Claudia am 10. Februar 2000 —

Verwahrlosung

Kennt Ihr diese alten Fabrikgebäde aus der Gründerzeit? Rote Backsteinbauten, an sich reine Zweckgebäude, doch immer finden sich auch dekorative Elemente, Säulen, Friese, schmiedeeisernes Kunsthandwerk. Als ich das zum ersten Mal sah, war ich erstaunt über diesen Willen, neben reiner Nützlichkeit immer auch Schönheit anzustreben.

Ich wohnte zeitlebens in Altbauten, Räume mit hohen Decken, großen Zimmern und manchmal Stuck. Wenn ich Freunde in Neubauten besuchte, fühlte ich mich „gedrückt“, denn die Decken sind deutlich niedriger, man hat so ein Schuhschachtelgefühl.
Um alle Städte stehen mittlerweile riesige Schuhschachteln herum, Kaufcontainer auf der grünen Wiese, bar jeder Ästhetik, schnell gebaut, schnell abgerissen, wenn es nicht mehr läuft.

Einige Jahre erlebte ich in Berlin intensiv die Sanierung eines Altbau-Viertels – und stellte fest, daß der ganze neue Kram, den sie einbauen, recht schnell kaputt geht. Gerade mal die Gewährleistungsfrist überstehen die neuen Fassaden, dann blättert die Plastik-artige Farbe ab und das Ganze sieht bald furchtbarer aus als vorher.

Armut der Moderne

Die ganze Welt der Gegenstände geht schnellstmöglich in Müll über, und so etwas wie Manufaktum („Es gibt sie noch, die guten Dinge“) ist nichts als eine nostalgische Fußnote zum Mainstream, zudem ein Privileg der Besserverdienenden.

Warum ist das so? Warum sind wir faktisch ärmer als die Gesellschaft der Jahrhundertwende, die sich offenbar leisten konnte, einem Haus nur 5 Stockwerke zu geben mit viel freiem Raum über dem Kopf? Niemals waren wir so „reich“ wie heute, wenn man vom Umsatz, vom Bruttosozialprodukt, von den Einkommen, von der Gesundheit und der Lebenserwartung ausgeht. Doch bei näherer Betrachtung sind wir eine Müll-Gesellschaft, die ihre reale Umgebung verkommen läßt und sich in den Medien verliert.

Nächsten Monat wird hier ein Chip-gesteuertes Müll-Entsorgungsverfahren eingeführt: Jeder zahlt entsprechend seinem Müll-Aufkommen. Hört sich sinnvoll an, hat aber in anderen Gemeinden bereits zur Vermüllung der Umgebung geführt: Die Leute werfen so wenig wie möglich in die eigene Tonne und fahren den Rest „irgendwohin“. Schon jetzt liegt in den kleinen Wäldchen jede Menge Abfall, die Gemeinden bauen lieber neue Straßen und fällen „störende“ Bäume, als mal ein paar Sammelaktionen zu organisieren.

In den 70gern konnte man noch an den „Ausstieg“ glauben: irgendwohin, auswandern oder einen Öko-Hof aufziehen. Vorbei! Heute wissen wir, daß die Mega-Müll-Maschine bis an den hinterletzten Ort der Erde vorgedrungen ist, there is no way out. Und „öko“ ist auch out, liest man immer wieder, als sei das eine Frage der Mode.

Zwei Jahre war ich in Berlin Projektleiterin für Energiesparkampagnen im Auftrag des Umweltsenats, des Umweltbundesamtes und ähnlicher Institutionen. Stets mußten wir darüber grübeln, wie wir das Thema mit „positiven Werten“, mit Fun und Lifestyle verkaufen könnten. Um Himmels Willen, bloß nicht von Verzicht sprechen! Nein, das hieß „effiziente Energienutzung“. Und wenn ich den Aufwand überdachte, der erforderlich war, z.B. einen Wohnblock voller Mieter mittels Mitmachaktionen, Gewinnspielen und Festen dazu zu bewegen, den Energieverbrauch um 3% zu senken, kam mir echt das Kotzen! Und natürlich war kurze Zeit später alles wie gehabt….

Im BTX führte ich damals eine Umfrage durch, interessehalber, ganz für mich allein. Ich fragte: Wieviel Deines Geldes könntest du sparen, wenn du nur das kaufst, was du wirklich brauchst? Was „wirklich brauchen“ bedeutet, durfte jeder für sich selber definieren. Die Antworten schwankten zwischen 20 und 80%. Da verschwand bei mir auch der letzte Rest von Motivation, mich dafür zu engagieren, irgendwelchen Energieverbrauch um minimale Prozente zu senken….

Bei alledem kann man leicht zum Menschenhasser werden, deswegen denke ich nur noch selten darüber nach. Ich möchte die Welt und die Leute nicht verachten, möchte auch mich selbst nicht verachten, denn ich bin ja keineswegs eine „grüne Heilige“. Und mehr, als es mir immer mal wieder von der Seele zu schreiben, fällt mir dazu nicht mehr ein.

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