Claudia am 19. Mai 2000 —

In Symbiose mit dem Netz

Noch 3 Tage…. Am Montag wird der „Stress“ vorbei sein, Becontent.de geht online und wird 500.000 Mark unters kreative Volk streuen. Und ICH werde die Seele baumeln lassen, ein paar Tage nur für die allernötigsten Nacharbeiten zur Verfügung stehen und ansonsten nur ZWECKLOSE Dinge tun, die mir Freude machen.

Streß schreibe ich in Anführungszeichen, da ich Stress lange schon nicht mehr so spüre wie früher, so als inneres Nagen und Ziehen auf einem Untergrund von Angst und Ehrgeiz, vebunden mit körperlichen Verspannungen, die man nicht mehr bewußt wahrnimmt, obwohl sie die Befindlichkeit dramatisch verschlechtern. Es gehört zu den Vorteilen des Älter-werdens, daß DAS verschwindet, man glaubt nicht mehr, daß die Welt einfällt, wenn irgend etwas nicht klappt und hängt nicht mehr völlig ausgeliefert an den Bewertungen, die von AUSSEN kommen, von Chefs, Kollegen, vom Publikum, von wem auch immer. Ich tue, was ich kann, gebe mein Bestes – mehr ist nicht drin, das muß reichen.

Als ich heute Morgen den PC einschaltete (nachts mach ich ihn immerhin noch aus!), dröhnte er wie ein Staubsauger. Sowas hätte mich dereinst in Panik versetzt, jetzt hoffte ich nur einfach, er werde sich wieder beruhigen und ging erstmal Müll ausleeren. Und tatsächlich, jetzt ist er wieder ruhig wie ein Schaf. Es war der Lüfter, den ich demnächst wohl austauschen lassen werde – für jetzt bin ich froh, daß ich aktuell nicht im Lärm arbeiten muß oder irgend etwas auf die Schnelle organisieren, schließlich liegt noch einiges an bis Montag.

Mehr und mehr lebe ich mit dem Netz in Symbiose. Das wird mir sehr bewußt, wenn ich wahrnehme, wie andere mit dem Computer und dem Internet umgehen. Sie schalten zu bestimmten Zwecken ein, arbeiten die Pflicht ab und machen wieder aus. Oft ist für sie das Ganze nur ein kompliziertes Gerät, daß mensch heute leider zum arbeiten braucht – und das Netz nehmen sie als Shopping-Mall oder Entertainment wahr, eben so, wie es in den meisten Medien angepriesen wird.

Für mich dagegen ist der Monitor das Tor zur Welt, zur GESELLSCHAFT, an der ich als aktive Bürgerin teilhabe – nicht in langweiligen Politikzirkeln, sondern frei schwebend, mal diese, mal jene Community aufsuchend, hier und dort an Gesprächen teilnehmend, mit Menschen in Kontakt tretend, die ich im „realen Leben“ nie und nimmer getroffen hätte.

Früher habe ich es z.B: gehaßt, für mehrere Stunden eine langweilige Arbeit tun zu müssen und nichts sonst – andrerseits dann die FREIZEIT, wo man „am Stück“ allerlei Unterhaltsames konsumiert oder ins Werk setzt, Himmel, wie unorganisch! Fern der lebendigen Realität! Wie oft saß ich schon in einer Veranstaltung und dachte an meine aktuelle Arbeit, die mir viel spannender erschien als das, was auf der Bühne vorging. Und oft arbeitete ich „konzentriert“ an einer Sache, doch im Kopf entstanden schon Bilder und Texte, die damit gar nichts zu tun hatten – ganz zu schweigen von den Kommunikationsbedürfnisen, die von Augenblick zu Augenblick auftauchen, ganz wie es ihnen beliebt.

Heute kann ich alles haben, gleich hier & jetzt. Eine Stunde ununterbrochenes Herumbosseln an einer Website ist schon viel, dann rufe ich Mail ab, schreibe vielleicht selbst eine kurze Botschaft oder lösche zumindest ein wenig Müll aus der Box. Schaue vielleicht in die Liste Netzliteratur und registriere, was dort gerade Thema ist, besuche evtl. noch ein Webboard, auf dem ich gelegentlich schreibe und schaue nach, ob neue Antworten gekommen sind. Neue Ufer, neue Ziele im Web erreiche ich durch Infos aus interessanten Newslettern, Tips in Mailinglisten oder auch durch chaotisches Surfen: irgendwelche Worte in Suchmaschinen eingeben, sehen, was kommt. Oder durch Domain-Hopping: einfach einen Begriff oder einen Satz als URL eingeben, z.B. www.glaube-liebe-hoffnung.de oder www.tod.de – macht Spaß! Bloß nicht die ausgetretenen Pfade, die andere Medien vorzeichnen!

Und selbst mitten in der Arbeit: oft kommen Fragen auf, die ein kurzer Ausflug ins Netz beantwortet – ohne das wäre ich gar nicht mehr arbeitsfähig. Selbst wenn ich weiß, daß irgendwo auf meiner Festplatte die Info liegen muß, oder sie im Regal im Stapel Magazine zu finden wäre: das Netz ist schneller, näher, aktueller, vor allem: dort sind überall Menschen hinter den „Inhalten“ und das macht es viel spannender als die toten Informationsspeicher, die wir aus Vor-Netz-Zeiten gewohnt sind.

Gerade lese ich: Die Telekom-Flatrate kommt. Endlich. Unter 100 Mark und mit vielfacher ISDN-Geschwindigkeit – vermutlich mach ich dann garnicht mehr aus und schreibe – wie auch jetzt schon oft – direkt ins Web, nicht erst ins stille Kämmerlein eines Offline-PCs.

Nachteile? Gefahren? Jede Menge, doch war das Leben immer schon gefährlich. Die größte Gefahr ist, den Körper zu vergessen, nicht den Punkt zu bemerken, wo Ablenkung und Entspannung NICHT MEHR MITTELS DER MAUS geschehen kann, sondern körperliche Bewegung angesagt ist. Seit ich täglich Rad fahre, geht es mir viel besser. Ich spüre, wie die spontane Ablehnung jedweder körperlichen Anstrengung abnimmt und hüpfe fröhlich die Treppe rauf und ‚runter. Jaaaaa, nach Montag werde ich sogar mal mit Freude aufräumen & putzen – REAL, nicht nur auf der Festplatte oder meinen Servern…. :-)

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