Claudia am 29. März 2000 —

Generationen-Kontakte

Wie ein harter Schnitt im Actionfilm ist der Alltag wieder über mich gekommen. „Alltag“ ist in den Netzzeiten eigentlich ein falsches Wort, mein aktuelles Projekt ist immerhin erst zwei Monate alt, da kann man ja kaum von „Alltag“ sprechen. Die heiße Phase der Entwicklung hält mich von früh bis spät am Monitor, an EINER Sache in all ihrer Vielfalt – meine Güte, ja, es ist spannend, aber ich halte es nur aus im Wissen, daß es auch wieder schlaffere Phasen geben wird, wenn mal die Grundlagen stehen.

Zwischen 25 und 35 war ich sehr viel „leistungsfähiger“, arbeitete monatelang und Jahr um Jahr, von früh bis spät an den jeweiligen Projekten, vergaß jede Trennung von Leben & Arbeiten, Urlaub war ein Fremdwort. Der Ehrgeiz, ummäntelt als Sachzwang oder Weltrettungs-Bedürfnis trieb mich voran, über Richtung und Sinn meiner Selbstausbeutung dachte ich nicht nach. Eine tolle Zeit, doch wollte ich sie nicht wiederhaben!

Manchmal bekomme ich Mail von jungen Menschen, die mich fragen, wie ich geworden bin, was ich heute bin. Es stellt sich oft erst nach einigem Mailkontakt heraus, daß mein Gegenüber gerade mal um die 18 oder 20 ist. In Mailinglisten erlebe ich, wie z.B. ein Auftraggeber nach Freelancern oder Praktikanten sucht – und dann fragt mich privat ein 19-Jähriger, der sich da beworben hat, ob die Bedingungen nicht verdammt unverschämt sind?

Vor den Zeiten des Internet hatte ich nie Kontakte zu anderen Generationen, weder zu den Jungen noch zu den Alten. Heute maile ich mit Leuten zwischen 16 und 81 (echt!) und staune, wie einfach das ist. Auf der Straße würde man sich keines Blickes würdigen. In den Institutionen, die sich um „den Dialog“ bemühen, verhindert eine lebensferne, sozialarbeiterisch-pädagogische Beklommenheit, daß normale Gespräche entstehen. Zudem sind die alten Vorgaben zerstört: Die Älteren haben kein Monopol mehr auf ein besseres Wissen. Meine Generation und erst recht die Älteren stehen der Netzwelt skeptisch bis ängstlich gegenüber, sie können nicht im Ernst von sich behaupten, den heute Jungen noch sagen zu können, wo es lang geht!

Besonders dramatisch ist der Autoritätsverlust der Lehrer. Sie sind heute im Schnitt 50, haben berufliche Unsicherheit selbst nie erlebt, in der Regel lebenslang dasselbe getan, und das im überschaubaren Rahmen der Kollegien und Schulbürokratien. Ihre auch bisher nur in der Theorie begründete Selbsteinschätzung, den Jungen etwas „vom echten Leben da draußen“ vermitteln zu können, zerschellt unter dem Anspruch, von jetzt auf gleich zum kompetenten Netz-Couch mutieren zu sollen. Wenige schaffen es, das eigene Nicht-Wissen zu verkraften und gemeinsam mit den Schülern die Dinge zu erforschen, zu stark ist der Anspruch verinnerlicht, den Schülern immer etwas voraus haben zu müssen, um Lehrer zu sein.

Die richtig ALTEN, die mir – selten aber doch – gelegentlich eine Mail schicken, unterscheiden sich genau in diesem Punkt angenehm von den Alten, wie sie mir früher begegneten (bzw. NICHT begegneten). Sie sind weit davon entfernt, mir etwas überbügeln zu wollen, sondern sprechen davon, was sie heute erleben. Natürlich folgen dann Geschichten „von damals“, aber die höre ich sogar gern, finde es interessant, wie man in anderen Zeiten zurecht gekommen ist und was für Probleme im Mittelpunkt standen. Von einem konkreten Menschen erzählt, ist das weit spannender als jedes Geschichtsbuch. Und mit einem 20-Jährigen zu mailen, ist sehr viel erhellender, als den Shell-Report über die „Jugend 2000“ zu lesen!

Das Gegenüber nicht zu SEHEN macht frei, frei von Vorurteilen und Schubladen-Denken, frei, sich offener zu zeigen und ganz normal miteinander zu reden. „Wissen als ob“ ist dabei bedeutungslos, man kann nur das sinnvoll austauschen, was man am eigenen Leib erfahren hat. Aber das ist unter Umständen eine ganze Menge!

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