Claudia am 28. Juli 2000 —

Netzpolitik: Napster vom Netz

Gestern abend kam es in der Tagesschau: die MP3-Tauschbörse Napster muss nach einem Gerichtsentscheid, den die Musikindustrie erwirkt hat, Freitag Nacht vom Netz. 20 Millionen Nutzer sind von der Verfügung betroffen und auch die LEGALEN Anwendungen des freien File-Sharing, z.B. die Verteilung von Musik noch unbekannter Gruppen mit deren Einwilligung, sind unterbunden.
Neulich hatte ich das Tool erstmalig ausprobiert, ich wollte mir das mal ansehen und auch ein paar Stücke herunterladen, um mal zu hören, was mensch heute so hört. Da ich seit vielen Jahren die aktuelle Musik nicht mehr verfolge, ist mir ein Neueinstieg über das CD-kaufen nicht möglich. Ich müsste in hunderte, ja tausende Stücke hineinhören, um in der existierenden Musikvielfalt wieder so etwas wie „meine Musik“ zu finden – wie sollte ich das bezahlen? Und WARUM sollte ich für ein paar Stunden Probehören Unsummen bezahlen?

Gerade hab‘ ich von einer Untersuchung gelesen, (die erste, die nicht im Auftrag der Musikindustrie erschien), die ergab, dass Leute, die illegalen mp3-Stücke herunterladen, MEHR CDs kaufen als andere. WEIL sie so die Möglichkeit haben, andere Musikstile überhaupt erst mal zu hören!

Man muss sich vor Augen führen, was da als „finaler Musikmarkt“ seit Jahren die Wiederholung des Immergleichen zelebriert: Unzählige CDs mit immer denselben „Best OF“, „Oldies but Goldies“, „Golden 30, 60, 70…“.

Dazu die Zumutung, in digitalen Zeiten noch vorgegebene Titelsammlungen kaufen zu sollen – bloss, weil die CD der Nachfolger der Vinyl-Platte ist und es auf dieser so üblich war? Wie lange wollte die Plattenindustrie uns den technischen Fortschritt eigentlich noch vorenthalten? Warum soll ich heute noch für Musikstücke bezahlen, die mir nicht gefallen?

Zu Zeiten des Vinyls, ich erinnere mich gerade, war es übrigens allgemein üblich, in jedem Plattenladen in angenehmer Atmosphäre in die Platten hineinhören zu können, ohne Kaufzwang. Man musste zwar dann die „ganze Packung“ kaufen, auch wenn einem nur drei Stücke gefielen, aber immerhin konnte man die Platte vorher hören. Die CDs dagegen sind eingeschweisst, ich kann sie nirgends anhören.

Auf die heutigen Radiosender zu verweisen, ist ein Lacher! Wie sollte ich in all diesen ganz ähnlich tönenenden Info-Hit-und-Oldi-Sendern die paar wenigen Sendungen rausfinden, die sich vielleicht mit einer bestimmten Musikrichtung intensiver befassen? Wieviele Programmzeitungen müsste ich dazu durchforsten? Wieviel Zeit opfern? Würde ich einen ausreichenden Überblick bekommen??? Wahrscheinlich binnen einiger JAHRE! Soviel Zeit habe ich aber nicht. Die real existierende Plattenindustrie hat mir den Weg zurück zur Musik praktisch verbaut – Napster hatte ihn wieder geöffnet.

Gut – bisher hab‘ ich auf der Ebene argumentiert, die den Vorwurf annimmt, Napster sei ein „Programm für Urheberrechtsverletzungen“. Wahr ist aber auch, dass es nicht angeht, einem Programmhersteller und Serverbetreiber – also einem Infrastrukturdienstleister – den Umgang mit Inhalten anzuhängen, den die Usern zu verantworten haben.

Jeder, der Napster installiert, akzeptiert die AGB, in der ausdrücklich zur Wahrung der Copyrights / der Urheberechte aufgerufen wird. Es ist wieder die alte Sache: Auch der Provider darf nicht für den Inhalt meiner Mail verantwortlich gemacht werden, nicht die Post für meine Briefe, nicht die Telekom für meine Worte. Wo kämen wir da hin??? Würde jemand Microsoft verklagen, wenn sich herausstellt, dass 98% aller Erpresserbriefe und Morddrohungen auf Winword geschrieben werden?

Anstatt zu klagen, sollte die Plattenindustrie Dienste leisten, die mensch heute nachfragt, dann findet sie auch Kunden, die gerne zahlen. Ein zeitgemäßer Musikmarkt würde:

  • es ermöglichen, jede Musik kostenlos probe zu hören
  • den datenbankartigen Zugriff auf ALLE Stile und Stücke gestatten
  • den Einzelkauf von Musikstücken anbieten,
  • vom Nutzer online zusammengestellte CDs on Demand vertreiben.

Alte Stücke müssten natürlich entsprechend BILLIG sein, schliesslich haben wir die alle schon ein paar mal bezahlt. Bei MP3.com haben sich zwei Plattenfirmen auf 1,5 Cents pro Stück eingelassen, darüber kann man doch reden… :-)

Das Wichtigste: Es muss möglich sein, Dateien frei zu tauschen und zu teilen, ohne dass es Dienstleistern verboten wird, dafür technische Infrastrukturen anzubieten. Die rechtliche Verantwortlichkeit muss beim User liegen und nicht beim Provider.

Was wird geschehen?

Die Firma Napster kämpft natürlich auf dem Rechtsweg weiter – im Kern besagt die ergangene einstweilige Verfügung, dass auch legales Filesharing verboten sein soll. Ein Standpunkt, der wohl auf Dauer nicht zu halten sein wird.

Die Protestszene ist sich – wie immer – uneinig. Aktuell rufen einige Gruppen zu Protestaktionen auf, andere wollen die Firma Napster, die ja ein kommerzieller StartUp ist und deren System den zentralen Napster-Server braucht, um alle Nutzer zusammenzuschließen, nicht verteidigen. Sie erwarten, dass all die Millionen frustrierter User jetzt auf Alternativen umsteigen, z.B. die Variante OpenNap, oder Software wie Gnutella. Die Zukunft läge in echten dezentralen Infrastrukturen (Peer to Peer-Netze), die von niemandem mehr abgeschaltet oder kontrolliert werden können. Leider befinden sich diese Systeme meist noch in einem Beta-Zustand, der vom normal-ahnungslosen User nicht ganz so easy genutzt werden kann. Vielleicht ändert sich das jetzt aber recht schnell. (Gerade mailt mir ein Freund: „Mit ein bißchen gutem Willen sollte es jeder können“.)

Im Grunde geht es um die Fragen: Wem gehört das Internet? Wer bestimmt, wie es genutzt wird? Ich hoffe, dass es ALLEN gehören wird und nicht nur kommerziellen Akteuren.

Ein paar Protestaktionen:

http://boycott-riaa.com
http://www.petitiononline.com/Napster/petition.html
http://www.Napstermania.com

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