Claudia am 16. November 1999 —

Sterben & Gesellschaft

Ob ich ein Forum ans Diary linken soll? Ich mag es, wenn Leserbriefe kommen, stelle sie gern auf die Briefe-Seite und kommentiere sie – vielleicht aber verhindere ich so ausführlichere Gespräche zwischen Lesern? Und nicht immer kann ich ja selbst auf alles eingehen… Wer dafür oder dagegen ist, möge doch mal schreiben!

Juh, vielen durch sein tägliches Sudelbuch bekannt, schreibt heute, die Verbannung des Sterbens hinter verschlossene Krankenhaustüren sei für die Gesellschaft eine Verarmung, der Entzug einer gemeinschaftsstiftenden Erfahrung. Ja, warum sollen wir noch zusammenkommen, wenn nicht, um dem Tod etwas entgegenzusetzen? Wenn wir den Tod nicht für wahr-nehmen, solange es eben geht, verliert auch DER ANDERE seine Faszination, den Aspekt, über mich und mein blosses Dasein und Sosein hinauszuweisen.

Ach je, jetzt werd‘ ich allzu philosophisch-abstrakt! Dabei ist mir das Thema ganz egoistisch-konkret eingefallen: ich will nicht, daß mit mir beliebig verfahren wird, wenn ich mal nicht mehr selber kräftig genug bin, ein Ende zu setzen. Ja, mehr noch: ich möchte sogar kreative Dienstleistungen des medizinisch-industriellen Komplexes für mich in Anspruch nehmen können! Schließlich ist nicht einfach nur „der Abgang“ denkbar, sondern sogar eine Kultur des Sterbens, die eine geeignete Umgebung und ein Zelebrieren der unterschiedlichsten Sinneseindrücke (Musik, Bilder, Düfte….) umfaßt – wie auch den Einsatz geeigneter Drogen. Und auch diese nicht nur, um Schmerzen zu stillen, sondern um – sofern man das schätzt – dem eigenen Bewußtsein auf die Sprünge zu helfen. Was sollen noch Verbote in den letzten Tagen? Vor WAS soll jemand noch geschützt werden, wenn der Tod ansteht?

Ich weiß, daß ich damit in eine Richtung denke, die sich diametral von Michaels Bedenken loslöst, der nicht zulassen will, daß der Staat durch entsprechende Gesetze EXPLIZIT den Freiraum des Individuums, Art und Zeitpunkt seines Sterbens zu wählen, eröffnet. Michael sagt zwar: „Ich möchte natürlich dem Einzelnen alle Freiheit lassen, die er ohnehin faktisch hat…“, sieht damit aber darüber hinweg, daß dieser Freiraum nicht mehr existiert, sobald jemand im Krankenhaus ans Bett und/oder an Apparate gefesselt ist. Wer dann keine Freunde oder Ärzte hat, die bereit sind, sich illegal zu verhalten (und WER hat die schon!), ist aufgeschmissen und voll dem Umtrieb ausgeliefert.

Die Ökonomie des immer unbezahlbarer werdenden Gesundheitssystems drängt tatsächlich in diesselbe Richtung: je früher einer stirbt, desto billiger! Ich bin dafür, hier mit Gesetzen Auswüchse zu verhindern: der Einzelne soll SELBST entscheiden und nicht seine Verwandten oder die Ärzte. Daß diese individuelle Entscheidung aber von der Umwelt beeinflußt ist: ist denn das nicht immer so? Warum das zum Ende hin weghalten wollen?

Letztlich muß ich ja keinen Staat machen und glaube einfach, daß es so kommt. Ich bin bereit, Wetten darauf abzuschließen: Im Jahr 2020, wenn ich über 65 bin, werden in meinem Briefkasten bzw. meiner Mailbox sich nicht nur die Urlaubsreise-Angebote stapeln, sondern immer öfter werden auch „finale Pauschaltrips“ angeboten werden, vielleicht als Werbe-Beilage zur Arztrechnung oder als Infoschreiben der Krankenkasse.

Ich vermute, meiner Generation und den Jüngeren wird dies in den kommenden Jahrzehnten weniger Probleme bereiten, als den Älteren. Schließlich haben wir (post ’68) fast von Kindesbeinen an gelernt, uns zur Not gegen ein Umfeld zu wehren – eine Gesellschaft, die vom mündigen Bürger ausgeht und ihm auch die letzte Freiheit läßt, können wir durchaus verkraften.

Zu guter Letzt: Ich fordere diese Freiheit, diese Rechte, um sie solange es irgend geht, persönlich NICHT zu nutzen. Denn mich interessiert, wie das Sterben „von selber“ geht…., das kann ich aber nur in Ruhe beobachten, wenn ich nicht kämpfen muss, wenn ich auf Wunsch alles haben kann, was ich aktuell zu brauchen meine.

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