Claudia am 13. März 1999 —

Webseiten erschaffen – vom kreativen Prozess

Kaum ein Thema wird im Web derart ausführlich behandelt, wie das Seiten-Machen. Hier ist das Medium selbstbezüglich bis zur Langeweile: HTML, Webdesign, Javascript, Java, Einbindung von Grafik, Bildbearbeitung, Editoren und Zusatzprogramme bis zum Abwinken. Doch in all dem Überfluß an „How-To“ findet sich etwas ganz Grundsätzliches nicht: wie kommt die Gestaltungsidee zustande? Wie entsteht eine Vision, wie das Projekt aussehen soll? – denn die braucht es doch, BEVOR es an die Umsetzung geht.

Gerade arbeite ich an einer Website, deren Auftraggeber mir alle Freiheit läßt. Keine umfangreiche Corporate Identity schränkt das Reich der Möglichkeiten ein, keine Farb-, Form- Strukturvorgaben, ich soll es machen, als würde ich eine eigene Seite entwickeln. Wunderbar, denkt jeder Designer angesichts solchen Vertrauens! Das ist es doch, was man sich wünscht: Freiheit für den kreativen Prozeß!

Allerdings: kaum ein Projekt für Andere hat mich je so ratlos gelassen. Einige Wochen hatte ich nicht den Schimmer einer Idee und wußte auch nicht, wie dazu kommen. Natürlich könnte ich irgendeine nette Site machen, Schema F ein bißchen variieren. Doch das wäre es ja nicht, meine eigenen Seiten entstehen auch nicht auf diese Weise – wie aber dann?

Eines Abends hab ich dann angefangen: eine leere Seite, dunkles blau – und dann da draufgestarrt, ganz ähnlich, wie Texter und Literaten auf das weiße Papier starren und ab und an dem Horror Vacui verfallen. Das Blau angesehen und versuchsweise verändert, ein bißchen anderes blau. Wieder still gesessen und das BLAU angesehen. Versuchsweise den Namen des Unternehmens eingesetzt, in kleinen, weit auseinander gezogenen Lettern, goldfarbig. Schön! – und wieder eine halbe Stunde hinsehen.

Es wäre langweilig, zu berichten, wie auf diese Weise nacheinander alle Bestandteile – Text, Background und Bildmotive – endlich auf der Seite erscheinen, geradezu „ausgesessen“ werden müssen. Es ist kein Machen, sondern ein Lauschen, ein leer werden und doch aufmerksam und wach bleiben: mitten aus der Leere kommt plötzlich die Vorstellung, wie es aussehen muß – oder auch nicht.

Dabei bemerke ich noch anderes: je mehr ich mich auf dieses Warten und Hören einlasse, desto identifizierter bin ich mit den Ergebnissen. Ich fange an, die Seite zu lieben, betrachte sie mit Freude, schaue sie immer wieder an. Und auf einmal wird mir immer weniger egal, WAS hier verkauft wird. Die Website ist ein Teil von mir, nach außen in die Sichtbarkeit gestellt und dieser Teil dient jetzt einem fremden Anliegen. Plötzlich ist es wichtig, daß dieses Anliegen in Ordnung ist, ja, von mir sein könnte….

Auf einmal weiß ich, warum freie kreative Arbeit vergleichsweise teuer bezahlt wird. Ich neigte bisher eher dazu, dankbar (und deshalb preiswerter) zu sein, je weniger ein Auftraggeber mich durch eigene Vorstellungen einschränkt. Doch ist das zu kurz gedacht: man verkauft ein Teil von sich, ein Ergebnis, das aus dem Unverfügbaren kommt, aus dem Bereich des Selbst, der immer ein Rätsel bleibt. Das ist eigentlich unmöglich, man fühlt sich nicht ganz wohl dabei – und deshalb ist es mit Recht zumindest teuer!

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