Claudia am 10. Januar 2015 —

Statt Wut, Angst oder Flucht in die Handarbeit – ja was?

Der unmittelbare Schrecken ist zu Ende. Die Täter sind tot, ihre Opfer auch. Die News, Hashtags und Brennpunkte laufen weiter. Stellungnahmen, Soli-Kundgebungen, Reaktionen, Bewertungungen von Reaktionen, politische Vereinnahmungen, Hass-Reden, Kampfparolen, Warnungen, Distanzierungen, Beschwörungen… Und alles, was in Frankreich die Gewalttaten nicht verhindert hat – mehr Überwachung, Vorratsdatenspeicherung – wird nun hierzulande erneut gefordert, na klar! (Für die Sicherheit, da scheißen wir doch auf den EuGH!)

Journalisten laufen massenhaft beim Freitagsgebet Berliner Moscheen auf und befragen Muslime. Die beklagen, dass ihre schon oft wiederholten Distanzierungen nicht wahrgenommen oder nicht geglaubt würden. Und überhaupt hätten solche Taten nichts mit dem Islam zu tun…

Ich bin müde. Mein Gemüt ist müde. Wir lassen uns durch Hass nicht spalten, sagt der Bundespräsident. Nö, wir sind alle Charlie – von Postillon bis Pegida, von Antifa bis Google.

charlie

Journalisten diskutieren, dass man „so ein Video“ doch nicht zeigen könne. Schließlich sei da zu sehen, wie ein Terrorist einen schon am Boden liegenden Polizisten kaltblütig in den Kopf schießt. Für mich ein Gespensterdisput, schließlich hatte mich das Video schon gleich nach seiner Entstehung „erreicht“ – und gleich zweimal. Da das Gesicht des Opfers nicht erkennbar war und keine weiteren Grausamkeiten mit der Tat einher gingen, hatte ich beim Anschauen keine ethischen Bedenken. Und selbst jetzt wollen sie nicht so richtig aufkommen… mein Gemüt ist eh erschöpft.

Fluchtpunkt Handarbeit

Anscheinend haben viele keine Lust mehr, sich von den vielfältigen Bedrohungszenarien unserer Tage beängstigen, empören oder ermüden zu lassen.
Lest mal den beeindruckenden Artikel von Julia Friedrichs im ZEITMAGAZIN. (Ja, so ein bisschen bisschen Abstand vom aktuellen Terror tut gut, so nach zwei Tagen gefühlt „nah dran“)

„Entschleunigung – die Welt ist mir zuviel“.
…Warum viele Menschen sich heute vor allem für Stressabbau und Handarbeit interessieren – statt für die drängenden Fragen der Gegenwart.

„…Diese Geschichte beginnt im Sommer 2014 in Berlin-Mitte. Die Auguststraße ist eine Hipster-Meile, Galerien-Gelände, Flanierstrecke der Avantgarde. Im Ladenlokal Book Couture bügelt eine Frau handgenähte Bucheinbände. Beim Feinspitz gibt es rund geflochtene Lederleinen aus New York und anderes Feines für Hund und Mensch. Und so ist das do you read me?! auch kein Zeitschriftenkiosk, sondern eine kuratierte Boutique für Magazine und Lektüre der Gegenwart. Wer hier eintritt, steht unter gut aussehenden Menschen, die in Magazinen blättern oder sich in einem edlen Periodikum festgelesen haben. Die Zeitschriften, die ich – in einer feinen Jutetasche – nach Hause trage, sind auf dickem Papier gedruckt, matt in der Farbgebung, erdig im Look. Sie heißen: Oak, die Eiche, Cereal, das Getreide, Escape, die Flucht, und Weekender – Das Magazin für Einblicke und Ausflüge. Und sie haben alle dieselbe Botschaft: Sie predigen das einfache, das gebremste Leben. Loben die vergessene Kunst des Papierschnitts, das meditative Zeichnen von Schmetterlingsflügeln, die Makrofotografie von Kakteenblättern. …“

= quasi die 2015-er Version des Kreislerschen „Ich geh Blumen gießen“-Lebensstils. Kann ich verstehen, hab‘ ja selber einen Garten inkl. Gartenblog, in dem ich selbst der Freude am Konkreten fröhne. Der Text bleibt übrigens nicht beim Besserverdiener-Bashen stehen, sondern beschreibt einen Megatrend, der viele Szenen umfasst.

Aber ist das eine Alternative? Fluchtpunkt Handarbeit, Pflanzen pflegen, Achtsamkeit üben?

Klar, als Ausgleich, Rückzug, SelfCare – aber gewiss nicht als „Lösung“. Selbst wenn ich in einer Waldhütte hausen würde, wäre mein Alleinsein Illusion, da abhängig von der aktuellen Waldbewirtschaftung und wohlwollenden Duldung irgend eines Försters. Zudem ist das eigene Wohlsein auf Dauer kein erfüllender Lebensinhalt, auch wenn uns das der Konsumismus mit aller Macht einreden will.

Weder Surfen auf kochenden Newswellen, spontanes Mitfühlen ohne Nach-Denken, noch Abwenden und Wegsehen vom Übel, Versenken ins Spüren und Beobachten – nichts von alledem ändert mehr als mein Befinden. Wobei ersteres sogar die Gefahr mit sich bringt, dass ich – spontan twitternd – eher noch Teil eines Brandbeschleuniger-Netzeffekts werde als dass ich, was doch eigentlich mein Wunsch ist, zum friedlichen Miteinander beitrage. (Zum Glück hab ich mich bezähmen können…).

Also LESEN…längere Texte statt kurzer News. Nach Geschwistern im Geiste Ausschau halten, die zumindest gewisse Aspekte aktuellen Weltgeschehens ähnlich erleben, vor allem nicht geil darauf sind, klare Freund- und Feindbilder zu pflegen. Nach der „Entschleunigung“ begegnete mir auch dieser Text eines überforderten Individuums:

„Nimmst du das hin? Lässt dich das kalt?“
– Stefan Mesch beim FREITAG.

„Ich habe noch keine “Haltung”, keine abschließende, kluge These zu PEGIDA und dem Anschlag auf Charlie Hebdo. Wütend bin ich heute Abend vor allem auf eine Medienlandschaft, die mich 20, 50 Mal pro Tag fragt: “Nimmst du das hin? Lässt dich das kalt? Bist du dafür oder dagegen?” und dabei nur Empörung, Wut aufpeitschen will. Ein Flüchtlingsheim – bei uns? Nebenan? Eine Zeitung – die meine Religion verspottet? Islamisten – die Europa bedrohen? Flüchtlinge – die an den Grenzen Europas sterben? Eine Frau – verschleiert? Eine Frau – zu dick? Eine Frau – mit 18 Kindern? Eine Schildkröte – in Plastik eingeschweißt? Ein Veggie-Day? Ein Rauchverbot?
Und jetzt? Wie fühlst du dich? Soll das so sein? Soll das so bleiben? Stimm ab! Schimpfe los!“

Ok, jetzt aber genug mit dem Kreisen um die beschädigten Befindlichkeiten in der globalisierten Echtzeit! Wir Menschen sind deshalb die dominierende Gattung, weil wir – bisher – über eine hohe Anpassungsfähigkeit an sich verändernde Umwelten verfügten. Das ist nun erneut unter Beweis zu stellen, eine Anforderung, die schon in uralten Märchen warnend eingefordert wurde: die Möglichkeit, sich in ein Tier zu verwandeln, die dem jeweiligen Helden gescheckt wurde, brachte das Risiko mit sich, im Versacken in die Freuden des Tier-Seins das Mensch-Sein zu vergessen. Das kann man glatt als Parabel auf die Erregungskultur in der Internet-Kommunikation lesen! Es kostet Kraft, sich vom „Strom“ bewusst zu lösen, um der „Bearbeitung“ Raum zu geben.

Dafür ein paar Links, die meine gestrige und heutige Lektüre ausmachten:

Was der Islam und der Westen versäumt haben – Die Differenzierung zwischen Islam und Islamismus war nie falsch, aber unvollständig. Jochen Bittner in der ZEIT.

Ich hab das mit Interesse gelesen, denn allein MANTRA-mäßig allüberall zu verkünden, Islamismus (und erst recht der so motivierte Terrorismus) habe mit Islam nichts zu tun, wird nicht genügen, um den Verdacht aus der Welt zu schaffen. Dafür braucht es Wissen, Analyse, ernsthafte Auseinandersetzung.

Zitat:

„Was genau würde die Zumutung der Aufklärung für den Islam denn bedeuten? Neben der Verwirklichung religiöser Toleranz (es gibt sie im Islam solange nicht, wie Apostasie als strafwürdig gilt), unzweifelhafter Frauengleichberechtigung, dem klaren Geltungsvorrang weltlicher vor religiöser Gesetze vor allem eins: den Abschied vom Islam als Weltordnungsidee.
Die Vorstellung, dass die Welt erst dann friedlich sein kann, wenn die Welt islamisch ist, ist eben nicht radikal, sondern Teil der Lehre Mohammeds. Man kann diesen Anspruch als historisch abtun. Genauso gut kann man ihn aber zur politischen Kampfansage gegen die westliche Demokratie aufjazzen – und genau dies geschieht immer und immer wieder, von Sayyid Qutb, dem geistiger Vater der Muslimbrüder, bis hin zu Osama bin Laden und dem IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi. „

„Apostasie“ ist der Abfall vom Glauben, ich habs geahnt, aber dennoch gegoogelt (=elitäres Gehabe des Autors!). Ich stimme ihm da voll zu, Religion muss freiwillig sein. Aber auch im Christentum gibt es die Idee, dass nur die Christen zu den Geretteten gehören können – inkl. kriegerischer Kreuzzüge gegen „Ungläubige“, denen gegenüber alles erlaubt war.

Beim Lesen dieses Textes wurde mir klar, wie wenig ich vom Islam weiß. Allzu leicht sitzt man so ahnungslos „Hasspredigern“ auf, die genau wie die islamistischen Terroristen den Koran wörtlich nehmen und die Aufforderungen zu Gewalt und zum Kampf gegen Ungläubige ganz kontextlos heraus picken und anprangern. Da will ich doch wenigstens muslimische Gegenreden, andere Interpretationen sehen! Für eine bloße Kampf-gegen-Andere-Ideologie reichts im Allgemeinen nicht zur WELTRELIGION. Also mal ein bisschen rumgesucht – und Interessantes gefunden:

Grundlegende Einstellungen zum Thema Islam und Gewalt – da wird in kurzer Lesezeit klar, dass man nicht Äpfel mit Birnen vergleichen sollte – und manches mehr.

Ebenfalls interessant:

Islam, Totalitarismus und Kritik, von Matthias Küntzel auf Perlentaucher.

„In der arabischen Welt hat ISIS das Fass zum Überlaufen gebracht“

– und in diesem Artikel spürt man als „Westler“ dann mehr denn je, wie schlecht es sich moralisieren lässt, solange man mit Staaten wie Saudi Arabien bestens zusammen arbeitet… wobei doch eigentlich Sanktionen wegen Verletzung von Menschenrechten viel angebrachter wären.

***

Während ich mir nun mit diesen Texten und diesem Blogeintrag (=viel zu langer Text) Stunden der Verarbeitung gegönnt habe, konnte ichnicht gleichzeitig dem News-Fluss folgen. Wer weiß, was mittlerweile alles passiert ist… hab ich was Wichtiges verpasst?

Sicher nicht. Nichts ist wichtiger als dem, was man erlebt, was einen berührt, auch Zeit zu geben, um dazu eine Haltung gewinnen, die nicht von spontanen Emotionen geprägt ist. Damit bin ich noch lange nicht durch, aber die Vertiefung und Bereicherung ist schon spürbar. Auch als Beruhigung.

Erregendere Links zum Geschehen gibts bei „Draußen nur Kännchen“.

Ach ja, und kürzlich hatte ich eine vertiefende „Privatdebatte“ zur Möglichkeit einer „echten Auseinandersetzung mit Pegida“ bei Thinkabout. Wer mag…

Diskussion

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8 Kommentare zu „Statt Wut, Angst oder Flucht in die Handarbeit – ja was?“.

  1. Was alle diese klugen Lifestyle-Schreiber nicht bedenken:
    Handarbeiten ist kein Sinnen über Lifestyle-Scheisse und Ablenkung vom wirklichen Leben.

    So wie es früher notwendig war für den Lebenserhalt, für die Versorgung mit Kleidung, dito Wärme, ohne Textil-Industrie so ist es heute vielfach ein vernünftiger Zeitvertreib, der zu Konzentration, zum Nachdenken und Reflektieren führt.

    In diesem Sinne keine Flucht, sondern Innehalten zum Nachdenken und Ausbrechen aus der Hysterie der schreienden Medien, seien es öffentlich-rechtliche oder Mitmach-Medien, wo sich alles noch hysterischer und noch weniger reflektiert überschlägt

    Gruss, Connie

  2. actio = reactio. In einer Zeit, in der zum Sturm auf das „Private“ geblasen wird, durch Überwachung, Einmischung und Kontrolle, um die Menschen im Sinne der Religion des „Fortschritts“ gleichzuschalten, ist es kein Wunder, wenn Menschen sich in die „Handarbeit“ flüchten. Ist diese „Handarbeit“ aber nicht in Wirklichkeit die „Beschwörung“ des schon längst untergegangenen „Privaten“. Wir bekommen doch auch durch zwanghaftes Geländewagen fahren das untergegangene „Gelände“ unserer untergegangenen Heimat nicht zurück. Das „Handarbeiten“ ist folglich nur die Information über unser untergegangenes „Privates“, welches wir dann den auf uns einprasselnden manipulativen Informationen entgegensetzen wollen. Auch die Religion des „Aufklärung“ verfolgt ihre Apostaten gnadenlos, da sie den Frieden auf der Welt verspricht, wenn Alle bekehrt sind. Sie wird die Abtrünnigen notfalls auch beim Häkeln erschlagen.

  3. nur kurz, eigentlich müsste ich deinen text zweimal lesen und tue das nachher noch mal: der mord an den mitarbeitern von charlie hebdo hat mich ins herz getroffen, ich musste mein tagwerk abbrechen, bin ins bett gegangen und habe 12 stunden geschlafen.

    das drumherum hat mich nicht interessiert, was verstehen schon menschen von charlie, die noch nie ein exemplar in der hand hatten, davon, was charlie hedo ist? nichts. für einen deutschen ist charlie hebdo eh die komplizierteste übung, weil man die tausend kleinen anspielungen erst mal entschlüsseln muss.

    aber charlie steht eben für eine der größten errungenschaften der franz. revolution, die pressefreiheit und vor allem das recht, frech und ungeniert die tabus zu brechen. dafür liebe ich dieses blatt und seine zeichner seit den 70ern, als es noch „charlie“ (ohne hebdo) gab und eher wie die „metal hurlant“, „L’echo des savannes“ oder die „fluide glacial“ daherkam.

    http://bedebedex.tumblr.com/archive

    der mord an ihnen war, als ob man mitglieder meiner familie getötet hätte.

    wie ich damit umgehe? ich trauere.

    die menschenjagd, das hamsterrad, die aufgeregtheit … das ist nicht meins. das ist was für die leute, die auf der autobahn stehen und einen unfall begaffen.

    was aber „meins“ ist: wir werden so etwas wohl bald bei uns erleben und ich befürchte, die person, die das tun wird, wird aus den echokammern der pedidaleute kommen … und wenn du die ersten einträge meines blogs noch mal liest, das ist im grunde mein impuls und mein kernthema.

    über „den islam“ verrät uns das alles übrigens überhaupt nichts. eher darüber, wohin uns diese „echokammerisierung“ der individuellen ideen führt.

    liebe grüße aus der garage, so viel zeit musste sein …

  4. Da will ich brutale Morde verarbeiten, Ursachen nachspüren und Gefahren heraus arbeiten. Ich schaue auf andere, welche Gedanken und Erkenntnisse sie beitragen. Und ausgerechnet in dem Moment stolpere über meine eigenen Denkschubladen (Handarbeit)? – Warum auch nicht, hat ja bei Brigitte auch mal hervorragend geklappt und zu über Tausend aufgebrachten Kommentaren geführt. „Hilfe, ein Häkeldiplom!“ Gerade weil sich diese Schublade so leicht den Anschein gibt, ist darin die Welt viel weniger in Ordnung, als man allzu gerne annehmen möchte.

  5. Liebe Claudia, das alles wühlt mich extrem auf und ich glaube (auch ich habe einen GLAUBEN), dass wir jetzt besonders vor der großen Herausforderungen stehen, wie wir unser weiteres zwischenmenschliches Miteinander gestalten.

    Und ich glaube weiter, das uns da allen viel abverlangt wird, weil unsere bisherigen und alten Denk- und Handlungsschematas eher zurück als vorwärts tragen werden.

    Wie du z.B. schon in der Diskussion bei Thinkabout geschrieben hast, ist die Diskussion mit den Pegidiabefürwortern sehr schwer, weil der Disput durch Argumentation fast unmöglich ist. Ich weiß nicht, ob ich es irrationale Ängste nennen würde, aber auf jeden Fall ist da was. Nur – ich kann es nicht erkennen, auch, weil ich in der Ergründung dieser Motivationen kein Fachmann bin.

    Allerdings lebe ich mit Pegidiabefürwortern auch im engen Lebensumfeld zusammen und von denen kann ich nur sagen, das es fantastische und höchstsensible Menschen sind. Ich glaube ferner, dass diese Gruppe es in ihrem Leben nie gelernt hat und es für sie auch nie notwendig war, sich mit größeren Problemen sachlich analytisch auseinanderzusetzen und einer Lösung zuführen zu müssen.

    So sehr ich mich einerseits dafür für sie freuen kann, so sehr meine ich auch den Nachteil darin zu erkennen, das mehr als einfache geistige Strickmuster ihnen heute nicht mehr möglich sind, vielleicht, auch nie waren.

    Doch: das 100-%-ige entscheidende für mich ist, egal ob das alles richtig oder falsch ist was ich bis jetzt geschrieben habe:

    Diese Menschen gehören zu uns, wie wir zu ihnen, egal, wie schwierig und ungewohnt dieser Umgang miteinander ist und wird.

    Und damit möchte ich nochmals zu dem Glauben kommen. Ich glaube z.B., das wir alle an irgend etwas glauben. Der „FANATISCHE“ Glaube, ob an Gott, gleich welcher Religion, oder an Geld, an Außerirdische, an Nichts, an gesunde Ernährung oder arische Rasse,….im FANATISMUS steckt der sichtbare Feind der Gemeinschaft, deren Ursachen es herauszufinden und zu heilen gilt.

    Irgendwie ist alles derzeit ein furchtbares Durcheinander. Aber ich GLAUBE, damit steh`ich zur Zeit nicht alleine hier.

  6. @Menachem und @Claudia betreffend Pegida:

    Ich glaube nicht, dass nur beim Denken überforderte Menschen Pegida nicht völlig ablehnend gegenüberstehen – weil die Reaktion der Politik darauf eine unehrliche ist:
    Wenn wir diese Menschen alle nur als Überforderte bezeichnen, erheben wir den Anspruch, selbst klar sehend zu sein. Und sind wir das? Ist es nicht Zeit, die Ängste der Menschen ganz anders wahr zu nehmen? Und Fremdes auch als fremd benennen zu dürfen?

    Wir leben nun mal tatsächlich in einem extremen Spannungsfeld der Kulturen, und die Segemente, die wirklich in Dialog mit einander stehen und sich austauschen, sind womöglich nicht breit genug – und der Austausch reicht nicht tief genug.

    Und wenn wir schon dem freieren Zugang von Migranten das Wort reden – oder dem weiter freien: Fühlen wir und dann danach auch für die Perspektive dieser Menschen zuständig, und für deren Ausbildung, zum Beispiel? Die im intellektuellen Diskurs geforderte und gepredigte Toleranz muss ihren Boden in einer praktischen Arbeit und Integration dieser Menschen haben – und da tun wir viel zu wenig.

    Dass so viele Menschen in den IS abdriften, hat eine ganze Menge mit der fehlenden Perspektive junger Menschen zu tun. Ihrer fehlenden Identität in einem fremden Land. Der Fremde, das uns Angst macht, fühlt sich oft tatsächlich sehr fremd – und weil wir ihn nicht erreichen, nicht wirklich, und er sich unsere Werte auch nicht zu eigen machen kann, besteht so viel Sprengpotential.

  7. Zu meiner Informationserweiterung und (An-)Sichtkorrektur empfand ich den heutigen Beitrag in der FAZ zur Studie Pegida, wer und warum unter 400 Befragten an den Demo`s teilnimmt (von denen, die sich befragen ließen).

    Kurzum, 54 % Politikverdrossenheit, 20 % Medienkritik und ca. 15 % Vorbehalte gegen Asylbewerber und Zuwanderern sowie lediglich 5 % vor religiöser Gewalt.

    Zitat:
    Nach Angaben der Forscher komme der typische Pegida-Demonstrant aus der sächsischen Mittelschicht, sei überwiegend männlich, durchschnittlich 48 Jahre alt, konfessionslos, nicht parteigebunden, gut ausgebildet, berufstätig und verfüge über ein für sächsische Verhältnisse etwas überdurchschnittliches Nettoeinkommen.

    Nachzulesen komplett in der FAZ:
    http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/umfrage-unter-pegida-demonstranten-alltaegliche-unzufriedenheit-13369494.html

    Paris, Trauermarsch, Pegida, Leipzig Demo und gestern noch 70 Jahre Ausschwitz Befreiung – das ist für eine einzige Woche schon heftig. Da wäre die Flucht in Handarbeit schon sehr hilfreich, wenn mir ein Ausgleich und ein Rückzug darin wirklich möglich wäre.

  8. Danke für Eure Beiträge – derzeit bin ich ziemlich verwuselt, was die Teilnahme am Gespräch über „all das“ angeht…

    Ich kann kaum in Worte fassen, wie sehr mir die Plattheit der schnellen Info-, Bewertungs- und Empörungswellen auf die Nerven geht.

    Jetzt auch wieder diese „Studie“: da steht ganz deutlich im zweiten Absatz des Artikels:

    „Die Wissenschaftler befragten bei den vergangenen drei Demonstrationen im Dezember und Januar rund 400 Teilnehmer, wobei sich lediglich ein Drittel der Demonstranten überhaupt zu Interviews bereit erklärte. „

    Dann aber geht es fröhlich weiter mit:

    „….Nach Angaben der Forscher komme der typische Pegida-Demonstrant…“

    und so werden die Ergebnisse dann auch rumgereicht und zu Schlagzeilen gemacht. Wer schaut schon so genau, auf WEN bzw. wie viele sich diese Erkenntnisse beziehen?
    Z.B. ist ja anzunehmen, dass sich die weniger Gebildeten, die Marginalisierten, die besonders Wütenden etc. der Befragung verweigern – wie man es oft im TV sehen kann, wenn Journalisten die Leute ansprechen.

    Womit ich nicht behaupten will, dass die Ergebnisse nicht auch für eine Mehrheit der Teilnehmer stimmen könnten.

    Was jedoch nicht viel ändert: IHNEN ALLEN ist vorzuwerfen, dass sie nicht gegen das demonstrieren, was sie angeblich hauptsächlich stört, sondern unter dem Banner „gegen Islamisierung“ Ressentiments schüren, nach unten treten und sich dabei mit Rechtsradikalen und bekennenden Nazis gemein machen.