Claudia am 09. Februar 2022 —

Wenn die Politik Gesetze nach Volkes Stimmung verschärft

Gelegentlich finde ich es gar nicht so übel, wenn die Regierenden auf Forderungen der Öffentlichkeit eingehen und entsprechende Gesetze erlassen. Trotzdem erwarte ich, dass in der parlamentarischen Auseinandersetzung und im weiteren Gesetzgebungsverfahren rationale Gesichtspunkte und Argumente aus der Praxis zum Tragen kommen! Das ist leider nicht immer der Fall und es kann sein, dass das intendierte Ziel des gesetzgeberischen Aktivismus geradezu ins Gegenteil verkehrt wird. Aber Hauptsache, man hat „was unternommen“, Scheiß drauf, was die Experten sagen!

So geschehen beim Gesetz gegen Kindesmissbrauch und Kinderpornographie, das im Frühjahr 2021 verschärft wurde, nachdem einige Schwerverbrecher (Missbrauch!) gefasst und abgeurteilt worden waren – mit entspreched „spektakulärer“ Berichterstattung in den Medien. Dabei wurde nicht nur der Missbrauch, sondern auch Besitz und Verbreitung kinderpornografischer Medien zum Verbrechen hoch gestuft. Die Strafe ist jetzt mindestens ein Jahr Haft, „minder schwere Fälle“ gibt es nicht mehr.

Auf den ersten Blick wirkt das konsequent, aber in der Praxis hat es absurde Folgen. PANORAMA 3 berichtete gestern z.B. von einer Mutter, die im Gruppen-Chat der Schulklasse ihres Kindes ein entsprechendes Foto vorfand. Sie machte einen Screenshot und sendete ihn an andere Eltern: als Warnung, nach dem Motto: schaut mal auf die Handys eurer Kids, sowas zeigen die sich in diesem Chat. Zack Bumm, Versenden von Kipo, Strafrahmen minimal ein Jahr! Dazu kommen unzählige „Schulhof-Fälle“, wo es gang und gäbe sei, derlei als „Mutprobe“ mal zu posten – und die Staatsanwaltschaft hat gar keine Möglichkeit mehr, derlei NICHT zur Anklage zu bringen. Die Ermittler müssen sogar „die ganze Kette“ des Weiterreichens ermitteln: Wer hat es wann an wen gesendet? Woher ist es gekommen, wohin ist es noch gegangen?

Mit derlei – früher als „geringfügig“ behandelten – Fällen sind die Ermittler nun so belastet, dass die Warteschlange der Fälle immer länger wird. Folge: das Aufspüren der wirklichen Verbrecher verzögert sich gewaltig, falls überhaupt noch Zeit ist, alles Anstehende abzuarbeiten. Die Ermittler mussten sogar schon beschlagnahmte Computer erwachsener Täter zurück geben, weil sich die Ermittlung (und die Beschlagnahme) zu lange hinzog.

Wir haben was gemacht, scheiß auf die Folgen!

Besonders krank: Man hat das gewusst!

„Grüne, Linke und FDP nannten die pauschale Hochstufung aller Taten zu Verbrechen fatal. Sie nehme Ermittlern und Gerichten jede Möglichkeit für ein differenziertes Vorgehen bei eindeutig minderschweren Fällen. Das binde Ressourcen und behindere die Verfolgung schwerer Taten.“ (DIE  ZEIT, 25.3.21)“

Auch der Deutsche Richterbund und andere Experten hatten sich gegen die Verschärfung ausgesprochen und genau die Folgen beschrieben, die nun eingetreten sind. Dass das Gesetz dennoch unverändert durch Bundestag und Bundesrat ging, ist also reiner Populismus gewesen: Wir haben was gemacht, scheiß auf die Folgen!  Das ist nicht nur nachlässig, das ist verantwortungslos: Gegenüber den „minder schweren“ Fällen, gegenüber den Ermittlungsbehörden und Gerichten, und erst recht gegenüber den Opfern, indem die wahren Verbrecher nun bessere Chancen haben, später oder gar nicht gefasst zu werden.

Immerhin hat die Ampel mittlerweile versprochen, das Gesetz nachzubessern. Hoffen wir, dass sie das Ernst meinen und auch dazu kommen, sie versprechen ja recht viel.

Warum dieses Thema?

Vielleicht wundert sich jemand, dass ich dieses Thema bespreche. Meine Meinung zu „Kipo“ hat sich vor Jahren dadurch differenziert, dass ich selbst mal Nacktfotos ca. 13-jähriger Mädchen zugesendet bekam. Ein Irrläufer, dachte ich zunächst, doch bei genauerem Hinsehen zeigte sich: Es war wirklich ein „Irrläufer“, nämlich eine Mail, die eigentlich für den 14-jährigen Nachbarjungen gedacht war, dessen erste Webseite (mit Mail) ich für ihn hostete. Der Teil vor dem „@“ enthielt einen Vertipper, deshalb kam die Mail bei mir als Admin in den „großen Eimer“ aller Fehlläufer an diesselbe Domain.

Klar, mit 14 steht man vermutlich nicht so auf die „alten Frauen“ im Porno für Erwachsene.  Ich hab‘ ihn nicht darauf angesprochen und die Mail einfach gelöscht. Der Fall zeigte mir immerhin: Mit dem Strafrecht sollte man nicht übers Ziel hinaus schießen!

 

 

 

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Diskussion

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5 Kommentare zu „Wenn die Politik Gesetze nach Volkes Stimmung verschärft“.

  1. Ich bin dafür, dass die Gesetze für diese Art von Vergehen so streng wie möglich sind. Populismus? Vermutlich auch – ein bisschen. Die vielen Berichte über Kindesmissbrauch – nicht nur die in kirchlichen und anderen Institutionen wie Sportvereinen etc. – zeigt, wie groß der Handlungsbedarf ist. Nun haben Politiker (mal wieder) das Kind mit dem Bad ausgeschüttet und haben mögliche Konsequenzen (sogar für die Strafverfolgung selbst) nicht bedacht. Das kann man ändern. Der Staat hat jedenfalls gezeigt, dass er den dringenden Handlungsbedarf erkannt hat und das darf man ruhig auch mal würdigen.

  2. @Horst: als ich erstmalig davon hörte, hab ich das durchaus „gewürdigt“ – aber JETZT, nachdem ich die Details erfahren habe, bin ich wirklich irritiert!
    Denk mal dran, wie gut alle bezahlt werden, die am Gesetzgebungsverfahren beteiligt sind. Kann man da wirklich nicht erwarten, dass sie Gesetze SO schreiben, dass derlei absurde Nebeneffekte nicht auftreten? Da muss erst eine neue Regierung kommen (Glück!), damit sie Einsicht zeigen.
    Besonders verstörend finde ich, dass von den Richtern und anderen Experten die unsinnigen Folgen haarklein vorher gesehen und den Gesetzesmachern auch mitgeteilt wurden. Wie kann man sich so eine schreiende Unvernunft überhaupt erklären?

  3. Genau deswegen haben die das so verschärft. Es sind nicht gerade wenig von den Großkopferten darin verstrickt, vgl. Epstein. Erinnert sich noch jemand an den Fall Edathy?

  4. @Juri: dein „genau deswegen“ verstehe ich nicht wirklich. Die wollen doch nicht „mutwillig unvernünftig“ sein. Im übrigen glaube ich nicht, dass eine relevante Zahl unserer Politiker darin verstrickt ist. An Edathy erinnere ich mich – und auch daran, dass sein Fall sehr umstritten war, was die strafrechtliche Einordnung als „Kipo“ angeht.
    Ganz allgemein bin ich nicht dafür, Gesetze so zu verfassen, dass den Gerichten gar kein Ermessensspielraum mehr bleibt. Es ist schon ein Unterschied, ob jemand auf einschlägigen Darknet-Seiten verkehrt und tausende echte Kipo-Bilder hortet oder ob lediglich ein paar Fotos von Jugendlichen am Strand o.ä. gefunden werden. Auch das unter Jugendlichen praktizierte „Sexting“ ist nicht mit diesen Schwerverbrechern gleich zu setzen, die Kinder quälen und vergewaltigen.
    Ich sage nicht, dass das alles etwa harmlos sei, aber durch „mindestens 1 Jahr Gefängnis für alle“ wird man den Unterschieden in den Taten wahrlich nicht gerecht.

  5. Die wollen doch nicht „mutwillig unvernünftig“ sein.

    So unvernünftig etwa, wie einen neuen Krieg mit Russland anfangen zu wollen?

    Ich verweise mal auf die jüngste Geschichte der Landesparlamente:

    https://de.wikipedia.org/wiki/Sachsensumpf

    Die Vorfälle gab es indes in fast jedem Bundesland zu der Zeit. Nur nicht ganz so auffällig.

    Das ganze passiert natürlich auch europaweit:

    https://www.tagesschau.de/ausland/eu112.html

    Zufälle gibt es da wohl weniger. Eher läuft alles dem Gesetz: „Den Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.“ entgegen.
    Danach konstruiert man halt die Gesetze.

    Wir erinnern uns noch, wie die Entkriminalisierung von Cannabis wegen „Corona“ gestoppt wurde.
    Gleiches Spiel.

    Zum Glück habe ich die nicht gewählt!