Claudia am 19. März 1999 —

Vom Leben als Freiberufler

Zum Thema „Helfen“ vom 15.3. sind Mails gekommen, deshalb hab‘ ich die Rubrik „Briefe“ eingeführt – mir ist das lieber als ein Gästebuch, denn das wirkt immer irgendwie automatenhaft.

Es ist Freitag, das Wochenende naht. Als Freibruflerin mußte ich erst lange üben, wieder eine gewisse Rhytmik in mein Leben zu bringen. Schließlich ist es recht egal, wann ich meine Webseiten gestalte, meine Mails schreibe, meine Bilder bearbeite oder an Texten sitze. Der einzige Unterschied ist, daß die Läden zu sind, wenn ich Sonntags die Wohnung verlasse.

Immer hatte ich mir gewünscht, daß es keinen Unterschied geben möge zwischen „leben“ und „arbeiten“ – und allermeist ist es mir gelungen, auf diese Weise meine Brötchen zu verdienen. Ein 9to5-Job war das letzte, was ich mir vorstellen mochte und faktisch hab‘ ich auch insgesamt nur zwei Jahre so gearbeitet: ange-stellt.

Es ist angenehmer, selbständig zu sein, selbst-zu-stehen. Allerdings nur, wenn man sich nicht mitten in der Selbständigkeit zum Angestellten der Vorstellungen anderer machen läßt: der Banken, der Existenzgründungsberater, der Steuerberater und Anwälte. Wie viele reiben sich darin auf, ihre Business-Pläne umzusetzen, Anträge zu schreiben, Organisatorisches von der Geldbeschaffung über die kaufmännische Abwicklung bis zur Akquise zu betreiben! Alles Dinge, die mit der eigentlichen Arbeit nichts mehr zu tun haben.

Für „Unternehmen“ ist das normal: der Unternehmer unternimmt, wenn er den Namen verdient. Er soll garnicht an der Sache arbeiten, sondern an der Firma. Für die inhaltliche Arbeit stellt er andere an, Arbeit-Nehmer. Letztlich bedeutet das: ein Unternehmer darf nicht allzu sehr an der Sache selbst interessiert sein, sondern muß am Gewinn, am Wachstum, am Erfolg seine Freude haben.

Vor 12 Jahren hatte ich die Kneipe in meiner Straße übernommen, ein Kiez-Lokal, in dem ich lange schon Stammgast gewesen war. Es hatte sich so ergeben, weil wir während der Hausbesetzungen in Berlin eine Option auf den Mietvertrag „herausverhandelt“ hatten, im Tausch gegen die friedliche Räumung eines Besetzercafés, das wir im Stil „legal, illegal, scheißegal“ betrieben hatten. Ich hatte nicht daran gedacht, daß die Sache sich ein paar Jahre später wirklich realisieren könnte, doch kam es wirklich so: eine Brauerei-freie Kneipe, kostenlos, niedrige Miete, vollsaniert – wer mag da schon nein sagen, wissend, dass viele für sowas hundertausend und mehr zahlen?

Vom „wir“ waren mittlerweile nur mein Freund Thomas und ich übrig geblieben, doch wir packten die Sache in noch immer jugendlichem Leichtsinn an. Und schon binnen eines halben Jahres war mir all meine vorherige Freude an diesem Lokal vergangen! Ich konnte es nie wieder SO erleben, wie ich es als Gast erlebt hatte und ich lernte, daß „Wirtin“ nicht mein Wunschjob ist, ja, weit entfernt davon! Ich hatte auch keine Lust mehr, irgendwo anders Gast zu sein, da ich jetzt automatisch darauf achtete, wie oft der Aschenbecher geleert wurde oder wie sauber die Gläser waren, wie die Belüftung funktionierte und dergleichen Wirtsbetrachtungen mehr. Ein Flop das Ganze und nach 10 Monaten hat es mir gereicht!

Freiberufler sein ist das Beste: frei seiner Berufung nachgehen! Da kann die Berufung ruhig öfter wechseln, sich verändern, ja, sogar Lücken können auftreten, wenn sich einfach nichts zeigt, wozu man sich berufen fühlt. Alles ist möglich, wenn man nur für sich selbst Verantwortzung trägt, sogar eine schlichte Pause. Frei bin ich nicht dort, wo ich alles tun, sondern da, wo ich es auch wieder LASSEN kann, ohne daß meine Welt einfällt. Je mehr Verbindlichkeiten ich eingehe, sei es durch Büros mieten, Kredite nehmen oder Leute anstellen, desto mehr entferne ich mich von dem, was mir Freude macht und baue mir stattdessen einen mehr oder weniger komfortablen Käfig. Eine Illusion, zu glauben, man werde dafür durch Geld oder Macht, Ruhm oder Ehre entschädigt! Denn das sind alles nur Gedanken, Worte und Zahlen auf Medien und Kontoauszügen, die gerade mal ein kurzes psychisches Highlight bieten, wenn sie GANZ NEU sind. Ansonsten sind sie nichts als „another brick in the wall“.

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