Claudia am 08. Juni 2013 —

Wenn allzuviel passiert…

…neige ich zum Verstummen. Ereignisse wie die krass rechtswidrige Einkesselung hunderter Menschen über neun Stunden zwecks Stoppen der #Blockupy-Demo in Frankfurt empören mich derart, dass mir ein weiteres Blogposting zum Thema als Reaktion einfach nicht reicht. Die mangelnde Einsicht der Verantwortlichen „danach“ ist nicht viel besser als die Reaktion Erdogans auf die ebenfalls in übelster Polizeistaatsmanier bekämpften Proteste in der Türkei (#occuypgezi).

Über all das zu bloggen, während große Teile Deutschlands im Hochwasser versinken und alle Aufmerksamkeit auf Pegelstände und Sandsackgebirge gerichtet ist, erscheint dann auch wieder unangemessen – so als würde ich das Leid, das die Fluten unzähligen Menschen bringt, ignorieren. Schon gar nicht mag ich fragen, warum man bei all den Renovierungen und Neubauten nach der Flut 2002 die Dinge nicht ein wenig „Hochwasser-kompatibler“ eingerichtet hat, zumindest da, wo das möglich gewesen wäre.

Und währenddessen: Yes, we scan! Der totale Überwachungsstaat ist in den USA Realität geworden, ausgerechnet unter Obama, der so schöne Reden über Bürgerrechte geschwungen hat. Die nun erst richtig bekannt gewordene Praxis der Geheimdienste, ganz direkt auf User-Daten von Google, Facebook u.a. zuzugreifen, schlägt sogar im „Land of the Free“ ein bisschen Welle, während die komplette Video-Überwachung von Arbeitnehmern und die Überwachung ihrer Computer-Aktivitäten per Schnüffelsoftware bereits als „ganz normal“ gilt.

Vom Status der Finanz- und Schuldenkrise will ich eigentlich gar nicht erst anfangen. Und doch wundere ich mich, wie wenig öffentliche Debatte es zur vertrackten Lage gibt, in die sich die Akteure manövriert haben: Extrem billiges Geld per Niedrigzinspolitik für die Banken, die mittels Ankauf der Anleihen all der massiv überschuldeten Staaten deren Finanzierung (noch) gewährleisten – und damit so etwas wie „Markt“ im Finanzgeschehen komplett konterkarieren. Ein Aktienmarkt, der sich von sämtlichen (weltweit zunehmend miesen) Wirtschaftsdaten abgekoppelt hat und dabei ist, eine Mega-Blase aufzublähen, einfach weil das Kapital anderswo keine „ordentlichen“ Renditen mehr findet, sondern „in Sachwerte flieht“. Was nicht nur die Reichen angeht, sondern auch sämtliche Sparer und jegliche auf Kapital-Verzinsung basierende Altersvorsorge. Dass auch der Sachwert Immobilie sehr begehrt ist, merken wir an den drastisch steigenden Mieten und am vielfachen Bau von Luxuswohnungen. Eine Wohnung wie meine würde ich im Umzugsfall nicht mehr bekommen, schon gar nicht im Wohnblock, der ein paar Meter weiter hochgezogen wird: alles ÖKO, aber sauteuer…

Ach ja, da ist noch der Euro: das Gezerre der „Rettungspolitik“, das die Südstaaten in Arbeitslosigkeit und Verelendung treibt, dazu die immer sichtbarer werdenden totalitären Tendenzen der undurchsichtigen EU-Bürokratie, die offenbar alles daran setzt, auch kleinste Details des Alltagslebens (Olivenöl-Fläschchen!) quer durch Europa in die Gleichförmigkeit zu zwingen: es macht mich traurig und wütend, wie all das die Idee EUROPA kaputt macht, Ressentiments der Bevölkerungen gegeneinander gebiert und mittlerweile sogar die gelebten Errungenschaften (Reisefreiheit! Offene Grenzen) wieder abzubauen beginnt. Letzteres auf Wunsch Deutschlands, wen wunderts!

***

Hat man keinen Bock auf all diese deprimierenden Mega-Themen, kann man heute auch eine Blogger-Auseinandersetzung zum Thema „Mobbing“ mitlesen. Robert Basic kokettiert in einem Posting damit, dass er selbst (na klar!) einst ein Mobber war und fordert Blogger dazu auf, auch ihre dunklen Seiten zu zeigen – der Vollständigkeit und Authentizität wegen. In to be an arschloch or not to be an arschloch äußert sich Felix Schwenzel (wirres.net) dazu, wenigstens ETWAS ernsthafter. Richtig zur Sache kommt allerdings erst der Beitrag von Kiki Thaerigen, die beschreibt, wie es ist, das Opfer zu sein – lesenswert!

Diesem Blog per E-Mail folgen…

Diskussion

Kommentare abonnieren (RSS)
12 Kommentare zu „Wenn allzuviel passiert…“.

  1. Danke für die gute Zusammenfassung der letzten zehn Tage!

    Es ist auch wahnsinnig spannend, die diversen Übersprungshandlungen der Medien mal genauer anzuschauen. In der Türkei werden Pinguin-Dokus gezeigt, in Deutschland arbeiten sich namhafte Zeitungen an den Querelen der Grünen ab (heute wieder gelesen: Die Laubfrösche als Schlüsselprojekt), und das bisher beste, was ich zum Thema #prism gelesen habe, war der ironische Blogbeitrag von http://www.der-postillon.de. Da weiß man auch wirklich nicht mehr so richtig, was man noch sagen soll – nun, vielleicht kümmern wir uns im Rückblick im Sommerloch darum, wenn wir keine Gummistiefel-Tweets mehr lesen müssen und sich die Wogen des Hochwassers nicht nur geglättet, sondern zurückgezogen haben:)
    Liebe Grüße
    juna

  2. Wenn ich ganz ehrlich bin, hebt mich keines der Themen mehr sonderlich an, was aber nicht an Deinem Blogeintrag liegt, sonder einfach der Tatsache geschuldet ist, dass bei mir eine gewisse „Übersättigung“ und damit eine schon fast sträfliche Gleichgültigkeit, fast Resignation, eingetreten ist…

    Bin mal gespannt, was für „Schweinereien“ wir in einem Jahr aufgetischt bekommen.

  3. Mir geht es im Moment ähnlich. Alles fühlt sich merkwürdig an vor dem Hintergrund der aktuellen Nachrichten.
    Da ist eine Lawine ins Rollen gekommen, aber niemand nimmt sie ernst. Ist ja nur gefrorenes H2O. Davor müsst ihr keine Angst haben.
    Ist ja nur ein bisschen Geld, das die Krise ausgelöst hat. Da müssen wir nur ein bisschen sparen. Wird schon wieder. Vor allem, wenn wir die unnötigen demokratischen Rechte ein bisschen eindampfen. Dann fühlen sich die Kapitalisten gleich ein bisschen sicherer.

    Nein, es fühlt sich nicht gut an.

  4. „Und täglich grüßt das Murmeltier“

    Es ist wie im Hasterrad. Irgendwann kommen wir immer wieder an denselben Stellen an – oder glaubt noch wirklich jemand an den Euro?

    Ich weiß nicht, von wieviel verschiedenen Währungsschnitten mein Papa aus seinem Leben erzählen könnte. Und nur, weil es ständig mit „Rettung..“ überschrieben wird, muss das nicht heißen, dass das Schiff Europa, in dem gewaltige wirtschaftliche und finanzielle Interessen wirken, vor dem „auf Grund laufen“ noch zu „retten“ ist.

    Wir haben es „versucht“ – so werden dann später die Statements heißen. Wissen tun wir es glaube ich schon alle. Wahrhaben – will es noch niemand.

    Dazu mag sagen, wer will, dass sei pessimistisch. Ich meine, das ist „realistisch, mit einem Schuß „Optimismus“ – das „danach“ vieles mal wieder für ein paar Jahrzehnte besser funktionieren wird. Allerdings der Preis der dafür zu zahlen ist – das ist die große Quizfrage.

  5. Hallo Claudia,

    das allerwichtigste Ereignis hast Du nicht genannt:
    „Guten Tag Herr Professorin“ – in Dresden.

    Wenn Menschen soviel Matsch in der Birne haben, ist es kein
    Wunder wenn es mit Deutschland bergab geht.

    Gruß Hanskarl

  6. Mir macht all das Genannte Angst. Es handelt sich nicht um bloße „News“, von denen ich „übersättigt“ sein könnte, sondern um sehr konkrete Bedrohungen, denen gegenüber ich mich machtlos fühle. Klar, „uns geht es ja noch ganz gut“ – aber dem Glauben, die ganzen Krisenszenarien würden sich nicht früher oder später auch in DE massiv auswirken, kann ich nicht mehr anhängen. Wobei soziale Verelendung nicht das Schlimmste ist, was man sich vorstellen kann, sondern durchaus auch relevante, großformatige kriegerische Entwicklungen in der ganzen Welt.

    @Hanskarl: „Guten Tag, Frau Professor“ ist auch nicht schöner. Aber wie relevant ist sowas im Kontext der beschriebenen Welt-Problematiken?

  7. @Claudia
    Ich teile die Angst nicht. Ich würde @Sammelmappe zustimmen und sagen, dass sich das ganz und gar nicht gut anfühlt. Aber was genau fühlt sich nicht gut an? Da ist die Überwachung des Internet. Das ist, auch wenn ich nicht unbedingt Verschwörungstheoretiker bin, für mich nichts Überraschendes gewesen. Erdogan tritt Menschenrechte mit Füßen. Ja, das ist ein Grund, warum bisher die EU gezögert hatte – war allen bekannt, dass er da einen gefährlichen Trend verfolgt. Polizisten, auch deutsche, können brutal sein. Habe ich selbst schon miterlebt. Und unsere Regierung ist nicht in der Lage, Schulden- und Eurokrise zumindest glaubhaft anzugehen. Da das alles recht bekannte Fakten sind, worin liegt die Bedrohung? Ich denke, sie liegt im Offenlegen, im Aufstand, im konkreten Ereignis. Und diesen konkreten Ereignissen kann auch sehr viel Positives abgewonnen werden. Der Whistleblower im NSA-Skandal stellt die Information der Menschen über seine eigene Anonymität. Das ist couragiert und großartig. Kritik an der Regierung ist im Wahljahr auch immer positiv- dass sie sich (die regierenden Parteien) gerade nicht mit Ruhm bekleckern, wird wohl auch dem uninformiertesten aller RTL-Zuschauer langsam deutlich geworden sein. Und das Beispiel, das mir besonders am herzen liegt (seit einer Woche mache ich fast nichts anderes): Die Aufstände in der Türkei: Da muss man mal genauer hingucken, was da passiert! Zehntausende Menschen unterschiedlichster Ansichten kommen friedlich zusammen und demonstrieren für eine Handvoll Bäume, und jetzt für Menschenrechte. Hooligans rivalisierender Teams schließen sich zusammen zu Istanbul United, tausende türkische Familien spenden Wasser, Essen und selbstgemachte Lösungen gegen das Tränengas, um die halbe Welt wird getwittert und werden Solidaritätsdemos abgehalten. 50% eines Volkes steht auf, friedlich und organisiert, und fordert nur den Respekt, der allen Menschen zuteil werden sollte. Es gibt Küchen, selbstgebaute Bibliotheken, Kunst und Yoga im Gezi-Park, und jeder Protestler wird aufgefordert, sich nur im absoluten Notfall zu verteidigen – die Parole lautet trotz der Brutalität der Polizei: Keine Gewalt! So haben wir die Türkei bisher nicht kennengelernt, und ich bin so dankbar, das via Social Media beobachten zu können. Für mich liegt die wahre Bedrohung in Schlagzeilen wie dieser hier gestern: „4-jähriger erschießt Vater mit Waffe“. Die lag nämlich in einer amerikanischen Wohnung herum, scharf geladen und nicht gesichert. Das ist nicht nur tragisch. Das ist etwas, um das sich die Menschen kümmern sollten. Viele Ereignisse der letzten zwei Wochen hingegen machen mir reell Hoffnung. Die Bedrohungen waren bereits viel früher da, jetzt sind sie transparent, das ist alles.
    Viel Text, entschuldigung, aber das Thema liegt mir am Herzen, und ich möchte am liebsten, dass auch andere in diesen Ereignissen die Hoffnung und die Chance sehen.

  8. Gundsätzlich, was meint ihr?

    Ist die Welt nun besser oder schlimmer geworden oder bekommen wir nur mehr mit?

  9. @Menachem. Besser. Definitiv. Wir bekommen immer mehr von den schlechten Dingen mit, das schränkt den Handlungsspielraum von Menschen, die schon immer gemacht haben, was sie wollten, doch sehr stark ein. Was wäre denn vor 20 Jahren mit dem türkischen Aufstand passiert? Es wird zwar immer wieder diskutiert. Ja, und was wird dann? Womöglich wird es dann noch schlimmer.. aber das ist nicht mein Standpunkt. Ich sehe Menschlichkeit, Solidarität, Respekt, Courage. Also auch immer mehr von den guten Dingen. Es ist keine schlechte Zeit, die wir erleben!:))

  10. Ohne weitere Prüfung, @Juna, lass ich mich gerne von deinem Optimismus anstecken :)

    Der Hürdenlauf selbst, wird mir dadurch nicht erspart bleiben. Es dürfte aber ein großer Unterschied sein, in welcher Grundstimmung ich die Herausforderung annehme.

    Sachlich, meine ich jetzt, lässt sich diese Frage sowieso nicht beantworten. Es ist wohl mehr ein grundsätzliches Wahrnehmungs- und Lebensgefühl – aus dem sich der Glauben dann formt.

  11. ich nehme gegenwärtig Deine Überschrift wörtlich, wenn zuviel passiert und es passiert ja auch, dann geht einfach nichts mehr rein ins Hirn. Es wirkt dann alles fatalistisch, mit dem Gefühl, nichts ändern, bessern oder auch verstehen zu können. Das hört sich alles ein bißchen verworren an, aber mein Gemütszustand ist im Moment so. Ich schlage die Zeitung auf und gleich springt mir eine Schlagzeile ins Auge, ich schmeiße die Zeitung beiseite, Fernsehen?, der rote Knopf wird gedrückt. Das Hochwasser war schon näher, die Elbe ist meine Heimat gewesen, die Spree in der Nähe, auch Frankfurt ist nicht so fern.
    Ich höre lieber auf.
    P.S. Es könnte ein Wort verwendet werden, daß dann bei der Überwachung einen Alarm auslösen könnte.

  12. Hallo Ihr Lieben,

    mir gehts wieder besser, fühl mich optimistischer und bedanke mich jetzt mal für all Eure Kommentare!

    Es wird ja nichts dadurch verbessert, dass man sich von üblen Infos über die Schlechtigkeiten, die allüberall passieren, herunter ziehen lässt. Junas Sicht der Dinge ist ja meist auch meine, aber manchmal ist mir alles zuviel und ich seh dann nur noch SHIT HAPPENING, böswilligen Shit sogar – und bin deprimiert.

    Jetzt aber starte ich in den Garten und baue ein Tomatendach auf… :-)