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3 x Abraham = 1 x Odysseus

Vilém Flusser lebte in Prag, São Paulo und Robion. Im biblischen Alter wurde er auf dem jüdischen Friedhof seiner Heimatstadt begraben. Da er früh, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch in Prag, beschloß, ein exemplarisches Leben zu leben, müssen wir - unseren Widerwillen niederkämpfend - die mythische Schließung seiner biographischen Form akzeptieren. Hängen wir ihr ein Bleigewicht an und fragen, wie Flusser, der sich zeitlebens gegen den Tod empörte, die Kurve kratzte. Durch ein dreifaches Herausreißen. Aus Prag wurde er, am 12. Mai 1920 geboren, im März 1939 durch die einmarschierenden Nazis herausgerissen. Der Vater kam 1940 in Buchenwald, die Großeltern mütterlicherseits, Mutter und Schwester 1944 in Auschwitz um. Flusser brennt das Trauma dieser Entwurzelung ins Schibboleth der "Bodenlosigkeit" ein und schafft sich dadurch ein Lebenszeichen, dessen lebenslang betriebene Decodierung aus dem ans Ende der Welt Verschlagenen einen maßgebenden Medienanthropologen seiner Zeit macht. 1972, im Alter von 52 Jahren und nach einer beachtlichen brasilianischen Karriere, gelingt es ihm, das Herausgerissenwerden als Sichselbstherausreißen vor sich zu bringen und in (nicht aus!) der Emigration zu emigrieren. Wohin? In die europäische Peripherie. Dort schreibt er und von dort aus unternimmt er seine Fahrten. Man wünscht sich, die Partikel der Materie wären für diesmal weniger dicht gepackt gewesen, als er am 27. November 1991 bei der Wegfahrt von Prag durch ein entgegenkommendes Lastauto von dieser Erde weggerissen wird.

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Reinhold Grether: Die Weltrevolution nach Flusser
präsentiert von Claudia Klinger
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