Thema: Lebenskunst, Philosophisches

Reflexionen über Wesentliches

Claudia am 15. April 2004 — Kommentare deaktiviert für Allein und undefiniert

Allein und undefiniert

In elektronischen Verschaltungen gibt es Zustände, die nennt man „undefiniert“: Wenn nämlich nicht vorgegeben und also auch nicht voraussehbar ist, ob sie im konkreten Einsatz nun zu „null“ oder „eins“ werden. Mich hat das verwundert, als ich es in meiner Umschulung/Weiterbildung zur EDV-Fachkraft erfuhr. Wozu ist das gut? Wofür braucht es unklare Verhältnisse in einer technischen Umgebung, die doch gerade dazu da ist, die Abläufe zu automatisieren, sie also vollständig in den Griff zu bekommen?

So richtig verstanden hab‘ ich es letztlich nicht, aber ich erinnere mich manchmal daran, wenn ich allein bin. Vom Aufstehen bis zum Ins-Bett-Gehen kein Kontakt zu irgend jemandem – je älter ich werde, desto paradiesischer erscheint mir dieses Alleinsein. Ob ich maile oder Mails lese, entscheide ich dann ganz nach Laune, fühle mich in jedem Moment frei, zu tun oder zu lassen, was mir gerade in den Sinn kommt, was für ein göttlicher Zustand! Alle meine Freunde wissen, dass ich nicht gern telefoniere, dass ich dieses fordernde Echtzeit-Medium fast nur zum Austausch wichtiger, zeitkritischer Infos benutze – und so kann ich tatsächlich das „Einsiedeln“ praktizieren, mitten im normalen Leben, zumindest am Wochenende, wenn ich nicht für Auftraggeber erreichbar sein muss.

Was ist so schön daran? Manchmal sinne ich darüber nach, während die Stunden verrinnen, Stunden, die mich immer weiter vom gesellschaftlichen Dasein entfernen, mich aus allen Verstrickungen heraus heben, von sämtlichen Erwartungen Anderer befreien. Was bin ich ohne den Mitmenschen? DAS erlebe ich dann und empfinde Glück: bin nicht mehr JEMAND, bin nicht in soziales Sollen und Wollen eingebunden, bin nichts Bestimmtes – bin undefiniert!

Die Webdesignerin, die Beraterin, die Kursleiterin, das Mitglied der Coachingrunde Berlin, die Schreibende, die Freundin, die Schwester und Tochter – all das ist weg, fällt von mir ab wie begrenzende Schalen, die mich in Formen pressen: durchaus gute und nützliche, manchmal lustvolle und bereichernde Formen – aber durchweg nicht das, was ich tatsächlich bin: undefiniert. Wenn ich alleine bin, kehre ich zu diesem formlosen Selbst zurück und genieße das spontane So-Sein, aus dem all diese Formen geboren werden, wenn ich mit Anderen in Kontakt trete.

Früher…

Es war nicht immer so, ich erinnere mich gut. Früher konnte und wollte ich nicht allein sein, langweilte mich dabei, fühlte mich unruhig und unausgefüllt, suchte ständig Kontakt zu irgend jemandem, besuchte dann Freunde, saß dort endlose Stunden herum und redete und redete: Erst im Angesicht des Anderen spürte ich mich, fühlte ich mich richtig als Mensch, halbwegs vollständig und handlungsfähig. Alleinsein war Angst-besetzt, obwohl ich das nie zugegeben hätte, nicht einmal vor mir selbst.

Dann die vielen Jahre mit M., meinem philosophischen Lebensgefährten. Wand an Wand, jederzeit konnte ich rüber gehen und plaudern, musste aber auch stets damit rechnen, dass ER herein kam (was aber eher selten geschah, er war immer schon gerne für sich). Im Grunde eine optimale Situation für jemanden, der nicht allein sein mag: In meinem Wohn-Schlaf-Arbeitszimmer war ich für mich, doch immer mit der Möglichkeit, in Kontakt zu treten. Ich war zufrieden, aber im Lauf der Zeit fiel mir doch auf, wie sehr wir uns einschränkten, um uns gegenseitig nicht zu nerven: kein Radio, TV nur zusammen, ein Leben ohne Musik, und nur sehr seltene Besuche. Anders wäre diese Nähe nicht möglich gewesen, nicht für uns beide, die wir jeder ein eigenes Leben lebten. Und – das merkte ich aber erst nach meinem Auszug – diese extrem rücksichtsvolle Form der Zweisamkeit hat mich fürs Alleinsein geöffnet.

Als ich dann Anfang 2003 in meine eigene Wohnung zog, zum ersten Mal seit zwölf Jahren, empfand ich dieses gänzlich neue Verhältnis zum Mit-mir-und-sonst-niemand-Sein wider Erwarten als sehr sehr angenehm: Was für eine Ruhe und Freiheit! Keinerlei „gemeinsame Gewohnheiten“ strukturieren meinen Tag, ich muss niemandem etwas erklären, wenn ich von diesen Gewohnheiten abweiche. Muss nicht sagen, wo ich hingehe und wann ich zurück komme und kann völlig verrückte Dinge tun – z.B. auch mal tagsüber schlafen, fünf mal täglich kochen oder auch gar nichts essen, laut oder still sein, Unordnung entstehen lassen und nachts um zwölf aufräumen, 15 Stunden am PC sitzen oder ihn, z.B. Samstags, gar nicht erst einschalten. Oder auch mal nichts tun, gar nichts. Niemand schaut mir zu und kommentiert, hinterfragt, fordert mich zu Erläuterungen heraus, es ist eine völlig andere Seinsweise als das ständige Miteinander – frei, entspannt, spontan, friedlich ver-rückt!

Während ich so schreibend den Freuden des Alleinseins nachspüre, merke ich, dass ich nur an der Oberfläche kratze: all das sind Äußerlichkeiten, treffen nicht den Kern. Die Routinen des Zusammenlebens hab ich schließlich sehr geschätzt, das Kochen und Essen zu bestimmten Zeiten, den Spaziergang, zu dem ich mich alleine eher schwer aufraffe – ja, in meinem Solo-Wohnen ringe ich eigentlich ständig um Selbstdisziplin und gewisse Strukturierungen meines Tages: abgesehen von den Kunden und Kursteilnehmern ist da ja nichts und niemand, was mich zwingt. Alles kommt aus mir, oder eben nicht.

Und doch: es ist gut, wie es ist. Selbst wenn ich 1000 Mal zum eigenen Ärger der Trägheit verfalle, wieder einmal nicht das schaffe, was ich mir vorgenommen habe, so weiß ich doch genau darüber Bescheid, dass ICH es bin, die nun mal so ist, im Guten wie im Schlechten. Und wenn ich morgen beschließe, jetzt ernsthaft einen Plan zu machen: eine Woche lang ausprobieren, wie sich ein anderer Rhythmus von Schlafen und Wachen, Arbeit und Freizeit, drinnen und Draußen-Sein wohl anfühlen mag – dann hindert mich nichts, das sofort in die Tat umzusetzen. Das Leben hat auf diese Weise etwas Abenteuerliches, das ich – man merkt es gewiss – schlecht in Worte fassen kann.

Vielleicht ist das Wesentliche am alleine Leben, nicht auf bestimmte Seinsweisen festgenagelt zu werden, wie es ganz automatisch geschieht, wenn ich mit jemandem sehr eng zusammen bin. Zwangsläufig entstehen Erwartungen, ich möge immer so sein, wie ich gestern war – und schon bin ich in der Situation, jedes Anders-Sein rechtfertigen und erklären zu sollen. Bedeutender noch: Ich neige dazu, das Bild, das der Andere von mir hat, einfach zu übernehmen: aha, so bin ich! Wenn ich auf ihn/auf sie so wirke, muss ich wohl SO sein. Und schon bin ich dabei, mich (durchaus unbewusst) selber einzuschränken: Jemand, der SO ist, handelt auch SO, denkt SO, und nicht etwa anders.

Nun werde ich bald fünfzig, hatte also schon genügend Gelegenheit, zu bemerken: Ich bin bei jedem/für jeden eine Andere. Jeder Dialog und jede Interaktion erschaffen mich neu, das Bild, das beim Anderen entsteht, kann mein Selbstbild bereichern und verändern, aber ich tue gut daran, nicht zu vergessen, dass es sich um bloße Bilder handelt: statische Momentaufnahmen von Aspekten des Daseins und Soseins, auf die ich mich besser nicht festnagele.

Alleinsein bedeutet vor diesem Hintergrund ein Loslassen aller Bilder und Formen, ein Bad in der Leere, ein Löschen sämtlicher Speicher. Allein bin ich nichts Bestimmtes und finde zurück zur Möglichkeit, alles zu sein – zumindest potenziell. Wie angenehm, so wunderbar „undefiniert“!

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Claudia am 31. März 2004 — Kommentare deaktiviert für Vom Nutzen der Leere

Vom Nutzen der Leere

Die Sonne scheint, der Himmel ist blau. Ich trete auf den Balkon und schüttle über mich selber den Kopf: zum ersten Mal hab ich diese kurzfristig blühenden Ex-und-Hopp-Gewächse in Kästen gesetzt, auf dass ihre drastischen Farben den Frühling JETZT SOFORT erlebbar machen. Primeln, Stiefmütterchen – oh Gott, hätte mir das früher jemand prophezeit, ich hätte mir an den Kopf gefasst. Und jetzt gefällt es mir! Wer weiß, vielleicht mach ich ja auch eines Tages Kaffeefahrten mit und kaufe in der dazu gehörenden Werbeveranstaltung überteuerte Heizdecken!

Im Frühling müssen die Zimmerpflanzen mal wieder gedüngt werden. Oder umgetopft. Ob das auch für Menschen gilt? Für mich? In dieser Woche ist ein Schreibimpulse-Kurs zu Ende gegangen und auch das Re-Design eines Maler-Shops, das mich endlos lang beschäftigt hat, ist abgeschlossen. Ein weiterer Auftrag wird ebenfalls noch diese Woche fertig – und dann ist PAUSE!

Die Pause hab ich nicht geplant, aber sie kommt genau richtig. Langsam weicht die Verstrickung in Geschäftigkeiten ein Stück zurück. Am Sonntag hab ich es gar geschafft, einen Teil der Verwaltungsarbeit abzuwickeln, die ich so miesepetrig vor mir hergeschoben hatte. Anfang nächster Woche werde ich FREI sein: morgens den PC einschalten und mich fragen können: WAS JETZT?

Das hab‘ ich lange nicht mehr erlebt! Mindestens ein dreiviertel Jahr nicht. Jetzt, inmitten dieser Frühlingsstimmung, spüre ich, wie sehr es mir gefehlt hat. Nicht die Ruhe, die Pause, die Erholung, sondern dieses Gefühl, dass da vor mir ein freier Raum voller Möglichkeiten liegt, aus dem ich jetzt schöpfen kann: etwas ver-wirklichen, was es so vorher nicht gegeben hat. Etwas, das mich auf neue Weise fordert, ein Hauch von Abenteuer!

Das letzte Abenteuer auf meiner To-Do-List, den Kurs „Club der erotischen Dichter“, musste ich verschieben. Zuwenig Mutige haben sich angemeldet, also bekommt die Sache noch mal vier Wochen Vorlauf. Anders als in den anderen Kursen gestatten wir hier Anonymität unter den Teilnehmern – und doch scheint es eine ziemliche Hürde zu sein, sich schreibend diesem Thema zu nähern. Komisch eigentlich, wenn man bedenkt, wie sexualisiert und enttabuisiert die mediale Welt seit Jahren daher kommt!

Nun, in der „Pause“ wird mir vielleicht etwas dazu einfallen, irgend eine Form der „Verführung zum Mitschreiben“, mal sehen. Vielleicht werde ich aber auch selber verführt: von etwas ganz Neuem!

Navigieren ?

Immer wieder erlebe ich, dass mir nahe stehende Personen wie selbstverständlich davon ausgehen, dass ich meine „Orientierung“, also das Woher/Wohin/Wozu/Wer bin ich „aus dem Internet“ beziehe. Sie glauben, da gäbe es Gemeinschaften und „hoch stehende Persönlichkeiten“, mit denen ich im fortlaufenden Dialog stehe. Jedes Mal, wenn mir das gesagt wird, wundere ich mich! Wie kommen sie nur darauf? So ein „Dialog der Weisheit“ ist doch etwas ungeheuer Seltenes – und per Internet auch nicht leichter zu finden als im sogenannten „realen Leben“. Er ist nicht bloß Text: Worte und Meinungen, folgenlos im Nichts getauscht, sondern er bedarf einer persönlichen Beziehung auf der Basis von Liebe. So etwas zu erleben, ist eine Sternstunde, ist die Ausnahme von der Regel – und als solche alles andere als verlässlich! Sobald ich an einem solchen Dialog festklebe, mich wirklich einlassen will auf den „großen Anderen“, werde ich mit geradezu automatenhafter Sicherheit frustriert.

Der „Guru on Demand“ ist eine Illusion, geschaffen durch meine eigene Imagination – das zu wissen, macht frei und einsam zugleich.

Frei, weil es mich ermächtigt und in die Lage versetzt, auch von meiner Zimmerpflanze zu lernen; vom Putzmann, der einmal die Woche das Treppenhaus reinigt und von der freundlichen Bedienung im Restaurant. Und einsam, weil die gemütliche Alltagsillusion, es gäbe ein tieferes Miteinander, das die grundsätzliche Getrenntheit aufhebt, einfach nicht zu halten ist. Jedes Gegenüber, jeder Andere, ist auch nur ein „ganz normaler Mensch“ wie ich. Also einer, dem im Zweifel die eigene Haut näher ist als die Befindlichkeiten des Nächsten.

So navigiere ich in der Regel alleine durchs Dasein. Die Frage, woran ich mich orientiere, kann ich nicht umfassend beantworten. Alles, was ich „tue“, wenn ich nicht weiß, wo’s lang geht, ist Hinsehen. Das anschauen, was ist. Und zwar solange, bis sich all die Schichten der Wünsche, Illusionen und Ängste verflüchtigen, indem sie ihren Charakter als „Schall und Rauch“ offenbaren. Was bleibt, ist Tatsache – und Tatsachen sind leer. Ohne mich, ohne mein Bewerten und Be-Deuten entlang an eigenen Interessen (sei das nun ein bloß persönlicher Wunsch oder die Rettung der Menschheit), hat nichts Bedeutung. Ist einfach Sternenstaub, der im Universum kreist.

Diese kleine Meditation bewirkt eine Art „Arbeitsspeicher löschen“ im eigenen Mind. Und emotional ereignet sich das Wunder, dass ich den Abgrund unter mir zwar sehe – tatsächlich ist da kein Boden, auf dem ich stehe! – aber ich dennoch nicht hineinfalle, sondern schwebe, fliege…

Naja, nicht immer, aber immer öfter! :-)

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Claudia am 14. März 2004 — Kommentare deaktiviert für Frühlingserwachen – erst mal allein

Frühlingserwachen – erst mal allein

Was für eine unangenehme Jahreszeit! Immer schon ist mir diese Phase ein Graus: nicht mehr Winter, aber noch nicht Frühling. Gelegentlich spürt man einen Hauch des Kommenden, fast nur ein Versprechen – und dann zieht sich das doch noch etliche Wochen hin. Es gibt da einen deutlichen Unterschied zwischen dem Norden Deutschlands und den südlicheren Gefilden, in denen ich aufgewachsen bin. Vielleicht erlebe ich es deshalb so genervt, weil ich „eigentlich“ der Meinung bin, Frühling solle im März beginnen. Und gleich richtig!

Die Jahreszeit als Grund für allerlei Missbefindlichkeiten anzusehen, ist dem Seelenfrieden dienlich. Ich muss dann nicht groß grübeln: Was ist nur mit mir los? Was könnte ich dagegen tun? Sondern ich gehe davon aus, dass es sowieso vorüber gehen wird, ganz von selbst.

Und doch: ganz reicht mir das zur Zeit nicht. Zwar sind die im letzten Beitrag erwähnten „Sitzprobleme“ derzeit im ertragbaren Rahmen, ich kann meine Arbeit machen, ohne dabei sehr zu leiden. Aber insgesamt ist irgendwie der Wurm drin. Die Harmonie zwischen den einzelnen Arbeiten (Webdesign, Schreibkurse), meinen sonstigen Aktivitäten (Diary, Mailinglisten, privates Schreiben, Coachingrunde Berlin) und allem, was ich diesseits des Monitors tue bzw. tun könnte und sollte, ist deutlich gestört. Der Berg an unerledigtem Papierkram spricht Bände – selten hab ich mich solange diesem Reich der Notwendigkeit verweigert. Na, zum Glück nicht ganz, ein bisschen geht’s schon voran. Aber der „grüne Bereich“, in dem ich mich wohl und up-to-date fühle, ist noch ein ganzes Stück weit weg.

Die Gesundheitstipps, die ich zum Thema „zuviel Sitzen und die Folgen“ erhielt, sind durchweg gut und bedenkenswert. Einiges werde ich vielleicht ausprobieren, danke jedenfalls allen herzlich, die dazu etwas geschrieben haben, im Forum oder privat.

Tatsache ist, dass es (leider!) kein „Wissensproblem“ ist, wenn ich über eine längere Zeit so „disharmonisch“ herum lungere und mich mit allerlei Defiziten und Zipperlein herum schlage, nicht richtig in die Gänge komme, zerstreut und unkonzentriert bin, von diesem zu jenem hüpfe, anstatt die Dinge richtig, freudig und vollständig zu erledigen und sie dann hinter mir zu lassen. Es ist eine Art Motivationsloch, eine Leere an der Stelle der Psyche, von der ich üblicherweise meine Kraft und mein Engagement beziehe. Ich bin nicht be-geistert, bzw. immer nur viel zu kurz und sprunghaft, sondern der Geist ist unruhig und zersplittert.

Was tun? Ich weiß, dass ich im Grunde nichts tun kann. Jedenfalls nicht auf dieselbe Weise, wie man ein äußeres Problem üblicherweise löst: Da tropft der Wasserhahn, also muss eine neue Dichtung rein. Das funktioniert hier nicht, denn „ich selber“ bin kein durchschaubares und zur Gänze überblickbares System, dem nur irgendwo ein Teil oder ein Schmiermittel fehlt. Ich glaube nicht dran, dass diese oder jene konkrete Veränderung wirklich hilft, ich weiß ja nicht einmal, was „helfen“ hier eigentlich bedeuten könnte. Aber – das weiß ich sicher – es wird den Zeitpunkt geben, an dem ich feststelle: es ist vorbei!

In Bewegung kommen

Wenn es kein konkretes „Tun“ gibt, das sich anbietet, um einen missliebigen Zustand zu verändern, dann liegt es nahe, zumindest etwas zu lassen: Mal alles, was „herein kommt“ auf ein Minimum herunter fahren und so der gesamten Leiblichkeit (Körper + Psyche + Geist) die Chance geben, aus sich heraus mittels der dann weitgehend ungestörten Lebenskraft ins Lot zu kommen.

Es passt, dass der Schreibimpulse-Kurs „Frühlingserwachen: Fasten, Schreiben und in Bewegung kommen“ nicht zustande gekommen ist. Es gab zu wenige Anmeldungen und einige weitere Interessenten wollten zwar die Themen (Gesundheit, Schönheit, Fitness…), aber nicht selber fasten. Also hab ich den erst mal abgesetzt und darüber nachgedacht, wie ich ihn umkonzeptionieren könnte: Fasten nur als Möglichkeit, aber nicht als „Gruppenzwang“ – oder vielleicht auch ganz ohne Bezug zum Fasten.

Dieser Kurs war einfach nur „eine gute Idee zum Thema Frühling“ gewesen. Dass er nicht zustande kam, zeigt mir, dass die immer angestrebte „Einheit von Leben und Arbeiten“ nun tatsächlich weit gediehen ist: Womit ich selber noch Probleme habe, womit ich aktuell selber kämpfe, das kann ich nicht allen Ernstes als Kurs anbieten! Natürlich wäre es möglich, das einfach im selben Stil wie die anderen Kurse „durchzuziehen“, vermutlich würde kein Teilnehmer merken, dass mein persönliches Sein in Bezug auf die Kursthemen gerade selber im Argen liegt. Schließlich hab ich schon gefastet und mich mit all diesen Themen des öfteren auseinander gesetzt. Und doch: es genügt nicht!

Dass der Kurs nicht zustande kam, liegt oberflächlich gesehen ja z.B. daran, dass ich ihn nicht so beworben habe, wie es hätte sein müssen, um genug neue Interessenten für dieses Thema zu finden. Warum wohl nicht??? Weil ich mir selbst nicht klar und sicher war, was ich da will, was ich da suche und was ich geben kann. (Und ob ich wirklich FASTEN will…) Völlig anders als in den anderen Kursen, in deren Themen ich schwimme wie ein fröhlicher Fisch im Wasser. Transfer 2004, das Philosophieren und Visionieren zum Jahreswechsel, war so genau „meins“, dass ich den Kurs gleich fürs nächste Jahr auf die Website setzte und sogar schon Anmeldungen habe. Auch „Kommunikation im Internet – Webdiarys und mehr“ werde ich wieder ansetzen – es ist ein Thema, in dem ich weiß, was ich tue und was ich vermitteln will. Kann es auf tausenderlei Weise variieren – kein Problem!

„Fasten, schreiben und in Bewegung kommen“ muss ich aber wohl erst mal selber. Nur für mich. Und JETZT hab ich auch Lust dazu. Alles weglassen, was belastet, was ablenkt und durcheinander bringt: das Essen, das Rauchen, jegliche geistigen Getränke und andere Genussgifte – allenfalls Tee werde ich gelegentlich trinken, falls ich das Gefühl bekomme, allzu sehr in meditative Trance zu fallen. Und natürlich mich bewegen! Wobei es nicht darum geht, einfach ein Programm durchzuziehen, das ich mir immer mal wieder verordne und es dann doch nur kurz durchhalte, sondern auf die Suche nach der FREUDE in der Bewegung zu gehen. Das braucht Fantasie und Konzentration – und dafür ist dann auch Zeit und Energie da, die ich sonst mit Essen, dessen Einkaufen und Zubereiten verbringe.

Und ich werde darüber schreiben, hier im Diary. Täglich, oder zumindest jeden zweiten Tag.

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Claudia am 29. Februar 2004 — 1 Kommentar

Nachrichten aus der Schreibflaute

„Viel Spaß!“, sagt der Bademeister und schließt die Tür des höhlenartig gestalteten Saunaraums von außen. Was er wohl meint? Er hat nur ein bisschen Frischluft herein gewedelt, grad mal drei kleine Kellen Wasser auf den Ofen gegossen – womit sollen wir jetzt Spaß haben? Mein Blick schweift über die auf ihren Handtüchern sitzenden Frauen und Männer, ich zähl mal durch: 24 Nackte auf drei Etagen, im Alter zwischen Mitte zwanzig und siebzig, alle sehen aus wie echte Menschen und nicht wie von den Werbetafeln gefallene Vorzeigekörper, einer der vielen Gründe, warum ich Sauna so mag: der Anblick des Mitmenschen, wie er wirklich ist, korrigiert die medial vermittelten Körperbilder aufs Angenehmste. Ich schaue gern hin und hab auch nichts dagegen, angeschaut zu werden. Wie anders als noch vor Jahren, als ich mir Sauna nur „vorstellte“ und automatisch davon ausging, dass hier vornehmlich Männer den Anblick nackter Frauen voyeuristisch konsumieren wollen. Mag ja sein, dass einige wenige, vor allem die ganz Jungen mit ihrem leidigen Triebstau, „so“ schauen – die Regel ist es nicht. Die drastischen physischen Eindrücke, schwitzen bei 90 Grad und dann das kalte Wasser, befreien sehr effektiv vom Kopfkino aller Art. Ein Ort der Entspannung eben, der GEMEINSAMEN Entspannung!

Vögelgezwitscher dringt aus verborgenen Lautsprechern, rechts neben mir steht der Sauna-Ofen, ausgestaltet als feuriger Vulkankrater. Und als er zu „glühen“ und Dampf zu speihen beginnt, setzt auf einmal der berühmte Chor aus den Carmina Burana ein: Oh, Fortuna!!! Wow, was für ein Erlebnis, ich bin begeistert! Daran ändert auch der kurze Hinweis meines kritischen Verstandes nichts, dass ich mich hier doch in einem ganz schön dekadenten Wellness-Ambiente befinde, während große Teile der Menschheit darben und ums Nötigste kämpfen. Der aufsteigende Dampf erhöht die Temperatur und lässt die Gedanken ersterben, schweigend und schwitzend lauschen wir der euphorisierenden Musik, geraten langsam näher an die Grenze des physisch Erträglichen, bis am Ende wieder Stille herrscht. Noch ein wenig Vogelgezwitscher, dann nichts mehr.

Für einen Moment wirkt es, als hinge da ein Bann über der „Gemeinde“: niemand traut sich, zuerst aufzustehen und den mittlerweile qualvoll heißen Raum zu verlassen. Wenn es noch lange dauert, werde ich es sein – aber nein, eine blonde Frau mittleren Alters erhebt sich und steigt zwischen den Anderen die Holz-Etagen hinunter. Erleichtert folgt ihr die Hälfte der Anwesenden in Richtung Abkühlung, ich gehe mit. Nach einer kalten Schwalldusche und einigen sanften Schlauchgüssen fühl ich mich wie neu geboren. Liebe Leserin, lieber Leser, macht das doch auch mal!

Vom Sitzschaden

Dieser Diary-Beitrag widmet sich ganz dem Physischen, für manche ist ja nur das das sogenannte „Reale Leben“. Dass ich eine Schreibflaute erlebe, hat jedenfalls physische Gründe. Ich kann kaum mehr sitzen, will und muss aber trotzdem sitzen, meine Arbeit machen, per Internet mit Auftraggebern, Kursteilnehmern, Freunden und Bekannten kommunizieren. Nie hatte ich vor, öffentlich über „Krankheiten“ zu jammern, wenn es aber mal soweit ist, dass ich deshalb weniger schreibe, mach‘ ich eine Ausnahme. Zudem passt das Wort Krankheit nicht, ich habe einfach eine Reihe von „Sitzschäden“: nach jetzt zwölf Jahren am PC ist das auch kein Wunder. Der „Mausarm“ mit einer Schwellung im Oberarmmuskel, der mich seit über einem Jahr zur Links-Klickerin gemacht hat, ist das Geringste. Auch die mittlerweile chronische leichte Taubheit am rechten Oberschenkel stört nicht wirklich. Wenn sich das alles aber dann mittels „flottierender Empfindungsstörungen“, die gelegentlich in der rechten Hand und am rechten Fuß auftreten, sowie Verspannungen in Hals und Schultern zu einem Kontinuum gefährlichen Missbefindens verbindet, dann ist wirklich der Punkt erreicht, an dem sich etwas ändern muss!

Aber was? 10.000 Möglichkeiten bieten sich an und ich weiß nicht, welche ich mir wirklich antun soll. Ich will nicht Dauerpatient werden und die große Ärzte-Tour beginnen: Allgemeinarzt, Neurologe, Orthopäde – sie würden mich vom einen zum andern schicken, jede Menge Diagnose-Prozeduren anwenden, mich dann durch ihren Gerätepark jagen (bestrahlen, Reizstrohm-behandeln, strecken, dehnen, schütteln, schaukeln…), mir allerlei Cremes und Tabletten verschreiben, und letztlich anhand von Röntgenbildern erläutern, dass man vielleicht an meinen Wirbeln ein bisschen herum operieren sollte. Dies alles zusammen sehe ich als ebenso große, wenn nicht größere Gefahr an, wie die „Krankheit“ selbst. Hinzu kommen die „alternativen Therapieformen“, undurchschaubar in ihrer Vielfalt – wie könnte ich beurteilen, was davon wirklich nützt? Soll ich mich auf eine Chi-Machine legen und die Fersen in Gestalt des Unendlichkeitszeichens rotieren lassen? Ich weiß nicht recht…

Sensorische Neuropathie – und dann?

Iß Vitamin B, rät ein lieber Freund. Das hat ihm geholfen und netterweise bringt er gleich eine Packung mit. Und ich lese im Beipackzettel: „Periphere sensorische Neuropathien (Missempfindungen vorwiegend an Händen und Füßen) wurden bei langfristiger Einnahme von Mengen über 50mg, sowie bei kurzfristiger Einnahme über 1g/Vitamin B6/Tag beobachtet“. Das irritiert mich, schließlich hab ich ja bereits solche „Missempfindungen“ und will sie weg haben! Aber wer weiß: vielleicht gilt hier ja auch das Gesetz der Homöopathie: Ähnliches hilf Ähnlichem?

Ohne technische Diagnosen weiß ich ja immerhin, was los ist: Das viele Sitzen staucht die Zwischenwirbelscheiben zusammen, verschärft noch durch zuwenig Trinken. Dadurch werden Nervenbahnen geklemmt und/oder zumindest gereizt, was ich dann als Gefühle der Wattigkeit, Taubheit oder Phantomberührungen an den Stellen spüre, die von diesen Nerven versorgt werden. Hilfreich wäre mehr Trinken, mehr Bewegung, weniger Sitzen. All das versuche ich auch, stoße aber immer wieder an Grenzen: die eigene Trägheit, eingefleischte Gewohnheiten, wichtige Arbeiten – es gibt immer Gründe, sich grad nicht um die Gesundheit zu kümmern. Ein Trauerspiel, das eine Verschärfung der Lage erzeugt, die mich dann doch droht, aus dem Spiel zu werfen: Wenn ich, wie seit einiger Zeit, beim Sitzen wirklich leide, ist Schluss mit lustig!

Ergonomie am Arbeitsplatz

Nächste Woche kommt endlich der neue Monitor, den mir ein lieber Diary-Leser gesponsert hat: ein 17-Zoll-Flat-Screen, leicht genug, dass ich ihn ohne mich zu überheben auf Bücherstapel stellen kann und so zumindest die Verspannungen in Hals und Nacken vermindern. Auf der Suche nach dem ergonomischen Arbeitsplatz kam mir auch schon eine radikale Idee: Warum nicht im Liegen arbeiten, wenn Sitzen nicht mehr geht? Ich hatte schon ein fertiges Konzept für so ein Arrangement: eine Art Zahnarztliege, links daneben der Monitorhalter auf einer Teleskopstange, mit einem Schwenkarm nach rechts, der den Monitor in frei kippbarer Stellung hält. Von rechts ein ähnliches Element für Tastatur und Maus. Ein Schlosser könnte so was locker bauen, dachte ich mir und war schon drauf und dran, das zu verwirklichen. Dass ich dafür die gesamte Ästhetik meines Arbeitszimmers opfern müsste, schien mir verkraftbar. Doch dann machte mir ein Freund klar, dass ich mich damit in die falsche Richtung bewege: ich akzeptiere die Behinderung, passe ihr die Lage an, die irgendwann eine neue Behinderung nach sich ziehen wird. Auch das Arbeiten in der Halbliege wird Nachteile haben, die sich auswirken.

Nun ja, ich bin Pragmatikerin: ich hätte dann ja vielleicht nochmal zwölf Jahre, bevor das eintritt! Da es aber doch eine verdammt aufwändige Lösung ist, hab‘ ich mich erst mal davon abbringen lassen und suche jetzt nach anderen Möglichkeiten. Versuche, öfter ins Fitness-Center zu gehen, wieder mehr Yoga zu machen, insgesamt gesünder zu leben – und ich frage herum, was andere Leute in Sachen Sitzprobleme alles schon hinter sich haben.

Und jetzt sortiere ich erst mal offline den Papierstapel mit Verwaltungs-, Steuer- und Behördenkram, der sich in den letzten Wochen angesammelt hat. Zum Abarbeiten muss ich dann aber wieder an den PC – sitzen, sitzen, sitzen!

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Claudia am 28. Januar 2004 — Kommentare deaktiviert für Genug gelitten: Vom Wollen und Machen

Genug gelitten: Vom Wollen und Machen

Der letzte Eintrag handelte vom Wünschen. Wünsche motivieren, zeigen mögliche Realitäten auf, erwecken Sehnsüchte. Ohne Wünsche fällt es schwer, auch nur einen Handschlag über das Notwendige hinaus zu tun. Ja, selbst das Verlangen, dass alles zumindest so bleibt, wie es ist und sich nicht etwa verschlechtert, ist ein Wunsch. Die Not zu wenden ist das Erste, dann treten die Möglichkeiten der Verbesserung ins Bewusstsein.

Reicht das, um zu handeln? Leider nicht! Immer wieder erlebe ich, dass zwar Wünsche da sind, dass ich sogar beschließe, nun dies und jenes anders zu machen, um sie zu verwirklichen – aber bereits nach kurzer Zeit vergesse ich es, bzw. ich denke um, andere Bewertungen der Grundsituation konterkarieren meine Entschlüsse, weil die Gefühle, Grundlage der Bewertungen, sich fortlaufend ändern. Echte selbst bestimmte Veränderungen sind selten und bis heute kann ich nicht erkennen, woran es liegt, wenn es auf einmal klappt.

Ein banales Beispiel ist das Rauchen. Ich hab schon öfter aufgehört, auch über längere Zeiträume. Noch viel öfter aber hab‘ ich beschlossen, aufzuhören, doch hat sich dieser Entschluss in vielen Fällen nicht lange gehalten. Eigentlich hat es nur DANN ganz gut funktioniert, wenn ich rund um das Aufhören kein großes Aufhebens machte – aber auch das ist kein Rezept.

Jahrelang sehnte ich mich danach, im Internet mal ein eigenes Projekt zu beginnen, nicht immer nur Aktivitäten anderer darzustellen und für sie Webseiten zu bauen. Doch alles, was ich anfing, war reines „Hobby“ – ich traute mich nicht, allen Ernstes etwas zu beginnen, wovon ich perspektivisch auch leben will. Dabei mangelte es mir nie an Ideen! Es waren sogar gute Ideen, denn oft konnte ich schon wenige Monate später sehen, wie jemand Anders sie verwirklichte, mit Erfolg! Warum hab ICH den Sprung vom Wünschen und Planen zum Tun nicht geschafft?

With a little help…

Um 2003 die Rauslink Schreibimpulse-Kurse zu verwirklichen, brauchte es einen großen Vorlauf. Ein guter Freund hat viel Herzblut investiert, um mir im Grundsatz klar zu machen, dass es nicht nur möglich, sondern auch völlig in Ordnung und erfolgversprechend ist, meinen eigenen Impulsen zu folgen. Das ernst zu nehmen und umzusetzen, was mir Freude macht. Aus keinem anderen Grund, als WEIL es mir Freude macht, WEIL ich es für gut und richtig halte, weil ich es als meine Realität wähle und erschaffe.

Das allein hat noch nicht genügt. Ich gründete ein kleines Rauslink Frauennetzwerk in Berlin und über Monate tagte alle zwei Wochen mein „Erfolgsteam“. Hier trug ich mein Konzept vor, bekam Feedback und interessante Ratschläge – ich erlebte, wie meine Worte (ich WERDE dies und das unternehmen…) von den Anderen als Wirklichkeit verstanden wurden, wogegen es für mich durchaus noch einfach Pläne, Wünsche, unverbindliche Konzepte waren. Erst dieses Erleben versetzte mich in die Lage, auch die nächsten Schritte zu tun – es wirklich zu TUN, nicht nur davon zu reden.

„Wenn wir es nur wollen und machen, kommt der Stein ins Rollen und Krachen“ – ein Spruch aus der Hausbesetzerzeit, der den Punkt trifft, aber die Frage nicht beantwortet, wie denn dieses Wollen, das mehr als Wünschen ist, nun eigentlich zustande kommt.

Im Raum des Leidens

Seit dem Wochenende hab‘ ich einen allergischen Ausschlag über den ganzen Körper. Das hat mich schwer deprimiert, ich fühlte mich rundum beschissen. Voller Ärger entsorgte ich sämtliche Industrienahrung, einschließlich aller Suppenwürfel, Soßen und Gewürzmischungen mit Glutamat oder anderen undefinierbaren Zusatzstoffen. Gelobte, nie wieder bei Lidl so einen Mist einzukaufen, wie ich es die Tage zuvor leichtsinnig getan hatte: Den Multivitaminsaft mit AEC-Anreicherungen, den Tropical Mix aus 12 exotischen Früchten, die Shrimps in Lake und auch noch eine Dose Putenfleisch im eigenen Saft – letztere hab‘ ich am Abend vor dem Ausschlag zur Hälfte verzehrt. Zu alledem mehrere Tage Cola Light, das ja praktisch NUR aus „seltsamen Stoffen“ besteht. Ich dachte, all das würde mir nicht weiter schaden, denn ich hab‘ immer alles gegessen, worauf ich Lust hatte – allerdings nie soviel Schrott auf einmal! Offensichtlich waren das nun zu viele fremde Informationen für mein Immunsystem – oder lag es an etwas Anderem? Vielleicht was „Psychisches“???

Grübelnd versank ich in immer größere Wehleidigkeit. Sah diesen Allergie-Schock in einer Reihe von Krankheitserscheinungen, die mich seit Oktober heimsuchen – Erkältungen, Zahnprobleme, Nasennebenhöhlenvereiterung, Schlaffheit. Mein Fitnesscenter hatte Ende September die Sauna wegen Umbau geschlossen. Für mich ein Grund, nicht mehr hinzugehen, denn ohne die „Belohnung“ des Saunagangs danach reichte die Motivation nicht mehr zum Sporteln. Zudem war die Arbeit deutlich angewachsen, meine Kurse liefen, ich schaffte es, meine „gewünschte Realität“ zur Wirklichkeit zu machen und hatte Freude daran. Doch alles daneben entwickelte sich mehr und mehr zum Chaos, zumindest empfand ich es so: Unübersichtliche Berge von zu erledigenden Dingen, immer drohender das Unerledigte, Steuer 2002 noch immer nicht im Kasten – in mir wuchs das Gefühl, dringend mal selber „auf den Arm“ zu wollen. Mein Empfinden wurde immer selbstmitleidiger und kindlicher, was vielleicht etwas damit zu tun hat, dass ich dann auch ernährungsmäßig mehr und mehr schluderte.

Natürlich versuchte ich die ganze Zeit, das zu verändern. Aber alles, was ich „beschloss“, bzw. mir vornahm, hielt gerade mal ein paar Stunden, bis mich das nächste Tief erwischte. Und dann auch noch der Ausschlag – so was hatte ich noch nie!

Realität wird erschaffen

Ich würde das hier nicht schreiben, wenn es sich nicht verändert hätte. Wenn ich eines begriffen habe, dann das: Jammern, Klagen und Schimpfen verfestigt nur die Zustände, an denen ich leide. Genauso wie meine Coaching-Runde durch Gespräche Realität schaffen kann, die von den Teilnehmerinnen dann auch als solche begriffen und umgesetzt wird, genauso erschaffe ich meine Welt, indem ich in Worte fasse, was gerade geschieht. Dieses „was gerade geschieht“ ist nämlich nichts Festes, objektiv Vorhandenes. Sondern ich betrachte Phänomene, bewerte sie von aktuellen Gefühlen und Befindlichkeiten her, setze sie in Zusammenhänge, sehe (wähle!) Ursachen und Wirkungen, bilde mir eine Er-Klärung – und wenn ich all das dann noch in einem hübschen runden Artikel der Welt erzähle, dann IST es so! Dann bekomme ich womöglich mitleidige und hilfreich gemeinte Ratschläge, die mir bestätigen, dass ich WIRKLICH arm dran bin und Hilfe brauche.

Wirkliche Hilfe kann aber niemand geben, nicht auf der Ebene der Ratschläge: Tu doch dies, mach doch das, ändere doch jenes! Denn das ist ja dasselbe, das ich mir auch selbst stets verordne und mit dem ich nicht weiter komme, jedenfalls nicht heraus aus den Zuständen des Leidens. Um da heraus zu kommen, muss ich wieder loslassen, die einzelnen Phänomen wieder einzelne Phänomene sein lassen: ein Hautauschlag, ein Jucken am ganzen Körper – na und? Diverse Papiere in verschiedenen Ordnern, die ich mal binnen zwei Stunden zur Steuererklärung 2002 zusammen fassen muss – ein Problem? Nur, wenn ich es dazu mache, wenn ich mir „darüber einen Kopf mache“, anstatt es einfach zu tun. Schlaffheit am Nachmittag – muss mich das tief berühren?

Nein! Seit kurzer Zeit weiß ich es wieder! Nichts zwingt mich, an all diesen Dingen „einzuhaken“ und festzukleben, über sie zu grübeln und Ursache-Wirkungszusammenhänge zu suchen, in der Meinung, ich könnte dann etwas ändern. Ich kann SOFORT etwas ändern, indem ich die Phänomene so sein lasse, wie sie mir begegnen und kein „großes Aufhebens“ um sie mache. Was haben sie mit mir zu tun? Sie kommen und gehen – auch der Hautauschlag wird wieder gehen. Und selbst, wenn nicht: wie ich merke, kann ich blendend davon absehen und meinen spannenden Arbeiten nachgehen, den nächsten Kurs vorbereiten, mich in die Gestaltung einer Website versenken – und heut‘ noch mach‘ ich Steuer 2002.

Gestern dann zum ersten Mal keine Schlaffheit am Nachmittag. Dabei war ich völlig bereit, sie ganz gelassen auszusitzen. Vielleicht ist sie ja DESHALB nicht gekommen? Achtung, Fehlweg! Der machtgeile Verstand ist immer schnell dabei, neue Konzepte zu erkennen, wie das Leiden zu vermeiden sei. Und verstrickt sich dann im Absurden: Gelassenheit als Kopfkonzept wäre auch nur eine Vorschrift wie „du sollst dich gesund ernähren“. Der Vorschrift folgend, müsste ich gelassen beobachten können, wie ich die Gelassenheit verliere – und damit bin ich am Ende sinnvollen Denkens: Wer bitte ist da „ich“?

Nicht, dass das keine interessante Frage wäre. Aber auch an ihr will ich jetzt nicht festkleben. Das können Andere besser. Zum Geheimnis des Willens, zu dem, was wirklich in die Lage versetzt, Änderungen zu bewirken, kann ich im Moment nur sagen: es ist ein inneres Umschwenken in eine andere Haltung den Phänomenen gegenüber, ein tatsächliches Ergreifen der eigenen Definitionsmacht, die Wirklichkeit schafft. Nach allem, was ich damit schon erlebt habe, sehe ich zumindest, dass es mir letztlich nicht gelingt, es alleine aus mir heraus „zu machen“. Denn mein übliches Denken, Meinen, Wünschen und Beschließen geschieht aus dem planenden Verstand, der eben nur ein Teil des Ganzen ist, das ich bin. Und deshalb bleiben solche Beschlüsse kraftlos, führen sogar oft in die Irre, wenn ich dann noch Energie einsetze und mein eigener Sklaventreiber bin.

Aber manchmal bekomme ich einen Anstoß von außen. Jemand sagt nicht „geh du mal wieder ins Fitness-Center“, sondern öffnet mir erneut den Blick auf die Dinge, wie sie sind: Phänomene, die kommen und gehen. Material, aus dem ich durch Bewerten und In-Bezüge-Setzen meine Wirklichkeit erschaffe. Und auf einmal ist da wieder Spannung, Neugier, Leidenschaft: Ich löse die selbst erdachten Leid-Szenarien und schaue, was ich daraus sonst noch machen kann. Wenn es so herum funktioniert, steht ja auch der andern Richtung nichts im Wege.

Und jetzt ruft mich ein Kunde – ich hab‘ richtig Lust auf Arbeit!

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Claudia am 21. Januar 2004 — 1 Kommentar

Über das Wünschen

„Was wir uns wünschen“ – natürlich durfte dieser Schreibimpuls in einem „Kurs für Jahresendzeitmuffel“ nicht fehlen! Egal, wie skeptisch, kritisch, oder belustigt man auf den kalendarischen Start in ein neues Jahr schauen mag: Irgendwo kommen sie doch um die Ecke, kleine und große Wünsche, Unzufriedenheiten, Sehnsüchte nach Veränderung. Zum neuen Jahr gibt’s für kurze Zeit die kollektive „Lizenz zum Wünschen“, man darf in die Vollen gehen, auch Träume und Verrücktheiten aussprechen, ohne damit den Eindruck zu erwecken, mit dem eigenen Leben uneins zu sein, gar ein „Problemkind“, das seine Möglichkeiten nicht zu nutzen versteht und immer nur wünscht und jammert.

Mein eigenes Verhältnis zum Wünschen ist zwiespältig und schwankend. Lange Zeit meinte ich, keine Wünsche zu haben. Mit dem zufrieden zu sein, was ist, schien mir die einzig richtige Haltung. Dankbarkeit empfinden für das Glück, nicht zu hungern, eine angenehme Wohnung zu haben, eine Arbeit, die mir Freude macht. Mit zunehmendem Alter kommt auch die Dankbarkeit dazu, noch halbwegs gesund zu sein – ist es nicht geradezu unverschämt, noch spezielle, ganz persönliche Wünsche zu haben? Klar, den Weltfrieden kann man sich wünschen – aber sonst?

Manchmal dann der Sprung auf die andere Seite: „Was du nicht erfühlen kannst, das wirst du nicht erjagen!“. Schon Goethe sah das Wünschen, das auch ein Hineinfühlen in die Erfüllung umfasst, als Energie an, die uns zu Taten treibt. Was sollte mich bewegen, auch nur einen Handschlag zu tun, wenn ich rundum glücklich und zufrieden bin, wenn der Status Quo mir als die beste aller möglichen Welten erscheint? Ich kenne das aus Zeiten relativ gesicherter Existenz, alles ist eigentlich optimal, kein Drucktermin drückt, keine Gefahr droht – und prompt hänge ich herum und schlage die Zeit tot, während untergründig ein Gefühl der Unzufriedenheit wächst. Die große Langeweile zeigt ihr grau-schwarzes Gesicht, etwas fehlt und ich spüre kaum mehr, dass ich lebe. Ganz schön verrückt!

Die Ablehnung des Wünschens bedeutete für mich einen Weg zur Gelassenheit: Wenn ich nichts wünsche, sondern die Sonne dafür lobe, dass sie morgens aufgeht, kann ich auch nicht enttäuscht sein, wenn sich meine Wünsche nicht erfüllen. In der Auseinandersetzung mit dem Buddhismus verstärkte sich diese Sicht der Dinge noch einmal: Alles Leben ist Leiden, sagte Buddha, und meinte damit die Tatsache, dass sich alles Errungene wieder verflüchtigt und wir dann unausweichlich an den Verlusten leiden. Zeitweise unterfütterte diese Lehre meine ganz persönliche Wunschlosigkeit mit einem zitierfähigen Überbau, zeitweise spürte ich auch eine heftige Ablehnung gegenüber dieser und allen anderen spirituellen Lehren, die immer auch eine Art Weltüberwindung durch Entsagung vertreten. Wie lebensfeindlich! Etwas für Zahnlose, die auf Freuden und Lüste verzichten, um jeglicher Enttäuschung und jedem Schmerz auszuweichen – nicht mein Ding!

Nun bin ich selbst schon etliche Zähne los. Gerade neulich ist mir beim Salatessen einer abgebrochen, der war schon einige Zeit tot, obwohl erst kürzlich neu überkront. Und selbstverständlich wünsche ich mir jetzt irgendwoher eine Geldspritze, damit ich mir den Zahnersatz leisten kann. (Gottlob sieht man die Lücke nicht, wenn ich nicht sehr breit lache.) Und wenn ich schon mal grad dabei bin: Ein großer Flachbildschirm täte meinen Augen richtig gut. Der 19-Zöller, der vor mir steht, ist schon ziemlich betagt und kundige Freunde raten mir dringend, nicht länger so viele Stunden täglich in diese Strahlenkanone zu starren. Der Stuhl, auf dem ich sitze, war zwar vor sechs Jahren der letzte Schrei, da hab ich mal richtig Geld ausgegeben! Aber heute entspricht er nicht mehr den Erkenntnissen über ergonomisches Sitzen. Und das ist nicht nur Marketing, sondern richtig wahr: er kippt bei Bedarf überall hin und vieles lässt sich einstellen, nur kippt er eben leider nicht nach vorne, verhindert also das „dynamische Sitzen“. Mein Mausarm und mein Rücken lassen mich spüren, was damit gemeint ist.

Reine Abwehrwünsche bis hierher. Wünsche, die den natürlichen Verfall des Körpers und seine Abnutzungen und Leiden aufgrund zeittypischer Nutzungen abwehren und rückgängig machen wollen. Sie zu leugnen, ist fast unmöglich, aber auch sie lassen sich ablehnen: Warum nicht gegenüber dem Verfall Gelassenheit üben? Ist er doch letztlich unvermeidlich, warum also dagegen ankämpfen? Ein Freund von mir praktiziert lange schon diese Philosophie und ich bewundere ihn manchmal dafür. Allerdings kann ich ihm nicht folgen, müsste mich in einer Weise selbst verleugnen, die Schaden an meiner Seele bedeuten würde. Gesund und schmerzfrei will ich schon sein, mindestens!
Wieder jung?

Und sonst? Wie weit würde ich in diesem Wünschen gehen? Mal angenommen, die sprichwörtliche Fee erscheint und bietet mir an: „Du kannst den Körper wieder haben, den du mit fünfundzwanzig hattest – entscheide dich JETZT!“. Was würde ich tun?

DAS würde ich ablehnen. Zwar mit einer gewissen Wehmut, aber ohne Zögern und Zweifeln. Nicht, weil ich etwas dagegen hätte, gesund, schlank, schön und straff zu sein, ohne mich groß darum bemühen zu müssen. Sondern weil ich weiß, dass „ich“ in sehr weit gehendem Sinne dieser Körper BIN, dieser fast fünfzig-jährige, nicht mehr ganz so schlanke, nicht mehr ganz gesunde und deutlich weniger straffe Körper. Die Wissenschaft (und zwar die „herrschende“ UND die „alternative“) tut immer so großartig, wenn wieder einmal für irgend eine urmenschliche Qualität im Denken, Fühlen, Welt.wahrnehmen eine messbare „materielle Entsprechung“ gefunden wird, irgendwelche Botenstoffe, ein „Bauchgehirn“, Licht-Quanten, die aus den Zellen strahlen oder was immer. Ich brauche dazu keine Beweise, denn ich BIN es ja jeden Tag. Zwanzig Minuten Yoga-Üben versetzt mich in einen völlig anderen Zustand, Treppen-Steigen fühlt sich anders an, wenn ich dreimal die Woche ins Fitness-Center gehe, fünf Kilo Gewichtsunterschied ändern spürbar mein Lebensgefühl, genauso wie das Wetter, das Rauchen, die Ernährungsweise, die Jahreszeit und vieles vieles mehr. Und all das Viele in seinen tausend Qualitäten spüre ich heute anders, sehr viel intensiver in Leid UND Lust, als mit fünfundzwanzig. Deshalb sag ich zur Fee ganz ruhig: nein danke! Erbarme dich doch statt meiner der Leserschaft von Fit-for-Fun!

Was also wünsche ich mir noch, mal abgesehen von den „Erhaltungsbedürfnissen“? Wenn ich so überlege und mir dies und das vorstelle, merke ich, dass es schwer fällt, zu Wünschen jenseits solcher Verteidigungen eines Status Quo zu kommen. Allenfalls will ich dann noch mehr Sicherheit und Bequemlichkeit – also mehr Geld, ein regelmäßiges Einkommen, um das ich nicht immer neu kämpfen muss. Alles keine „richtigen“ Wünsche, sondern reine Rationalität, auf die Zukunft und den Erhalt der „Möglichkeiten“ gerichtet.

Richtiges Wünschen ist ein Fühlen. Der gedankliche Radar richtet sich spontan auf irgend etwas und ein warmes, sonniges Gefühl durchströmt mich, vom Herzen ausgehend. Im letzten Sommer hatte ich dieses Gefühl, als mich ein Freund für ein paar Wochen coachte und ich ernsthaft dazu kam, mir für das, was mir in der Arbeit am meisten Freude macht, auch richtig Zeit zu nehmen – und zwar inmitten der „Hauptarbeitszeit“ des Tages! Ich plante die Schreibimpulse-Kurse morgens zwischen zehn und zwölf, und erst dann widmete ich mich meinen Webdesign-Kunden. Heute hab‘ ich dasselbe Gefühl auch beim Gedanken daran, wieder gestalterisch zu arbeiten, „Bilder der Liebe“ herzustellen, die ich mir selber gern an die Wand hängen würde und sie als Grafik-Serien online zu verkaufen. Wenn ich soweit komme, das vormittags anzugehen, wird es sich realisieren – bis dahin nehme ich mir manchmal diese „wichtige Zeit“, um Diary zu schreiben. Nicht so oft, wie ich es mir wünsche, schließlich muss ich Geld verdienen, aber oft genug, um „am Ball“ zu bleiben, in Kontakt mit diesem warmen Gefühl, das vom Herzen kommt.

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Claudia am 15. Januar 2004 — Kommentare deaktiviert für Das menschliche Dilemma

Das menschliche Dilemma

Neuerdings sind Benimm-Kurse wieder angesagt, lese ich in der Zeitung. Junge Leute lernen freiwillig die Regeln gesellschaftlichen Umgangs, die Handhabung verschiedenster Essbestecke an kompliziert gedeckten Tafeln und die Reihenfolge, wer wen wem zuerst vorstellt. Meine Generation hatte diesen ganzen „unspontanen“ und „heuchlerischen“ Schmodder dereinst abgeschafft, total begeistert vom gänzlich Formlosen: ungezwungen und echt wollten wir sein, frei und ungebunden – eben „locker drauf“. Feste waren nur noch Ansammlungen einander fremder Menschen, die selber zusehen mussten, was sie miteinander anfangen – oder eben nicht. Unmengen Alkohol und laute Musik ersetzten Programm und Gastgeber, Nudelsalat wurde gern in Kinderbadewannen angerichtet, und wenn jemand zu Besuch kam, sagte man allenfalls: Da drüben ist der Kühlschrank!

Im persönlichen Umgang waren Offenheit und Ehrlichkeit oberste Werte, auch wenn die Wahrheit weh tat. Besitzansprüche in der Liebe galten als Sünde: wie könnte ein Mensch einen anderen besitzen? Mit welchem Recht sollte einer dem anderen vorschreiben dürfen, was er oder sie zu tun oder zu lassen hätte? Wir waren stolz auf unsere „offenen Beziehungen“, auch wenn die sich im Wesentlichen in „Beziehungsdiskussionen“ erschöpften: Nächtelange Gespräche über legitime oder illegitime Ansprüche, jeder auf der Suche nach Nähe, Zärtlichkeit und Verstehen, die so in immer weitere Ferne rückten.

Alles lange her. Diese Zeit hat mich geprägt, ihre Sichtweisen bilden den „historischen Hintergrund“ meiner Bewertungsskalen, und eigene Veränderungen spüre ich daran, wenn sie auf einmal nicht mehr stimmen. Mit zunehmendem Alter und wachsender Lebenserfahrung geschehen Umwertungen, die ich mir früher nie hätte träumen lassen. Dass ich mich mal nach Regeln und Konventionen, nach bloßer Höflichkeit sehne, ist zum Beispiel so eine Veränderung. Sowas galt uns als wertlose „Sekundärtugend“, die auf den Müllhaufen der Geschichte gehört. Warum Freundlichkeit heucheln, wenn es mir nicht danach ist? Warum ein Essen loben, dass mir nicht schmeckt? Das ist doch dann eine glatte Lüge! (empörtes Stirnrunzeln…).

Wahrheit in allen Situationen kann man solange ungebrochen fordern, wie man jung genug ist, von der Welt und vom Mitmenschen nur das Beste zu erwarten. Vielleicht nicht gleich, aber spätestens, wenn sie vom falschen Bewusstsein und anderen Großübeln endlich befreit ist. (Wir arbeiteten dran…) Damit einher geht ein Selbstverständnis, das sich immer im Recht, immer auf der Seite des Guten wähnt. Kein Grund also, mit dem ICH hinterm Berg zu halten: Ich will, ich denke, ich meine, ich brauche – ich, ich, ICH!

Mir scheint, mit zunehmendem Alter sortieren sich die Menschen dann in zwei Schubladen: die einen behalten diese Sicht der Dinge bei, koste es, was es wolle. Das eigene Handeln, Wollen und Meinen ist immer irgendwie zu rechtfertigen, und die Anderen sind entweder gut oder böse. Mit den Guten ist man befreundet, die anderen werden bekämpft. Und immer wieder – leider leider! -wird ein Freund als Böser erkannt und muss aussortiert werden. Am Ende wird so jemand zwangsläufig sehr einsam, verknöchert und verbittert, bleibt aber rechthaberisch bis zum letzten Atemzug, dem Pflegepersonal ein Graus.

Die Anderen schauen genauer hin, erkennen in den Augenblicken drastischen Scheiterns, dass das Böse, Widrige, Unfriedliche und Unverschämte nicht nur bei den Anderen zu finden ist. Sondern ebenso, und zwar nicht zu knapp, im eigenen Zentrum: Ich will, ich brauche, ich erwarte von dir, dass du… es mag harmlos anfangen, doch es führt mit staunenswerter Geschwindigkeit in vielerlei Abgründe: Unterdrückung, Streit, Wut, Hass, Krieg. Besonders deprimierend daran ist, dass es die ureigensten und an sich nicht kritisierbaren Lebensbedürfnisse sind, die sich als Wurzel des Übels erweisen, sobald ich sie als Anspruch und Erwartung dem Mitmenschen aufdrücke: der Wunsch nach Sicherheit und Stabilität, nach Wahrgenommen-Werden und Resonanz, nach Nähe, Zärtlichkeit und Erotik, nach Geliebt- und Gebraucht-Werden. All diese wunderschönen Dinge werden gerade NICHT erreicht, wenn ich meine Bedürftigkeit an die erste Stelle setze und den Anderen als Mittel sehe, mir zu verschaffen, wonach es mich verlangt.

Ein unlösbares Dilemma, nur vom menschlichen Geist wahrnehmbar. Entweder man unterdrückt Andere, beschränkt ihre Freiheit und Lebendigkeit – oder sich selbst.

(Stimmt nicht? Warum dann zum Beispiel dieses genervte Gefühl, wenn jemand redet und redet und gar nicht mehr aufhört? Er/sie lebt doch nur das urmenschliche Verlangen nach Beachtung aus – ist daran irgend etwas falsch?)

Weil wir das Dilemma als solches erkennen können und aus diesem Erkennen die Sehnsucht entsteht, den Schauplatz des gesamten Leiden-schaffenden Geschehens zu verlassen, sich zumindest irgendwie heraus zu halten, nannte Nietzsche den Geist „bio-negativ“. Denn wer vom Bazillus dieser „Sicht der Dinge“ angekränkelt ist, wird sich nicht mehr ungebrochen in den Kampf ums eigene Glück stürzen, es nicht mehr wollen und damit auch nicht mehr können. Also werden sich Andere erfolgreicher fortpflanzen und den weiteren Lauf der Welt bestimmen.

„Zivilisierte“ Gesellschaften, die mit all den bedürftigen, lebensgierigen und liebes-sehnsüchtigen Individuen irgendwie funktionieren müssen, haben zum Zweck halbwegs friedlichen Miteinanders die Sekundärtugenden entwickelt und Benimm-Regeln etabliert. (Höfliche Konversation verteilt die Redezeit gleichmäßig, egal, WAS gesagt wird und WER es sagt) Ritualisierter Umgang, feste Formen, Recht und Gesetz, Ehe und Familie, Tradition und Gewohnheit: All das bringt nichts Wahres ins Falsche, aber lässt die Karre irgendwie weiter laufen.

Immerhin! Das jugendliche „Hau weg den Scheiß“ ist mir jedenfalls vergangen.

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Claudia am 14. Januar 2004 — Kommentare deaktiviert für Schreiben hilft – aber wie?

Schreiben hilft – aber wie?

Eine Kursteilnehmerin stellte kürzlich die Frage nach dem Schreiben als einem „Sich auskotzen“. Alles mal rauslassen, was auf der Seele liegt und schmerzt, einfach mal hemmungslos jammern, klagen, schimpfen – ist das nicht befreiend und erleichternd? Reinigend wie ein Gewitter nach einer langen staubigen Dürre?

Wer noch kaum Schreibpraxis hat, wird vielleicht gerade diesen Zugang wählen. Für den Moment fühlt es sich womöglich auch gut an – aber dann? Ist damit etwas gewonnen, wenn ich irgendwelche Leiden und Schwierigkeiten, sowie alle negativen Gefühle, die damit zusammenhängen, in die Tasten fließen lasse? Ich spreche jetzt nicht vom Veröffentlichen, sondern einzig vom Aufschreiben, vom „heraus schreiben“ – ist es dann weg oder gebessert?

Gestern war mir das egal. Ich war bereit, zu jammern. Mein letzter Artikel begann ursprünglich mit der Überschrift „Ich will auf den Arm!“ und das entsprach genau meinem aktuellen Gefühl am Ende einer etwas depressiven Phase. Dann aber merkte ich, dass es nicht möglich war, einfach abzubilden, was in mir wühlte, nicht einmal „nur für mich“. Zu sehr ist mir in Fleisch und Blut übergegangen, dass Worte und Sätze ein magisches Handeln sind. Mit allem, was ich niederschreibe, erschaffe oder verfestige ich eine Realität. Solange sich die Gedanken als frei fließender Strom im Kopf bewegen, ist alles plastisch, änderbar von Augenblick zu Augenblick. Wenn ich aber hinschreibe „X ist ein Eumel!“ oder „mein Chef macht mich krank!“ oder auch „ich fühl mich so beschissen und leide unter XYZ“, dann hab‘ ich mich fortan mit einer Realität auseinander zu setzen, die nach Konsequenzen verlangt: Was tu ich jetzt? Wie begegne ich in Zukunft diesen Eumeln? Was muss ich ändern, um mich vom Leiden zu befreien?

Vermutlich benutzen viele das Schreiben genau dafür: Realität fassbar machen, sich damit auseinander setzen und etwas ändern. Oft ist das aber genau der Weg, erst richtig ins Leiden hinein zu kommen. Bliebe es beim Gedankenstrom, würde dieser sich binnen kurzer Zeit mit großer Sicherheit von selber andere Themen suchen, er kann gar nicht anders. Stimmungen und Gefühle als „Schreibimpulse“ wechseln so schnell wie das Wetter in der Eifel. Besser, ich passe einen ab, der mich nach vorne bringt – und „vorne“ ist immer da, wo ich mich wieder besser fühle!

Also alles ignorieren, was nervt? Das nicht. Es geht einfach nicht – nicht, solange ich in den entsprechenden Gefühlen und Gedanken kreise, nicht im „Raum des Leidens“, der seine Schreibimpulse setzt wie alle anderen Lebensräume. Was raus will, muss raus – aber WAS ist DAS? Dieses „Etwas“ kann ich in bestimmten Grenzen frei wählen. Und stelle fest: der schlichte „tagebuchartige“ Bericht aus dem Leben wäre die schlechteste Wahl, würde nur meine miesen Empfindungen noch verstärken und mein Selbstmitleid vergrößern. Statt dessen können „Randaspekte“ wirklich gut tun – und diese erschließen sich mittels anderer „Textsorten“. Der Artikel „Schlimmer als Mundgeruch“ handelt zum Beispiel von Bedürftigkeit: Es hätte eine Aufzählung werden können von allem, was ich gerade entbehre, wonach es mich verlangt, was ich zu brauchen meine, um mich wieder besser zu fühlen (auch das lässt sich so abstrakt formulieren, dass keinerlei Intimitäten verletzt werden). Statt dessen ist es – und zwar ganz „von selber“ – eine kleine, selbstironisch-zynische „Brandrede“ geworden. Ein kurzer, dichter Text rund um den „Randaspekt“: Was mich hindert, einfach mal so zu jammern und zu klagen. Diese „Hinderungen“ werden durch den Kakao gezogen und zum Abschuss frei gegeben, dem großen Gelächter über menschliche Schwächen überantwortet. Als Negativbild dieser „Demontage“ wird das Leiden, das sie ausgelöst hat, sichtbar – jedoch ohne definiert und damit fest-geschrieben zu werden. Hinterher fühlte ich mich um Klassen besser! Konnte wieder über mich lachen, die Luft war wieder frisch und schon bald floss der Gedankenstrom weiter zu anderen, beglückenderen Themen.

Das ist nicht die einzige „Methode“. Es gibt andere, zum Beispiel die direkte, ins Extrem gesteigerte „Brandrede an das Böse“, oder, unauffällig aber wirksam, die Darstellung einer belastenden Angelegenheit in der dritten Person: als wäre ich lediglich Journalistin und berichtete über etwas, das mich selber gar nichts angeht.

Es ist recht neu für mich, das eigene Schreiben so zu rationalisieren und zu analysieren. Schließlich habe ich mir diese „Methoden“ nicht ausgedacht. Sie sind mir zugewachsen, einfach aufgetaucht in all den Jahren, in denen mir das Schreiben zur selbstverständlichen Geste geworden ist: als Selbstausdruck, zur Gewinnung von Klarheit, zur Bearbeitung jeglicher Formen von Leiden, zur Lebensbewältigung ganz allgemein. Durch die Schreibimpulse-Kurse bin ich auf einmal gefragt: WIE und WARUM schreibst du eigentlich? Warum so und nicht anders? Zu Beginn kam ich mir dabei vor wie der Tausendfüßler, den man fragt, wie er denn seine vielen Beine beim Gehen ordnet. Dabei ist es zum Glück nicht geblieben: wo gefragt wird, entstehen auch Antworten, eine ständige Praxis lässt sich tatsächlich „von außen“ ansehen und in Worte fassen. Ob allerdings meine Antworten auch für Andere nützlich sein können, müssen diese Anderen für sich selber ausprobieren. Schreibend!

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