Claudia am 25. Mai 2001 —

Vom Nichtstun

Während der mediengenerierte Meinungsmainstream sich in den letzten Wochen den Kopf über ein „Recht auf Faulheit“ zerbricht, wird mir nach einem halben Jahr unproduktivem Herumhängen klar, wie wichtig, richtig und unverzichtbar echtes Nichtstun ist.

Ich hatte ganz bewußt auf eine „Lücke“ von etwa drei Monaten hingearbeitet, wollte mir eine Auszeit gönnen, mal wieder nur das tun, wozu ich Lust habe, eigene Projekte vorantreiben, vielleicht ein bißchen Kunst machen, just for fun. Doch Pläne sind noch keine Wirklichkeit: In der Lücke angekommen, war ich weiterhin getrieben, getrieben von den eigenen Ansprüchen (nun hast du Zeit, jetzt solltest du aber endlich mal…) und auch von der schlichten Gewohnheit, mein Leben rund um den Computer zu organisieren, immer am Ball zu bleiben, selbst wenn man gar nicht mehr sagen könnte, was „der Ball“ eigentlich ist.

Natürlich merkte ich, dass ich arbeitsmäßig „stotterte“, Ideen und Vorhaben, Anregungen und Projekte von Freunden und Bekannten regten mich zwar immer noch zu kurzen Aktiv-Phasen an, doch erlahmte der Elan ungeheuer schnell, die kleinsten Widerstände ließen meine Lust verdampfen wie den Tropfen auf der heißen Herdplatte. Und ich sabotierte mich irgendwie selbst, verfiel in geradezu pflanzenhafte Langsamkeit, fasste im Bemühen um Disziplin und schlichtes „weiter so“ Dinge an, die ich normalerweise gern tue, nur um nach wenigen Minuten oder sogar Sekunden wieder damit aufzuhören: Delete.

Monate vergingen so, zum Glück nicht GANZ ohne Output. Immerhin gelang es noch, zusammen mit Michael das Webwriting-Magazin zu entwickeln, aber mit welcher Mühe, verglichen mit meiner gewohnten Spritzigkeit! „Werde ich jetzt alt?“, fragte ich mich besorgt, ist es etwa normal, dass mich die Energie verläßt, daß die Freude an den Dingen nur noch selten aufschimmert und mich nichts mehr lockt? So langsam schlichen sich auch erste Existenzängste in den Hintergrund der Gedanken: Was tun, wenn ich aus diesem Zustand nicht mehr herauskomme? Wie soll ich so mein Geld verdienen? Im ganzen Leben hab‘ ich es noch nie geschafft, einfach zu arbeiten ohne Rücksicht darauf, ob es Spaß macht, ob es ‚was mit mir zu tun hat, ob es Dinge sind, die ich auch selbst befördern möchte. Das wäre also keine Perspektive, schon gar nicht als Networkerin, der das Netz immer als wundervolles Spielfeld und fantastischer Möglichkeitsraum erschienen ist. Da jetzt mangels Inspiration und Energie in einer Stechuhr-Mentalität enden? Undenkbar!

Ein Großauftrag, der sich im Februar eigentlich konkretisieren sollte, und von dem ich mir zumindest eine „Vertagung“ meiner Motivationsprobleme erwartet hatte, wurde dann auch noch auf die lange Bank geschoben. Ich blieb in meiner „Lücke“ sitzen, dank Angespartem zwar noch ohne direkte Geldprobleme, doch auch ohne den Schimmer einer Idee, was ich in Zukunft tun will, wie ich aus diesem Energieloch wieder herausfinde, und ob überhaupt…

Ich kreiste in der vielen „freien“ Zeit oft um das Vorhaben, endlich eine eigene Angebotsseite zu kreieren: Klinger-Webdesign, in all seinen Aspekten. Das schien mir noch das Naheliegendste zu sein, eine notwendige Voraussetzung, um beruflich zu neuen Ufern aufzubrechen. Doch gerade damit stagnierte ich in einer Weise herum, die ich von mir gar nicht kannte, es inspirierte mich einfach nicht, auf so einer Site meine Fähigkeiten anzupreisen. Nicht aus Bescheidenheit oder ähnlich ehrenwerten Motiven, sondern weil der Kick fehlte, der INHALT reizte mich nicht. Wer etwas über mich wissen will, findet auf meiner Homepage unzählige Webprojekte, kann im Webwriting-Magazin lesen, wie ich über Webpublishing denke, findet bei Google unter „Claudia Klinger“ mein ganzes ausschweifendes Netzleben seit 1996, meine Güte, was soll ich da noch sagen?

Natürlich wäre es sinnvoll, das Wichtigste, bzw. das für potenzielle Auftraggeber Relevante kurz und prägnant zusammenzufassen – aber dieser kleine Vernunftgedanke reichte nicht, um meine Trägheit und Ideenlosigkeit zu überwinden. Die hunderttausendste Site ins deutsche Web stellen „Ich mache Webdesign, richtig gut sogar..“? Nein, das wäre es nicht. Wer mich beauftragt, hat schon immer mehr gewollt als eine exakt spezifizierte Dienstleistung, hat sozusagen mich als ganzen Menschen gebucht, mit all meinen Erfahrungen und vor allem mit der Fähigkeit, seine Intentionen im Netz Wirklichkeit werden zu lassen, seinem Traum Gestalt zu geben.

Was aber, wenn ich selber nicht mehr träume? Gestern schrieb mir eine Netz-Freundin von sich:

„Ich fuehle mich leben, wie wenn eine Handbremse angezogen ist, mit low-level-Energie duempeln die Tage dahin, ich kriege kaum etwas geschafft… voellig unbefriedigend. Und das Projekt, das gerade begann, mich wieder zu neuen Hoechstleistungen emporzureissen, scheint sich jetzt (personell) als ein rechter Schlafmuetzenverein zu entpuppen.“

Ja, genau, das ist es! So kenne ich das auch. Die plötzlich aufkommende Begeisterung erlischt sofort, wenn man auf den Alltag trifft, die anderen Menschen mit ihren je eigenen Vorstellungen und Herangehensweisen erlebt: wie sperrig, wie mühsam, wie öde! Mittlerweile sehe ich aber, dass dieses Empfinden nicht von den anderen verursacht oder gar erzwungen ist. Die Schlafmützigkeit, unter der man leidet, ist die eigene Schlafmützigkeit, der eigene Mangel an Energie und Schaffenskraft. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte man nämlich den Elan nicht von anderen erwartet, sondern sie mit der eigenen Begeisterung mitgerissen!

Warum aber ist das so? Handelt es sich um ein Naturgesetz, dass man zeitweise faul, schlaff, ohne Inspiration durch die Tage, Wochen und Monate dümpelt?

Im März wurde ich schließlich krank, ein leichtes Fieber, dass mich täglich zu bestimmten Zeiten WIRKLICH schlaff machte, physisch spürbar, nicht mehr wegzudenken, eine richtige Matschbirne mit Gliederschwere, die mich tatsächlich dazu brachte, den Compi öfter mal auszuschalten und mich hinzulegen, mitten am Tag! Allen, die was von mir wollten und erwarteten, konnte ich jetzt einfach sagen: Sorry, ich bin gerade ein bißchen krank. Nehmt es bitte nicht übel, dass ich derzeit nur sporadisch funktioniere.

Oh, welche Erleichterung! So langsam merkte ich: Da ist noch ein Leben jenseits der Arbeit…. Nicht die Anderen mit etwaigen Forderungen waren irgendwie schlimm, sondern allein ich selbst, speziell mein innerer Sklaventreiber, der sich einfach nicht vorstellen konnte, mal auszuspannen, mal nicht an Sinn und Zweck und Nutzen und Zukunft zu denken, sondern den Mund zu halten und mich in Ruhe zu lassen, damit ich mal wieder „zu mir“ kommen kann. Mein vernünftiger Gedanke, mir eine Auszeit zu gönnen, war schon richtig gewesen – ich war dazu aber nicht wirklich in der Lage, konnte den Ausschaltknopf einfach nicht finden, den inneren Antreiber nicht matt setzen. Das schaffte erst das Fieber.

Und dann das Wunder! Kaum war ich ein paar Tage WIRKLICH in der Ruhe angekommen, hatte begonnen, das Nichts-tun, das Herumliegen, das auf der Wiese sitzen und das ziellose Herumschlendern wirklich zu genießen, da fielen mir jede Menge Schuppen von den Augen. Die Staubschicht auf meinem Gemüt war wie weggeblasen und die Ideen strömten! Wirklich NEUE Ideen, andere, mir ganz individuell (!) entsprechende Herangehensweisen, verbunden mit Freude und Abenteuerlust, Gefühle, die ich schon garnicht mehr kannte! Aufbruchstimmung machte sich breit und wie immer, wenn ich „eigendynamisch“ bestimmte Dinge in den Blick nehme, antwortet mir die Welt, unterstützt mich, entsprechende Kontakte ergeben sich – beeindruckend!

Habe ich dazu wirklich ein halbes Jahr brauchen müssen? Hätte ich nicht früher loslassen können, mich von allen Fronten auch innerlich verabschieden, um mal wieder mit der Welt und mir selbst allein zu sein? Na, vielleicht das nächste Mal!

Wenn ich jetzt mal von dieser Erfahrung aus darüber nachdenke, wie sehr diejenigen, die unsere Welt steuern, in ihre folgenreichen Aktivitäten eingeschweißt sind, dann wird mir klar, warum soviel Schrott passiert, warum alles in langwierigen, mühevollen und sperrigen Konflikten ertrinkt und sich Neues und Besseres nur sehr punktuell durchsetzt. Es wird nicht zu wenig gearbeitet, sondern viel zu viel! Wer gedanklich ständig an bekannten Problemen festklebt, findet keine Lücke mehr, in die etwas „einfallen“ kann und verbraucht seine ganze Energie, ohne damit die Welt irgendwie weiter zu bringen.

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