Claudia am 05. März 1999 —

Ein Loblied aufs Webben

Es ist ein seltsames Gefühl, nicht zu wissen, warum ich schreibe, während ich es doch gerade wieder tue. Einige Wochen, auch mal zwei, drei Monate kann ich verstreichen lassen, ohne etwas eigenes ins Web zu stellen – dann aber zieht es mich unwiderstehlich an. Nicht das Web, sondern das Schreiben überhaupt – wobei sich das Verwebben mit dem Schreiben unkaputtbar verbunden hat.

Leute, die das Netz nicht aus eigener Erfahrung (nutzen, nicht nur surfen!) kennen, glauben daran, daß es beim Veröffentlichen im Web darauf ankäme, eine potetiell weltweite – zumindest aber erwähnenswert große Leserschaft anzuziehen. Unterstellt wird der Wunsch nach einem Verlag, der so gnädig sein möge, den AUTOR zu entdecken! Sie können sich nicht vorstellen, daß neben dem Buchmarkt mit seinem Hungerlohn, seinen Orden und Ehren, seinen Miniauflagen, die in den Lagern verfaulen, weil man dafür ja nicht noch Werbung machen kann – das neben dieser langweiligen Veranstaltung zur Aufrechterhaltung des Wirtschaftslebens das ECHTE LEBEN stattfindet. Das echte Leben der Schreibenden, für die es unwichtig ist, ob man sie „Autor“ nennt oder suchtkrank. Denen es jedoch ungeheuer wichtig geworden ist, ohne Aufwand, Vorschriften und Umwege veröffentlichen zu können, was immer gerade kommt. Und nicht für einen Markt, nicht für einen Bücherschrank, sondern mitten im richtigen Leben, für alle, die vorbeikommen.

Mit DIESEN Vorteilen des Online-Publishing kann kein anderes Medium konkurrieren. Alle, denen es darauf ankommt, sich anderen mitzuteilen, ihren eigenen Blick auf die Welt als Facette aktueller Existenz neben andere zu stellen – die das Schreiben nutzen, um sich zu besinnen, um zu experimentieren, um das Spiel, das Leben und Leiden zwischen Form und Inhalt weiterzuspinnen – was kann uns die Printwelt denn noch bieten?

Wer in einen Buchladen geht, sucht ein Buch, um eine unterhaltende oder lehrreiche Stunde zu verbringen. Ich tue das selbst sehr gern! Doch die Erwartungen, mit denen eine Website aufgesucht wird, die von „überallher“ angetroffen werden kann, sind sehr viel umfassender und vielfältiger. Nichts Menschliches ist da fremd. Net-User sind in keiner Form „bedienbar“, wie man eine „Zielgruppe bedient“, denn sie sind einander so wenig ähnlich, wie die Nutzer von Telefongeräten oder Badewannen. Für Verkäufer ist das schlecht, aber für Schreibende wunderbar!

Es bedeutet, daß man miteinander sprechen kann, sich etwas erzählen und wer Laune hat, hört zu. Kommt vielleicht sogar wieder, schreibt vielleicht selbst etwas in Resonanz zum Gelesenen – linken wir’s an! Es gibt kein Publikum, es gibt nur die wachsende Gruppe derjenigen, die dem Schreibenden auf vielfältigen Wegen durchs Netz bei unzähligen Aktivitäten begegnet sind. Keine Kunden, sondern Freunde, Bekannte, Über-Ecken-Bekannte, Kollegen, Geschäftspartner, Auftraggeber- und Nehmer, ja, auch die, mit denen man nicht mehr kommuniziert, weil man sich vielleicht verkracht hat.

So singe ich heut‘ also ein Loblied aufs Webben anstatt etwas KONKRETES über den Tag zu schreiben. Das Konkrete hat mich heut‘ nicht zum Worte setzen inspiriert, höchstens Energie geliefert. Freitags geh ich zum Yoga, und danach ist es ganz normal, daß der Kopf nicht die erste Geige spielt und jedes Erleben zu Tode kommentiert (…es gibt ja noch andere Tage!). Blöd ist nur, daß ich dann manchmal nicht weiß, wohin mit der Eniergie.  

 

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