Claudia am 25. April 1999 —

Den Traum vom Landleben aufgeben

In dieses Tagebuch zu schreiben, gelingt mir nur, wenn ich darauf verzichte, vorher E-Mails abzurufen. Also morgens, noch ganz „unverbraucht“ von dieser und jener Aktivität, noch nicht besetzt von den Pflichten und Chancen und der mit ihnen verbundenen Kommunikation. Wenn ich nachher dann alle Botschaften gelesen habe, die seit gestern eingetroffen sind, finde ich nicht mehr die Ruhe, so „just for fun“ ein bißchen vor mich hin zu schreiben.

Heut morgen ist es – genau wie in den letzten Tagen – sonnig und klar, ein Bilderbuchfrühling. Laut Wetterbericht soll es allerdings regnen. Ich möchte gern rausfahren, aber es dauert mehr als eine Stunde, bis bei bester Verkehrslage der Stadtrand erreicht ist. Dann haben die angekündigten Regenwolken an einem solchen Tag Zeit genug gehabt, herzufinden, und wieder ist es nix mit dem Spaziergang (durch den Matsch waten ist nämlich nicht so mein Ding). Einen Tag finden, wo aktuelle Realität und der Blick in die nahe Zukunft (Wetterbericht) einen Ausflug sinnvoll erscheinen lassen, ist garnicht so leicht und so kommt es, daß ich die Stadt nicht sehr oft verlasse.

Den Traum, auf dem Land zu leben, hab‘ ich dennoch neulich aufgegeben, nachdem ich bereits einen Mietvertrag und einen ISDN-Anschluß in einem Bauernhof ca. zwei Stunden von Berlin hatte. Die Vermieterin schaffte es nicht, die Wohnung fertig zu bauen, vor allem die Zentralheizung war nicht in Sicht. Nach fünf Monaten des „Lebens auf Abruf“ kündigte ich dannn diesen Plan, denn je länger die Warterei dauerte, desto „traumhafter“ wurde mir die Idee, wirklich in ein 100-Seelendorf aufs Land zu ziehen. Auf einmal erschien mir die Stadt mit all ihrem Lärm und Gestank, ihrer verrückten Überaktivität, ihrer Anonymität und ihren 10.000 Möglichkeiten (von denen ich doch nur selten eine nutze!) als ein wunderbarer Ort. Schrecklich in vieler Hinsicht, ein Moloch, eine Krankheit, eine Welt des Wahnsinns, in der die meisten Leute auf ihre ganz individuelle Art verrückt sind – aber doch der einzige Ort, an dem ich leben kann als die, die ich nun einmal bin.

Ein Leserbrief zum Thema „Umgeben von Indioten“ ist gekommen – von Ingo Mack, den ich für einen der besten Netzliteraten halte, der in diesen Zeiten eine Maus in die Hand nimmt.

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