Claudia am 24. Juli 1999 —

Gottesgabe, Tag 10: Berlinbesuch, Geburtstagsgedanken

Gestern war ich das erste Mal wieder in Berlin seit dem Umzug und wahrscheinlich wird es für einige Zeit das letzte Mal gewesen sein. Von 8 Uhr morgens bis 10 Uhr abends unterwegs, Termine, Gespräche, Autoverkehr, Sachen einräumen, einkaufen… Natürlich hat uns die Hausverwaltung versetzt, wegen der wir zur ‚Wohnungsabnahme‘ hingefahren sind! Jetzt werde ich das schriftlich abwickeln, der Nachmieter ist bereits drin und ich sehe nicht ein, dewegen nochmal 450 km zu fahren!

Wie schön, dann endlich wieder in der stillen Küche im Schloß, bei Kerzenlicht und einer Flasche Wein fast wortlos zusammensitzen und dem Wind in den Bäumen zuhören.

Jetzt ist es schon fast 9 Uhr und gleich muß ich Mails abrufen – nach einem Tag offline hat sich da sicher einiges angestaut, auch richtig wichtige Dinge. Wenn die Mails erstmal da sind, finde ich keine Ruhe mehr zum schreiben, dann haben mich die Pflichten im Griff und ich verfalle dem Versuch, möglichst viel „fertig“ zu bekommen, an Schreiben ist dann nicht mehr zu denken. So genieße ich diese ruhige Stunde vor der Arbeit, etwas, daß mir nur als Selbständige gelingt. Nie wäre ich früher auf die Idee gekommen, vor dem Aufbruch ins Büro noch eine Stunde herumzusitzen und die Gedanken kommen zu lassen!

Nebenbei war gestern mein 45. Geburtstag. Ich feiere Geburtstage nicht, es ist mir immer schon ein bißchen peinlich, Gratulationen und Geschenke entgegenzunehmen, selbst das „Ereignis“ zu sein, wegen dem sich Leute bemüßigt fühlen, zusammenzukommen und Aufwand zu treiben. Also hab‘ ich das schon früh abgeschafft, gleich mit 19, nach dem Auszug aus der elterlichen Wohnung.

Gedanken, die man sich an Geburtstagen macht oder machen sollte, bewegen mich heute kaum noch: Ist es das jetzt? Bin ich da, wo ich sein will, sein soll? Tu ich das, was mir entspricht?

Seit ungefähr 8 Jahren kann ich dazu ohne Einschränkung JA sagen. So lange schon ist das Leben für mich wahrhaft interaktiv: keine mühsame Willensanstrengung in Verfolgung ausgedachter Ziele, kein Sich-Verbeißen in Widerstände, die immer von außen oder von anderen zu kommen scheinen, sondern eher ein mal mehr mal weniger achtsames Ergreifen von Möglichkeiten, die sich „von selbst“ bieten. Die Aufmerksamkeit und Hingabe in Bezug auf dieses „von selbst“ – im Unterschied zu mentalen Grübeleien wie „Was ist richtig? Was bringt mehr? Was hat Sinn?“ – ist Selbst-Verwirklichung.

Eine ganz einfache Sache. Niemand muß befürchten, daß ich sie kompliziert ausformuliere und die Info-Gesellschaft mit einem weiteren Buch darüber belaste! Mit den unzähligen Büchern vom richtigen Leben, die ich zwischen 15 und 35 verschlungen habe, könnte ich eine mittlere Bibliothek bestücken: Es war unterhaltsam, geistig anregend, es hat die Wunschmaschine, das „hoffen&suchen“ am Leben gehalten – aber genutzt hat es nichts. Es ist wirklich zum laut loslachen, wie unmöglich es ist, einfache Wahrheiten zu verstehen, auch wenn sie schwarz auf weiß in verständlicher Sprache 10.000-fach zur Verfügung stehen. SELBST-Verwirklichung ist NICHT Ich-Verwirklichung – aber das kann man eben nicht als Info-Input aufnehmen, das muß man ausexperimentieren und erleben.

Genug! Getragene Worte zum 45. – meine Güte, das wollte ich gerade nicht! Draußen zeigt sich die Sonne zwischen den Wolkenbergen, ich werde einen Kaffee aus der Küche holen und mich endlich wieder nützlich machen…

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