Claudia am 28. Januar 2004 —

Genug gelitten: Vom Wollen und Machen

Der letzte Eintrag handelte vom Wünschen. Wünsche motivieren, zeigen mögliche Realitäten auf, erwecken Sehnsüchte. Ohne Wünsche fällt es schwer, auch nur einen Handschlag über das Notwendige hinaus zu tun. Ja, selbst das Verlangen, dass alles zumindest so bleibt, wie es ist und sich nicht etwa verschlechtert, ist ein Wunsch. Die Not zu wenden ist das Erste, dann treten die Möglichkeiten der Verbesserung ins Bewusstsein.

Reicht das, um zu handeln? Leider nicht! Immer wieder erlebe ich, dass zwar Wünsche da sind, dass ich sogar beschließe, nun dies und jenes anders zu machen, um sie zu verwirklichen – aber bereits nach kurzer Zeit vergesse ich es, bzw. ich denke um, andere Bewertungen der Grundsituation konterkarieren meine Entschlüsse, weil die Gefühle, Grundlage der Bewertungen, sich fortlaufend ändern. Echte selbst bestimmte Veränderungen sind selten und bis heute kann ich nicht erkennen, woran es liegt, wenn es auf einmal klappt.

Ein banales Beispiel ist das Rauchen. Ich hab schon öfter aufgehört, auch über längere Zeiträume. Noch viel öfter aber hab‘ ich beschlossen, aufzuhören, doch hat sich dieser Entschluss in vielen Fällen nicht lange gehalten. Eigentlich hat es nur DANN ganz gut funktioniert, wenn ich rund um das Aufhören kein großes Aufhebens machte – aber auch das ist kein Rezept.

Jahrelang sehnte ich mich danach, im Internet mal ein eigenes Projekt zu beginnen, nicht immer nur Aktivitäten anderer darzustellen und für sie Webseiten zu bauen. Doch alles, was ich anfing, war reines „Hobby“ – ich traute mich nicht, allen Ernstes etwas zu beginnen, wovon ich perspektivisch auch leben will. Dabei mangelte es mir nie an Ideen! Es waren sogar gute Ideen, denn oft konnte ich schon wenige Monate später sehen, wie jemand Anders sie verwirklichte, mit Erfolg! Warum hab ICH den Sprung vom Wünschen und Planen zum Tun nicht geschafft?

With a little help…

Um 2003 die Rauslink Schreibimpulse-Kurse zu verwirklichen, brauchte es einen großen Vorlauf. Ein guter Freund hat viel Herzblut investiert, um mir im Grundsatz klar zu machen, dass es nicht nur möglich, sondern auch völlig in Ordnung und erfolgversprechend ist, meinen eigenen Impulsen zu folgen. Das ernst zu nehmen und umzusetzen, was mir Freude macht. Aus keinem anderen Grund, als WEIL es mir Freude macht, WEIL ich es für gut und richtig halte, weil ich es als meine Realität wähle und erschaffe.

Das allein hat noch nicht genügt. Ich gründete ein kleines Rauslink Frauennetzwerk in Berlin und über Monate tagte alle zwei Wochen mein „Erfolgsteam“. Hier trug ich mein Konzept vor, bekam Feedback und interessante Ratschläge – ich erlebte, wie meine Worte (ich WERDE dies und das unternehmen…) von den Anderen als Wirklichkeit verstanden wurden, wogegen es für mich durchaus noch einfach Pläne, Wünsche, unverbindliche Konzepte waren. Erst dieses Erleben versetzte mich in die Lage, auch die nächsten Schritte zu tun – es wirklich zu TUN, nicht nur davon zu reden.

„Wenn wir es nur wollen und machen, kommt der Stein ins Rollen und Krachen“ – ein Spruch aus der Hausbesetzerzeit, der den Punkt trifft, aber die Frage nicht beantwortet, wie denn dieses Wollen, das mehr als Wünschen ist, nun eigentlich zustande kommt.

Im Raum des Leidens

Seit dem Wochenende hab‘ ich einen allergischen Ausschlag über den ganzen Körper. Das hat mich schwer deprimiert, ich fühlte mich rundum beschissen. Voller Ärger entsorgte ich sämtliche Industrienahrung, einschließlich aller Suppenwürfel, Soßen und Gewürzmischungen mit Glutamat oder anderen undefinierbaren Zusatzstoffen. Gelobte, nie wieder bei Lidl so einen Mist einzukaufen, wie ich es die Tage zuvor leichtsinnig getan hatte: Den Multivitaminsaft mit AEC-Anreicherungen, den Tropical Mix aus 12 exotischen Früchten, die Shrimps in Lake und auch noch eine Dose Putenfleisch im eigenen Saft – letztere hab‘ ich am Abend vor dem Ausschlag zur Hälfte verzehrt. Zu alledem mehrere Tage Cola Light, das ja praktisch NUR aus „seltsamen Stoffen“ besteht. Ich dachte, all das würde mir nicht weiter schaden, denn ich hab‘ immer alles gegessen, worauf ich Lust hatte – allerdings nie soviel Schrott auf einmal! Offensichtlich waren das nun zu viele fremde Informationen für mein Immunsystem – oder lag es an etwas Anderem? Vielleicht was „Psychisches“???

Grübelnd versank ich in immer größere Wehleidigkeit. Sah diesen Allergie-Schock in einer Reihe von Krankheitserscheinungen, die mich seit Oktober heimsuchen – Erkältungen, Zahnprobleme, Nasennebenhöhlenvereiterung, Schlaffheit. Mein Fitnesscenter hatte Ende September die Sauna wegen Umbau geschlossen. Für mich ein Grund, nicht mehr hinzugehen, denn ohne die „Belohnung“ des Saunagangs danach reichte die Motivation nicht mehr zum Sporteln. Zudem war die Arbeit deutlich angewachsen, meine Kurse liefen, ich schaffte es, meine „gewünschte Realität“ zur Wirklichkeit zu machen und hatte Freude daran. Doch alles daneben entwickelte sich mehr und mehr zum Chaos, zumindest empfand ich es so: Unübersichtliche Berge von zu erledigenden Dingen, immer drohender das Unerledigte, Steuer 2002 noch immer nicht im Kasten – in mir wuchs das Gefühl, dringend mal selber „auf den Arm“ zu wollen. Mein Empfinden wurde immer selbstmitleidiger und kindlicher, was vielleicht etwas damit zu tun hat, dass ich dann auch ernährungsmäßig mehr und mehr schluderte.

Natürlich versuchte ich die ganze Zeit, das zu verändern. Aber alles, was ich „beschloss“, bzw. mir vornahm, hielt gerade mal ein paar Stunden, bis mich das nächste Tief erwischte. Und dann auch noch der Ausschlag – so was hatte ich noch nie!

Realität wird erschaffen

Ich würde das hier nicht schreiben, wenn es sich nicht verändert hätte. Wenn ich eines begriffen habe, dann das: Jammern, Klagen und Schimpfen verfestigt nur die Zustände, an denen ich leide. Genauso wie meine Coaching-Runde durch Gespräche Realität schaffen kann, die von den Teilnehmerinnen dann auch als solche begriffen und umgesetzt wird, genauso erschaffe ich meine Welt, indem ich in Worte fasse, was gerade geschieht. Dieses „was gerade geschieht“ ist nämlich nichts Festes, objektiv Vorhandenes. Sondern ich betrachte Phänomene, bewerte sie von aktuellen Gefühlen und Befindlichkeiten her, setze sie in Zusammenhänge, sehe (wähle!) Ursachen und Wirkungen, bilde mir eine Er-Klärung – und wenn ich all das dann noch in einem hübschen runden Artikel der Welt erzähle, dann IST es so! Dann bekomme ich womöglich mitleidige und hilfreich gemeinte Ratschläge, die mir bestätigen, dass ich WIRKLICH arm dran bin und Hilfe brauche.

Wirkliche Hilfe kann aber niemand geben, nicht auf der Ebene der Ratschläge: Tu doch dies, mach doch das, ändere doch jenes! Denn das ist ja dasselbe, das ich mir auch selbst stets verordne und mit dem ich nicht weiter komme, jedenfalls nicht heraus aus den Zuständen des Leidens. Um da heraus zu kommen, muss ich wieder loslassen, die einzelnen Phänomen wieder einzelne Phänomene sein lassen: ein Hautauschlag, ein Jucken am ganzen Körper – na und? Diverse Papiere in verschiedenen Ordnern, die ich mal binnen zwei Stunden zur Steuererklärung 2002 zusammen fassen muss – ein Problem? Nur, wenn ich es dazu mache, wenn ich mir „darüber einen Kopf mache“, anstatt es einfach zu tun. Schlaffheit am Nachmittag – muss mich das tief berühren?

Nein! Seit kurzer Zeit weiß ich es wieder! Nichts zwingt mich, an all diesen Dingen „einzuhaken“ und festzukleben, über sie zu grübeln und Ursache-Wirkungszusammenhänge zu suchen, in der Meinung, ich könnte dann etwas ändern. Ich kann SOFORT etwas ändern, indem ich die Phänomene so sein lasse, wie sie mir begegnen und kein „großes Aufhebens“ um sie mache. Was haben sie mit mir zu tun? Sie kommen und gehen – auch der Hautauschlag wird wieder gehen. Und selbst, wenn nicht: wie ich merke, kann ich blendend davon absehen und meinen spannenden Arbeiten nachgehen, den nächsten Kurs vorbereiten, mich in die Gestaltung einer Website versenken – und heut‘ noch mach‘ ich Steuer 2002.

Gestern dann zum ersten Mal keine Schlaffheit am Nachmittag. Dabei war ich völlig bereit, sie ganz gelassen auszusitzen. Vielleicht ist sie ja DESHALB nicht gekommen? Achtung, Fehlweg! Der machtgeile Verstand ist immer schnell dabei, neue Konzepte zu erkennen, wie das Leiden zu vermeiden sei. Und verstrickt sich dann im Absurden: Gelassenheit als Kopfkonzept wäre auch nur eine Vorschrift wie „du sollst dich gesund ernähren“. Der Vorschrift folgend, müsste ich gelassen beobachten können, wie ich die Gelassenheit verliere – und damit bin ich am Ende sinnvollen Denkens: Wer bitte ist da „ich“?

Nicht, dass das keine interessante Frage wäre. Aber auch an ihr will ich jetzt nicht festkleben. Das können Andere besser. Zum Geheimnis des Willens, zu dem, was wirklich in die Lage versetzt, Änderungen zu bewirken, kann ich im Moment nur sagen: es ist ein inneres Umschwenken in eine andere Haltung den Phänomenen gegenüber, ein tatsächliches Ergreifen der eigenen Definitionsmacht, die Wirklichkeit schafft. Nach allem, was ich damit schon erlebt habe, sehe ich zumindest, dass es mir letztlich nicht gelingt, es alleine aus mir heraus „zu machen“. Denn mein übliches Denken, Meinen, Wünschen und Beschließen geschieht aus dem planenden Verstand, der eben nur ein Teil des Ganzen ist, das ich bin. Und deshalb bleiben solche Beschlüsse kraftlos, führen sogar oft in die Irre, wenn ich dann noch Energie einsetze und mein eigener Sklaventreiber bin.

Aber manchmal bekomme ich einen Anstoß von außen. Jemand sagt nicht „geh du mal wieder ins Fitness-Center“, sondern öffnet mir erneut den Blick auf die Dinge, wie sie sind: Phänomene, die kommen und gehen. Material, aus dem ich durch Bewerten und In-Bezüge-Setzen meine Wirklichkeit erschaffe. Und auf einmal ist da wieder Spannung, Neugier, Leidenschaft: Ich löse die selbst erdachten Leid-Szenarien und schaue, was ich daraus sonst noch machen kann. Wenn es so herum funktioniert, steht ja auch der andern Richtung nichts im Wege.

Und jetzt ruft mich ein Kunde – ich hab‘ richtig Lust auf Arbeit!

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