Claudia am 17. Februar 2000 —

Zeit und Geld

Techno-Musik war nie mein Fall, wenn es auch manches beeindruckende und mitreissende Stück gibt. Doch „Stück“ ist bereits ein falsches Wort, Techno hat normalerweise keinen Anfang und kein Ende, ist nur ein Sound, den man auf- und abdreht. Ein Sound allerdings, der nur zum geringsten Teil melodisch daherkommt, sondern der sein Wesen aus der Maschine bezieht: Mit so-und-so-viel SCHLÄGEN pro Sekunde peitscht Techno vorwärts…. aber wohin? Wozu? Gerade das soll und will der Tanzende vergessen.

Mir fällt diese Musik ein, weil ich gerade einem altbekannten Geschehen ausgesetzt bin: Ein größeres Projekt, inhaltlich wirklich GUT & SCHÖN, gerät in die Nähe der Finanzierbarkeit: Geld soll fliessen, die Beisterung der Macher beginnt die Mächte des Venture Capitals zu interessieren. Und sofort wird aufgedreht! Da die Inhalte und die Notwendigkeiten qualitativ guter Arbeit auf jener Ebene nicht interessieren, soll auf einmal die Hälfte der ursprünglich vorgesehenen Zeit genügen, um etwas ins Werk zu setzen, zu dessen Verwirklichung hunderte Menschen (MENSCHEN, nicht Maschinen) kooperieren müssen.

Es versteht sich fast von selbst, daß es natürlich nicht darum geht, einen bereits vorliegenden exakten Plan ’nur‘ abzuwickeln – nein, das Projekt wird im Prinzip konkretisiert, während es verwirklicht wird. Gegen Learning by Doing ist nichts einzuwenden, das wird heute mehr und mehr zum Standard. Jedoch: Der Teufel steckt immer im Detail und jedes Just-In-Time-Management agiert in hohem Maße mit Versuch und Irrtum. Wenn dann nicht einmal Zeit bleibt, den bereits bekannten Teil der Abläufe und Arbeiten entsprechend vorhandener ERFAHRUNGEN zu timen, um Wachheit, Energie und Ressourcen auf das Neue, das bisher Nicht- Dagewesene zu konzentrieren, dann weiß ich nicht, wie das gehen soll.

Falsch, ich weiss es doch: es geht nicht! Man gewöhnt sich nur allzu schnell eine kompatible, unscharfe Sprechweise an und wenn ich nicht aufpasse, stehe ich eines Tages mit dem Gedanken aus dem Bett auf: „Und wieder ist es uns gelungen, einen großen Schritt in die richtige Richtung zu machen!“

Kurioserweise ist gerade das oben erwähnte „Neue“, das Herzblut der Begeisterung aktiver und kreativer Menschen, die Ressource, mittels der das Kapital sich vermehren möchte. Doch kaum findet die ersehnte Berührung, der hoffnungsvolle Handshake zwischen Geist und Geld, statt, setzt sofort der hektische Rythmus der Maschine ein und beginnt, die menschlichen Potenziale zu verbrauchen, anstatt sie zu befördern, das seltene Herzblut echten Engagements auf dem heissen Stein des rasenden Stillstands zu verdampfen.

Natürlich gibt es trotzdem hier und da Ergebnisse und Realisierungen, doch ich nenne das „Ergebnisse als ob“: alles ist mehr schlecht als recht hingerotzt, unzählige Fehler werden von schmucken Oberflächen verdeckt (im Baugeschehen genauso wie im WWW!), es entsteht eine Welt der Fassaden und Potemkinschen Dörfer, dahinter und darunter ist nichts als gut verpackter Müll.

Das schlimmste daran ist nicht die Welt-als-ob, die so entsteht, sondern der Selbst-Verschleiss der Menschen: Im Versuch, unter steter großer Anspannung dem Rythmus der Maschine zu entsprechen, fällt die eigene Leiblichkeit, die Gesamtheit aus Gefühl, Gedanke und Körperempfindungen, immer mehr auseinander (die Beziehungen sowieso!) – und jegliches Bemühen um Harmonie, um Vereinheitlichung dieser Ebenen wirkt dann wie ein schlechter utopistischer Witz.

Sehe ich zu schwarz? Weil ich das nicht für alle Zeiten ganz genau weiß, trete ich gelegentlich den beschriebenen Realitäten näher, lasse mich aufs Neue ein Stück weit ein: man gibt ja der Welt immer mal wieder eine Chance….

Gut zu wissen, daß ich nicht MUSS. Das nämlich war der große Irrtum meiner ersten Lebenshälfte und ich will hier nicht ausbreiten, was er mich gekostet hat, doch hat es sich gelohnt: heute lebt in mir ein psycho-physisch tief eingegrabenes Kosten/Nutzen-Kalkül, daß sich gerade NICHT nur auf Geld, Sicherheit, Ruhm & Ehre (oder gar „Weltrettung“) konzentriert, sondern andere Werte hoch ansetzt: Gelassenheit, gute menschliche Beziehungen, Entspannung, Freude im Hier & Jetzt. Damit ausgestattet, wage ich es ab und zu, größere Projekte kommen zu lassen – wissend, daß ich gut ohne sie leben und mit hübschen kleinen Brötchen glücklich sein kann.

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