Claudia am 10. Juli 2000 —

Cosmo Pollite

Mein Bett ist glücklicherweise breit genug, um Bücher einfach links liegen zu lassen, wenn mir – meist schon nach wenigen Seiten – spätestens gegen Mitternacht die Augen zufallen (Landmensch schläft früh ein). Zur Zeit komm‘ ich kaum zum lesen, keine Zeit, um in Anderwelten abzutauchen, der PC als Tor zur Welt mit all seinen Pflichten hält mich fest, bis ich nur noch Lust habe, abzuliegen und die angestrengten Augen zu schließen.

Wenn dann Freunde Bücher schicken (EIGENE!!!! SELBST GESCHRIEBEN….) fühl‘ ich mich unter Druck: Das mußt du jetzt unbedingt schnell lesen, sonst ist er sauer! Na, auf diese Weise ist mir gerade das Werk COSMO POLLITE von Andreas Winterer zugestossen, und gestern hab ich ‚reingelesen. Mit dem Gefühl: Oh je, meine Science Fiction-Ära liegt schon zwei Jahrzehnte zurück, wie werd‘ ich das überstehen?

Doch – oh Wunder! – ich hab’s „at one sitting“ bis auf Seite 47 geschafft! (Und dann war ich nicht etwa genervt, sondern einfach nicht mehr lesefähig). Die Weltraum-Satire mit dem mitreissenden Untertitel „Wodka, Warp und Laserwummern“ wird allen etwas geben, die wie ich mal auf „Per Anhalter durch die Galaxis“ abgefahren sind (KEINE PANIK!). Cosmos Abenteuer sind nicht nur witzig und voller Anspielungen und amüsanter Zitierungen, die auf die gewaltige Lese- und TV-Vergangenheit des Autors schließen lassen (bis hin zu „Wein und Zeit“, „Wein und das Nichts“), sie bringen auch – anders als bei Douglas Adams – gelegentlich das Medium und die Lese-Situation ins Bewusstsein, wenn zum Beispiel der Autor bilderreich beschreibt, wie das Ganze jetzt im Film ‚rüberkäme – und das GEHT, ohne zu nerven!

Wunderbar auch die uns allen bekannten Erlebnisse mit Computern und Programmen, die natürlich auch in der Zukunft Cosmo das Leben schwer machen. Hier mal eine Szene aus einem Aufzug – so zum Appetit machen.

„Die Aufzugtüren bestanden aus vergoldetem Glas. Als sie sich beiseite schoben, gaben sie den Blick auf noch mehr vergoldetes Glas frei. Cosmos Kontaktlinsen verdunkelten sich automatisch, so daß er Mühe hatte, eine Schalttafel zu finden. Entnervt tastete er eine Weile herum, fand aber einfach keine Bedienungsknöpfe. Schließlich hämmerte er mit den nackten Fäusten gegen die Wände und fluchte laut. Sofort erklang eine angenehme Computerstimme. „Willkommen bei der kontextsensitiven Hilfe.“, grüßte der Aufzug. „Die kontextsensitive Hilfe beantwortet alle Fragen im Zusammenhang mit der Aufzugsteuerung prompt und zuverlässig.“
Sieg der Technik! Cosmo Pollite hatte sich schon lange gefragt, warum die Menschen auch im dreißigsten Jahrhundert noch auf Knöpfe drücken mußten. Nun war auch klar, warum er keine fand. Er lächelte in die Kabine und entspannte sich.
„Dritter Stock.“
Während sich seine Kontaktlinsen langsam wieder aufhellten, plätscherte Gioachino Rossinis Barbier von Sevilla leise aus verborgenen Lautsprechern. Nur der Fahrstuhl tat keinen Muckser.
„He! Ich sagte ‚Dritter Stock‘!.“
„Bitte formulieren Sie Ihren Satz in Form einer Frage.“, schnarrte der Lift. „Die kontextsensitive Hilfe kann den Aufzug weder steuern noch eine Konversation führen. Die kontextsensitive Hilfe beantwortet alle Fragen im Zusammenhang mit der Aufzugsteuerung prompt und zuverlässig.“ Tia, ganz soweit war die Technik wohl doch nicht. Na, wenigstens die Stimme des Lifts klang futuristisch.
„Okay, äh, prima. Also: Aufzug, wie komme ich in den dritten Stock?“ „Diese Frage ist in diesem Kontext nicht beantwortbar.“ „Was?“
„Diese Frage ist in diesem Kontext nicht beantwortbar.“
Aha, man mußte wohl seine Frage besonders korrekt formulieren. Nun ja, jede Technik hatte am Anfang ihre Tücken.
„Aufzug, wie fahre ich in den dritten Stock?“
„Derzeit’nicht‘.“ Cosmo hämmerte auf eine Reihe von Not-Knöpfen, die sich etwa auf Kniehöhe befanden. Nichts passierte. Er fluchte wieder.
„Aufzug! Wie öffne ich die Tür?“
Die Stimme des Aufzugs war emotionslos. „Diese Frage ist in diesem Kontext nicht beantwortbar.“
Ganz anders als die von Cosmo. „Sag mal, Du Drecksmaschine! Dir hat man wohl zuviel kalt gepreßtes Olivenöl in die elektronische Birne gegossen?“
„Diese Frage ist in diesem Kontext nicht beantwortbar.“
„Warum denn, um Himmels willen?“
„Diese Frage ist in diesem Kontext nicht beantwortbar.“, beharrte die Stimme.
Cosmo dachte nach. Dann versuchte er es erneut. Mit Freundlichkeit. „Lieber Aufzug, könnte ich in den dritten Stock fahren?“ Diesmal antwortete der Lift: „Na klar.“
Cosmo wartete. Seine Fingerkuppen trommelten auf das vergoldete Glas der Aufzugkabine. Seine Fingerabdrücke blieben haften. Ansonsten tat sich nichts. Der Fahrstuhl bewegte sich keinen Millimeter.
Wieder drosch er auf die Wand ein.
„Dann tu’s halt, verdammt!“
„Bitte formulieren Sie Ihren Satz in Form einer Frage. Die kontextsensitive Hilfe kann … “
Kraftlos sank Cosmo zu Boden und weinte.“

Im Buch ist fast jeder Absatz GAG-gesättigt – manchmal ein bißchen to much, aber das ist Geschmacksache, schließlich ist es Satire. Dass ein Söldner-Raumschiff STAHLGEWITTER heisst und ein T-1800-Kampfroboter, der sich binnen 10 Minuten regenerieren kann, durch schlichtes Spaghetti-Kochwasser ausser Gefecht gesetzt wird, dass die Philosophen der Zukunft alle fünf Jahre um die Verleihung des „goldenen Schierlingsbechers“ wetteifern – das und vieles mehr bringt mich zum Lachen, ohne mich dafür schämen zu müssen, weil wieder mal meine niedersten Triebe angesprochen würden. Was will mensch mehr?

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