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Glück. Und mehr.

Peter Wahle: Oweia! ich war glücklich.
Klaus: Michael: Glück - was ist das und wie können wir es erreichen?
Glück braucht Disziplin - Szalay
Enrico Graf: Glücksgefühl - eine Meta-Info?

Wenn man den Printmedien und den Fernsehsendern glaubt, gilt heute ein Arbeitsplatz als das größte Glück. Machte man sich früher noch darüber Gedanken, WAS da gearbeitet wurde und WIE, so genügt heute das bloße DASS: daß gearbeitet wird, ist schon ein Glück, egal wie, egal was.

Jegliche Bedenken, zum Beispiel das erst in den 70er und 80er-Jahren mühsam eingeübte ökologische Denken, das uns von der Endlichkeit der Vorräte und der Begrenztheit des Raumschiffs Erde überzeugt hat, gilt heute als Schnee von gestern, psychischer Balast, der dem Standort schadet.

Ein Rattenrennen ist ausgebrochen, in dem die einen mit Klauen und Zähnen ihre Besitzstände verteidigen und die anderen im Bewerbungs- und Weiterbildungsmarathon Höchstleistungen erbringen. Wer am Rennen nicht teilnehmern will oder kann und somit tatsächlich die Chancen der Wettläufer mehrt, erntet nicht etwa Dank, sondern kollektive Verachtung als ein Schmarotzerindividuum in der sozialen Hängematte, die mancher gern ersatzlos streichen würde. Selbst nachdenkliche Zeitgenossen wagen es selten, gegen das kollektive Fantasma "Vollzeitarbeitsplätze für alle" ihre Stimme zu erheben. Es ist besser für die Wirtschaft (neuerdings Maß aller Dinge), wenn das Volk glaubt, Arbeitsplätze machten glücklich. Zumindest besser, als wenn alle ihre Arbeitsplätze hassen und zusehen, wie man entkommen kann, sei es auch nur für kurze Zeit.

Daß um die "Lohnfortzahlung im Krankheitsfall" gestritten wurde, als gälte es, das letzte Hemd zu verteidigen, läßt den Schluß zu, daß die Gleichung Arbeit haben = glücklich sein nicht so recht aufgeht. Hier geht es nämlich ans Eingemachte: das Recht, jederzeit den (Arbeits-) Schauplatz der Ereignisse verlassen zu können, um in Ruhe wieder zu Besinnung zu kommen - ohne finanzielle Einbußen, versteht sich. Man sieht, was Arbeitsplatzbesitzer von ihrem Glück wirklich halten: eine Mehrheit würde den "sicheren Arbeitsplatz" wohl jederzeit gegen einen ausreichend großen, sozusagen Dagobert-mäßigen Geldberg tauschen.

Der Geldberg

Eine ruhige Stimme sagt: "Jeden Samstagabend irgendwo in Deutschland", die Kamera schwenkt über eine Häuserzeile, dann Sektkorkenknallen, Jubel, eine Stimme kreischt: "Das darf doch nicht wahr sein".
Offenbar exisitiert ein Mainstream, der an den Lottogewinn als Mutter aller Glücksfälle glaubt. Wer wollte dem widersprechen? Selbst die, die es lächerlich finden, Lotto zu spielen, hätten gegen einen Hauptgewinn nichts einzuwenden.

Gut, einen plötzlichen Geldsegen würde niemand ablehnen - aber Glück? In meinen Face-to-Face-Gesprächen mit Menschen hat tatsächlich noch nie jemand behauptet, Geld mache glücklich. (Der Extremste, den ich kannte...). Besser Gestellte sagen gern: Geld macht nicht glücklich, aber es beruhigt. Und lächeln halb wehmütig, halb selbstgefällig. (Schlechter Gestellte sagen dasselbe, nur lächeln sie nicht.)

Dennoch: der große Geldberg existiert als Mainstream-Fantasma, weil er die Vorstellung vermittelt, er erlöse uns von den Übeln. Zumindest von allen finanziellen Sorgen. Als vermeintlicher Glücksgarant kann er erheblich mehr Anhänger vorweisen als etwa der "Arbeitsplatz", trotz aller Gegenpropaganda der Geldbergbesitzer. Und doch bietet er, prototypisch für eine ganze Reihe weiterer Glücksversprechen, nur ein kurzes Glück aus dem Geiste des: "Wie schön, wenn der Schmerz nachläßt!". (Wer noch anders denkt...) Kaum hat man sich an die neuen Verhältnisse angepaßt, ist es vorbei mit dem Glückspilz-Gefühl, das Glück ist weg, die neuen Probleme bleiben.

Das große kleine Glück

Alles Glück dieser Art ist das plötzliche Nachlassen einer Spannung, der Zusammenfall einer Front. Eine Erleichterung und Erholung, deren Empfinden bis zur Ekstase gehen kann, je nachdem, wie extrem die Spannung war und wie lange sie andauerte. Das erste Glas Wasser eines Verdurstenden erschließt andere Glücks-Dimensionen als die Cola bei McDonalds. Und es ist echtes Glück, keine Lüge. Allerdings geht es sehr schnell vorüber und deshalb sind wir nicht zufrieden (.."denn alle Lust will Ewigkeit..."). Wir nennen es nur mit Einschränkungen Glück.

Ein Problem nenne ich es, wenn solches Glück unter hohen Kosten in langen Kriegszügen gegen sich selbst und andere angesprebt wird , auf der Suche nach Geldberg, Ruhm oder Macht. Der Moment der Erfüllung einschließlich Enstpannungsphase ist viel zu schnell vorbei. Wäre das errungene Glück wirklich das, was man sich unter richtigen Glück vorstellt, dann wären die Opfer gerechtfertigt. Man könnte vielleicht sogar hinnehmen, daß es - was immer es ist - nicht alle haben können.(Der wachsende "Rest" könnte ihnen ja per TV oder WebCam beim Glücklichsein zusehen...) Aber so?

Tatsächlich ist dieses Glück sehr viel einfacher zu haben, als indem man eine Schneise der Zerstörung durch die soziale oder physische Umwelt schlägt. Yoga und andere Übungssysteme, die Geist UND physischen Körper einbeziehen (die ja getrennt nicht existieren), bieten die Möglichkeit, zu erlernen, dieses Glücksgefühl jederzeit beliebig oft zu erreichen.

Am Gesetz ändert das nichts: wer nicht an die Grenze des Schmerzes geht, darf nicht hoffen, die Grenze zur Lust zu überschreiten. Eine Wahrheit, die skeptisch macht gegen allzu starkes Streben nach solchem Glück.

Man wird nicht "ganz" glücklich mit diesem Glück, wenn auch wesentlich unabhängiger von allem, was Freude oder Leiden macht - sei es nun Geldsegen oder Gerichtsvollzieher, Mobbing-Atacke oder Beförderung, Frischverliebtsein oder Beziehungsdrama.. Das Versprechen des Geldes, es beruhige zumindest, das sich allermeist als Lüge herausstellt, wird hier wirklich gehalten. Wer lernt, Spannungen selbst zu erzeugen und zu lösen, den wirft so schnell nichts um.

Gibt es denn noch ein anderes Glück? Ein Glück jenseits der Polaritäten? Alles in dieser Welt hat zwei Extreme, kein Licht ohne Schatten, kein Tag ohne Nacht, banal und wahr. Und wenn wir unverdrossen und gegen alle Vernunft die Ewigkeit im Begriff "Glück" einbegreifen, dann muß es zudem außerhalb der Zeit sein - wer wird auf so schlechte Wahrscheinlichkeiten setzen? Hat uns nicht das kleine Glück gelehrt, daß es ohne Anspannung keine Entspannung gibt, kein Genießen ohne Frustration? Keine Leere ohne Form? Es wäre ein Glück ohne Genießen - und wer mag sich sowas schon vorstellen!

"Glück - und mehr" ist dieser Text getitelt, doch vielleicht läßt sich vom Blickwinkel des Leidens und Geniessens nicht erkennen, ob ein Zustand jenseits der Polarität, außerhalb der Zeit, die Bezeichnung Glück zu Recht trägt. Ob da gar irgendetwas "mehr" oder "weniger" genannt werden kann.

Verschwinden wir also lieber von dieser zugigen Aussichtsplattform und wenden uns niederen, aber vergleichsweise handfesten Ebenen zu. (Die Versuchung)

Mit mir nicht?

Wenn Glück vielleicht auch nicht positiv erstrebt werden kann, so bietet es sich doch vielleicht an, das Un-Glück zu veringern. Vielleicht ist ja an dieser Front etwas zu gewinnen, und selbst wenn nicht, so kann man doch den Zuständen nicht immer tatenlos zusehen. Und so schaut der analytische Blick auf die Spannung zwischen Individuum und der Gesellschaft: Nie bin ich so, wie "man" mich haben will. Mag ich mich auch noch so bemühen: die Ansprüche der Anderen verändern sich, wie ich mich verändere und sie sind ebenso unklar, widersprüchlich und stellenweise maßlos wie meine eigenen Vorstellungen vom richtigen Leben. Auch bei maximaler "Flexibilität" gelingt es nicht, den Anforderungen zu entsprechen. Das Glück kann so nicht errungen, das Leiden nicht erfolgreich vermieden werden. Dennoch sind wir unentrinnbar umstellt von den vielen "Du sollst" und "Du sollst nicht" der Gesellschaft.

Was tun? Angesichts der steten Spannung zwischen den Polen "ich - Gesellschaft" scheint es verführerisch, das gespannte Seil ganz einfach zu kappen: was schert mich die Gesellschaft - ich bin ich und ich bestimme selbst, was gut ist! Junge Menschen erleben zwangsläufig eine solche Phase, denn wie anders sollte man "sich selbst finden", als im Gegensatz zu dem, was die je herrschenden Obrigkeiten (Eltern, Schule, Staat, Wissenschaft, Religion, etc.) verlangen?

Von den Jungen kommt daher die Energie, die letztlich zur Weiterentwicklung der Gesellschaft führt (sofern man ihnen überhaupt noch Räume läßt, wo sie sich in den Verwirklichungen versuchen können). Ihr rasantes Wachstum auf allen Ebenen bei gleichzeitig beschränkter Wirkungsmöglichkeit macht es für sie leicht, Veränderungen positiv zu bewerten, sie können sich dabei ja nur verbessern.

Das Bruttoglücksprodukt einer Gesellschaft wird von diesem Prozeß allerdings nicht vermehrt, denn beseitigt man einige Mißstände, reißen gleich andere, oft größere ein. Auch das Individuum kommt über die bloße Gegnerschaft zum Bestehenden dem Glück nicht näher, genausowenig, wie über das schrankenlose "ja, ich auch, ich bin dabei!". Selbst ein Bundesverdienstkreuz oder ein Nobelpreis werden die Lage nicht grundsätzlich ändern.

Warum sage ich das? Warum schreibe ich das auf? Will ich jetzt etwa mit meinem ganz persönlichen Glücksrezept herauskommen, trickreich hineingestrickt in eine Reihe harmloser HTML-Seiten, deren Schicksal im Zeitpunkt ihres Entstehens noch durchaus ungewiß ist?

- wird fortgesetzt- 

 

12.4.98 16:00

Anstatt in selbstgestellte Fallen zu tappen, sei es im Kopf, auf dem Papier oder im realen Leben, bietet es sich an, den Text zuvorderst aus mir hinauszustellen, indem ich ihn ins Netz (hinein-) stelle. So ist er potentiell Millionen von Lesern zugänglich. Ob ihn das verändert? Ist es nicht so, als wäre ich damit vom Alleinsein-mit-dem PC und mir selbst übergewechselt zum Dasein-auf-dem-Podest in einer unendlich großen Halle mit unübersehbar vielen Leuten? Und bringt das nicht Ansprüche mit sich, denen der Text bisher mit Sicherheit nicht genügt? (Selbst wenn man weiß...)

Die Gesellschaft, das unbekannte Wesen: ist es nicht wirklich angesagt, ihr jede Loyalität zu kündigen? All ihre Sitten und Gebräuche sind schließlich ohne unser Zutun entstanden, ihre Moral, ihre Gebote, ihre widersprüchlichen und veränderlichen Erwartungen - hau weg den Scheiß?

Was aber dann an Stelle der Gesellschaft setzen? Worauf sich beziehen, wonach sich richten? Gibt es eine "Natur", die uns unmißverständlich sagen könnte, wo es lang geht? Auf die wir uns nur einstimen müssen, um in Harmonie zu leben und also glücklich zu sein?

-wird fortgesetzt-

 

13.4.98 13:00

 

Natur Natur, immer lockt uns nur: Stimme der Natur.....

...sang dereinst in den 70ern Karl Dall mit der satirischen Deutschrock-Gruppe Insterburg & Co. Wie haben wir gelacht - aber mit einer kleinen Beimischung von Verlegenheit und Wehmut. Denn einerseits lernten wir gerade das neue Dogma: "Du sollst die Natur lieben!" und mußten gleichzeitig feststellen, daß die zur "Umwelt" gewordene Natur arg ins Hintertreffen geraten war. Andrerseits wollten wir selbst "natürlich sein", ganz spontan im Hier&Jetzt, ECHT AUTHENTISCH - und das war eine Plage! Wir glaubten, wenn wir nur immer gerade das täten und sagten, was uns zuerst einfiel, dann wäre das die erwünschte Spontanität. Kein Zensor zwischen der eigenen Natur und der Welt, das muß doch Freiheit sein!

Es war katastrophal. Ich könnte viele Webseiten füllen mit den Geschichten der psychischen Selbstvergewaltigungen, den Verformungen und Selbsttäuschungen, denen wir erlagen. Clodwig Poth, ein begnadeter satirischer Zeichner, hat das ganze Dilemma immer wieder in seiner Serie "mein progressiver Alltag" auf den Punkt gebracht. Mir selbst ist nicht allzuviel zugestoßen, weil ich die Dinge nicht immer so ganz ernst nahm, aber viele zerfleischten sich in ihren Versuchen, Natur, Authentizität, Spontanität, Wahrhaftigkeit gleichzeitig zu demonstrieren - und mit den Freunden, dem Freund und der Freundin wollte man es sich ja schließlich auch nicht ganz verderben!

In der Berliner Hausbesetzerbewegung Anfang der 80er war diese Phase schon Vergangenheit, man schwelgte in der Fröhlichkeit und der intellektuellen Entspannung der neuen deutschen Welle ("Gib Gas, ich will Spass!). Doch die Eigendynamik einer echten Bewegung brachte schnell die althergebrachte Politisierung nach Linksaussen (etwas platter als "damals 68") und auch wieder die entsprechende "Psychologisierung". Alles nochmal im Kurzwaschgang und grün gewendet.

Da mittlerweile Frauen einen großen Teil der Bewegung trugen, geriet die Verinnerung diesmal etwas weniger sortiert, aber tiefer: Man schaute nicht nur auf das Beziehungsleben, Mann, Frau und wie sie es miteinander treiben, und andrerseits auf "die gesellschaftlichen Bedingungen", sondern erlebte beides in der je eigenen und anderen Person. Mit Leichenbittermiene oder Tränen in den Augen gestanden erfolgreiche Bewegungsaktivistinnen und Aktivisten auf dem wöchentlichen Plenum: "Ich erkenne den Fascho in mir!", "Auch ich bin - irgendwo - ein Bürgernormalo".

Gefährlichere Spezialthemen wie "Auch in mir lebt ein Ausländerfeind" und "Auch ich bin ein Vergewaltiger" wurden in intimeren, teils nach Geschlechtern getrennten Gruppen behandelt. Das war sicherer.

-wird fortgesetzt-

14.2.18.00

Innen, außen, Dr.Oetker

Angesichts solcher - gesamtgesellschaftlich wirksam gewordener - Irritationen und nach einem Jahrhundert Entdeckung der "Psyche" kann man doch nicht ernsthaft denkende Individuen auf "die Natur" verweisen! In einer Situation, wo wir von "unserer eigenen Natur" im Bunde mit Pro7 (oder anderen mit allen Wassern gewaschenen Programmanbietern) konditioniert werden wie die Ratten - da spricht Rechke von NATUR! Ja, es ist Natur, wenn ich nach einigen Folgen Akte X die gezuckerten Nuss-Flakes von Dr.Oetker kaufe, weil ich plötzlich Appetit darauf habe. Und wollte ich dazu Bier trinken, wüßte ich: Binding Lager. Und das ist nur die primitivste Ebene. Auf ihr ist in jedem Menschen eine ganze Kathedrale naturhafter Innenwelten aufgebaut. Viele davon sind uns allen gemeinsam, einige teilen wir mit bestimmten Menschengruppen, manche mit dem jeweiligen Geschlecht. Wir wissen nicht, wo Natur endet und etwas anderes beginnt.

Die inneren Phänomene sind oft Natur und Kultur zugleich: etwa die Scham, das schlechte Gewissen, sicher auch Rachsucht. Es beschäftigt weite Bereiche wissenschaftlicher Forschung, nach Trennlinien, klaren Grenzen zu suchen: in der Urgeschichte, in der Physis, in den Genen, im Gehirn - ohne viel Erfolg. Und wer ehrlich in sich hineinschaut, wird ebenso feststellen, daß nur wenig übrigbleibt, von dem man sagen kann: hier hat Natur die Hand NICHT im Spiel.

Wo bist Du, Adam? (und Eva, würde ER heute hinzufügen müssen). Wahrscheinlich irgendwo in den 3% Genmaterial versteckt, die wir NICHT mit den Schimpansen teilen (ohne diesen schützenswerten Tieren hier zu Nahe treten zu wollen).

Entweder wir nennen alles unsere Natur, vom ürsprünglichen Sternenstaub über die Amöbe bis hin zu Adolf Hitler und Mutter Theresa - dann kann niemand ernsthaft meinen, wir sollten nur einfach so weitermachen und fraglos unseren Impulsen folgen.
Oder wir suchen nach dem "Eigenen" jenseits von alledem - doch werden wir da nicht viel finden. In jedem vermeintlich ganz Eigenen zeigt sich bei genauerem Hinsehen das Bedingte, das vom Allgemeinen her kommende, sei es nun Natur oder Kultur. Wer angesichts dieser Lage empfiehlt "Wenn Sie glücklich sein oder werden wollen, dann müssen Sie lernen, Ihrer eigenen Natur zu folgen", sollte dann auch dazu sagen, was für ein Glück er meint.

. . . Glück? Lothar Reschke hat auf diesen Text ausführlich geantwortet- und stellt dabei in sehr persönlicher Form sein eigenes Webschaffen im Ideenmagazin und der Wirkgilde vor.      Danke!

Ich streite nicht ab, daß z.B. die Nußflakes von Oetker ein kurzzeitiges Glücksgefühl vermitteln. Und daß diejenigen, die irgendwo auf dieser Welt gerade wieder zuschlagen, dabei ihre Gipfelerlebnisse haben mögen. Aber meine Hoffnung liegt in der menschlichen Möglichkeit, der eigenen (unser aller) Natur, die stets nach Freuden giert und Leiden flieht, nicht immer folgen zu müssen. Ob sie uns nun von außen oder von innen entgegentritt.

-wird fortgesetzt-

14.2/18.00 - . . . vielleicht ein Gedicht zwischendurch?

Vom Input

Wer bis hierher gefolgt ist, wird vielleicht gerade jetzt zu gähnen anfangen: Ist es doch eine stark verschlissene Methode, Begriffe aus dem Zusammenhang zu reißen, daran ein wenig herumzudefinieren, und das so transformierte Mem hübsch ad absurdum zu führen! Auch die zuletzt gestreifte Weisheit (Mensch, trau deiner Natur nicht!) ist fast so alt wie die Menschheit - muß das unbedingt ins Netz? Dient es dem Glück auch nur irgend einer Ameise auf diesem Planeten?

Immerhin ist jede einzelne Seite, die überflüssig im Web steht, nicht nur ein schamloser Zeitdieb, sondern belastet den Denkapparat mit redundantem Material. Und je voller wir werden, je mehr Daten, Worte, Sätze, Bilder wir aufnehmen, desto weiter entfernt sich die Möglichkeit des Glücks, das nur in einen leeren Geist eintreten kann. Radio, TV, Plakate, Zeitungen und Magazine, Bildung, Belehrung, Tips & Tricks, Handbücher und Gebrauchsanleitungen, von allen Seiten schreit es: Lies mich! Schau mich an! Beachte mich, sonst versäumst du was!

All dieser Möchte-gern-Input verbreitet Informationsstreß, zwingt Gedankenbits ins Hirn, die wir dort nicht wollten, löst Gefühle aus, die nichts mit uns zu tun haben, setzt sich im Hintergrund des Bewußtseins ab wie Teer in einer Raucherlunge. Und nun noch das Netz! Getting information from the Internet is like drinking water from a firehydrant - wer mag vom Glück reden, wenn kaum mehr ein klarer Gedanke zu fassen ist?

Der Philosoph Vilém Flusser, den ich sehr bewundere, hat sich immer geweigert, Kulturpessimist zu sein. Er meinte, dieser wichtige und unverzichtbare Job werde schon von so vielen Freiwilligen ausgeübt, daß er dazu nicht auch noch gebraucht werde. Zwar habe der Kulturpessimismus die besseren Wahrscheinlichkeiten für sich, doch sei es ebenso legitim, sich den Möglichkeiten mit geringerer Wahrscheinlichkeit zuzuwenden - und da folge ich ihm doch gern! Zudem lautet ein Gesetz des Info-Zeitalters: Je mehr Aufmerksamkeit einer Möglichkeit zufließt, desto wahrscheinlicher wird sie, bis sie schließlich den Aggregatzustand virtueller Realität erreicht. Als solche zieht sie weitere Geister an, die mit ihr versuchsweise umgehen (virtuell, versteht sich). Erweist sie sich als brauchbar, hat sie alle Chancen, jederzeit zur Konstruktion von Realität herangezogen zu werden. Suchen wir also unverdrossen nach alten und neuen Glücksmöglichkeiten in den Zeiten der Infoflut, seien sie auch noch so unwahrscheinlich. Auch das menschliche Gehirn war ja doch recht unwahrscheinlich, als die ersten Quastenflosser die Ozeane durchzogen.

Was stört eigentlich an den vielfältigen Daten und Informationen, die täglich auf uns einstürzen? Ist es nicht ein ungeheurer Reichtum, der hier zur Verfügung steht? Wollten Menschen nicht immer wissen, wissen, wissen? Warum jetzt auf einmal die Rede vom Versinken in der Flut, vom Verloren-sein, von der Überforderung? Ist der Mensch ein Gefäß, das auch einmal voll ist? Gibt es eine Grenze der Aufnahmefähigkeit?
Wenn wir müde und gestreßt sind, glauben wir das. Aber kaum kehrt die Munterkeit wieder, wird frisch-fröhlich eingeloggt, die nächste Zeitung überflogen, locker mal eben das TV durchgezappt. Bis erneut eine Grenze erreicht ist und Überdruß, ein Gefühl des Zerstreutseins, der Desorientierung sich breit macht. Manager werden leicht zu Info-Junkies und treffen immer schlechtere Entscheidungen, Studenten drucken einen Stapel Material aus und fragen ihren Prof: was soll ich jetzt damit machen? Lehrer bekommen die Panik, weil sie nicht alles im Voraus kennen können, was surfende Kids im Netz antreffen mögen. Macht Information Angst?

Extroprianer und Transhumanisten meinen, wir benötigten nur eine kleine Aufrüstung des Gehirns - mehr Speicher und bessere Multitasking-Fähigkeiten. Der Cyborg, zu dem wir werden, werde über all diese Features und Plug-Ins verfügen. Mag sein, daß es so kommt - aber ist die Methode "mehr vom gleichen" denn wirklich spannend? Warum sollten wir unseren Geräten nacheifern, wozu bauen wir sie denn? Sind wir wirklich "antiquiert" und unfähig, in der Welt zu leben, die wir geschaffen haben?

-wird fortgesetzt-

21.4/20.30

Ökonomie der Aufmerksamkeit: Mensch ist mehr

Bewohner entlegener Weltgegenden - plötzlich in eine Metropole versetzt - haben schon Aufsehen erregt, indem sie sich im Supermarkt etwas vom Regal nahmen und dann einfach gehen wollten. Schließlich häufen sich dort die Waren - wozu, wenn nicht zum einsammeln? Sie erkannten nicht gleich die komplexe Ökonomie, das Geld- und Scheckkartenwesen; waren sie doch ohnehin im guten Glauben gekommen, die Städte der westlichen Zivilisation seien ein Paradies.

Ähnlich weltgewandt verhalten wir uns im Meer der Informationen, in den Datenfluten und gegenüber den wohlberechneten vieltausendfachen Botschaften und Anreizen, die uns täglich erreichen. Zwar sind wir Altbewohner der Gutenberg-Galaxis und haben die Abstrahierung, die Bürokratisierung, die Mediatisierung, das Heranwachsen der Text- und Bildwelten halbwegs verkraftet. Doch DAS NETZ trifft uns wie ein Schlag. Auf einmal sehen wir - potenziell - alles auf einmal, was wir auf der Welt veranstaltet haben und mit wachsender Geschwindigkeit veranstalten. Es ist, als könne eine Ameise plötzlich mittels eines winzigen Monitors den gesamten Ameisenstaat abtasten - zwar niemals ein "ordentlicher Überblick", aber eine Anmutung der Ausmaße.

Anders als die Net-Userin im Ameisenstaat haben wir außer der Menge auch noch die Vielfalt zu bewältigen. Und wir können nicht nur "abtasten", sondern über das Netz auch kommunizieren, beeinflussen, produzieren, mitmischen - wenn wir über das Abtasten hinauskämen, aber schon da hakt es!

Die Glücklichen, die vorher wissen, was sie suchen, kranken daran, kein Ende zu finden. Im pseudo-unendlichen Cyberspace könnte die richtige Info nur einen Mausklick weiter stehen, nur noch einen Suchlauf weiter in der Suchmaschine, nur noch eine Nachfrage in drei Mailinglisten, usf.. Und was man dabei noch so alles findet! Unzählige Ablenkungen begegnen dem Sucher, Dinge geraten in den Blick, die man eigentlich auch mal gerne wissen oder sehen wollte - in jeder Sekunde stehen wir da wie Orpheus, der sich nach der geliebten Eurydike nicht umsehen durfte, ohne sie erneut ans Reich der Toten zu verlieren (für Griechen-Newcomer: er hat es nicht geschafft!).

Was ist das Problem? Mit dem Blick allein auf das Netz ist es nicht erkennbar. Ein plattes "zuviel verschiedener Input " ist alles, was uns einfällt. Wir akzeptieren so bereits das Modell vom Mensch als Flaschenhals des Infoflusses, wenn wir ihn nicht gar als "vollen Speicher" abhaken. Doch wie wird denn ins Netz geschaut? Durch Monitore und dabei nutzen wir gerade mal Augen und Ohren, vor allem aber den Verstand fürs Lesen und orientieren. Also nur ein Teilgebiet dessen, was heute noch Mensch heißt. Weil wir aber schon im Gutenberg-Zeitalter gelernt haben, daß der Text alles ist und der Mensch nichts, spüren wir das brachliegende Feld kaum als Defizit, nehmen es nicht wahr. Und setzen alles daran, mit dem kleinen Ausschnitt unserer Fähigkeiten die ganze Welt zu umfassen, hübsch ordentlich nach den Gesetzen des Intellekts.

Netz beiseite: Seit je hat es der Mensch geschafft, mit von allen Seiten einströmenden Daten zu Recht zu kommen und seinen Weg zu gehen. Allerdings war daran der Verstand zum Geringsten beteiligt. Seit wir es vorziehen, uns über Zeichen, Symbole, Texte in den Gutenbergmedien auszudrücken, wuchs dem bewußten, zielgerichteten, zunehmend intellektuellen Denken immer mehr Reputation zu: Texte waren schließlich die Software, mit der wir die Hardware - unsere manipulierbare Welt - steuerten, soweit jedenfalls möglich. Mit Texten haben wir uns vom ackern befreit!

Ein so erfolgreicher Intellekt hat Traditionen geschaffen, denen wir uns nicht leicht entziehen können: Zum Beispiel haben wir eine gute Vorstellung vom Prozeß, der erforderlich ist, um in einer X-beliebigen zeitwichtigen Frage ein verantwortliches Urteil als mündiger Bürger zu treffen. Wäre leicht ein mehrwöchiger Vollzeitjob, wollte man damit ernst machen. Dennoch lebt und blüht in uns das Dogma: Handle nur wohl überlegt, nach Abwägung aller Vor- und Nachteile, in Kenntnis aller Umstände und in Würdigung der berechtigten Interessen Dritter. (Wundert es da wirklich, daß - auf "offiziellen Ebenen" - so wenig passiert? Daß überall das Festhalten dominiert, die Ängste, die Trägheit? Das Mißtrauen?).

Und wir sind ja gefordert, uns über wirklich alles Gedanken zu machen, selbst über unsere Zahnpasta, das Salatdressing, die Wirkungen von Nahrungsmittelbeigaben, die GEN-Tomate, die künftige Finanzierung von Theatern und Konzerthäusern, die wir sowieso nicht besuchen.... eine endlose Reihe von Realitätsbits, die vor dem Intellekt auffahren, um analysiert und bewertet zu werden. Keine Chance, noch etwas Sinnvolles zu unternehmen, wenn wir ihn gewähren lassen. Er vertieft sich und findet kein Ende, kann im Prinzip über die Euro-Banane und beliebige andere Themen eine Doktorarbeit schreiben und im Zweifel immer nach der nächsten Quelle suchen. Die Möglichkeit, ihn selbstdisziplinierend auf Themen zu begrenzen, bietet zwar erstmal eine Linderung der Problematik. Auf Dauer aber wächst das Gefühl, etwas zu verpassen, die Vermutung greift Platz, daß uns jede Menge entgeht, solange wir an den eigenen Leinen entlang surfen. Es tritt immer öfter der mentale "wählt Schröder-Effekt" ein, man macht spontan irgendwas, jedenfalls etwas, was nicht vollständig intellektuell durchgecheckt ist. (sofern man nicht mit Konsumieren schon glücklich ist).

Selbst wenn das im Einzelfall furchtbare oder komische Effekte geben mag, so ist es doch der erste Schritt zur Besserung. Wir sind ja - hoffentlich nicht nur potentiell - lernfähig.

-wird fortgesetzt-

5.5/20.00

Speicher löschen

Vielleicht können wir ja etwas von den Maschinen lernen, die wir (vor allem die männliche Hälfte) gebaut haben. Schließlich gelten Computer unwidersprochen als Gipfelleistung menschlichen Schaffens. Es könnte sein, daß mensch nicht nur in sie hineingebaut hat, was er wußte und wollte, sondern sehr viel mehr. (Ich denke dabei nicht an die Bugs, obwohl sie die These stützen). Vielleicht können wir aus den Ergebnissen etwas herauslesen, was jenseits der Welt der Chips, Programme und Anwendungen Bedeutung hat.

Wer etwa diesen Text liest, benutzt mit 95%iger Wahrscheinlichkeit das Betriebssystems Windows - was immer er davon halten mag. Windows 3.1 kannte noch das leidige Problem mit den Ressourcen: nichts ging mehr, weil ein bestimmter Speicherbereich voll war oder zumindest nicht wieder frei gemeldet (Microsoft-Schlamperei). Ein Neustart mitten in der Arbeit! Höchst ärgerlich, aber immerhin wußte das Programm danach wieder, wo es langgeht. Wenn wir das als Tip für den Umgang mit dem Information-Overkill ansehen, heißt das doch: Erstmal alles vergessen, Kopf leermachen! Nein, nicht die Festplatte - das kostbare Langzeitgedächtnis - sondern nur den Arbeitsspeicher. Ein Moment von "no program, no content" - wie erholsam! Und dann baut der Computer, wie wir wissen, sich von unten neu auf:

Hier bin ich - hallo Welt!
Aha, ich habe: