Claudia am 16. August 2016 —

Frau M. ist gestorben. SO wollte sie nicht mehr leben.

Was meint dieses „so“? Es war das Pflegeheim, gar nicht mal ein Schlechtes. Aber ich verstehe gut, dass Frau M. alles nur noch beschissen fand. Dass sie es mit 92 Jahren schier unaushaltbar fand, was ihr dort geboten wurde: Satt, aber nicht mal sauber.

Das ist jetzt, anders als Ihr vielleicht denkt, kein bloßer Vorwurf an das Heim. Heimunterbringung, weil es nicht mehr anders geht, heißt nicht, dass der Mensch, dem das widerfährt, entmündigt wäre. Niemand wird zum Leben-bleiben gezwungen, obwohl sich das manche so denken, weil das Heim Geld verdient, je länger jemand dort dahin vegetiert. Die Weltsicht der Verschwörungstheoretiker stimmt halt meistens doch nicht.

Woran ist sie gestorben? An Dehydrierung. Zuwenig getrunken, einmal ins Krankenhaus überstellt worden, dort am Tropf gehangen, dann wieder zurück ins Heim. Aber weiterhin zuwenig getrunken – und dann eines Tages über Nacht verstorben. Quasi verdorrt.

Ich finde es gut, dass einem dies als letzte Möglichkeit bleibt! Und ich wünsche mir nicht, dass statt dessen ein Tropf gelegt wird, fürs Essen eine Magensonde… Sogar eine menschliche Pflegekraft, die alle 30 Minuten rein kommt und mit lauter Stimme sagt „JETZT TRINKEN SIE ENDLICH IHR GLAS AUS!“ wünsche ich mir nicht. Es ist gut, dass man so aus einem ungeliebten Leben scheiden kann und nicht gezwungen wird, weiter zu leben. Weiter zu leiden, weiter zu schimpfen und zu klagen – ohne Perspektive, dass sich nochmal etwas ändert.

Frau M. fand alles im Heim vom Start weg nur furchtbar. Obwohl sie zunehmend dement war, kann ich ihre Gefühle voll verstehen! Einen alten Baum verpflanzt man nicht, das stimmt auch heute noch. Wenn man es aber doch tun muss, geht er halt ein. Wie der Baum, so der Mensch.

Niemandem ist ein Vorwurf zu machen. Letztlich sind wir alle selbst verantwortlich für das Leben, das wir leben – oder eben auch nicht mehr leben. Es gab in diesem Pflegeheim auch fröhliche Alte, die sich zusammen fanden und die Möglichkeiten nutzten, die ihnen das Heim bot. Frau M. konnte und wollte (das ist kein echter Unterschied!) da nicht mitmachen. Ihr Charakter stand dem entgegen, der sich nicht erst in den späten Jahren so entwickelt hatte: anspruchsvoll, kritisch, selbstbezogen/egozentrisch – unsensibel für die Bedürfnisse ihrer Nächsten und Ferneren. Das „Soziale“ in ihrer Welt, dafür war ihr Mann zuständig gewesen. Der aber ist schon vor Jahren verstorben. Was blieb, war eine Hälfte, für sich alleine nicht mehr zur Lebensfreude fähig.

Es ist gut so, wie es ist. Schlimm wäre, hätte das Leiden noch Jahre gedauert.

Trotzdem: ich mochte sie! Und bin traurig, dass sie tot ist.

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Diskussion

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7 Kommentare zu „Frau M. ist gestorben. SO wollte sie nicht mehr leben.“.

  1. Eines ist, dass durch den Tod der „anderen Hälfte“ der Lebensmut schwand. Etwas anderes, selbst daran – auch noch so alt – etwas zu ändern/ändern zu lassen (ggf. mit Hilfe anderer, wenn der eigene Stolz nicht im Wege steht).

    Bsp.: der Tod meines Vaters letzten Jahres. Meine Mutter (79) hat ähnliches erlebt, sich aber ins „Leben zurück gekämpft“. Nur muss dazu noch ein Funken Lebenswille da sein, und Hilfe. Und ein annehmen dieser.

    Etwas anders ist, wie die Gesellschaft mit „uns Alten“ umgeht. Soziale Kälte, Empathie, Wertschätzung… – scheinbar alles „Fremdworte“ geworden, wenn es „ans Ende geht“. Das Lebensende wird instrumentalisiert. Durch Kostendruck, vermutlich mangelnde Ausbildung/Wissen. Und es wird „automatisiert“. Funktioniert etwas nicht mehr, ab an den Schlauch.

    Ich bin „froh“, dass mein Papa einem plötzlichen Herztod gestorben ist, und ihm SO alles erspart blieb.

    Frau K. R.I.P.

  2. Danke, Peter!

    Frau M. hatte Hilfe, Wertschätzung, Besuche, Bemühen der Bekannten und Verwandten – aber all das hat sie nicht wirklich erreicht. Sie wollte ihr Leben genau SO weiter leben wie in den letzten Jahren vor dem Heim. Dass das aufgrund ihrer Gebrechlichkeit und zunehmender Demenz gar nicht mehr möglich war, hat sie weder sehen wollen noch irgendwie „damit umgehen“ können. Einfach nur schimpfen, jammern, klagen… das war ihre Antwort. Und die hält halt nicht vor, wenn man noch leben und Freude haben will.

    Bemerkenswert: einmal hat sie deutlich gesagt, dass sie sterben will – und dafür ein Mittel benötigt. ABER: schon beim nächsten Besuch potenziell aktionsfähiger Verwandter hatte sie es schon wieder vergessen.. es war zu spät.

    Ich trete schon lange für das Recht auf den selbst bestimmten Freitod ein, weiß aber andrerseits immer besser, wie realitätsfern dieser Gedanke ist! So lange das Stück Kuchen noch schmeckt, die Sonne noch wärmt… wer könnte diesen harten Break wirklich machen? Mal ganz abgesehen von Demenz!

  3. [..] das Recht auf den selbst bestimmten Freitod

    definitiv, claudia.

    natürlich ist die sache komplex, weil man dem schindluder tür und tor öffnen könnte, wenn das nicht absolut sauber geregelt ist.

    ich verstehe beim besten willen nicht, warum man menschen zum leben zwingt und kann mir das nur damit erklären, daß wir hier über eine industrie reden, die genau daran massivst verdient. nur: es gibt eben situationen, in denen leben nicht mehr „menschenwürdig“ ist und in diesen situationen sollte jeder selbst entscheiden können.

    aber, das hast du ja auch erzählt, es gibt dafür einen „richtigen“ zeitpunkt und ich weiss nicht, wie man das handhaben kann, wenn der überschritten ist, weil man vergisst und von moment zu moment vegetiert. wer ist dann das „selbst“, das entscheidet? und ist dieses selbst – auf vegetieren reduziert – vielleicht einfach glücklich, „nur“ weil die sonne scheint?

    wie gesagt, ein komplexes thema. aber eine schöne, weil bewegende post <3

  4. @Hardy: damit keine falschen Vorstellungen aufkommen, verweise ich nochmal auf den Bericht vom Besuch im Pflegeheim.

    Es war keineswegs so, wie man sich das im schlimmsten Fall vorstellt: ans Bett gefesselt, „dahin vegetieren“, unfähig, irgendwas zu tun… davon war Frau M. weit entfernt. Noch vor wenigen Wochen war sie voll „mobil“, wie man so sagt, hat das Heim sogar gelegentlich auf eigene Faust verlassen und einen Supermarkt aufgesucht. Man konnte sich mit ihr normal unterhalten, ihre zunehmende Vergesslichkeit ist mir (als nicht Verwandter) kaum aufgefallen!

    Sie hätte Gelegenheit gehabt, an den Aktivitäten im Heim teilzunehmen, mit anderen Bewohnern in Kontakt kommen – aber sie zog es vor, im Groll zu verharren. Dass sie wirklich sterben wollte, würde ich – aus meiner subjektiven Sicht – gar nicht mal annehmen. Sie wollte einfach nur nicht im Heim sein, sondern am liebsten zurück in ihre Wohnung. Was aber unmöglich war, da sie da nicht mehr zurecht kam… Aus dieser Situation entsteht dann evtl. momenthaft ein Sterbewunsch, der aber beim nächsten Kuchen zum Kaffee schon wieder vergessen ist.

    Mir ist das insofern eine Lehre, dass man, will man nicht total unglücklich werden, eine gewisse Offenheit gegenüber Veränderungen beibehalten muss – grade auch im höheren Alter. Annehmen, was unvermeidlich ist und das Beste draus machen… leicht gesagt, schwer getan!

    Wenn ich allein schon dran denke, wie sehr ich an meiner gewohnten Umgebung hänge, eine großzügig geschnittene 2-Zimmerwohnung, 2 große Zimmer über 25 m², die gewohnten Morgenrituale…. es ist zwar Pipifax, aber genau daran hab ich in letzter Zeit gedreht, trinke (seit vielen Jahren erstmalig wieder) anderen Kaffee, trinke ihn ohne Milch, manchmal auch Tee. Gewöhnungsbedürftig, aber noch gehts, ohne dass ich in Missmut verfalle.

    Es sind wirklich diese kleinen Dinge, die eine große Rolle spielen können. Aus meiner Sicht hat es Frau M. nicht geschafft, von den Ansprüchen an eine „Wohnung“ wegzukommen und das Heim mehr als „Hotelbetrieb“ wahrzunehmen. Sie meinte, ihr würde alles geklaut, dabei wurde nur das Geschirr abgeräumt und weggenommen, ebenso wie die gebrauchten Kleider, die in die Wäsche kamen. Sie versuchte, Dinge zu verstecken und beklagte, dass sie nicht mal eine Tasse behalten dürfe…
    Natürlich ist auch das Heim keine Umgebung, in der sensibel auf die Bewohner eingegangen wird, dazu ist der „Pflegenotstand“ viel zu extrem. Als Bewohner muss man sich den Gegebenheiten anpassen, es geschieht nicht umgekehrt (es sei denn, man ist richtig reich und kann sich Service nach Belieben kaufen…).
    Insgesamt ein Elend mit vielen Ursachen – aber eben auch solchen, die in der Einstellung der Alten selber liegen.

  5. Es gibt eine nicht geringe Anzahl von Menschen, denen „alle Kraft ausgesaugt wird“, wenn sie unter Menschen sind. Je nach Veranlagung reichen schon wenige Minuten „Geselligkeit“ aus, um die „Batterien zu leeren“. Falls sie anschließend nicht für eine lange Regenerationszeit (mehrere Stunden) allein sein können an einem Ort, an dem sie für diese Zeit garantiert ungestört sind, führt das zu Dauerstress und nicht selten zur Aggression. Das ist eigentlich nur in der eigenen Wohnung mehr oder weniger gewährleistet.

    In einem Altenheim zu leben, ist für diese Menschen wie für einen geselligen Menschen bis an sein Lebensende in Isolationshaft leben zu müssen: Eine Qual. Da hilft auch nicht die Einsicht des Verstands, dass leider keine Option existiert (auch wenn dies nur herbeigeredet ist; nichts ist „alternativlos“. Nur die Realisierung ist momentan unwahrscheinlich). Diese Disposition lässt sich nicht „abtrainieren“, sie ist genetisch bedingt. Vielleicht war dies hier der Fall („Mann zuständig für’s Soziale“).

  6. ich hatte den bericht gelesen, habe mich aber bewusst auf die oa. aspekte eingelassen, weil ich kein urteil fällen kann über dinge, die ich nicht persönlich erlebt habe.

    ich habe drei töchter, von denen sich eine, die mittlere, wohl intensiver mit dem gedanken beschäftigt, was wohl passiert, wenn mir mal was passiert. sie ist die, die sagt: „ach ja, eltern sind ja auch nur menschen, keine götter“, während die anderen eher noch drauf bestehen, daß ich gefälligst unverwundbar zu sein habe und möglichst perfekt. daneben gibt es noch jemanden, die ich mal über ihren papa bitter habe klagen hören, nur um damit zu enden, daß sie sagte „aber wenn der jetzt einen schlaganfall bekommt, ziehe ich sofort dahin und kümmere mich um den“ … mein „gut katholisches mädchen“ und „beste freundin“, die ich – wäre ich 20 jahre jünger oder optimistischer, was meine restlaufzeit betrifft – nach 2 jahren wunderbar gewachsener freundschaft aus dem stand heraus heiraten würde – die gerne etwas schriftliches hätte, damit sie sich ggfl. um mich kümmern kann. meine schwester, die sich auch und zurecht über unseren vater bitter beklagt hat, hat sich trotzdem 2 jahre um ihn gekümmert, als er dement wurde – bis es nicht mehr ging. ich nehme an, das ist dem „gut katholischen“ geschuldet, menschen, die dinge eben noch ernst nehmen … oder verstehen, was gutes kharma ist und daß sie selbst ja auch mal alt werden – was heute nicht mehr soooo selbstverständlich ist.

    aber: man will ja niemandem „zur last fallen“, was aber leider nicht zu garantieren ist. immerhin hat mir mein schlaganfall meine endlichkeit bewusst gemacht und läßt mich mit diesem gedanken, eben nicht unsterblich zu sein sein, gerade auf mein ende hin gedachtes und ziemlich kompromissloses leben führen. montaigne in der praxis ;)

    ich weiss ja nicht, wie es dir an der stelle geht in sachen, „sich bewusst auf sein ende hin bewegen“ (oder sich doch dessen in jedem moment immer bewusst zu sein, was sich leichter sagt, als es zu leben) – bei mir hat es dazu geführt, daß ich das „hermetische“ zugunsten einer offenen tür und einem offenen herzen angepasst – und „freunde gemacht“ habe, an ca 80% der tage mit menschen und nicht mit dem computer oder alleine (was ich eigentlich sehr gerne mache) verbringe – und versuche, „nützlich“ zu sein, zuzuhören, zu trösten und irgendwie „hilfreich“ zu sein. you never regret being kind“

    wenn der sensenmann gerade anklopfen würde, träfe er mich ausgeglichen und im frieden vor (hey, ich habe sogar angefangen, mit meiner ersten frau (mutter meiner kinder), mit der ich 20 jahre kein wort mehr gewechselt habe, freundlich zu sprechen …

    sorry für die länge, aber das sind so die dinge, die deine post eben ausgelöst haben: der gedanke, ob ich „vorbereitet“ bin und alles getan habe, um ggfl. die freundlichkeit meiner umwelt in der von dir beschriebenen situation auch „verdient“ zu haben, statt mich darauf zu verlassen, daß ich das schon alleine hinbekomme.

    das werden wir nicht. wir brauchen familie und freunde.

  7. Nun, wir wissen alle nicht, wie es uns am Ende ergehen wird. Familien sind heute oft über die ganze Republik zerstreut, Freunde werden immer weniger, je älter wir werden. Was wir tun können: uns für eine Verbesserung der Pflege-Situation einsetzen – und persönlich versuchen, flexibel zu bleiben, nicht nur körperlich, auch geistig.

    Ausnahmsweise schließe ich jetzt die Kommentare zu diesem Beitrag.
    Frau M. ist mir noch zu nah, als dass ich hier weiter Diskussionen führen wollte mit Menschen, die sie nicht kannten. Sie hatte ihre liebenswerten Seiten und es stimmt mich traurig, dass sie am Ende so zu leiden hatte.

    Ich danke Euch für Eure Beiträge!