Claudia am 08. August 2001 —

Raus in die Welt?

Sieben Wochen Berlin sind es jetzt und ich fühle mich bereits, als wohnte ich schon ewig hier in Friedrichshain – kein Wunder, sieht es doch genauso aus wie meine alte Heimat Kreuzberg vor fünfzehn Jahren. Die zwei Jahre Mecklenburg, Schloß Gottesgabe, das wunderbar weite Land mit den hohen Horizonten und den endlosen Feldern ist fast nur noch ein Traum, als wär‘ es sehr sehr lange her….

Rapsfeld

Tagsüber bin ich jetzt immer allein, denn seit drei Wochen hat mein liebster Freund einen Job, der ihn früh morgens aus dem Haus treibt. Es ist anders, in der Wohnung allein zu sein, ohne die ständige Möglichkeit, zu einer kurzen Plauderei in die Küche oder ins Nebenzimmer gehen zu können. Zwar fühl‘ ich mich nicht einsam wie noch vor zwei Jahrzehnten, als ich alleine wohnte und kaum je zuhause aushielt, ja, ich schätze es sogar, mal ganz ohne Resonanz und Input aus Real World nur für mich zu sein – aber will ich das auf Dauer so haben?

Es regnet, ich trete raus auf den Balkon, schau‘ nach links und rechts und beobachte ein wenig das Sanierungsgeschehen, das mich das halbe Leben schon begleitet. Es ist jetzt wie eingraviert in meiner Wahrnehmung Gewohnheit, so tief, dass ich mich nur unter Baugerüsten richtig heimisch fühle! Komisch eigentlich: erst leidet man unter der Nerverei (Lärm, Hindernisse, fabrikhaft wirkendes Gestänge an Gründerzeit-Fassaden), dann gewöhnt man sich dran, bemerkt es schließlich nicht mehr, sehnt sich auf einmal danach, wenn es plötzlich fehlt – und letztlich findet man es sogar schön!

Soll ich mir vielleicht einen Job suchen? Der plötzlich aufblitzende Gedanke irritiert mich, kommt mir sogar ziemlich entlegen vor nach fünf Jahren Selbständigkeit – aber irgendwie bringt er eine Saite ins Schwingen, die schon allzu lange stumm ist: Rausgehen aus der Wohnung, um zu arbeiten, mit physisch anwesenden Menschen Face to Face zusammen sein. Fragen wie „was?“, „warum?“, „wieso?“ und „wie“ nicht immer nur alleine erdenken, kreieren, beantworten und die Antworten verteidigen müssen – das wär‘ doch mal was?

Meine sich über Monate schleppende Sinnkrise, was die Arbeit angeht, hat eine ihrer Wurzeln in der Anmutung, was immer ich anfange, letztlich „nur für mich allein“ tun zu sollen: Um Geld zu verdienen und dabei noch maximalen Spaß zu haben. Genau das hatte ich ja all die Jahre – aber irgendwie läuft es sich tot: Ich, ich und wieder ich – und jetzt müßte ich auch noch eine richtige Angebots-Seite machen, auf der ich mich ordentlich anpreise…

Was ich fühle, ist keinesfalls ein Anfall von Altruismus oder Weltverbesserungswunsch, nichts dergleichen. Auch kein mangelndes Selbstwertgefühl, denn ich weiß jetzt weit besser noch als früher, was ich gut kann, wo meine Talente liegen und was ich an Einsatz bringen kann, wenn der Sachzwang mächtig auf die Tube drückt. Es verlangt mich einfach danach, Teil einer größeren Aufgabe zu sein, mich in eine vorhandene Struktur einzuklinken und mein Bestes zu geben – in steter Reibung an fremden Impulsen, in Auseinandersetzung mit konkreten anfassbaren Menschen und all den Schwierigkeiten, die entstehen, wenn man zwar in die gleiche Richtung will, aber jeder womöglich denkt, sein Weg sei der beste…. anstrengend, ja, aber auch inspirierend, erfüllend – und dann kommt man abends nach Hause und hat sowas wie „Feierabend“ – wow!

Meine Gedanken wandern zurück in die 90er, zur KEBAB gGmbH, wo ich zwei Jahre Projektleiterin war: Energiesparkampagnen entwickeln und mit 18 Leuten unterschiedlichster Herkunft umsetzen. Da gab es die Engagierten, mit denen ich über die „richtige Richtung“ verhandelte, aber auch die innerlich Abwesenden, die am liebsten ihre Ruhe haben wollten – wobei es zu meinem Job gehörte, ihnen auf die Füße zu treten. Dann die Schüchternen und Zurückhaltenden, die sich nichts zutrauten, denen ich immer erst sagen mußte, wie einfach die Dinge im Grunde sind und daß sie es doch schon verdammt gut hinbekommen… dazu dann noch die „Papierwelt“ mit ihren Verrücktheiten: bis zu acht verschiedene finanzierende Behörden und Institutionen, von denen jede erst Geld bewilligen wollte, wenn sicher wäre, dass auch die anderen das ganz gewiß tun würden… Zigseitige Anträge schreiben, Gehälter und Sachmittel kalkulieren für Aufgaben, die erst ein Jahr später konkret geplant werden sollten – manchmal hab‘ ich selber kaum mehr glauben können, dass das alles wirklich funktioniert, unendlich sperrig manchmal, aber doch.

Als dann mal wieder Mittel gekürzt wurden, bin ich gegangen. Ich hatte das Internet, speziell das Web entdeckt und mich ein halbes Jahr bemüht, bei KEBAB Interesse dafür zu wecken. Ohne Erfolg, es war einfach noch zu früh, damals 1995. Ich war bis zu den Haarwurzeln fasziniert und machte mich also alleine auf den Weg.

Gerade mal bei google gesucht: Klar doch, HEUTE hat natürlich auch die KEBAB gGmbH eine Website…

Mein Lebensgefährte beneidet mich zur Zeit darum, daß ich tagsüber zu Hause bleiben kann – und ich bin mir grad nicht mehr sicher, ob ich das noch gut finde! Bin mal gespannt, ob das eine Anwandlung bleibt, die vorüber geht, oder ob es sich womöglich verdichtet. Alles von Fragen der Machbarkeit mal noch ganz abgesehen, schließlich sind „Arbeitsplätze“ nicht grad breit gestreut, schon gar nicht solche mit Sinn.

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