Claudia am 17. Januar 2017 —

Gibt es das „wahre Selbst“?

Die Frage bewegt nicht wirklich die Welt, dort geht es eher um Trump, Terrorismus, Handel, Brexit und sowas. All das wird jedoch von Menschen ins Werk gesetzt, die auch ganz normale Individuen sind wie Du und ich: letztlich mit sich allein, weil wir alle notgedrungen für uns „selbst“ der Mittelpunkt der Welt sind. Nicht aus Größenwahn, sondern weil wir intelligent gewordene Tiere sind, die wie alles, was lebt, das eigene Überleben und – wenn das nicht mehr in Gefahr zu sein scheint – das „gute Leben“ ganz oben auf der ToDo-Liste stehen haben. Wir alle, ohne Ausnahme.

Das Blog von Angelika Wende handelt vom individuellen Dasein. Mit all den Tiefen und Höhen, dem Scheitern, der Angst, der Verletztheit, der Verzweiflung, und was die „Condition humaine“ nun mal so alles mit sich bringt. Was ich an ihr so schätze, dass ich alles mitlese und in meine Blogroll aufgenommen habe, ist, dass sie sich nicht zum Ich-weiß-bescheid-Guru aufschwingt, der ständig „10 Tipps, die dich glücklicher machen“ raushaut, sondern spürbar entlang an ihren eigenen Leiderfahrungen schreibt. Suchend, tastend, durch Berührung der eigenen Abgründe wahrhaft weise.

Ihr letzter Blogpost trägt den Titel „Wer vor sich flieht, kann sich nicht berühren„. Ich hoffe mal, sie ist mir nicht böse, wenn ich das als „Großzitat“ hier wiedergebe:

„Viele denken, dass das Drama des Narziss die Selbstverliebtheit ist.
Das ist aber nicht richtig. Das Drama des Narziss, damals und heute, ist die Überzeugung: In dem Moment, in dem ich mit mir selbst in Berührung komme, zerfalle ich und bin nichts. Wer das Gefühl hat, im Inneren nichts zu sein, der muss im Außen alles sein.
Ist es nicht immer schwieriger, der zu sein, der man ist?
In einer Welt, die immer größeren Wert auf das Unwesentliche legt, die den Superlativ fördert und in der Authentizität zunehmend verloren geht, wird es für jeden Einzelnen zum Kampf bei sich selbst anzukommen. Nicht wenige ergreifen die Flucht vor sich selbst und verbringen ihr Leben im Außen. Dieses Außen wird immer schneller, will immer mehr, immer höher, immer perfekter sein, es fordert laut ein „du musst dich optimieren“um mithalten zu können und nicht herauszufallen aus der Welt, sprich dem Bild von Welt, das man uns Tag für Tag in der multimedialen Welt als Wirklichkeit malt.“

Ich verstehe sehr wohl, was sie hier anprangert. Das unterschreibe ich, auch weil ich weiß, wie leicht und lockend es immer wieder sein kann, sich „im außen zu verlieren“. Und wie sehr unsere aktuelle Gesellschaft mit ihrem jeweils angesagten Lifestyle das uns allen vorgeben will: Vogel, friss oder finde dich bei den Loosern wieder…

Dennoch hab ich mir fürs Kommentieren einen weniger prägnanten Aspekt rausgesucht. Auch deshalb, weil ich ein paar vorherige Artikel gesichtet hatte, in denen auch dieser Bezug zum „eigentlichen Ich“, zum „wahren Selbst“ etc. immer wieder durchscheint. Natürlich ist es – auch für mich – wichtig, „zu sich zu kommen“, aber ZU WEM KOMME ICH DA?

Hier meine Einlassung dazu:

Gibt es denn überhaupt JEMANDEN? Im Sinne von „der, der man ist“?

Mein langjähriger Yogalehrer hat gerne das Beispiel von der Zwiebel verwendet: Yoga (inkl. andere spirituelle Wege) ist die Methode, die verschiedenen Schichten des falschen Selbsts zu entlarven. Wir schälen sie ab wie die Schalen und Schichten einer Zwiebel. Darunter kommt immer eine neue Schicht, die es wieder abzuschälen gilt… und am Ende? Was bleibt? Nichts!

Ich verstehe, dass diese Sicht der Dinge für viele recht negativ klingt, die bisher mit der Vorstellung eines „wahren Selbst“ umgehen, zu dem man zurück finden, „zu sich kommen“ müsste.

M.E. ist das zwar eine schöne Vorstellung, doch meine Erfahrung entspricht eher dem Zwiebelbeispiel. Was man findet, ist nie das wahre letzte eigentliche Selbst, sondern einfach die nächste, frischere Version, entlastet vom Ballast nicht mehr funktionierender Vorstellungen, Haltungen und Handlungsgewohnheiten.

Man fühlt sich zwar wie „neu geboren“, aber fünf, sieben oder 10 Jahre später ist auch dieses Ich 2.0 wieder zu einseitig, zu etabliert, zu eingeschliffen und unflexibel – eine weitere Häutung steht an, wobei es wenns gut läuft nicht wieder ein totales Tief sein muss, das dazu zwingt. Wir lernen ja durchaus aus gemachten Erfahrungen und können nun besser sehen, wenn Änderungsbedarf und Loslassen angesagt ist.

Ich finde die Vorstellung, dass da NICHTS, bzw. „im Grunde nichts Festes“ ist, schön und befreiend. Denn das bedeutet ja auch: ich kann „im Prinzip“ ALLES sein. Das Nichts schlägt nahtlos ins Potenzial von Allem um, was menschenmöglich ist.

Diese Vorstellung hat auch den Vorteil, nichts Trennendes zwischen den Menschen anzunehmen: Dein wahres Selbst ist anders als meins… etc. usw.

Es geht mir nicht ums Herumrechten, was nun „die Wahrheit“ sei. Es gibt auf diesen Ebenen der Selbsterfahrung keine allgemeingültige Wahrheit. Sondern immer nur individuelle Vorstellungen, die wir dann in größeren Kollektiven teilen, die sich im schlechten Fall miteinander streiten bis hin zu Religionskriegen und Ketzerverbrennung. Wie überflüssig! Wir sollten lieber darüber reden, welche Variante der Interpretation uns förderlicher erscheint, jeweils fürs individuelle Glück, aber auch fürs friedliche Zusammenleben. Nicht mit dem Ziel, die Anderen zu bekehren, sondern einfach so: um die Basis der eigenen Befindlichkeit in diesem krassen Universum allen anderen zu zeigen.

Mir persönlich – ich hab das echt nicht selbst erdacht! – erschien die über Jahre in tausend Varianten vorgetragenen Geschichte von der Zwiebel, in deren Innerem NICHTS ist, als die letztlich befriedigendste Variante. Weil sie mir alle Optionen offen lässt und alle Ideen im Sinne einer grundsätzlichen zwingenden Verschiedenheit der Menschen nimmt.

Wie seht Ihr das – so ganz persönlich?

Diskussion

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19 Kommentare zu „Gibt es das „wahre Selbst“?“.

  1. Ich gehe seit je davon aus, daß ich (beispielsweise) keine Seele habe – vermutlich ist auch die Vorstellung (m)eines Selbst vor allem nur eine freundliche Selbstillusion, ein Konstrukt, die Minderbedeutung persönlichen Leib&Lebens zu schönen.

    …Mich wundert, daß ich so fröhlich bin…
    (grins)

  2. p.s. die angenehme Illusion, daß es Frau Claudia Klinger geben könnte, erfreut.

  3. M.E. kann man durchaus von einem „Persönlichkeitskern“ sprechen und sollte das auch.
    Wie der denn jeweils aussieht, braucht man nicht zu beschreiben – das dürfte schwerfallen. Das dürfte sich entziehen.

    „Ich kann „im Prinzip“ ALLES sein.“
    Das denke ich nicht. Es gibt bestimmte Parameter, die mit Dir assoziiert werden können und das ist doch gut so. Dass Du Deine Inhalte/Deine Haltung mit der Zeit abwandeln wirst, hat verschiedene Ursachen und sind dem Fluss des Lebens geschuldet.
    In diesem Zusammenhang fällt mir ein – und das ist eher ein Bonmot – daß ich mal jemand nach über 30 Jahren spontan wieder sah, und zwar für einen kurzen Augenblick, noch dazu von hinten, aus der Ferne – und ich sofort seine Art, sich zu bewegen, wiedererkannte.

  4. danke für Eure Kommentare! Ist wohl ein etwas entlegenes Thema…

    Mit dem „Nichts“ im inneren der Zwiebel ist nicht gemeint, dass wir nicht alle irgendwie Individuen sind, historisch gewachsen und bedingt von den Genen und Epigenen bis hin zu familiären Prägungen, der Umwelt, den Erfahrungen und und und… – doch sind dies alles eben mehr oder weniger zufällige Ursache-Wirkungsketten, die auch anders hätten laufen können Und dann wäre Claudia K. jetzt eben eine Andere.
    In diesem Sinn bin ich „substanzlos“, weder Seele (gar wandernde), noch ein festes Ich – und vor allem ist da kein „wahres Selbst“, das ich einfach nur finden/entdecken müsste.

    Wenn ich z.B. anhaltende Unzufriedenheiten bemerke, mehr und mehr davon belastet bin, aber so „im außen beschäftigt“, dass ich erstmal gar nicht dazu komme, „mich zu besinnen“… dann ist das, was letztlich ansteht, dieses „zu mir kommen“ ein Innehalten, ein Heraustreten für die Betrachtung des Geschehens in einem größeren Rahmen: was tue ich, was nervt mich, was will ich statt dessen, was riskiere ich, wovor habe ich Angst? Irgendwann tritt dann eine Klärung ein: ich erkenne, was ich will und was nicht mehr, bin bereit, etwas zu riskieren und Sicherheiten loszulassen – man könnte sagen: ich hab mich meinem „wahren Selbst“ wieder angenähert, nachdem ich mich im Außen verloren hatte – und starte von da aus neu.

    Statt dessen – und so seh ich das heute – geht es immer um Harmonie, um Ausgleich. Wenn irgend ein Tun (z.B. ein forderndes Arbeitsfeld oder auch eine Beziehung) zu einseitig, zu schmalspurig und unbefriedigend wird, dann geraten andere Lebensintentionen ins Hintertreffen, was auf Dauer Leiden bedeutet. Es ist eine Disharmonie, die aufgelöst werden muss, anstatt dass man daran festklebt, z.B. wegen „Sicherheit“.
    Kein wahres Selbst, kein falsches Ich – einfach nur ein Geschehen, das sich neu konfiguriert / neu sortieren muss, entlang an den Naturgesetzen der Psyche.

  5. „doch sind dies alles eben mehr oder weniger zufällige Ursache-Wirkungsketten, die auch anders hätten laufen können Und dann wäre Claudia K. jetzt eben eine Andere.“
    Aber mit Dir kann man doch eine ganz bestimmte Person assoziieren?
    Du könntest doch sicher auch einen Katalog an Eigenschaften benennen, die Dich „ausmachen“? Und welche, Die mit Dir nichts zu tun haben.
    Du entdeckst ja auch Texte von Dir aus vergangenen Zeiten, die Dir sagen: „Ja, das passt nachwievor zu mir.“
    Daß die Neurowissenschaften entdeckt haben, daß es eigentlich kein Selbst gibt, daß es ein notwendiges Konstrukt, eine Täuschung ist, damit Mensch funktioniert und handeln kann, das steht ja auf einem anderen Tablett. Immerhin ist aber eines für Claudia K. aufgebaut worden, wenn auch aus „Täuschungsgründen“. Und das kann man ja durchaus anschauen.

    Wieso wertest Du das Thema eigentlich als „abseitig“ oder „entlegen“?

  6. Die Frage, Gerhard, stell`ich mir auch. Ich finde den Beitrag und das Thema, egal nun wie man dazu steht, sehr interessant. Und mit dem letzten Kommentar von Claudia meine ich nun etwas besser zu erkennen, was sie meint und wo ihre Gedanken hinführen könnten ( so jedenfalls, wie ich es verstehe).

  7. @Gerhard: naja, so nach Google-Assistent und Präimplantationsdiagnostik ist das Thema schon recht eigen… aber in einem Mischblog muss man eben mit allem rechnen´! :-)
    (Freut mich, Menachem, dass du es auch interessant findest!)

    Besser als im letzten Kommentar kann ich nicht erläutern, was ich meine – du zitierst es ja selbst. Ich hab das auch nicht erst von den Neurowissenschaften, die eh nur Äußeres betrachten und testen können. Sondern aus der erst gefühlten und später gedachten Kritik am „wahren Selbst“ (und noch suspekter ist mir das „höhere Selbst“) – und auch aus buddhistischen Texten, die ich Jahrzehnte lang immer wieder las. Das ich (und alle anderen) zu Zeitpunkt X in verschiedener Weise „konkretisierte“ Persönlichkeiten sind, widerspricht dem nicht.

    Es gibt unter den spirituellen Denkerinnen und Denkern wohl immer schon diese beiden Linien: die einen beziehen sich auf ein wahres Selbst, das es zu finden gälte – und die anderen entlarven die Täuschungen und zielen auf das letztliche Nichts („das Nichts, aus dem die Fülle kommt“, wie mein Yogalehrer es nannte). Ich war bei Lehrern beider Linien, hab es also „ausprobiert“ – und bin bei der 2.Variante hängen geblieben. Das passt einfach besser zu meiner Lebenserfahrung und ich empfinde es als weniger einschränkend.

    Mit der Person, die ich mit 30 war, verbindet mich jetzt kaum mehr irgend was…

  8. Ja, ganz aufschlussreich.
    „Ich hab das auch nicht erst von den Neurowissenschaften, die eh nur Äußeres betrachten und testen können. “
    Wie ist das zu verstehen?
    „Mit der Person, die ich mit 30 war, verbindet mich jetzt kaum mehr irgend was…“
    Wie das? Die Erfahrungen der ersten 30 Jahre sind fest in Dir eingebunden.
    Daß Du damals andere Ansichten hattest, andere Preferenzen, „das ist doch geschenkt“. Aber Du kannst doch im Grunde schwerlich davon reden, daß der damailge Mensch mit Dir nichts mehr zu tun hätte. Das widerspricht allen Aussagen der Psychologie. Denke mal an das Konzept des „inneren Kindes“, etwa.
    :-)

  9. Mit meinem „inneren Kind“ hab ich um die 30/35 (wann genau hab ich vergessen) in einer Workshop-Serie einen super Umgang gefunden. Das Thema ist seitdem durch, bzw. das „Kind“ integriert.
    Mein Körper ist komplett anders, meine Präferenzen sind andere, meine Gefühle und Gedanken sowieso, ebenso die Wünsche ans Leben. Würde ich der Person von damals begegnen, würde ich nicht mal mit ihr zusammen arbeiten wollen, denn sie wäre mir viel zu nervig, zu dominant, zu wenig emphatisch und vieles mehr.
    Natürlich leugne ich nicht, dass historisch betrachtet alles immer Claudia Klinger war – aber die Beispiele dienten hier doch der Illustration des Konzepts „kein wahres Selbst“. Und das finde ich nach wie vor nirgends. Zum Glück!
    Neurowissenschaft kann immer nur testen und messen, so wie alle Wissenschaften, die als solche auf ihre „Wissenschaftlichkeit“ stolz sind. Sie betrachten also immer von aussen, auch wenn das Betrachtete im Inneren des Schädels stattfindet: Zellen, Synapsen, Botenstoffe…. das alles ist äußerlich.

  10. Neurowissenschaftler befragen doch auch ihre Testpersonen.
    Und wie die Personen jeweils in bestimmten Situation reagieren, sagt doch manchmal mehr als alle Worte. Darauf, das jeweils interpretieren zu können, sind die Versuche doch aufgebaut.

    Daß Du mit dem inneren Kind „durch bist“, ist erstaunlich. Ich wüste niemanden, der so etwas so entschieden sagen könnte.

  11. Die Frage nach mir selbst halte ich zunächst einmal für ein Unding. Wieso an mir, an meinem So- und Da- und Hier-Sein zweifeln, bin ich doch schon immer so und da und hier?

    Eine Frage nach dem Genau-So und seiner Abgrenzung gegen ein Anders-So stellt sich für mich erst dort, wo das Selbstverständliche des So-Seins gestört wird. Persönliche Krisen, Rauschzustände, Katastrophen und Ähnliches. Ganz außerordentliche Ereignisse oder Momente also, in denen die Möglichkeit eines un-wahren Ichs entsteht. Etwa eines, das böse, falsch, verdorben, unzulänglich sei (und was der Scheußlichkeiten mehr dem Ich angehängt werden mag), weswegen es wieder hinlänglich, unverdorben, richtig und gut werden müsse. Das Interesse an einem Zurück also, auch wenn es oft als Vorwärts/Weiter oder Hinauf/Hinab verkauft wird.

    Mir klingen die dabei handelsüblichen Versprechungen häufig sehr nach einer regredierenden Sehnsucht, die sich auf einen verlorenen Zustand der Harmonie mit sich selbst richtet. Typischerweise (bzw. meiner Erfahrung nach) ist daher das Thema der Suche nach dem wahren Ich der prominente Gegenstand von Menschen, die sich ihrer Lebensumstände, einschließlich ihrer Person, unsicher geworden sind und nun durch eine (geistige) Reise ins Innere einen soliden Anker zu finden hoffen, der ihnen angesichts der aufgewühlten See des (materiellen) Äußeren Halt und Richtung zu geben verspricht.

    Daß das Ich nicht zu fassen sei, lehrt ehrliche Selbstbeobachtung. Daß es immer auch ganz anders sein könne, lehrt das Eingeständnis, welch verschlungene Wege wir zu gehen bereit sind, uns immer wieder (neu) zu erfinden, sehen wir eben darin unser gelobtes Heil. Daß es Konstruktion sei, lehrt die moderne Wissenschaft, der, so fürchte ich, eines Tages die begriffsbildenden Substanzen ausgehen werden, wenn sie weiter voran schreitet auf dem Weg der Dekonstruktion der Schöpfung mittels re-engineering, und dann hat sich die Frage nach Henne oder Ei wohl mangels beidem endgültig erledigt.

    Das Bild mit der Zwiebel halte ich dagegen für wenig hilfreich, weil ein entscheidender Aspekt, nämlich die Ding-Werdung des Nicht-Dinglichen durch den unendlichen Prozeß des Anscheins, darin verloren geht. Eine Zwiebel kann ich schälen, bis ich triumphierend die innerste Schale entfernt habe und im Nichts ende, auf das ich mit dem Finger zeigen kann. Daß ich aber nicht bin, darauf komme ich auch durch das fleißigste Schälen jeder neuen Schale niemals. Immer bin ich noch da (oder schon da, wie der Igel) und schäle weiter und weiter. Wer sich nun mich lieber als unendliche Salami vorstellen will, hätte mich daher ebenso gut (oder schlecht) getroffen wie jener, dem ich eine Zwiebel bin.

    Vielleicht deswegen haben solche Überlegungen für mich etwas (zu viel) an sich von entweder einem prima Thema für einen intellektuell aufgehübschten Flirt mit jemand, der auf so etwas steht, oder einem sich dem gemeinen Verstand entziehenden Geheimwissen, gehütet von Menschen, die ich mir gern wie ein lebendig gewordenes s/w-Foto von Stefan George vorstelle, den stechenden Blick stimmungsvoll transzendierend ins gräulich-schwärzlich Transzendente gerichtet und die Stimme zu einem heiseren Raunen gedämpft, das die auf sie gekommene Weisheit der Altvorderen (zugleich die der dereinst Kommenden) eher verschleiert als offenbart.

    Bis ich in diese Rolle schlüpfen kann (oder muß oder will), betrachte ich lieber mein Ich als eine notwendige Kontrollinstanz, die unter Zeitmangel dem ständigen Problemlösungsdruck des Alltags ausgesetzt ist und daher niemals die Muße findet, alle Schränke von sämtlichen Wänden zu rücken, um nachzuschauen, woher der Geruch kommt. An dem Tag, wo sie das endlich kann, wird sie sich selbst überflüssig gemacht haben. Vielleicht der wahre Grund, es nie zu tun, und damit womöglich das eigentliche Zentrum des schlußendlich dann doch ‚wahren‘ Ichs.

  12. Da ist ja nun unendlich viel Stoff vorgegeben, mit vielen interessanten Aspekten. Dabei meine ich , rein gefühlsmässig, dass sich vieles in oben geschrieben sehr unterschiedlich ausdrückt aber letztendlich doch in die gleich Richtung drängt. Nur, formulieren und in verständliche Zeilen bringen kann ich es nicht.

    „Was man findet, ist nie das wahre letzte eigentliche Selbst,“

    So sehe ich das auch, und wahrscheinlich auch viele, die sich einmal auf diesen Weg gemacht haben. Der Weg ist das Ziel, und die, die diesen Weg nicht gehen möchten, haben trotzdem unentdeckt in ihren verborgenen Zwiebelschichten ihr Wertvolles. Auch der Narzisst, der uns Schönheit schenkt.

  13. Ich denke, Susanne hat das Schlusswort gesetzt, fast wie immer übrigens, wenn es philosophisch wird. Ich hoffe, @Claudia, Du nimmst die Dekonstruktion „Deiner“ Zwiebel nicht iebel, zum „aufgehübschten“ Sprachflirt war sie allemal tauglich :-)
    Interessant fand ich Susannes Bemerkung zum drohenden Verlust eines kohärenten Ichs im Rausch oder in der Krise. Wir brauchen funktional ein festes Ich und wenn dieses ins Wanken und Schwanken gerät, dann ist eine ernte Krisensituation eingetreten, in der schnelle Abhilfe vonnöten ist.

  14. @Susanne: danke für deinen umfangreichen Kommentar!

    „Eine Frage nach dem Genau-So und seiner Abgrenzung gegen ein Anders-So stellt sich für mich erst dort, wo das Selbstverständliche des So-Seins gestört wird. Persönliche Krisen, Rauschzustände, Katastrophen und Ähnliches. „

    Ja, genau – wobei sicher auch das dazu gehört, was weniger katastrophal, sondern eher schleichend bewusst wird: „Entfremdung“, wie man früher gesagt hätte. Sich weit entfernt vorfinden von allem, was man jemals gewünscht hätte bzw. gerne tun würde. Die „Sinnkrise“ bei Menschen, die etwa allein wegen des Geldes an etwas hängen, das aus unverstellter Sicht weder individuell noch kollektiv einen guten Sinn hat.

    Das Bild der Zwiebel ist nur eine Metapher, die für mich nach wie vor stimmt. Deutlicher hätte ich machen sollen, dass – in diesem Bild bleibend – man natürlich nie im Inneren der Zwiebel ankommt, sondern immer nur die aktuelle Schicht als „nicht mehr die ganze Wahrheit vom Ich“ erkennt. Nämlich immer dann, wenn solche Betrachtungen mal wieder anstehen, bzw. sich aufdrängen.

    @Gerhard:

    „Wir brauchen funktional ein festes Ich und wenn dieses ins Wanken und Schwanken gerät, dann ist eine ernte Krisensituation eingetreten, in der schnelle Abhilfe vonnöten ist.“

    Das ist eben auch ein schöner Aspekt der Sichtweise „kein festes Ich“. Wo nichts fest ist, kann auch nichts „ins Wanken kommen“, weil das Wanken, Verändern, Fallen, Häuten als Normalzustand angesehen wird.

    Auch die bei „festen Ich-Vorstellungen“ so leicht auftretenden „Ich-bin-besser-als-der…“-Gedanken haben keine bzw. eine viel winzigere Basis. Dass „das Böse“ nicht nur bei den Anderen zu verorten ist, sondern immer schon auch zum eigenen Potenzial gehört, ja nicht einmal immer bemerkt wird – all das ist ohne fest umrissene Ich-Vorstellung einfacher, für mich jedenfalls. Und daran ändert selbstverständlich keine Diary-Diskussion und auch kein philosophischer Wälzer irgendwas. :-) Womit wir sehen, dass Vorstellungen recht fest gerinnen können so im Lauf von Jahrzehnten, doch kann ich mir tatsächlich keine Situation denken, in der ich aufwache und finde:

    Ach schau mal, da ist es ja, mein wahres Selbst!

    Es soll übrigens nicht ganz vergessen sein, dass ich diesen Artikel als Kommentar zu Angelikas Sicht der Dinge schrieb (eigentlich: weil sie nicht zum frei schalten kam…). Wobei diese im zitierten Post nicht allzu deutlich wird, sondern mir halt aus anderen Beiträgen im Blog bekannt war. Mittlerweise hat sie auf meinen Kommentar dort geantwortet und diese spirituelle Lehre vom wahren Selbst dabei sehr deutlich konkretisiert.

    Genau das hab‘ ich ja auch ein paar Jahre geglaubt, und zwar in verschiedenen Versionen, wie sie in der spirituellen Szene so vertreten werden. Und ich will es auch nicht schlecht machen: Es kann sehr sehr hilfreich sein, an ein wahres und sogar an ein „höheres“ Selbst zu glauben – und genau wie man prima mit dem „inneren Kind“ verhandeln kann, so klappt auch die Kommunikation mit dem „höheren Selbst“, wenn man es darauf anlegt.

    Unsere Psyche ist sehr sehr plastisch und kreativ, insbesondere wenn wir nicht alltägliche Zustände praktizieren, vom geleiteten Träumen über Drogen, forciertes Meditieren, Fasten, Visualisieren, Rituale und schamanisches Trommeln. Erst recht potenziert sich diese psychiche Schaffenskraft im Sinne der Konstruktion eigener Realitäten, wenn es von einer Gruppe gestützt wird – dann passiert „Magisches“ ohne Ende und es gibt jede Menge Evidenz für die Richtigkeit der jeweilig vermittelten Vorstellungen vom Ich, vom Selbst, von Welt, Mensch und Sinn.
    Genau damit sind aber auch viele Gefahren verbunden, wie etwa, komplett abhängig, gar ausgebeutet zu werden, die Selbstverantwortung zu verlieren, im schlimmsten Fall zum nicht mehr alltagstauglichen Spinner zu werden. Auf meinen Reisen in diese Welten als „teilnehmende Beobachterin“ hab ich Leute kennen gelernt, die so abgedreht waren, dass ein normales Gespräch mit Bezug auf die uns umgebende „Normalwelt“ gar nicht mehr drin war.
    Andrerseits aber auch viele Heilungsprozesse erlebt, Menschen, die wieder einsteigen konnten ins Ausexperimentieren einer für sie lebenswerten Wirklichkeit – nicht mehr gesteuert von den Erwartungen Anderer, etc. usw.

    Tja, ich schweife ab – in einem neuen, wiederum noch nicht frei geschalteten Kommentar hab ich das Problem der verschiedenen Glaubenssysteme angesprochen und wie man da Frieden halten und schaffen kann. Das ist ja ein globales und aktuelles Problem. In diesen sehr gesitteten Blogdiskussionen kann man es schaffen, jedem seinen Glauben zu lassen – aber leider scheint das im Großen nicht ganz so einfach zu sein.

    @ Menachen, deinen letzten Absatz find ich sehr schön!

    Und jetzt ruft mich erstmal die Arbeit…

  15. Das von Claudia hier eröffnete Thema hat mich die letzten 15 Jahre beschäftigt, mal mehr, mal weniger. Dies möchte ich hier noch erwähnen, schon allein deshalb, weil ein Blogger im Vorfeld nie weiß, ob sein Beitrag eine Resonanz erzeugen kann,- woraus ein Gespräch zustande kommt, aus der sich Antworten und neue Erkenntnisse schöpfen lassen. Diesen kleinen Vorspann als Muntermacher, immer und immer wieder zu schreiben.

    Nach dem philosophischen Schlusssatz möchte ich noch aus meiner dilettantischen Sicht 3, für mich wesentliche und derzeit ausreichende Gedanken, aus euren Kommentaren zusammenfassen:

    Was finde ich: „immer nur die aktuelle Schicht“ ( als „nicht mehr die ganze Wahrheit vom Ich“)

    Wohin gelange ich: Nicht ins wahre Selbst

    Warum das Ganze: Für mich entspringt es meinem Bedürfnis in meiner Sinnkrise.

    In Claudia`s letztem Kommentar finde ich mich in allen Sätzen in meiner Gedankenwelt wieder. Einzig, wie Gerhard, glaube ich auch an einen festen Kern. Nur die, die meinen, nicht ins wahre Selbst zu gelangen, können das weder bejahen noch verneinen.

    Trotzdem meine ich, der Kern bleibt nach jeder Schicht erhalten, obwohl er sich an den Rändern peripher verändern kann, auch, mit großen Auswirkungen.

    Ich würde dazu ebenfalls gerne eine Metapher benutzen:
    So, wie um einen Atomkern Neutronen kreisen, bin ich. Und selbst wenn Atome sich zu neuen Konstellationen zusammenfinden, wie aus Sauerstoff und Wasserstoff dann Wasser wird und etwas scheinbar gänzlich Neues entsteht, bleibt der Kern des Sauerstoffatoms bestehen. Neues entsteht aus Vorhandenem. Ich sage dazu: Entwicklung/ Evolution.

    Auch wenn das Beispiel nicht ganz richtig wäre, so erfüllt es glaube ich doch seinen Zweck.

  16. in einer atomisierten welt mit neuen grossen führern, neuen grossen bedrohungen, erneuten grossen führerinnen und ansonsten im westen nix neues geht es mir im grunde wie einem wasserstoffatom. 1+1 =1 kern und ein elektron dazwischen jede menge NIX . grundbausteine, die einen sichtbaren alltag zum undurchschaubaren nebel aus durcheinander schwirrenden ineinander verwobenen mehrfachschaligen atomuniversen, die in sich wiederum jede menge leere bergen, undurchschaubarkeit in jeder himmelsrichtung.

    ich glaube ich sollte nicht so tief ins innere das die welt zusammenhält eindringen um zu mir selbst zu gelangen,
    dadas haben dadas versucht mit olipo und dem ganzen kram, gebracht hat das das mir nicht so richtig was. aber was ist schon richtig was ist falsch. in anbetracht meiner mir möglichen blickwinkelrichtung auf mich selbst hilft mir die atomisierung meinerselbst nicht weiter, ich bin genötigt mir meine sozialen verknüpfungen zu rate zu ziehen und kann damit möglicherweise eine detailiertere verortung meiner selbst in diesem vollkommen durchgedrehten erlebensmischmasch finden.

    ein wahres selbst was soll das sein? gibt es ein falsches selbst?
    wer bestimmt hier wahrheit und fake? eine erheiternde idee:
    trump ist fake und guantanamo sowiso eine erfindung, der mond besteht aus gruenem schimmelkäse und ansonsten gehts mir gut, balkon und gas-zentral beheizte mietwohnung, gerade noch bezahlbar.

    636 tausend tonnen doppel-T Stahlträger passen auf eine nadelspitze wenn nur genug willige eine koalition der vollidioten zu bilden bereit sind und ich steh vollkommen hilflos daneben.

    bin ich der der sich dazu die passenden gedanken gemacht, gemerkt und kommentiert hat? keine ahnung. ich bin grade im moment einer,der sich über diese erneut lange kommentarstrecke bei der berlinerin erfeut und die fabulierkunst aller teilnehmer durchaus zu schätzen weiss.

    freut mich jedenfalls uebers medium internet an einer sich bewegenden welt vom kleinsten aufs groesste schliessen zu duerfen:)

    gruss aus dem remstal
    i.m.

  17. wie mans dreht und wendet, es bleibt sich immer gleich.
    hier noch ein fundstueck dieser unendlichen geschichte

    (Autor Herbert Pfeiffer):

    Geist ziert Leben, Mut hegt Siege, Beileid trägt belegbare Reue, Neid dient nie, nun eint Neid die Neuerer, abgelebt gärt die Liebe, Geist geht, umnebelt reizt Sieg.

    mich interessierendes inneres ist wie ich mit aeusserem umgehe, obs mich irgendwie berührt oder ob ich es weitergeben, teilen, verbreiten will. ist dies etwas womit ich mich von anderem differenzieren kann?

  18. eins noch:
    vitaler nebel mit sinn ist im leben relativ
    hurra wir leben noch:)
    nu aber wirklich gut,schöne woche und so weiter
    gruss
    aus dem remstal
    i.m.

  19. Hi Ingo,

    auch dir herzlichen Dank für deine Beiträge, die ich gerne gelesen habe! Bin nur nicht zu den Kommentaren gekommen, denn ich hab mir fast die ganze Trump-Show reingezogen und hatte promt keinen Kopf mehr für das Thema „Selbst“.

    „636 tausend tonnen doppel-T Stahlträger passen auf eine nadelspitze wenn nur genug willige eine koalition der vollidioten zu bilden bereit sind und ich steh vollkommen hilflos daneben.“

    Du kriegst du Kurve von Innen nach Außen immer wieder gut hin! ;-)