die durchaus sinnvoll ist. Würde man (!) hier „beim ICH bleiben“, wäre es ein gänzlich anderer Artikel!

Die Alternative zu diesem WIR/MAN würde zwangsläufig zur Abgrenzung/Spaltung in Gut und Böse, zur Anklageschrift gegen konkrete Gruppen (seien es „die Herrschenden“ oder die „besinnungslos Konsumierenden“) – verbunden mit der Selbstdarstellung, wie gut ich es doch vergleichsweise mache – oder eben mit der Selbstbezichtigung: wie wenig ich es schaffe, das Richtige zu tun.

Ich-Texte neigen ganz oft dazu, jammernd/selbstanklagend oder selbstbeweihräuchernd zu werden – wer ein „Aufhebens um die eigene Person“ nicht so schätzt, nutzt gern „man“ um das zu vermeiden.

Der Vermeidung allzu krassen Selbstlobs dient z.B. so eine Headline:

„Wie man 13 Blogs kommentiert ohne zu langweilen…“
…und die anderen 39 dann doch nicht mehr schafft!

Ein weiterer Spezialfall:

„6 Fragen, die man nur Google fragt“

es folgen dann „Ich-Fragen“ (z.B. Wie vertraue ich meinem Mann ?), die niemand einem menschlichen Gegenüber stellen würde, die aber als Suchphrase bei Google eingegeben wurden.

– – –

Sehr interessant in diesem Kontext empfand ich seit dem Mauerfall das Ost-West-Gefälle!

Während Wessis zur Kritik des MAN neigen, wie Du sie hier formulierst, und geradezu anklagend darauf verweisen, dass man sich hinter dem MAN und WIR nur verstecken wolle, verwendeten Ossis (die Älteren bis heute) massenweise und ungebrochen das MAN in Sätzen, in denen es definitiv und erkennbar einzig und alleine um persönliche autobiografische Fakten geht.

Das liegt vermutlich an der „Erziehung zum Kollektiv“, aus meiner Sicht aber vor allem daran, dass es im Westen eine „Therapiegeschichte“ gibt: Psychologie, Gruppentherapie, Selbsterfahrungsworkshops etc. – das alles fand im Osten nicht statt, wurde im Westen jedoch exzessiv gelebt (WG-Anzeigen: nur Therapie-Erfahrene!).

Die Verdammung des „man“ rührt von daher und hat auch partielle Berechtigung, führt aber andrerseits in einen selbstbezüglichen Individualismus und Narzismus, der Gesellschaft und Gemeinschaft ausblendet und dazu führen kann, dass „man“ meint, an allem immer nur selbst schuld zu sein – sehr passend in Zeiten des Neoliberalismus.

Diskussion

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9 Kommentare zu „Wir, ich, man – oder wie?“.

  1. Texten in der ICH Form, wirken arrogant und vermitteln wenig Gemeinschafts-Gefühle.
    Liebe Grüsse zentao

  2. Man munkelt mäandernd,
    massakriert marodierend.
    Mal mittelt man mau,
    mal mauschelt man mit.

    Meistens mehr mucksmäuschenstill.

    Ich lache im outback,
    ich spreche in front of.
    Ich stehe alleine,
    ich schreibe drauf los.

    Hin und wieder, und wenn es mir paßt.

    in reply to zentao, man(n) o man(n)

  3. Hallo Claudia, Du schreibst:
    „verwendeten Ossis (die Älteren bis heute) massenweise und ungebrochen das MAN in Sätzen, in denen es definitiv und erkennbar einzig und alleine um persönliche autobiografische Fakten geht.“

    Wenn jemand in meinem Umfeld etwa sagt: „Bei Regen wählt man dann doch das Sofa anstatt wegzugehen“ , dann ist das eine Aussage für einen selbst, wird aber verallgemeinert auf das Gros der Leute, weil man weiß: Man tickt in der Regel so! Dieses „man“ in solchen Fällen fühlt sich für mich manchmal anheimelnd an, weil das ICH nicht so betont wird, denn so individuell, wie der Einzelne sich selbst gerne sieht, sind wir garnicht.
    Regionale Angewohnheit hier, das möchte ich mal an dieser Stelle mal anführen, ist von seiner Frau zu sagen: „Die Frau machte gestern einen Kuchen“. Das ist etwas, was mir seit langem aufstösst. Auch die einfache Vergangenheit wird bisweilen sträflich vernachlässigt. Statt „Ich war“ heißt es immer „Ich war…gewesen“.

  4. @zentao: angenommen, es soll ein Laster wie rauchen aufgegeben werden, und ich bin der Betreffende. Ist es arrogant, wenn ich schreibe „ich höre mit dem Rauchen auf?“, oder treffender, wenn wir schreiben „wir hören mit dem Rauchen auf?“ ;-)

    Es gibt viele dieser Beispiele, wobei ich zugebenermaßen mich selbst nicht sklavisch dran halte. Allerdings hab ich mir abgewöhnt, Floskelnderweise – und als nichts anderes empfinde ich dies – zu schreiben.

    Als „Faststilblüte“ lese ich oft „unser alller Wollen…“, „wir sollten doch…“, „man könnte mal…“ etc., das ist weniger authentisch, als in der „ich-Form“ – IMHO.

    Was ist daran arrogant, wenn ich „mich“ meine, und „ich“ schreibe?

  5. Es kommt eben doch immer auf den Einzelfall und den Kontext an. Wobei ich einfach mal vermute, dass wir in einem Multiple-Choice-Test mit Beispielen und Bewertungsalternativen weitgehend ähnlich voten würden.

    „Wir hören mit dem Rauchen auf“ ist z.B. völlig abseitig, bzw. Plural Majestatis. Das hätte wohl einzig Helmut Schmitt sagen können.. :-)

    Zum eher im Osten verbreiteten „Bei Regen wählt man dann doch das Sofa anstatt wegzugehen“ sag ich noch dazu: das scheint mit der in den neuen Ländern verbreiteteren Ablehnung alles Fremden zu korrespondieren. Man will Teil eines heimaltlichen, vertrauten „Man“ sein, in dem alle gleich ticken…

    Zum Thema „wir alle wollen…“ weise ich aus gegebenem Anlass darauf hin, dass wir alle ganz gewiss nicht wollen, dass sich das Erdklima mehr als 2 Grad erwärmt – mit all den Folgen, die da drohen und einfach nicht mehr zu leugnen sind. Dennoch steuert das HANDELN unentwegt auf das Worst-Case-Szenario zu, dass bis zu 7 Grad und mehr ergeben wird. Als Morituri reicht unser aller Verstand eben nur bis zu „nach mir die Sintflut“…

    http://www.sueddeutsche.de/wissen/erderwaermung-was-forscher-ueber-den-klimawandel-wirklich-wissen-1.2757138

  6. Ich hatte das „man“-Tabu so sehr verinnerlicht, dass ich alle „man“-Sätze, sobald sie mir in den Sinn kamen, im Kopf reflexartig zu ich- oder du-Sätzen umformulierte. Irgendwann habe ich mir man-Sätze erst wieder bewusst angewöhnt. Es kommt eben darauf an, was man vermitteln will.

    Die Neigung, persönliche Erfahrungen nicht in der 1. Person Imperfekt, sondern in der 3. Person Präsens zu berichten, findet man aus irgendeinem Grund oft in Interviews mit Sportlern.
    Aus: „Nach dem Spiel war ich dann erschöpft und glücklich“ wird „Nach dem Spiel ist man dann erschöpft und glücklich“.

    Die Botschaft des „man“-Stils ist: Nicht nur ich, sondern jeder, auch du, würdest das in der Situation so erleben. Es ist ein Appell an das Gegenüber, sich in die Lage des anderen zu versetzen. Das kann ein legitimes Stilmittel sein.

  7. Jeder bewußte Einsatz sprachlicher Formen ist ein Stilmittel – sofern es sich einer davon beförderten Absicht verdankt. Wer über die Legitimität sprachlicher Mittel entscheidet, ist eine Frage, die ich höchstens im Zivil- oder Strafrecht als sinnvoll zu bearbeiten sehe. Die Wirkung eines ‚man‘ gegenüber einem ‚ich‘,’wir‘ oder ‚du‘ ist oben schon ausführlich beschrieben worden, mir fällt dazu lediglich noch ein, daß es mich stört, wenn die Verwendung solcher Formen den Charakter der Befolgung einer Vorschrift oder den einer zwanghaften Angewohnheit annimmt.

    Für mich ist es meistens eine Frage des Zusammenklanges (auch im außersprachlichen Kontext), ob ich etwa sage ‚du solltest nicht langweilen‘ (eindringlich und emotional direkt dem Zuhörer zugewandt) oder ‚man sollte nicht langweilen‘ (pastoral wohlwollend an die Gemeinde gerichtet) oder ‚ich sollte nicht langweilen‘ (selbst-reflektorisch bis theatralisch-besserwisserisch), plus eine gehörige Portion individuellen Geschmacks. Das englische ‚you‘ gefällt mir persönlich gut, weswegen ich in meinem Sprachgebrauch eher zum ‚du‘ neige. Und ich mag keine Sprache, die sich (und damit das Sprecher_x) und ihre Bedeutungen hinter gängigen Hülsen versteckt, weswegen ich das ‚ich‘ einem ‚man‘ intuitiv und sicherlich oft ganz grundlos vorziehen würde.

    Man kann aber immer auch anders…

  8. schade eigentlich,
    grade ebend hatte ich einen in meinen augen netten, passenden text nahezu versandfertig in den editor getippt und bin mit dem grossen linken onkel blöderweise gegen den ausschaltknopf meines rechners gekommen.
    alles futsch. dahin. im Datenhimmel.
    unwiederbringlich verloren.

    man könnte sich schwarz ärgern ueber diese voellig unzureichend abgesicherten aus und einschaltknöpfe (selbst die blaue beleuchtungseinrichtung daran bringt nichts, so man am fuss keine augen hat).

    ich dagegen frage mich nur, ob der fast versandfertige text es wirklich wert gewesen wäre. mir dünkt, mein fuss hat mir in diesem fall lediglich klar gemacht, wie vergaenglich und bedeutungslos ein man-licher gedankenstream im grunde ist und wie leicht eine abstimmung
    mit füssen alles verändert. (meistens zu nichte macht).

    ich frage mich, was ich wirklich mit textteilnahmen am netz erreichen will.
    wozu buchstabe an buchstabe zusammenfrickeln, editieren, drüberlesen, löschen, ändern, nochmal drüber nachdenken, an die rezipienten denken, ihr lächeln oder ihren grimm über die fortschreitende verblödung der menschlichen rasse,
    was will ich, was soll das alles und überhaupt, wer hat diesen planeten so gestaltet, dass mir ausgerechnet jetzt in den sinn kommt mal wieder im weltweit verfügbaren informationsdschungel einen weiteren textverhau vom stapel zu lassen.

    naja, jedenfalls danke für den fisch:).

    überhaupt: „kontinent der wale“ (weiss ich, wie ich grade jetzt auf diesen trichter komme?) dort die schwanzflosse von so einem riesigen Nicht-Reptil auf dem cover, drumrum nix weiter als ein unendliches meer.
    ja. die macht schon was her.

    man könnte jetzt denken, der spinnt.
    richtig.
    :)

    ich liebe die verbindlichkeit von f2f gesprächen, liebes es jedoch ebenso, mit vollkommen gesichtslosen ideen konfrontiert zu werden und mir diese vollkommen unverbindlich durch den eigenen schädel wandern zu lassen.
    es gibt bei man texten keinen krieg. niemand will gewinnen, keiner kann verlieren.

    wie anders dazu sind doch ich, wir, „uns“ -formatierte aussagen:
    sobald es ums allgemeine wohlbefinden hinausreichende inhalte geht, schwebt immer das damoklesschwert der verlierer, krieger und gartenzwerg soldaten über der gesprächsrunde, wehe wenn die disharmonie von der decke fällt.

    will ich harmonie im dialog der vielen?

    ist es zuviel verlangt, eine entwicklung im lauf des grossen rades hin zum besseren zu erwarten? man könnte meinen, es sollte doch irgendwann mal drin sein. bis dahin werd ich wohl weiterhin gelegentlich hier (geduldet) rumspinnen und meinen ureigensten spass an dieser form der textateritatur haben.

    mit freundlichem gruessen
    irgendjemand vom planeten der zewibeiner:)

    i.m.sz.

  9. @Arnd: das hatte ich zeitweise ähnlich, aber eher so, dass es mich nervte, bei jeder Verwendung drüber nachdenken zu müssen.
    Das MAN oder DU in deinem Beispiel empfinde ich als deutlich MEHR denn als puren Appell – nämlich schon etwas übergriffig!

    @Susanne: das sind mal Beispiele, die sehr viel unterschiedlicher wirken als Andere! :-) Und klar geb ich dir recht mit der Ablehnung von Vorschrift und Zwang, erlebe es aber eher so, dass die Spntaneität verschwindet und bewusste Entscheidung an die Stelle tritt. (Aktuell allerdings eher beim gendern oder nicht gendern…)

    @Ingo: oh ja, das hätte mich auch geärgert! Zur Sinnfrage kann ich dir aber immerhin sagen, dass ich mich freue, dich mal wieder zu lesen. Wie es mich überhaupt freut, manchmal auch aus einer frustrierten Stimmung reisst, wenn mein Geschreibsel dann doch Resonanz erfährt!
    Hamonie im Gespräch der Vielen ist heute selten – wie schön, dass hier noch so eine Freundlichkeit herrscht. Angesichts dessen, was da „draußen“ läuft, eine wunderbare Sache!