Claudia am 13. September 2025 — 53 Kommentare

Mein Youtube von FakeNews gesäubert – ein bisschen…

Es ist wirklich krass: Youtube wird von politischen Fake-News-Kanälen überschwemmt, die wilde Behauptungen präsentieren – gerne solche, die manchen gefallen würden, wenn sie denn stimmten! Kommt mir etwas komplett unglaubhaft vor, recherchiere ich schon mal nach und ärgere mich regelmäßig, auf KlickBait reingefallen zu sein. Beispiele gefällig?

  • Trump WÜTEND, als Kanada den US-Kampfjet-Deal kündigt – Pentagon fassungslos! (Traveling Vibes, durchweg FakeNews, der Deal wird nur „geprüft“)
  • Trump RASTET AUS, als GM US-Werke SCHLIESST – Detroits AUTOHERZ KOLLABIERT (Geschäftsgrundlagen, dito)
  • Trump gerät in Panik, als Cadillac Amerika im Stich lässt – Arbeiter werden verraten (Main Street Report, dito je ein derartiges Video auch zu allen anderen Autoherstellern in den USA)
  • Historisches Urteil: Merz Verliert KANZLERAMT! (COSAR Politik – um was aus DE zu zeigen, hab ich nach „Merz“ gesucht. Längst nicht so perfekt gemacht wie die US-amerikanischen Fakes)

Man könnte meinen, dass allein schon die optische und textliche Aufmachung auf FakeNews hindeutet.

Fake-Kanal Thumbnails

Schon wahr, aber leider nutzen – nolens volens – auch seriöse Medien und Youtuber mittlerweile ähnlich reisserische Titel und „Thumbnails“, um vom Algorithmuss nach vorne gespült zu werden. Und manchmal passiert es mir, dass ich aus reiner Neugier halt doch mal drauf klicke: Wie bitte? Kann eigentlich nicht sein…

Perplexity checkt FakeNews

Wenn ich mir nicht sicher bin, ob etwas wahr oder erfunden ist, frage ich neuerdings Perplexity mit dem Prompt:

„Bitte prüfe in seriösen US-amerikanischen Medien, ob es sich bei den Behauptungen in diesem Video (URL) um FakeNews handelt!“

Das klappt wirklich gut, man bekommt ein gut begründetes Kurzgutachten mit einem zusammenfassenden Intro und den Kapiteln „Faktenlage laut seriösen Medien“ (mit Quellen!), „Typische Fake-News-Muster im Video“ und Fazit. Auch die Beurteilung ganzer Kanäle hab‘ ich getestet – perfekt!  Sowie die Gegenprobe ausprobiert, also einen Kanal mit reisserischer Aufmachung checken lassen, der aber – aus meiner spontanen Sicht – keine FakeNews bringt. Auch hier lag Perplexity richtig und verneinte die Einstufung als FakeNews, sowohl mit Quellenangaben als auch mit nachvollziehbaren Begründungen und entsprechendem Fazit. Beispiel:

„(Kanalname) liefert recherchierte Fakten und Hintergrundanalysen, ist aber manchmal einseitig wirtschaftsliberal und westlich geprägt. Es handelt sich nicht um einen Fake-News-Kanal, sondern um ein professionelles Informationsformat. Zur Meinungsbildung sollten die Inhalte mit weiteren seriösen Quellen abgeglichen werden, insbesondere bei kontroversen oder geopolitischen Fragestellungen.“

Ich hab auch mal nach der Motivation politischer FakeNews gefragt, Perplexity erläutert:

  • Experten und Medien beobachten einen generellen Trend wachsender Fake-News-Kanäle auf Youtube, die gezielt mit KI-generierten Inhalten Falschmeldungen und Sensationsmeldungen verbreiten, um Aufmerksamkeit und Werbeeinnahmen zu generieren.
  • Häufig stecken sogenannte „Content-Farmen“ dahinter, die in Ländern wie Vietnam oder Indien sitzen. Diese produzieren billige, massenhaft zugespitzte Videos für internationale Social-Media-Plattformen. Im Impressum oder technischen Details finden sich öfter Hinweise auf asiatische E-Mail-Adressen oder Drittanbieter.
  • Das Motiv ist fast immer finanziell: Solche Kanäle profitieren direkt von Klicks, Werbung und teilweise von viralen Verbreitungen.“

Quellen: Watson, Youtube: New England Public Media

Abo-Liste bereinigt: bequem im Feed

Länger schon bin ich nicht mehr sparsam mit dem Abonnieren von Youtube-Kanälen, weil die Publisher sehr deutlich machen, wie wichtig Abos für sie sind. Und warum soll ich ihnen das nicht gönnen, wenn ich ihr Video kostenlos angeschaut habe? Um zu checken, ob mir dabei ein paar Fake-Kanäle in die Abo-Liste gerutscht sind, ist der Youtube-Abo-Feed die bequemste Variante. Er zeigt eine schön übersichtliche Liste mit den wichtigsten Daten der Kanäle und gleich daneben lässt sich das Abo löschen. Zwei FakeNews-Abos hab ich entfernt, aber dann auch solche, die nur einmal Begeisterung ausgelöst hatten.

Weil Youtube mir immer zuerst die Neuerscheinungen aus meiner Aboliste anzeigt, kommen jetzt weniger FakeNews aus diesen Quellen, die tatsächlich mehrmals pro Tag FakeNews rausgehauen haben. Das schützt natürlich nicht vor anderen ominösen Quellen, denn der Alogrithmus richtet sich ja auch ganz wesentlich nach meinen Interessen, ermittelt über mein Klick- und Anseh-Verhalten.

***
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Diskussion

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53 Kommentare zu „Mein Youtube von FakeNews gesäubert – ein bisschen…“.

  1. Das geht doch auch schon länger, dass bei YT die Seitenleiste mit solchen zunehmend KI-generierten Sch… als Clickbait geflutet wird.

    Mussten sich die Apokalyptiker mit ihrem ganzen Gold-, Auswanderungs-, Blackout-, abwandernde Wirtschafts- und wasweissich-Endzeitszenarien die „Arbeit“ wenigstens noch selber machen, so wird jetzt halt irgendein Prompt mit irgendwas Geeigneten gefüttert und das, was unten rausfällt, kommt automatisch auf YT hoch. Ähnlich wie bei Spam sind die Filter dieser Flut gar nicht mehr gewachsen, so es denn überhaupt irgendwelche funktionierenden gibt. Vermutlich arbeiten die auch mit „KI“;-)

    Wer YT sieht, kann sich den Account bei Tiktok sparen. Aber vermutlich ist das Werbegeschäft für Google immer noch lukrativer als das Blocken oder Löschen dieser Brain-Waste, der anscheinend auch viele Klicks bringt. Ich sage nur wieder FUD, aber selbst die „seriösen Medien“ trenden ja immer mehr in diese Art des Sensationsheischens und den Klatsch-Modus der Yellow Press. Statt wertfreier Nachrichten sind die Titelseiten mit Unfällen, Verbrechen und anderem Dummfug vollgemöllert.

    Einer meiner Favoriten heute ist z.B. das hier.

    In gutem Deutsch hätte es vielleicht und wenigstens heißen müssen: „…hat keinen Sinn mehr…“

    Das das aus dem Englischen übernommene Sinn machen und von „make not sense“ mal Schlechtsprech war und inzwischen zulässig ist, weiß ich;-)

    Gruß
    Thomas

  2. Bei vielen dieser offensichtlichen Aufreg-Videos klicke ich auf verbergen oder nicht wieder empfehlen. Hilft wenig. Ich flute meinen Youtube-Feed mit Musik, das hilft schon eher, bzw. kann ich dann immer wieder auf Musikvideos klicken und umgehe den Murks mit dem was gerade in der Welt passiert. Zudem klicke ich gar nicht erst auf irgendwas.
    Ich hab mal zu Coronazeiten Videos für die Teilnehmer gemacht (und hatte mir einen anderen Kanal zugelegt) und hab da gemerkt, wie stark ich meinen eigentlichen Account auf meine Bedürfnisse/ Interessen getrimmt hatte. Was da (wo ich nicht zum Schauen hinkam) für Zeug angeboten wurde. Oh oh, grausam. Da war mir aber die Mühe zu viel, wegzuklicken etc.
    Allerdings ist der „schön getrimmte“ Account auch nicht mehr so ganz sicher, ich kriege gefühlt auch immer mehr Quark zu sehen, aber dann bin ich halt raus. Ich merke, dass ich immer mehr aussteige und die Plattform eher meide.

  3. Ich hätte da auch so ein Beispiel, das mich richtig empört. Es ist der Kanal von Ben Berndt mit dem Titel „ungescripted, auf dem der Youtuber unter dem Deckmäntelchen von absoluter Meinungsfreiheit und totalem Verzicht auf jegliche Zensur massenhaft rechtes Gedankengut verbreitet, ohne selber von den meisten Inhalten eine Ahnung zu haben. Gregor Gysi und Sarah Wagenknecht waren dabei nur Alibigäste. Bei über 480.000 Abonnenten hat er eine gefährliche Reichweite.

    Seine Fangemeinde feiert ihn mit tausenden von Jubelkommentaren unter Videos mit z. B. Maximilian Krah, Pierre Vogel, Joana Cotar (Ex-AfD-BT-Mitglied), Michele Gollan (Eingollan) – rechtes Frauennetzwerk, Boris von Morgenstern, Hans-Georg Maaßen, Erik Ahrens (rechter als rechts) , um nur ein paar Beispiele zu nennen. Dabei gehen die Gespräche in der Regel über 3 Stunden.

    So wurde auch das Interview mit der österreichischen Ärztin Frau Dr. Julia Wilke von dem medizinkritischen evidenzorientierten Arzt und Youtuber Dr. Janos Hegedüs in der Luft zerrissen.
    https://www.youtube.com/watch?v=xdfqPj-m2rg

    Herr Berndt rollt rechten Ideologen den roten Teppich aus und findet sich selber unheimlich geil. Ich überlege immer wieder mal, wie man dem Einhalt gebieten kann. Mein Kampf gegen Rechts stößt hier an seine Grenzen.

  4. @gerhard keller:

    Wie wollen sie dem denn Einhalt gebieten? Auf dem Kanal läuft nichts rechtswidriges und offensichtlich schauen das sehr viele Menschen sehr gerne. Wollen sie denen ihren Kanal wegnehmen?

  5. Yossarian: “ Auf dem Kanal läuft nichts rechtswidriges und offensichtlich schauen das sehr viele Menschen sehr gerne. Wollen sie denen ihren Kanal wegnehmen?“
    „Ungescripted“ spielt seinen Rezipienten Naivität und Unwissenheit, gepaart mit Neugier vor und ist in Bezug auf Gäste und Inhalte antiaufklärerisch, antifeministisch, unwissenschaftlich und stark rechtsorientiert. Das läuft beim Macher des Kanals unter Meinungsfreiheit. Wenn Toleranz zum aber stillschweigenden Absegnen auch menschenverachtender Meinungen wird, einem Absegnen unmoralischer Geisteselaborate, dann wird sie – die Toleranz – zum repressiven Mittel.

    Wenn so etwas von zigtausend Menschen konsumiert wird, sehe ich im Gegensatz zu Ihnen eine Gefahr.

  6. Yossarian: Zur Ergänzung noch ein Statement des verstorbenen Satirikers Wiglaf Droste.
    „Es scheint so. Alle Welt sucht das Gespräch mit Rechtsradikalen. Warum? Haben sie einem etwas zu sagen? Ist nicht hinlänglich bekannt, was sie den­ken, fordern und propagieren? Wo liegt der beschworene aufklärerische Wert, wenn Henryk Broder in der tageszeitung Franz Schönhuber interviewt? Muss man an jeder Mülltonne schnuppern? Nie­mand wählt Nazis oder wird einer, weil er sich über deren Ziele täuscht, – das Gegenteil ist der Fall; Nazis sind Nazis, weil sie welche sein wollen. Eine der unangenehmsten deutschen Eigenschaf­ten, das triefende Mitleid mit sich selbst und den eigenen Landsleuten, aber macht aus solchen Irrläufern der Evolu­tion arme Verführte, ihrem Wesen nach gut, nur eben ein bißchen labil etc., „Menschen“ jedenfalls, „um die wir kämpfen müssen“.
    Warum? Das Schicksal von Nazis ist mir komplett gleichgültig; ob sie hungern, frieren, bettnässen, schlecht träumen usw. geht mich nichts an. Was mich an ihnen interessiert, ist nur eins: dass man sie hindert, das zu tun, was sie eben tun, wenn man sie nicht hindert: die bedrohen und nach Möglichkeit umbringen, die nicht in ihre Zigarettenschach­telwelt passen. Ob man sie dafür ein­sperrt oder sie dafür auf den Obduktionstisch gelegt werden müssen, ist mir gleich, und wer vom Lager (für andere) träumt, kann gerne selbst hin­ein.“

  7. Woher wissen sie denn, dass es gespielt ist? Ich finde es interessant, dass Menschen oft für sich in Anspruch nehmen Intentionen anderer Menschen ganz genau zu kennen…

    „antiaufklärerisch, antifeministisch, unwissenschaftlich und stark rechtsorientiert. Das läuft beim Macher des Kanals unter Meinungsfreiheit. “

    Das läuft nicht nur beim Macher des Kanals unter Meinungsfreiheit, sondern so ist das Grundrecht auf Meinungsfreiheit auch gedacht.

    Wenn sie das weghaben möchten, dann stelle ich mir direkt die Frage: Wie stellen sie sich eine Demokratie vor? Wenn nicht abgebildet werden soll, was an Meinungen da ist, wie soll ich mir als Wähler denn dann eine valide Meinung über das Spektrum der verschiedenen Ansichten bilden?
    Auf dem Kanal kann ich mir 3h einen Maximilian Krah anhören und danach bewertet, ob das was für mich ist oder nicht. Darin sehen sie wirklich eine Gefahr? Ein Tilo Jung hat das z.B. auch gemacht. Wenn ich das beide zusammen nehme, dann ergibt das schon ein nicht ganz oberflächliches Bild von der Person Krah.

    Im übrigen hat der Kanalbetreiber Ben ganz aktuell eigentlich ein ziemlich gut auf ihren Kommentar passendes Statement veröffentlicht.
    Gehen hier Links bzw. sind die erwünscht oder nicht erwünscht? Ansonsten einfach auf seinen Kanal gehen und das neueste Video anwählen: „Sind wir alle rechtsextrem? (Community Q&A)“

  8. @gerhard keller: zur Ergänzung:

    Ehrlich gesagt höre ich mir durchaus auch die Argumente eines echten Nazis an, ganz einfach nur weil ich Dinge verstehen möchte.

    Aber ok, muss man nicht teilen, ist eigentlich auch nur ein Teilaspekt. Entscheidender für mich ist bei dem Argument viel mehr, dass wir ein Problem mit der Betitelung Nazi haben, denn das kriegt man schneller als man sich umschauen kann. Allein dadurch ist das gesamte Argument für mich hinfällig. Wo fängt denn für sie ein Nazi an? Gilt das schon für einen Morgenstern oder eine Gollan? Und ehrlich gesagt frage ich mich das auch bei einem Krah? Der kam ja ursprünglich aus der CDU und nicht irgendwie NPD oder sonst was Extremen. Was ist für sie ein Nazi?

  9. Yossarian: Kontroverse Diskussionen haben doch nur dann einen Sinn, wenn mein Gegenüber offen ist für plausible Argumente und darauf mit kognitiver Resonanz (Fakten, plausible Gegenbeispiele, Quellennachweise usw.) eingeht. Das sehe ich bei Ihnen nicht.

    Sie stehen für mich mit Ihrer Verharmlosung von Krah, Morgenstern und Gollan zweifelsfrei metaphorisch auf der „anderen Seite der Barrikade“. Insofern erlaube ich mir, das Thema hiermit als beendet zu betrachten.

  10. @alle: vielen Dank für Eure Kommentare. Leider ist die Debatte vom Blogpostthema „Youtube von FakeNews säubern“ stark abgewichen. Nichts gegen Debatten, aber das Thema „mit Rechtsaußen reden“ werden wir hier nicht klären. Deshalb bin ich mit einer Beendigung der Abschweifung sehr einverstanden!

  11. @Claudia:

    1. Da gerhard keller mich ja nun eh einem Lager zugeordnet hat mit dem er nicht reden will, ist das eigentlich sowieso vorbei.
    2. Natürlich höre ich auf, wenn es nicht erwünscht ist.

  12. @Yossarian: es ist immerhin ein ganz anderer Themenschwerpunkt als der dieses Blogposts.

    @alle:
    Nun hab ich mir aber alles nochmal durchgelesen, denn bisher war – aus blogfernen Gründen – meine Aufmerksamkeit eher anderweitig gebunden als in diesem Kommentargespräch. In diesen Fällen achte ich bei Kontroversen nur darauf, dass niemand ausfällig wird und nichts Strafbares oder richtig Menschenfeindliches gesagt wird.

    Deshalb hier nun mein Eindruck in der „Nachlese“:

    1.)
    Der Kanal „ungescripted“ ist mir (als derzeit recht häufige YT-Konsumentin) auch schon unangenehm aufgefallen – ohne dass ich mich an Konkretes erinnere. Womöglich aber schon irgendwie „rechtsaußen“, denn Gerhards Aufgeregtheit über diesen Kanal hat mich irgendwie bestätigt – ich hab dem nicht lange gelauscht/zugesehen und so vermieden, dass der Algo mir ständig so etwas zeigt. Und JETZT guck ich auch nicht extra nach, denn es geht mir um diese Kontroverse bzw. die Art ihres Verlaufs, nicht um Inhalte von „ungescripted“ (allein schon der Name triggert eine Vorwurfsschiene an, die mich ihn ins Reich der Schwurbler verorten lässt – vielleicht ungerecht, aber sei’s drum!)

    2.)
    Gerhard beendete seinen empörten Verriss mit den Worten:

    “ Ich überlege immer wieder mal, wie man dem Einhalt gebieten kann. Mein Kampf gegen Rechts stößt hier an seine Grenzen.“

    Yossarian daraufhin:

    „Wie wollen sie dem denn Einhalt gebieten? Auf dem Kanal läuft nichts rechtswidriges und offensichtlich schauen das sehr viele Menschen sehr gerne. Wollen sie denen ihren Kanal wegnehmen?“

    DAS ist der Einstieg ins Kontroverse, denn eigentlich ist doch klar, dass Gerhard eben NICHT weiß, WIE er dem Einhalt gebieten kann, sondern sagt, dass sein Kampf gegen Rechts hier an Grenzen stößt. Z.B. an die Grenzen des Rechts, dass auch hierzulande (in gewissen Grenzen) die Meinungsfreiheit schützt. Mit „nichts Rechtswidriges“ redet Yossarian an ihm vorbei. Auch in die Rechte des Content Creators Ben Berndt an einem eigenen Youtube-Kanal KANN Gerhard nicht eingreifen – auch DAS ist eine der angesprochenen Grenzen.

    Gerhard erläutert dann, warum er es als Gefahr sieht, wenn viele Menschen die von B.Berndt per Interview präsentierten Inhalte sehen. Ob er dabei die eigene „Naivität und Unwissenheit, gepaart mit Neugier“ nur vorspielt oder ob das authentisch ist? Das beurteilt wohl jede/r subjektiv entlang an der eigenen Menschenkenntnis – mir ist er gerade nicht genug in Erinnerung.

    3.)
    Nun noch dieser „Schlagabtausch“:

    Gerhard: „antiaufklärerisch, antifeministisch, unwissenschaftlich und stark rechtsorientiert. Das läuft beim Macher des Kanals unter Meinungsfreiheit. “

    Yossarian: „Das läuft nicht nur beim Macher des Kanals unter Meinungsfreiheit, sondern so ist das Grundrecht auf Meinungsfreiheit auch gedacht.“

    Stimmt. Dennoch kann man bestimmte Meinungen und Haltungen als „„antiaufklärerisch, antifeministisch, unwissenschaftlich und stark rechtsorientiert“ brandmarken – und sich überlegen, was man gegen die Verbreitung solcher Meinungen tun könnte.

    Das erfordert aus meiner Sicht durchaus inhaltliches dagegen Antreten, denn wenn viele Leute das ansehen, sollten sie auch zu wissen bekommen, was gegen solche Meinungen einzuwenden ist. Ich habe das an verschiedenen Stellen versucht (unter Videos wie auch bei „einschlägigen“ Webmedien), aber immer wurden meine Kommentare nicht veröffentlicht oder schnell gelöscht. Wie das bei „ungescripted“ ist, weiß ich ohne Versuch nicht.

    4.)
    Dass die „Nazi-Keule“ verbraucht ist, sehe ich auch. Es bringt nichts, denn es ist so inflationär verwendet worden, dass viele sagen: Ist mir doch egal, ob mich diese links-grün Versifften Nazi nennen! Man wird nicht umhin kommen, konkret zu werden, inhaltlich zu argumentieren – und erst wenn sich dann zeigt, dass eine oder beide Seiten nicht „offen für plausible Argumente“ sind „und darauf (nicht) mit kognitiver Resonanz (Fakten, plausible Gegenbeispiele, Quellennachweise usw.)“ eingehen, hat es wirklich keinen Sinn.

    5.)
    Das Ende einer Debatte wird aus meiner Erfahrung auch oft erreicht, weil es eben NICHT um Rationales geht, sondern um Gefühle und Grundwerte, die man teilt oder eben nicht. Es widerspricht z.B. meinen Grundwerten und Gefühlen, wenn jemand meint, „die Frau sei dem Manne untertan“. Darüber kann ich nicht ernsthaft rational debattieren. Sondern ich würde mich eher von solchen Menschen abwenden und ihre Videos ignorieren.

    Soweit meine nächtlichen Gedanken zu alledem!

  13. @Claudia: Gehe ich gerne drauf ein, falls das jetzt doch eine Fortführung der Diskussion ist oder soll dein Beitrag ein Abschluss sein?

  14. @Yossarian, @Gerhard Keller, @alle: es darf weitergehen – wobei ich mir wünsche, dass es so ein bisschen auf der Meta-Ebene bleibt, also Reflektionen über Debattenstile und Erfahrungen, Umgang mit krassen Meinungen etc. – sämtliche konkreten Vorwürfe gegen „ungescriptet“ können wir hier z.B. einfach nicht „ausdiskutieren – das wäre viel zu viel!

  15. Meinungsfreiheit

    Wird halt nur zu gerne als Strohmann-Argument missbraucht u.a. von solchen Kanälen und Pöblern.

    Und Trump will jetzt „die Antifa“ wegen des Attentats auf Kirk als Terrororganisation einstufen, obwohl der Attentäter selber dem rechten Spektrum entstammt – kannste Dir nicht ausdenken.

    Aber so sind sie halt, selber auf allen möglichen Freiheiten herumtanzen, aber sobald sie am Drücker sind, werden Medien und Andersdenkende verboten, gedisst und kriminalisiert.

    Diskussionen mit Rechten sind genauso überflüssig wie das Vorführen der AfD-und anderer Granden zwecks Widerlegen, Entlarven und halt für Aufmerksamkeit der Medien selber. bringt denen nur die Bühne und ändert gar nix – siehe Droste…

    Letztes Negativ-Beispiel die Debatte Palmer-Frohnmaier – reines Aufmerksamkeitsgeschacher, null Relevanz und tschüß.

  16. Da es hier ja um Fakenews geht, ein letztes Beispiel:
    In einem der ungescripted-Videos kommt der ehemalige Chefarzt Dr. Thomas Kraft zu Wort und bestätigt, dass ein Glas Rotwein pro Tag eine gesundheitsfördernde Wirkung habe. Dieses Behauptung ist anscheinen ein unausrottbarer Mythos, den sogar Karl Lauterbach in einer „Hart-aber-fair“-Sendung verkündete hat. Die angebliche Wirkung beruht auf einer alten Studie, die nur monokausal den Zusammenhang von Rotwein und der daraus resultierenden positiven kardiovaskulären Wirkung ermittelt hat. Ursächlich für diesen protektiven Effekt sind die im Rotwein enthaltenen Flavonoide und Phenole, die sich aber auch in rotem Traubensaft finden.

    Inzwischen gibt es groß angelegte Studien, die die zu dem Ergebnis kommen, dass es keine noch so geringe Menge risikofreien Alkoholgenusses gibt. Das ist momentan wissenschaftlich medizinischer Standard (WHO, Deutsche Gesellschaft für Ernährung, . Hier hätte der Interviewer widersprechen müssen. Keine Ahnung, aber davon ganz viel.

    Quelle: https://www.zeit.de/wissen/2024-07/studie-alkohol-konsum-gesundheit-schaden

  17. @Claudia: Ja es ist ein anderer Themenschwerpunkt, aber Diskussionen verlaufen ja auch nicht immer linear. gerhard keller hat das Thema aufgemacht und ich habe darauf reagiert.
    Primär geht es mir durchaus auch eigentlich mehr um die Metaebene, aber manchmal braucht man halt Beispiele, weil es ansonsten zu abstrakt bleibt.

    zu1:
    Ganz grundlegend, damit die Fronten klar sind, ich höre seinen Podcast selbst sehr gerne, weil er kreuz und quer alle möglichen Themen aufgreift, von denen ich selbst manchmal null, manchmal ein wenig und hin und wieder auch mal sehr viel bzw. vermeintlich viel Ahnung habe.
    Bis zur letzten Bundestagswahl war Politik eigentlich gar kein großer Teil davon. Von meiner Wahrnehmung her ging es mehr um Lebensentwürfe und Biographien. Dinge, die er offensichtlich spannend findet oder fand.
    Der Name des Podcast basiert auf dem Konzept, wonach die Gespräche eben nicht durch ein Script vorbereitet sind und weitestgehend auch keine Schnitte (Kamerawechsel gibt es schon) vorkommen. Ich mag das als Konzept sehr gerne, kann man aber natürlich auch anders sehen.

    zu2:
    Deswegen habe ich ihn ja gefragt! „Einhalt gebieten“ ist für mich mehr als nur eine Gegenrede zu halten. Wenn es aber so gemeint war, dann habe ich mehr verstanden als wohl gemeint war. Kann er ja vielleicht noch mal erläutern.

    zu3:
    Man kann sie brandmarken, aber das alleine ist mir zu billig. Ich würde dann schon ganz gerne wissen wieso jemand zu seinem Urteil kommt, immerhin sind das harte Begriffe, die die Personen schon ziemlich deutlich herabsetzen. Da würde ich dann gerne schon erfahren an welchen konkreten Taten oder Aussagen man so ein Urteil festmacht.

    Und jetzt gerne zur Metaeben:

    Wie kann oder muss Demokratie aufgebaut sein? Demokratie bedeutet zwangsweise, dass man Debatten zwischen Lagern führen muss, ohne das funktioniert es nun mal nicht. Weiterhin: Demokratie ohne die Annahme, dass wir Menschen mündig sind, muss scheitern, denn dann endet man immer wieder dort, wo man sagt: Das darf die Menschen nicht erreichen, ansonsten werden sie verführt. Genau das erleben wir imo nicht ohne Grund gerade verstärkt in fast allen Lagern.
    Jetzt bin ich niemand, der behauptet, dass Menschen nicht verführt werden können. Wir erleben das in Form einer wissenschaftlich begleiteten Propagandaindustrie seit 100 Jahren, nur wenn wir das zu einem Fundament unseres Gesellschaftssystems machen, dann endet man in einem System, wo Menschen vermeintlich geführt werden müssen. Und wer führt dann? Am Ende eins der Lager, ganz sicher nicht alle zusammen oder in einem Wettkampf untereinander, wo um Meinungen und Positionen gestritten wird. Die andere Seite gilt dann immer als verführt und somit eben nicht mündig.
    Wollen wir das? Ich will das nicht, ich halte die Demokratie bei all den Schwächen, die die verschiedenen Formen in ihrer realen Ausprägung haben, definitiv für das sicherste Gesellschaftssystem, um möglichst vielen Menschen Freiheit, geistige- und körperliche Sicherheit zu gewähren.

    Um es wieder etwas konkreter zu machen: Der Podcast bietet genau dieses Ideal. Er hat auch nicht den Anspruch kontra zu geben, sondern das Thema der Gäste darzustellen. Er hat ja sogar mal einen echten Rassisten bei sich gehabt. Das fand ich z.B. durchaus spannend, weil ich keinerlei Berührung mit dem Thema habe und ich so mal erfahren konnte wie so jemand denkt. Und das ist alles. Oder glaubt ihr da erfolgt irgendwie eine Art von Ansteckung mit den Gedanken des Gastes? Also ich bin nicht zum Rassisten geworden… habe aber was gelernt.

  18. ok, jetzt werde ich mir „ungescripted“ nochmal ansehen, dauert aber ein bisschen!‘
    Ich hab übrigens Rechtsextremisten nie wirklich verstanden (spinnen die? Lügen sie für eigene Vorteile? Etc.) und hatte gelegentlich durchaus Interesse daran, die offensichtlich nicht Unintelligenten unter ihnen zu verstehen – nicht im Sinne von Akzeptanz, sondern neugierhalber nur so für mich: Wie ticken die?
    FÜNF STUNDEN Krahl bei Jung & Naiv hab ich mir aber nicht antun wollen, einfach zu lang. Später gelesen, dass es Thilo nicht gelungen sei, Krahl irgendwie sinnvoll „zu stellen“, sondern er ihm nur eine große Bühne gegeben habe.
    Mittlerweile kenne ich Perplexitys Fähigkeiten, Videos zusammenzufassen – evtl. wende ich das perspektivisch auf „zu lange“ Interviews mit Rechtsaußen an.

  19. @claudia: Die Frage ist halt womit man jemanden stellen möchte. Ich verfolge Krah nicht und kenne daher vieles von ihm auch nicht, aber ich habe mir sowohl das Gespräch bei Tilo Jung (das war konfrontativ) als auch bei Ben komplett angehört. Für mich ist das ein „alter“ (im Sinne der Parteilinie) CDU Mann, aber kein Rechtsextremer. Extremismus ist für mich mit Gewalt verbunden und dem Streben nach einem Staatsgebilde, was totalitär diktatorisch ist und Opposition oder andere Gruppen aktiv mit repressiven Mitteln bekämpft. Daher: Als Nazi oder allgemeiner Extremist kriegt man ihn evtl. einfach deswegen nicht gestellt, weil er das nicht ist. Falls wer was von ihm kennt, wo das eindeutig ist, dann gerne her damit.

    zu: „Ich hab übrigens Rechtsextremisten nie wirklich verstanden (spinnen die? Lügen sie für eigene Vorteile? Etc.) und hatte gelegentlich durchaus Interesse daran, die offensichtlich nicht Unintelligenten unter ihnen zu verstehen – nicht im Sinne von Akzeptanz, sondern neugierhalber nur so für mich: Wie ticken die?“
    Wenn du dir das Interview mit dem wohl bekennenden Rassisten bei ungeskriptet anhörst, dann wirst du auch keinen dummen Nazi erleben, sondern einen Typen, der sich sein Weltbild sehr fein gesponnen hat und keineswegs mit plumpen Aussagen wie „Ich bin Arier und stehe über allen und der Rest sind Untermenschen“ kommt.
    Dafür reicht meiner Meinung nach übrigens bereits die erste Stunde, danach wiederholt sich vieles.

  20. Anhand der Gästeliste und der Themenauswahl läßt sich ohne Probleme verifizieren, dass Ben Berndt eine starke Affinität gegenüber rechten Leuten hat. Sie scheinen ihn zu faszinieren. So auch der Gast Shlomo Finkelstein, über den bei Wikipedia zu lesen ist: „Shlomo Finkelstein (Pseudonym von Aron Pielka; * 4. Mai 1996 in Krefeld) ist ein deutscher rechtsextremer[1][2][3][4] Online-Aktivist. Er verbreitete rassistische, islamfeindliche und antifeministische Inhalte. “ Das Video bekam fast 6.000 Jubelkommentare.
    In meiner Aufzählung rechter Propagandisten auf dieser Plattform hatte ich übrigens Frauke Petri vergessen.

    Wenn jemand argumentiert, dass es keine Klimakatastrophe gibt, keine Holocaust gab oder das ich durch gesunde Ernährung krank werde, die Feminismuslüge darin bestünde, dass Frauen nette Männer verachten, dann ist es völlig sinnlos, sich mit derartigem Unsinn auseinander zu setzen. Mich auf dieses Niveau zu begeben, würde meinen Intellekt beleidigen. Viele seiner Gäste versuchen, sich mit exclusivem Hintergrundwissen und Geheiminformationen interessant zu machen und sind im Grund leicht widerlegbare Schwurbler, über die ich nur müde lächeln kann.

    Die Essenz aus dem Querschnitt dieser Videoangebote ist, dass dadurch verunsicherte Menschen, die die gesellschaftliche, politische und mediale Realität nicht mehr überschauen oder aushalten können, mit Hokuspokus penetriert werden und sich in ihren Ängsten bestätigt fühlen. Damit verschiebt Herr Berndt den öffentlichen gesellschaftlichen Diskurs kontinuierlich in ein reaktionäres Bewusstsein. Und Youtube steht dabei Schmiere.

    Denjenigen, die hier still mitlesen, empfehle ich die „Studien über den autoritären Charakter“ – über die Genese des Vorurteils – von Adorno oder das Experiment von Marina Abramovic „Rythm 0“ .(https://de.wikipedia.org/wiki/Rhythm_0) über die Übergriffe von Normalos, die sich als Lynchmob entpuppten. Meinetwegen auch noch Christopher Brownings „Ganz normale Männer“!

    Wenn der Mob einmal von der Kette gelassen wird, weiss ich, wer den theoretischen Hintergrund geliefert hat. Worte können Brandsätze ohne Zündschnur sein.

  21. @gerhard keller: Wenn das dein Urteil zu seinem Kanal ist, dann ist es doch ok.
    Inhaltlich könnte ich dazu ein paar Korrekturen machen, aber ich glaube das hilft nicht wirklich der Diskussion.

    Davon ab würde mich dennoch nach wie vor die Einordnung von „Einhalt gebieten“ interessieren, denn das ist für mich etwas grundsätzliches und hat nichts konkret mit dem Kanal zu tun. War das so gemeint wie von Claudia interpretiert?

  22. @Claudia: Ich glaube wir sind hier an einem Punkt, wo die Argumente eigentlich ausgetauscht sind und jeder damit anfangen kann, was er will. Ich mag mich irren, aber wahrscheinlich wird es sich jetzt nur noch im Kreis drehen und wenig neues bringen.
    Ich danke dir auf jeden Fall, dass du die Diskussion noch mal geöffnet hast. Ich habe mich mein Leben lang selbst als links gesehen und bis Corona war das auch stabil. Während dieser Zeit habe ich jedoch erlebt wie die gesamte politische Linke gegen mich Front gemacht hat, Gewerkschaften, Sozialverbände, Parteien, Antifa, leider wirklich alle komplett ablehnend einem Dialog gegenüber.
    Das hat mich geöffnet für andere Perspektiven, ich war durchaus vorher in meinen 20er und 30er Jahren so wie gerhard keller, hatte meine rechten Feindbilder und die standen fest, all das betrachte ich heute als Fehlschluss. Das Totalitäre ist nicht allein Nazi, das Totalitäre können leider alle und die Linke, so wie wir sie heute erleben, ist leider sehr tief drin in diesem Setting.
    Du hast hier seit vielen Jahren für mich das erste Mal wieder einen Dialog in „euer“ Lager angenommen, dafür danke ich dir und es hat Spass gemacht. Ich verfolge deinen Blog definitiv weiter und steige sicher auch mal wieder bei anderen Beiträgen ein.
    Falls es hier dennoch weitergehen sollte, dann bin ich natürlich gerne dabei.

  23. @Yossarian: Ich verstehe deinen Punkt und auch deine Enttäuschung bis zu einem gewissen Grad, aber Dein Wechsel von links nach rechts erinnert mich stark an Horst Mahler: Die Enttäuschung über autoritäre Züge bei vielen, die sich „links“ nennen, kann nicht der Grund sein, sich ausgerechnet den Rechten zuzuwenden.

    Wenn das Autoritäre das Problem ist, dann dort einen Ausweg zu suchen, ist nur eine Verschiebung, nicht eine Lösung. Und auch die Corona-Zeit taugt aus meiner Sicht nicht ansatzweise als Begründung – die Rechte hat diese Debatten nie geführt, um konstruktiv aufzuklären, sondern sie nur zur eigenen Agenda instrumentalisiert.

    Ich selbst habe mich ebenfalls von vielen entfremdet, die sich als „links“ verstehen – Parteien, Institutionen, Medien, Organisationen, Personen. Spätestens seit dem 7. Oktober, als offener wie codierter Antisemitismus deutlich wurde, ist für mich klar, wie viele das Label „links“ tragen, ohne verstanden zu haben, wofür es eigentlich steht.

    Doch im Gegensatz zu den Rechten, deren Kernmerkmal Diskriminierung und die Ablehnung eines wirklich offenen Diskurses ist – auch wenn sie sich paradox genau darauf berufen – gibt es eben nicht „die Linke“ als geschlossene Kraft.

    Als politisch ernstzunehmender Arm hat sich die Linke entweder durch ihren Marsch durch die Institutionen aufgerieben oder durch eigenes Versagen diskreditiert. Was übrig bleibt, sind diffuse Strömungen, die umso überheblicher auftreten, je weniger Ideen, Konzepte und gesellschaftliche Strahlkraft sie noch haben.

    Die Rechte hingegen verfügt über geniales Marketing, eine langfristige Strategie und ein deutlich besseres Verständnis davon, wie Social Media funktioniert.

    Mit ihnen den Diskurs auf einer Metaebene zu führen (oder auch über sie), halte ich für sinnlos: Sie nutzen diese Gesprächsebene, um sich als gleichberechtigte Partner auf Augenhöhe zu inszenieren, übernehmen das Wording eines aufklärerischen und emanzipativen Kontextes und machen sich dadurch fast unangreifbar – außer man verweist auf konkrete Taten und faktische Lügen.

    Nur so ist erklärbar, warum Vertreter der gegenwärtigen US-Regierung in Deutschland auftreten können, hier der Meinungsfreiheit das Wort reden und der hiesigen Regierung empfehlen, keine Angst vor „der Meinung des Volkes“ zu haben, während sie zuhause die USA Schritt für Schritt in einen repressiven, autoritären Führerstaat umbauen, Meinungs- und Redefreiheit abschaffen und die Medienlandschaft ganz in ihrem Sinne kontrollieren.

    Es gibt nach wie vor für mich bei weitem keinen Grund, auch nur in die Nähe der Rechten zu rücken – denn dort gibt es schlicht keine Antworten.

  24. @Brendan:

    Wieso interpretierst du meine Aussagen so, dass ich mich nach rechts gewandt habe? Meine politische Positionierung hat sich eigentlich nicht verändert, lediglich die Prioritäten haben sich verschoben.
    Ein links, was totalitär daherkommt, ist für mich genauso wertlos wie ein rechts, was identisch vorgeht. Ohne Freiheit ist jede Richtung für mich wertlos und kippt am Ende Richtung Unterdrückung.
    Corona ist für mich ein entscheidender Kipppunkt gewesen, weil es einem regelrecht in die Fresse gedrückt wurde und man schon Selbstverleugnung betreiben musste, um es nicht zu sehen.

    Der andere Punkt ist: Ob die Rechte über ein geniales Marketing verfügt kann ich nicht bewerten, vielleicht ist dem so, aber welche Rolle spielt das? Für mich wirkt das ehrlich gesagt auch ein wenig wie die Erzählung vom unglaublich bösen Monster, welches man nicht zu fassen kriegt ob seiner Schläue und am Ende ist es dann doch nur ein stink normaler Wolf.
    Schlussendlich führt in einer Demokratie kein Weg daran vorbei sich inhaltlich auseinanderzusetzen, anders geht es nicht. Wenn man es anders macht, dann führt es zu Unterdrückung und Ausgrenzung. Da mag jemand wie gerhard keller dann einwenden, dass das ja auch richtig ist, denn das Böse zu unterdrücken ist ja schliesslich eine gute Tat… und dann hast du auf einmal eine AFD bei 25% und wunderst dich wie das passieren konnte… tja, vielleicht weil man ihr inhaltich aus dem Weg geht? Sie muss ja gar nichts machen außer die ganzen Ausgeschlossenen einzusammeln. Sie muss noch nicht einmal belegen, dass sie irgendwas anders macht, denn sie wird ja schließlich mit maximaler Verrenkung überall von der Macht ferngehalten.

    Was du vielleicht meinst mit „Rechten zuwenden“: Erstmal habe ich mit Rechten überhaupt gar kein Problem, ein Problem habe ich mit den Extremen und darüber hinaus bin ich immer vorsichtig mit Urteilen anderer über Menschen und tendiere dazu sie mir selbst anzuschauen (da wäre wieder der Bezug zum Format ungeskriptet). Menschen haben Biographien und sind kein einmal fertig beschriebenes Blatt, nach dem Motto: Als Nazi gebohren, immer ein Nazi. Der oben erwähnte Shlomo ist da übrigens ein sehr gutes Beispiel für, aber da ließt man lieber etwas in der Wikipedia anstatt sich einfach mal seine Geschichte anzuhören, denn das macht man ja nicht, weil mit Rechten zu reden ist ja.. ja was eigentlich? Steckt man sich da mit rechts an?

  25. Tja, wer ist nun rechts, rechtsradikal, Nazi/Faschist, links, linksradikal? Es ist schier unumgänglich, in solchen Debatten zu pauschalisieren, aber letztendlich geht es (in der Masse der Wahlberechtigten) um Personen, einzelne Individuen. Bei Politikern und Partei-Aktivisten ist die Zuordnung leicht, aber wie steht es mit dem Handwerker, der gestern bei mir war, um die Gastherme zu warten – ein sehr sympathischer, intelligenter Mann um die 50?

    Er sieht jeden Tag mehrere Kunden in Berlin und erzählt mir, dass er bei türkischen Migrantinnen Frauen antrifft, die „seit 50 Jahren“ in DE leben, ihn aber bei Fragen mit „nix sprechen Deutsch“ abfertigen. Und von einer türkischen Familie, die ihre Kinder in der Türkei aus der Schule nahmen (dort offenbar keine Schulpüflicht), die dann nach Deutschland zogen und alle Abschlüsse in Kürze und mit Bravour bestanden. Daraus schließt er: Integration ist eine Sache des WILLENS, wer es nicht tut, will einfach nicht! Des weitere regt er sich über die grüne Verkehrspolitik in Berlin auf, die mittels Beruhigung, Verengung, Einbahnstraßen und Poller das Leben den Lieferdiensten und Gewerblern zur Hölle macht – sehr nachvollziehbar! Er verweist auf Widersprüche, denn CO²-Ausstoß und Energieverbrauch steigen deutlich, wenn große Umwege und Staus die Folge sind. Ist er jetzt „rechts“?

    Er steht für mich nur als Beispiel für viele, die aus eigenem Erleben heraus Realpolitk kritisieren, sich teils heftig aufregen, je nach Betroffenheit. Wenn die nun in soziale Medien gehen, finden sie „Gleichgesinnte“, die sich ebenfalls aufregen, auch über verwandte Themen, die sie evtl. übernehmen – bis hin zur Radikalisierung und zum AFD wählen. Dass sie von Linken für ihre Aussagen schon vorher / früh als „rechts“ oder schlimmer gelabelt werden, führt dazu, diesen Vorwurf garnicht mehr ernst zu nehmen, denn sie fühlen sich – wegen des eigenen Erlebens – im Recht.

    Deshalb bin ich immer eher FÜR Gespräche, auch mit (wirklich oder vermeintlich) Rechten. Und selbst bin ich nur noch in dem alten Sinne „links“, als dass es mir immer um die Benachteiligten, Ohnmächtigeren und Unterdrückten geht – aber ohne dass ich diesen nun in neo-linker Manier Sonderrechte zugestehe, weil alle Anderen ja so „privilegiert“ seien (den „Critical Whiteness“-Import hab ich in einer linken NGO erlebt und fand das schlimm, bin gegangen).

  26. „Deshalb bin ich immer (eher) FÜR Gespräche“,- ich auch, @Claudia, unbedingt. Das ist nicht immer leicht, wie sich auch hier zeigt, aber es ist DIE Herausforderung und viel zu oft scheitere ich genau an diesem, an meinem eigenen Anspruch. Dieses scheitern darf aber nicht in eine Kapitulation münden.

    Ich finde mich,- in dieser hochinteressanten Diskussion hier,- mit meinen Gedanken dazu in den unterschiedlichsten Argumentation aller 4 letzten Diskutanten wieder. Ich nehme auch ein aufrichtiges Ringen der Kommentierenden wahr, die Dinge zu durchdringen um einen persönlichen Weg aus den Dilemmatas zu finden. Das ist doch eine große Chance für jeden selbst herauszufinden, wo Kraft und Bereitschaft dazu die persönlichen Grenzen überschreitet. Wobei ich finde, dass Difamierungen jeglicher Art, ob persönlicher oder gruppenbezogener, für die Aufrechterhaltung des begonnenen Prozesses extrem hinderlich sind.

  27. @Yossarian

    Wieso interpretierst du meine Aussagen so, dass ich mich nach rechts gewandt habe?

    Weil Du es selbst gesagt hat: Du hast Dich „geöffnet für andere Perspektiven“ „rechte Feindbilder“ hast Du aufgegeben. Die betrachtesr Du „heute als Fehlschluss“. Und dazu haben Dich „linke“ Akteure während Corona gebracht – also auch die Union. Das alte Lied der AfD, sie sei gar nicht so rechts, sondern eine Neuauflage der Union zu Kohls Zeiten.

    Und nein: ich habe schlicht keine Lust einem verurteilten Volksverhetzer, Rassisten und Antisemiten wie Aron Pielka stundenlang zuzuhören und seinen Weg in seine Menschenverachtung zu verstehen.

    Ich muss es auch nicht tun, um ihn und seine Apologeten politisch verorten und beurteilen zu können.

  28. @Brendan: Sich für andere Pespektiven öffnen bedeutet doch nicht, dass man von einem Linken zu einem Rechten wird. Oder siehst du das wirklich so? Und Feindbilder aufgeben halte ich generell für etwas Positives.

    Corona hat politische Lager aufgebrochen und Menschen zusammengebracht, die vorher nie zusammengekommen wären, weil sie in anderen Milieus unterwegs waren. Die Menschen kamen aus allen Schichten der Gesellschaft, sowohl on- als auch offline z.B. auf den Demos.

    Das verbindende Element war die Kritik an den Maßnahmen, aber natürlich kommt man dann auch zu anderen Themen ins Gespräch. Wir hatten z.B. mal einen Reichsbürger in einem kleinen Online Chat, super netter Typ. Er hat uns dann das Weltbild erklärt und es fing bekloppt an, blieb bekloppt und endete bekloppt, aber das Gespräch war nett und vor allen Dingen konnte er verdeutlichen, dass diese Reichsbürger Welt für ihn perspektivisch eine Lösung für die Probleme ist, die wir beide ähnlich sahen/sehen, und er eben nicht in düsterer Absicht die Welt in ein Königreich zwingen möchte. Es ist eine wirre Idee, unbestritten, aber der Mensch war ok und das habe ich an so vielen Stellen erlebt, dass ich es einfach für eine absurde Idee halte Menschen danach zu bewerten in welchem politischem Lager sie sind, sondern wer sie als Charakter sind und da findest du in allen Lagern Arschlöcher und super nette / angenehme Zeitgenossen. Ausgenommen ist davon für mich nur der Extremismus, aber wer so drauf ist, der ist imo auch in der Regel charakterlich „schwierig“.
    Die absolut große Mehrheit der Menschen hat eine positive politische Vision und nicht die Absicht etwas zu verschlechtern, sondern zu verbessern.
    Dass die Umsetzung ihrer politischen Ideen am Ende Mord und Totschlag bedeuten können, ist natürlich eine andere Sache, aber hier kann ich ehrlich gesagt keinen generell qualitativen Unterschied zwischen links und rechts erkennen. Beide politischen Richtungen haben bereits schreckliche Staatsgebilde hervorgebracht unter denen Millionen von Menschen zu leiden hatten.

    Und du musst dir keinen Shlomo anhören, habe ich auch nicht verlangt, aber dann bleibst du halt bei einem Bild von ihm, was dir andere eingeben. Wenn dir das reicht bitte, mir ist das zu wenig. Ich kann es verstehen, wenn die Person einen nicht interessiert, aber Aburteilen auf Basis des Urteils anderer, das ist absolut nicht mein Ding. Das hat etwas von Aburteilung eines Beschuldigten ohne dass man ihm Gelegenheit zur Anhörung gibt.

  29. Menschen mit den abscheulichsten Taten waren privat durchaus umgänglich. Und?

    In der Tat, gewisse Feindbilder ändern sich nicht. Es sei denn man heißt Horst Mahler. Womit wir wieder am Anfang wären.

  30. Also einen Punkt gebe ich dir: Mit Horst Maler hat mich wirklich noch nie jemand verglichen, Respekt! :D

  31. Claudia: „Deshalb bin ich immer eher FÜR Gespräche …“

    Dieser Auffassung schließe ich mich aus voller Überzeugung an! Im Übrigen zeigt ja auch die Art und Weise wie bisher in diesem tollen Thread diskutiert wurde, dass dies möglich ist.

  32. Ich bin in meiner politischen Biografie auch oft von Linken enttäuscht worden. Als einer der ersten Aktivisten bei den Grünen Anfang der 80er Jahre war ich begeistert von den damaligen Grundsätze wie „Antiparteienpartei“, imperatives Mandat, Rotationsprinzip, keine Doppelmandate usw. Dann kamen die Koalition mit der SPD, die Mitverantwortung für den Jugoslawienkrieg und später noch die Agenda 2010, was mich mit anderen wie Jutta Ditfurth, Thomas Ebermann und Rainer Trampert 1990 zum Austritt bewog. Nach der DDR-Übernahme einigten sich die Antifa und andere autonome bzw. linksradikale Zusammenhänge in Westdeutschland darauf, die PDS zu wählen. Auch dies führte wieder zu großer Enttäuschung, weil die heutige Linke soweit degeneriert ist, dass sie anstatt konsequent antikapitalistische Politik zu machen, lieber den Staat übernehmen und den Kapitalismus verwalten möchte. Dieses Rattenrennen um die besten Plätze an den Futterträgen hat mich angewidert.

    Aber es gab bisher nicht eine Sekunde , in der ich mit dem Gedanken spielte, mit meinem Frust nach rechts abzudriften.

    Ich sehe in dem momentanen Diskurs, der rechte Einstellungen gesellschaftsfähig machen möchte und die Politik der AfD (weil demokratisch gewählt – hohoooo) in den Kanon der „Normalität“ verfrachtet, als große Gefahr. Wir wissen heute, dass die Deutschen 1933 nicht gegen ihren Willen naiv und sanft in den Faschismus geschoben wurden, sondern, dass sie in den Ankündigungen der Nazis endlich eine Übereinstimmung mit ihren Vorstellungen über die Verwirklichung von Sekundärtugenden und Lebensentwürfen fanden. Dazu wurde ihnen noch der Herrenmenschenstatus (heute noch als „Nationalismus“ und Deutschtümelei virulent) eingeflößt.

    Ich lasse mich -anders, als Yossarian- nicht von dem pseudointellektuellen Geschmeichel und sympathischen Auftreten rechter Protagonisten , seien es Leute wie Krah, Ben Berndt, Frauke Petry, oder Jürgen Elsässer beeindrucken.
    Am Ende lauert ein faschistoides System bzw, ein 4. Reich ohne Auschwitz.

    Meine 50 Cent dazu.

  33. „Am Ende lauert ein faschistoides System bzw. ein 4. Reich ohne Auschwitz.“
    Wenn es soweit kommt – wovor uns alle Mächte schützen sollten, es kann nämlich nicht jeder auswandern – dann kriegen sie DAS auch wieder hin. Die Opfer wären halt andere.
    Zu der obigen Diskussion paßt ein Erlebnis von mir – SWR1 Radio hatte vor der Bundestagswahl mal einen AFD-Abgeordneten (haha!) in der Sendung „Leute“ . Ich hatte mich darüber geärgert und schrieb den Sender einen Tag vorher wutentbrannt an, wie man eigentlich so einem eine Plattform bieten kann. Ich bekam zur Antwort, daß der ja demokratisch gewählt wäre. Fast schon witzig, wenn es nicht so ätzend wäre.
    Eigentlich war das mein bevorzugter Radiosender, aber ich muß zugeben: seit diesem Tag höre ich ihn ganz erheblich weniger.

  34. @Holly

    Ich hatte mich darüber geärgert und schrieb den Sender einen Tag vorher wutentbrannt an, wie man eigentlich so einem eine Plattform bieten kann. Ich bekam zur Antwort, daß der ja demokratisch gewählt wäre. Fast schon witzig, wenn es nicht so ätzend wäre.

    Das ist ja der Treppenwitz daran, dass für die Quote diesen Typen so billig die Bühne gegeben wird, während u.a. in den USA derzeit live verfolgt werden kann, wie ein Trump in seiner Agenda mit als Erstes die Medien rasiert. Da Medien nun einmal Machtinstrument sind, werden diese von Autokraten und Diktaturen gleichzeitig systematisch durch den Kakao gezogen, wenn sie Kritik üben; gleichzeitig für die eigene Propaganda missbraucht und sobald sie an der macht sind entweder eingestampft oder auf Linie gebracht – da können die Clowns noch so „demokratisch“ gewählt worden sein.

  35. Holly und Siewurdengelesen: Die Moderatorin Maybritt Illner ist die Einzige, die bislang noch keinen Gast aus der AfD in ihrer Sendung hatte. Alle andern machen auch nach dem großen Wahlerfolg bei der letzten Bundestagswahl weiter wie bisher und wir zahlen noch dafür. Ich habe auch schon wiederholt die Macher der Talkshows für Ihre unter demokratischem Deckmäntelchen falsch verstandene Objektivität, Unparteilichkeit, Pluralität und Liberalität über den Zuschauerservice kritisiert. Ich bekam ähnliche Antworten wie Holly. Der ÖR-Rundfunk habe den Auftrag, auch die 20 Mio Wählerinnen und Wähler der AfD zu berücksichtigen. Tatsächlich jedoch werden die Weltbilder größer Teile der Zuschauenden durch Statements dieser Gäste, die dann auch noch als „Argumente“ geadelt werden, nur bestätigt.

    Ein aktuelles Beispiel sah ich jetzt in der letzten Dieter-Nuhr-Show. Als er mal wieder Greta Thunberg durch den Kakao zog mit der Einleitung (Min. 26:35) „als dieses verhaltensauffällige Schulschwänzermädchen“….konnte ich deutlich wahrnehmen, dass der mittelständische Vergnügungspöbel im Saal ihn mit außergewöhnlich lautem und spontanem Applaus unterbrach, weil sich diese Leute in ihrer Meinung über Frau Thunberg bestätigt fühlten. Diesen Bestätigungseffekt stelle ich – bestätigt durch tausende von Jubelkommentaren unter den jeweiligen Videos- bei den Fangroups der rechten Influenzer, Podcaster und Youtuber fest.

  36. @gerhard keller:

    „Ich bin in meiner politischen Biografie auch oft von Linken enttäuscht worden. Als einer der ersten Aktivisten bei den Grünen Anfang der 80er Jahre war ich begeistert von den damaligen Grundsätze wie „Antiparteienpartei“, imperatives Mandat, Rotationsprinzip, keine Doppelmandate usw. Dann kamen die Koalition mit der SPD, die Mitverantwortung für den Jugoslawienkrieg und später noch die Agenda 2010, was mich mit anderen wie Jutta Ditfurth, Thomas Ebermann und Rainer Trampert 1990 zum Austritt bewog. Nach der DDR-Übernahme einigten sich die Antifa und andere autonome bzw. linksradikale Zusammenhänge in Westdeutschland darauf, die PDS zu wählen. Auch dies führte wieder zu großer Enttäuschung, weil die heutige Linke soweit degeneriert ist, dass sie anstatt konsequent antikapitalistische Politik zu machen, lieber den Staat übernehmen und den Kapitalismus verwalten möchte. Dieses Rattenrennen um die besten Plätze an den Futterträgen hat mich angewidert. “

    Mit diesem Abschnitt würde ich fast komplett mitgehen, auch wenn ich nie eine Innensicht zu einer Partei hatte (war niemals irgendwo Mitglied), aber von außen betrachtet -als Wähler- gibt es recht gut meinen eigenen Werdegang wieder. Die 98er Wahl war übrigens die erste, wo ich überhaupt teilnehmen konnte und dann knallten mir die Grünen einen Angriffskrieg rein… wo man sich als Pazifist kaum größer verraten fühlen konnte. Die SPD war mit ihrer Agenda 2010 dann auch kaum weniger Enttäuschung.

    Immerhin habe ich seitdem mit meiner Stimme nie wieder mit dazu beigetragen, dass in meinem Namen militärische Gewalt ausgeübt wurde. Die andere Seite dessen ist jedoch, dass meine Stimme dadurch auch nie wieder irgendwo politisch eine Bedeutung erhielt. Aber: Lieber so als umgekehrt wie 98…

  37. Übrigens mal als Einwurf als Beispiel dafür, wenn man mit der Bekämpfung der AFD soweit geht, dass man sie schlichtweg nicht teilnehmen lässt. Das haben wir gerade in Ludwigshafen erleben können, der Wahlausschuss hat den AFD Kandidaten einfach mal ausgeschlossen und auch die Gerichte spielten mit.

    Das Ergebnis:

    Wahlbeteiligung liegt bei 29,3%.
    Anteil gültiger Stimmen: 26,6%

    Schlussendlich hat nur jeder fünfte Wahlberechtigte für einen der beiden Kandidaten gestimmt, die jetzt in die Stichwahl kommen.

    Ehrliche Frage: Wollt ihr diesen Preis zahlen, um die AFD draußen zu halten?

    Wahlbeteiligung 2017 war übrigens knapp 61%
    https://ludwigshafen.de/fileadmin/ludwigshafen/amtsblatt/2017/2017_amtsblatt_58.pdf

    Details zu 2025 hier:
    https://www.rlp-wahlen.de/M212/OBWahl2025/ergebnisse.html

  38. Yossarian: „Übrigens mal als Einwurf als Beispiel dafür, wenn man mit der Bekämpfung der AFD soweit geht, dass man sie schlichtweg nicht teilnehmen lässt….
    Ehrliche Frage: Wollt ihr diesen Preis zahlen, um die AFD draußen zu halten?“

    Was mich betrifft, so ist meine Antwort auf die Frage ein klares NEIN! Ich halte ein AfD-Verbot für den falschen Weg.
    Ich bin eher immer FÜR Gespräche, wie Claudia und Menachem Welcland hier bereits auch schon geschrieben haben.

  39. Erstmal muss es ein Verbotsverfahren geben, bevor es ein Verbot gibt. Wir sind ja schließlich eine Demokratie;-)

    Falls die hier Beteiligten so ein wenig die Inhalte der Beiträge hier reflektiert haben und angesichts des Anbiederns der anderen demokratischen Parteien an den Kurs der Rechten, sollte eigentlich jedem klar sein, dass es unter den jetzigen Umständen niemals ein Verfahren geben wird.

    Andererseits ist es müßig zu versuchen, Antidemokraten mit demokratischen Mitteln bekämpfen zu wollen. Das hat noch nie funktioniert und im Fall der Fälle machen die sowieso wie die ganze Zeit auf Opfer – gehört ja zum Programm. Genau für diesen Fall wurde diese Möglichkeit im GG nämlich vorgesehen.

    Ein erfolgreiches Verbotsverfahren hätte den Vorteil oder Nutzen, dass eine neue rechte Partei, die so sicher käme wie das Amen in der Kirche, sich erstmal wieder organisieren und sichern müsste. Der eigentliche Gewinn wäre also in erster Linie Zeit und etwas Geld, weil die Parteifinanzen ja auch eingezogen würden.

    Für den finanziellen Teil stünden jedoch schon genug Geldgeber genau wie jetzt im Hintergrund parat und mir dünkt so ein wenig, dass auch die jetzigen Granden dieser Partei im Auge nicht so blau sind wie in der Kluft und im Logo, sondern analog zur JA sicher schon etwas in der Hinterhand haben, falls so ein Verfahren käme und Aussicht auf Erfolg hätte.

    @Yossarian

    Cherrypicking und Vergleich von Äpfeln und Birnen?

    Selbst wenn eine Wahl mit nur 10% gültigen Stimmen beendet wird, gilt sie. Auch das ist Teil der Demokratie und wenn 30 oder eben 60 Prozent aus welchen Gründen auch immer nicht wählen gehen, ist das eben so. Wieviele Stimmen Paul geholt hätte, lässt sich aus dem Ergebnis auch nicht ableiten.

    So btw. wurde Paul nicht einfach ausgeschlossen, sondern es haben Gerichte in mehreren Instanzen bestätigt, dass die angebrachten Zweifel zur Verfassungstreue berechtigt sind und daher ein Ausschluss von der Wahl ebenfalls.

    Das dabei Kommunalwahlen völlig anders funktionieren, wie Landtags- oder Bundestagswahlen, sei jetzt mal dahingestellt. In Mannheim direkt neben LU lag die Wahlbeteiligung 2023 bei der OB-Wahl übrigens auch nur minimal höher. Der „Trend“ zu geringerer Wahlbeteiligung existiert schon länger.

    Das Wahlergebnis

  40. Wow, was hier alles angesprochen und debattiert wird, gäbe Stoff für 10 längere Blogposts zu unterschiedlichen Themen – insbesondere, was die Enttäuschungen von Linken und Grünen angeht.

    Ich war mal recht nah dran, teils sogar drin im Politikbetrieb in Berlin – aufgrund meiner aktiven Hausbesetzerinnenzeit und Mieterarbeit, hatte dann auch einen Job als Fraktionsassistentin der AL im Bezirk Kreuzberg (Vorläufer der Grünen, im Schub der Hausbesetzungen ins Abgeordnetenhaus gekommen). Meine Aufgabe: Das Büro besetzt halten, dort spontane Gäste empfangen, sowie die Post sortieren. Letzteres ohne irgendwelche inhaltlichen Vorgaben! (=neue Partei). Es lag also durchaus an mir, zu entscheiden, welches Anliegen ich in die Parteigremien bringe oder im Papierkorb entsorge! :-) Dabei bemerkte ich auch, wie unangenehm es den Parteifunktionär/innen war, wenn ich ein EIGENTLICH PASSENDES Anliegen einbrachte, das aber von einer unliebsamen Gruppe kam! Die AL war durchweg PRO Hausbesetzungen, gegen Räumungen etc. – aber als ich sie damit konfrontierte, dass eine Gruppe Sanjasins („Baghwan-Jünger“, harmloseste Spirituelle) geräumt werden sollte und um Unterstützung nachsuchte – tja, da wurde zwar nolens volens noch „besichtigt“, mehr aber auch nicht.
    Es kamen dann auch Dinge vor, die waren sowas von „undemokratisch“ (von Einzelnen), dass ich von einer politischen Karriere absah (die mir offen gestanden hätte damals).
    Insgesamt kann ich aber sagen: Je mehr ich mich in einen Bereich einarbeitete, die Strukturen und Sachzwänge kennen lernte, desto mehr wuchs mein Verständnis für die Veränderungen, die politisch Aktive in Ämtern durchmachen. Nur mal als harmloses Beispiel: Die Rotation. Abgeordnete/r sein ist ein Vollzeitjob mit einer längeren Lernkurve – und dann wieder rausrotieren, damit ein Newbee wieder von vorne anfängt?
    Das stellte sich – für mich und viele andere – nachvollziehbar als Nonsens raus. Wie auch so manch anderes anfänglich gut Gemeinte.

    So bin ich heute wohl linksgrünlastige „Mitte“ und meine Meinung zu „AFD-Verbot“ schwankt. Mal bin ich schwer dafür, dann wieder dagegen – aus den jeweils hier genannten Gründen.

  41. Auch wenn die Diskussion inzwischen weit vom eigentlichen Thema abgedriftet ist, bleibt festzuhalten: Hier geschieht etwas Besonderes – und zugleich etwas, das in unserer Zeit leider selten geworden ist.

    Ich versuche, mir die Welt nicht dadurch zu „verschönern“, dass ich pauschal gegen all jene kämpfe, deren politische Haltung ich nicht teile. Dennoch nutze ich – vor allem bei YouTube – die altbewährte Möglichkeit, bestimmte Kanäle auszublenden –– um das harte Wort „Blocken“ nicht zu benutzen. Manche Inhalte möchte ich schlicht nicht mehr sehen, dazu zählen für mich etwa „Weltwoche“ oder „Nius“.

    Besonders schätze ich dagegen die Videos von Prof. Dr. Rieck, die ich seit längerer Zeit regelmäßig verfolge. Immer wieder frage ich mich dabei, warum sich die Kritik so stark auf linke und grüne Positionen konzentriert. Vor einigen Wochen habe ich mir auf dem Kanal von Flavio von Witzleben ein langes Gespräch zwischen Dr. Ulrike Guérot und Björn Höcke angehört. Und natürlich kam mir dabei der Gedanke: Wer wird mich wohl kritisieren oder gar verurteilen, nur weil ich mir dieses Gespräch angesehen habe? Das allein zeigt schon, wie angespannt unser Diskursklima inzwischen geworden ist.

    Oft erscheinen mir bestimmte Dinge so eindeutig, dass ich kaum verstehen kann, warum es dazu überhaupt so gegensätzliche Sichtweisen gibt. Wenn Diplomaten oder Politiker andere Positionen vertreten, kann ich das nachvollziehen – es gehört zu ihrem Geschäft. Aber wie Menschen den Krieg Israels gegen die Zivilbevölkerung Gazas rechtfertigen oder gar verteidigen können, bleibt für mich schwer begreiflich. Lange Zeit habe ich die palästinensische Seite, sprich die PLO, pauschal als Verbrecher gesehen – ein sehr vereinfachtes Bild, geprägt auch von unserer eigenen Geschichte und dem besonderen Verhältnis zu Israel. Doch Netanjahus Politik hat bei mir zu einer klaren Haltung geführt: Für sein Handeln habe ich keinerlei Verständnis oder Sympathie.

    Es bleibt die Frage, warum wir heute mit Meinungsverschiedenheiten so schlecht umgehen können. Sie haben die Menschheitsgeschichte immer begleitet, und doch scheinen wir zunehmend unfähig, sie auszuhalten. Stattdessen begegnen wir uns mit scharfen Worten, die oft im Widerspruch zu unseren eigenen Lebenserfahrungen stehen. Eigentlich wissen wir, was richtig ist – oder, um es mit Prof. Rieck zu sagen, zumindest was falsch ist. Und dennoch handeln wir oft anders.

    Vielleicht liegt meine Neigung zu einfachen Erklärungen darin, dass ich die sozialen Netzwerke längst als eine wesentliche Ursache dieser Verrohung ausgemacht habe. Darum meide ich Diskussionen dort inzwischen konsequent. Zwar teile ich noch meine Bilder über Flickr und Instagram/Facebook, aber in Gespräche mische ich mich dort nicht mehr ein.

  42. @Claudia: Ich bin durchgängig gegen ein Verbot der AfD. Es ist einfach zu spät. So bekloppt sich das auch anhört.

    Der Verfassungsschutz, das sagen doch fast alle, hat in seinem Gutachten kaum haltbare Argumente für ein Verbotsverfahren geliefert. Das Gebrubbel, das von unterschiedlichsten Leuten aus der Partei gesammelt wurde, ist nicht wirklich verfassungsfeindlich. Wenn der Verfassungsschutz die Partei als rechtsextrem klassifiziert, müsste dieser Nachweis jedoch juristisch unumstößlich erbracht werden. Wenn ich die Diskussionen richtig verstanden habe, ist genau dies nicht gegeben.

    Nun – wehe uns, das Verbotsverfahren würde im Sinne seiner Befürworter schlecht ausgehen. Nicht auszudenken, welche Folgen das haben würde. Deshalb meine ich: Wir sind viel zu spät dran. Diese Weitsicht hätte viel früher zu Konsequenzen führen müssen. Nur waren wir dazu wieder einmal zu feige.

  43. @Yossarian, ich sehe das ähnlich wie du und auf jeden Fall hat der Vorgang um Paul für mich ein Geschmäckle. Ich kann das sachlich nicht verargumentieren, es ist halt eben „nur“ mein Gefühl. Eine „Emotion“, entstanden aus der Berichterstattung der letzten Wochen die, worüber ich mich selbst gewundert habe, so oberflächlich von Headlines geformt war, dass ich mich erst jetzt über die KI zu den „konkreten Vorwürfen“ zu Paul informiert habe.
    Richtig weiter haben mich diese nicht gebracht. Das Geschmäckle bleibt.

    Allerdings, und jetzt muss ich auch noch auf meinen „Glauben“ und mein „Vertrauen“ hinweisen, dass ich glaube und darauf vertraue, dass das Ausschlußverfahren „recht“-mäßig durchgeführt wurde. Ich kann ja gar nicht anders. Selbst, wenn nicht alles rechtens war (was ich nicht weiß und auch niemand unterstellen möchte) gibt es mir die Hoffnung, dass unser Rechtssystem noch „relativ“ gut funktioniert und nicht dem gewaltigen Verformungsdruck standhalten muss, wie er mir derzeit aus den USA dargestellt wird.

    Emotionen, Glaube, Vertrauen, Hoffnung – bestimmende Faktoren, die auf das Klima (für das wir alle eine Mitverantwortung tragen) und auf das Kreuz auf dem Wahlzettel einwirken.

    Dabei verstehe ich und sehe es auch ein, dass bei allem auch Polarisierung notwendig ist, so, wie hier. Alles andere bringt uns nicht in die Puschen und nicht vorwärts. Herausfordernd finde ich dabei, dass ich meine bisherigen persönlichen roten Linien neu überdenken muss.

  44. […] hat mich das gute Kommentargespräch unter dem letzten Blogpost ermuntert, das zwar thematisch weit abgeschweift, aber trotz Kontroversen nie in Verhaltensweisen abgeglitten ist, wie wir sie aus Social Media […]

  45. @Siewurdengelesen:

    „So btw. wurde Paul nicht einfach ausgeschlossen, sondern es haben Gerichte in mehreren Instanzen bestätigt, dass die angebrachten Zweifel zur Verfassungstreue berechtigt sind und daher ein Ausschluss von der Wahl ebenfalls.“

    Falsch, das waren Eilanträge. Da wird inhaltlich gar nichts entschieden, sondern formal geprüft, ob es einer Dringlichkeit bedarf.
    Entschieden wird schlussendlich im Hauptsacheverfahren, das nun irgend wann nach der Wahl laufen wird.

    Und wie kommst du auf Cherrypicking? Bei der Stadtratswahl 2024 lag die AFD bereits bei 20%. Wenn man den bundesweiten Trend nimmt, dann kommt man da schnell auf Werte, wo der AFD Kandidat eine der stärksten Prognosen für die OB Wahl 2025 gehabt haben dürfte.
    Ein Abfall der Wahlbeteiligung von 60 auf unter 30% bei einer derart aufgeladenen Stimmung im Lande… sorry, klar kann man sich das schön reden, realistisch ist das aber nicht.

    Und die AFD einfach mal komplett aus dem Thema rausgenommen: 10% Zustimmung für einen OB halte ich für einen grauenhaften Wert bzgl. seines Repräsentationswertes in der Bevölkerung. Die Idee einer Demokratie ist nun mal, dass man über Wahlen Mehrheiten findet und nicht eine 10% Minderheit erschafft, die dann die 90% Mehrheit ignoriert.

  46. „Lange Zeit habe ich die palästinensische Seite, sprich die PLO, pauschal als Verbrecher gesehen – ein sehr vereinfachtes Bild, geprägt auch von unserer eigenen Geschichte und dem besonderen Verhältnis zu Israel. Doch Netanjahus Politik hat bei mir zu einer klaren Haltung geführt: Für sein Handeln habe ich keinerlei Verständnis oder Sympathie.“
    Genau. Für SEINE, also Netanjahus Politik fehlt mir teilweise inzwischen auch das Verständnis.
    Trotzdem darf man erwähnen, daß in dem Fall die Hamas sich zuerst ins Unrecht gesetzt hat. Das wird wohl immer öfter vergessen – und rechtfertigt mit Sicherheit nicht alles, was Israel so tut.
    Und wäre das nicht gewesen, wäre Netanjahu vermutlich abgewählt und eventuell im Knast – auch in Israel ist er nicht unbedingt beliebt. Momentan kann man ihn aber schlecht absägen.

  47. @Menachem Welcland

    Die Gerichte haben ihn an den Wahlprüfungsausschuss nach der Wahl verwiesen. Daher gibt es eigentlich keinen wirklichen Rechtsweg direkt nach einem derartigen Ausschluss.
    Wir haben auf Bundesebene mit dem BSW einen ähnliche Fall. Das BSW wurde vor Gericht ebenfalls abgewiesen mit praktisch der gleichen Begründung.

    Das Problem dabei ist nur: Zumindest auf Bundesebene gibt es keine Fristen für den Wahlprüfungsausschuss bis wann er zu einem Ergebnis kommen muss. Man kann sich nun überlegen wie motiviert ein Bundestag wohl ist etwas zu prüfen, wodurch evtl. Kandidaten aus den eigenen Reihen wieder aus dem Bundestag ausscheiden müssen.
    Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht etwas Druck gemacht und verlangt, dass der Ablschluss des Prüfvorgangs zeitnah erfolgen muss. Wir werden ja sehen wie lange zeitnah sein kann.
    DANACH kann man sich dann regulär noch mal ans Gericht wenden, aber angesichts der Geschwindigkeit der Justiz in diesem Land kann man sich natürlich ernsthaft fragen, ob das dann noch real einen ernsthaften Effekt hat.

  48. Menachem schrieb:

    „Es bleibt die Frage, warum wir heute mit Meinungsverschiedenheiten so schlecht umgehen können. Sie haben die Menschheitsgeschichte immer begleitet, und doch scheinen wir zunehmend unfähig, sie auszuhalten. „

    Das ist eine Frage, auf die es womöglich keine einfache Antwort gibt, weil verschiedene Ursachen zusammenkommen, die wiederum bei jedem Individuum anders verteilt sind. Ich liste mal, was mir so einfällt:

    Engführung: Der Glaube an eine „bessere Zukunft“ ist verloren gegangen, weil nicht mehr mit Wachstum ständig alles besser wird (mehr verteilt werden kann), DE im Weltmarkt nicht mehr das Standing hat wie früher und (im Hintergrund des Bewusstseins) die Klimakatastrophe sowieso nur Verschlimmerungen mit sich bringen wird. Man befürchtet Verluste und Abstieg, das drückt heftigst auf die Stimmung und erzeugt Gegeneinander statt Miteinander.

    Reale Defizite: Die Bahn, das Gesundheitssystem, die Mieten, die sozialen Sicherungssysteme – alles nicht mehr „wie früher“, ohne dass man selbst daran Anteil hätte, also müssen andere schuld sein. Ergibt böses Blut!

    Agressiver Stil: Die AFD hat einen neuen „Umgangston“ in die Parlamente gebracht, von der „Würde des Hauses“ ist fast nichts übrig geblieben. Und vom Ton in den sozialen Medien muss ich garnicht erst anfangen… das alles färbt ab!

    Vereinsamung: Einzelne Menschen hinter Bildschirmen suchen nach „Gemeinschaft“ und finden sie online bei Gleichgesinnten, die – vermeintlich vereint in ihren jeweiligen Empörungen – ein gesellschaftliches Defizit nicht wirklich lösen, aber sehr wohl Ärger machen können.

  49. Claudia:
    „Agressiver Stil: Die AFD hat einen neuen „Umgangston“ in die Parlamente gebracht, von der „Würde des Hauses“ ist fast nichts übrig geblieben. Und vom Ton in den sozialen Medien muss ich garnicht erst anfangen… das alles färbt ab!“

    Kannst du das konkretisieren? Ich kann mich an Debatten aus den 90ern erinnern, wo man sich richtig böse angegangen hat und ich kann wirklich nicht erkennen, dass das heute qualitativ schlechter geworden ist.

    Hier als Beispiel mal ein Zusammenschnitt (nicht nur 90er) + einer genau umgekehrten Erkenntnis / es ist heute zu nett:
    https://www.youtube.com/watch?v=VZa7-rlia-I

  50. @Yossarian: Dazu hab ich jetzt keine konkreten Belege, erinnere aber diverse Berichte und Artikel mit Beschwerden über das Verhalten vieler AFD-Parlamentarier: ständige Zwischenrufe, Beleidigungen etc. – und auch Geschimpfe, das vor allem dazu dient, was „Fetziges“ auf TikTok, Insta etc. zu posten.

  51. Deutschlandfunk 06.03.2025: In der zu Ende gehenden Legislaturperiode des Bundestages hat die AfD-Fraktion zwei Drittel aller Ordnungsrufe erhalten. Ihre Abgeordneten bekamen 84 der insgesamt 127 Ermahnungen für Beleidigungen und andere Störungen.

    Zu den Zwischenrufen der AfD:
    https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/politik/die-afd-im-bundestag-e362724/

    Zu den Verhältnissen vor dem Einzug der AfD in den BT:
    https://www.sueddeutsche.de/politik/kleine-geschichte-der-zwischenrufe-bombardieren-sie-doch-unsere-parteizentrale-1.3956512

    Auszug: “ Gemessen daran war Joschka Fischer fast schon harmlos. Seine berühmt gewordene Attacke gegen den damaligen Bundestagsvizepräsidenten Richard Stücklen („Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch“) war zwar heftig – aber sie trug bei weitem nicht die Härte und Boshaftigkeit in sich, mit der Wehner politische Gegner angreifen konnte.“

  52. @Claudia: Diverse Berichte und Artikel finde ich etwas dünn angesichts der Tatsache, dass die AFD hier gerne als neue NSDAP dargestellt wird. Berichte und Artikel neigen in einem solchen Setting nicht unbedingt zu einer neutralen Betrachtung.
    Immerhin basiert der Artikel, den gerhard keller hier verlinkt hat, auf Sitzungsprotokollen, allerdings, sorry, der macht schon mit diesem lächerlichen „wir werden sie jagen“ Spruch von Gauland auf (das ist wahrlich bei weitem nicht über dem, was ich aus den 90ern in Erinnerung habe, und geht dann weiter zu solchen (ich habe es zweimal lesen müssen, weil ich glaubte etwas falsch wahgenommen zu habe) Stilblüten:

    „In diesem Zusammenhang ist wichtig: Die Stenografen haben Erfahrung und ein feines Gespür – sie differenzieren genau zwischen wohlwollender “Heiterkeit”, die tatsächlich Belustigung ausdrückt, und aggressivem “Lachen”, das sich an oder vielmehr gegen das Gegenüber richtet (mehr zur Arbeit der Stenografen lesen Sie in diesem Interview). Während in der vergangenen Legislaturperiode die Stenografen jedoch häufiger Heiterkeit als Lachen notierten, ist es jetzt umgekehrt: Im Bundestag dominiert Lachen als Mittel der Distinktion, Selbsterhebung und Erniedrigung des Gegners. Der politisch Andere, seine Argumente werden verlacht, lächerlich gemacht und die AfD setzt die Waffe “Lachen” sehr viel häufiger ein als alle anderen Fraktionen:“

    Das ist doch Satire oder? Wir reden hier von einem Parlament, dessen Zweck die Kontroverse ist, imo hat diese durchaus auch scharf zu sein, und dann führen die so ein Argument an?
    Ich habe den Rest ehrlich gesagt nicht mehr gelesen, das ist mir meine Zeit nicht wert. Falls da noch ein Beispiel kommt, was wirklich relevant ist, dann schaue ich mir das gerne an, aber dann bitte direkt drauf verweisen.

  53. Naja – wenn ständig gezieltes Provozieren witzig ist, ohne dabei Sachpolitik zu machen, dann ist es wahrscheinlich witzig. Angesichts der Zahl an Ordnungsrufen sind sie jedenfalls einsamer Spitzenreiter. Einen Einzelnen würde man bei so einem Verhalten schlicht A…loch nennen und anderswo Troll.

    Das die AfD-Fraktion das bewußt macht, gehört ja ähnlich wie das Niederbrüllen auf anderen Veranstaltungen zum Konzept. Wenn es mal um die Wurst geht, liefern die Großmäuler ja nix.

    Dafür belasten sie den Geschäftsbetrieb mit jeder Menge sinnloser Anfrage und nölen im selben Atemzug über Bürokratie. So btw. lügen sie auch gerne wie gedruckt.

    So btw. haben die AfD-Fraktionen auch in den Landtagen etliche Klatschen wegen ihres Verhaltens kassiert und das ständige Lavieren mit rechten Bezügen führt bei Rechten eben früher oder später dazu, dass Worten Taten folgen – Sprache ist nämlich auch ein Grundstein für spätere Gewalt. Die meinen das nicht „nur so“, sondern eben leider bitterernst beim politischen Gegner.

    Ein gewisser POTUS zeigt derzeit live, wie schnell das gehen kann und im Kreml sitzt ebenfalls so ein Herr, bei dem offene Fenster und merkwürdige Substanzen für Kontrahenten und Kritiker sehr gefährlich sind.

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