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09:03:00 Das Leben, ein Kreis.

Meine erste Erinnerung in diesem Leben ist eigentlich ohne Inhalt: eine warme, sonnenbeschienene Steinmauer, in den Ritzen frische Gräser, Blumen, eine bunte Decke, die ein wenig kratzt, eine Holzbank, auf der ich liege, meine Mutter, irgendetwas in einer Tasche kramend.... für all das hatte ich keine Worte. Ich sah es nur, doch ich sah es anders als je zuvor: ich spürte, daß inmitten dieser Formen, Farben und Gefühle ICH war. Daß ICH ein Wesen IN dieser Welt bin - und ich bewegte leicht den Oberkörper hin und her und bemerkte mit Freude, wie daraufhin der Anblick "schwankte". Freude? Es war unglaubliche Euphorie, namenlose Exstase, zu realisieren, daß da neben dem Wahrgenommenen auch ein Wahrnehmender ist!
 
Im weiteren Leben wird dieser Wahrnehmende zum sozialisierten Ich, zur Person, die schmerzvoll lernt, ihre Interessen gegenüber anderen wahrzunehmen und darüber alles andere vergißt. Das Leben zwingt uns, das Kämpfen zu lernen, uns abzugrenzen und uns in der Folge "getrennt" zu fühlen. Eine Sehnsucht nach dem "ganz anderen" mag bestehen bleiben, bietet eine gefühlsmäßige Basis, um die Welt "verbessern" zu wollen oder vom Paradis zu träumen, das vielleicht in Irgendwo (Utopia) existiert.
 
Nach vielen Versuchen, mein ganz persönliches Paradies auf dieser Welt zu schaffen (mit geliebten Männern, in Wohngemeinschaften, in politischen Bewegungen) und nachdem ich das Scheitern auf all diesen Ebenen kennengelernt hatte, dachte ich mir: da muß es doch noch etwas geben! Ich verschlang philosophische Schriften, die aber alle nur diese Gedanken aufs schönste komplizierten, jedoch an der Sache selbst nichts ändern konnten. Schließlich waren die spirituellen Lehren dran: Buddha bis Baghwan, Upanishaden bis Zen, Sufis, Gurdjeff, humanistische Psychologie und NewAge.
 
Hier lernte ich die "Erleuchtung" kennen, natürlich nur gedanklich, doch immerhin war da ein neues Ideal. Ich begab mich in verschiedene Übungszusammenhänge, versuchte, zu meditieren, besuchte einige Kurse, die auf unterschiedliche Weise "wacher" machen sollten und tatsächlich lernte ich eine Menge darüber, was ich bin. Wie Körper, Geist und Gefühl zusammenwirken und wie es möglich ist, "Probleme" ganz anders anzugehen als nur durch Analyse, Planung, Beschluß, Willenskraft und Disziplin, die Mittel des Verstandes. All dieses Lernen blieb jedoch abstrakt und reichte nicht wirklich in den Alltag hinein, es blieben sporadische Wochenendbeschäftigungen, ganz so, wie die von mir verspottete Christenheit Sonntags eine Stunde für Gott einräumt. Auch mutete es mich seltsam an, was für ein Brimborium die jeweilige Szene um ihre Lehrer und Lehrgebäude entfaltet und wie viele versuchten, mit ihrem "Fortschritt" Kasse zu machen.
 
Also nichts damit - ich lebte mein ganz normales Leben weiter, war Mitte dreissig und kam an ein Ende. Ich hatte alles erdenkliche ausprobiert, was mir ein bißchen mehr Glück, mehr Freiheit, mehr Entfaltung (auch: mehr Macht!) zu versprechen schien, war unglücklicher als je zuvor und vor allem unendlich gelangweilt: Beziehungsdramen, Politkämpfchen, Gruppendynamik in Arbeitsgruppen, all das war nur noch anstrengend und aufreibend, aber nicht mehr glücksverheißend. Ich gab alles auf, trat von allen "Funktionen" zurück und verzog mich zeitweise in die Toskana, wo mein liebster Freund ein Haus hatte. Doch auch dort: kein Glück, kein "einfaches friedliches Leben", sondern das übliche Hauen & Stechen, nur daß es jetzt um Hundegebell, um Wasser, um Zäune, um Schafe und Touristen ging. Ich war ein "entwickeltes Ich" geworden, zu jedem Kampf in der Lage - aber wozu, um Himmels Willen?
 
Nach drei Jahren ohne jede Hoffnung, ohne Vohaben und Plan, ohne Vorstellung, was ich tun könnte, um wieder mit Freude in die Welt sehen zu können, erreichte ich den Tiefpunkt. Zuletzt führte ich eine Kneipe und mein Leben war darauf beschränkt, um den Tresen zu rotieren: heute davor, morgen dahinter. Ich ging auf dem Zahnfleisch, eine recht lange Zeit.
 
Und dann hörte es auf. Von heute auf morgen verließ ich die Kneipenwelt und stellte fest: Ich war irgendwie verblendet gewesen! Ich hatte mir mein Unglück selber angerichtet, indem ich stets daran glaubte, ich müsse alles selber machen und genau wissen, wo es lang geht. Dabei hatte ich nur noch mein Unglück täglich selber gemacht, aber das mit aller Kraft. Ich brauchte nur loslassen - und schon begann ich mich zu erholen, wurde gesund, fröhlich und neugierig auf die Welt, die mir ganz von sich aus täglich die Bälle zuspielt. Mein selbst geschaffenes Gefängnis war zerbrochen: das Leben ist INTERAKTIV! Nicht ICH muß alles manipulieren, damit es nach dem Morgen wieder abend, nach dem Winter wieder Frühling wird (ich überspitze absichtlich!), sondern das geht ganz VON SELBST. Ich muß mich dem nur hingeben.
 
Später dachte ich darüber: Das ist die Krise in der Mitte des Lebens. Man wächst zuerst hinein, es beginnt als große Freude, wenn das "ich", der geistige "Link" entsteht, an dem entlang wir eine Welt überhaupt erst bemerken können. Dann beginnt dieses Ich mit seiner Machtergreifung: Das Kind steht fasziniert vor dem Spiegel und tatsächlich bewegt sich da drüben die Hand, wenn es "seine" Hand bewegt! Aus dieser gelungenen Manipulation entsteht der erste Lebensentwurf: ICH bin, ICH kann, und schon bald: ICH muss.....
 
Aber das ist nur die Hälfte der Wahrheit, die, die wir in der ersten Lebenshälfte entwickeln. Die zweite Hälfte ist die "Abwicklung" dessen, was wir durch dieses Konzept aus uns selbst gemacht haben und - wenn es gut geht - die Erkenntnis der anderen Hälfte: Was ist das, das VON SELBST geht?
 
Vor diesem Hintergrund ist das Erlebnis, das ich eingangs beschrieb, die "Erleuchtung" der ersten Lebenshälfte, das Erwachen zum Ich. Von der zweiten Phase aus betrachtet, ist es die erste "Verdunkelung". Und das Wiedererleben des Nicht-Geschiedenen, das momenthafte Eintreten ins Ungetrennte, aus dem wir zu Anfang erwacht sind, ist die 'Erleuchtung' genannte Erfahrung, die als Ideal über der zweiten Lebenshälfte steht. Ein Gruß vom Ende, auf das wir zugehen, ein Ende, das uns zurück vor den Anfang führt.
 
In unserer Gesellschaft sind Kreisbewegungen nicht beliebt, linearer Fortschritt ist angesagt. Wissenschaftler forschen daran, wie uralte Mütter noch Kinder bekommen könnten, Leute jeden Alters wollen gern aussehen wie 20. Man hält kollektiv an den Werten der ersten Lebenshälfte fest - und das macht es dem Individuum nicht einfach, die Hürden der zweiten Hälfte zu bestehen. Auf der anderen Seite vermitteln die spirituellen Lehren aller Zeiten vielfach den Eindruck, als könne die erste Hälfte ersatzlos gestrichen werden. Sie erscheint als bloße Verirrung, als falscher Weg, als Verstrickung und Verblendung - doch ohne den Weg in die Welt HINEIN gibt es keine Welt. Nur Leute, die die Welt absolut nicht mögen, können das als Ideal ansehen. Ich nicht.
 

 

05:03:00 Medien & Scheuklappen - für Over40s

Juh schrieb in der Mailingliste Netzliteratur:

"Ich finde, entwürdigend bei Big Brother und auch einigen anderen Spektakeln ist weniger, daß ganz individuelle Menschen entwürdigt werden, sondern daß dies für uns alle entwürdigend ist, weil es zeigt, wozu Menschen fähig sind, wenn sie nur Geld dafür kriegen. Daß Menschen zu allem bereit sind, wenn der Anreiz stimmt, ist zwar ein Allgemeinplatz. Aber die Verführbarkeit des Menschen andauernd vorzuführen, das verstößt m.E. gegen die Menschenwürde."

Das war auch mein erstes Gefühl, als ich von der Sendung zum ersten Mal hörte. Und gerade mit diesem Gefühl komme ich mir richtig ALT vor. Es ist normal geworden, hauptsächlich eine Menge Geld machen und berühmt werden zu wollen, mit was auch immer. Andere Werte wirken geradezu komisch: Öko ist zum Beispiel völlig out, Autos sind dafür wieder in - als ich 25 war, hätte sich jeder geschämt, in einem Auto mehr zu sehen als ein leider manchmal notwendiges Mittel zum Zweck. Heute geben junge Männer "Auto fahren" auf ihrer Homepage ungeniert als Hobby an - und hier in Mecklenburg rasen sie gegen die Bäume, täglich ist so ein Testosteron-Toter zu beklagen!
Outfit ist alles, ein gestylter Körper, ein glattes Gesicht, alles verziert mit Markenware - und die Welt und ihre Phänomene werden danach beurteilt, ob sie LANGWEILIG oder SPANNEND sind.
 
Jetzt will mir sicher gleich jemand schreiben, das sei doch eine krasse Verallgemeinerung, es gäbe auch andere - geschenkt, klar gibt es die, aber sie haben eben nicht viel zu putzen! Felix zum Beispiel mailt mir:

Obwohl ich mich selbst (25) noch nicht für so alt halte, ist es mir unverständlich, warum so viele vorwiegend junge Menschen allen möglichen Fun-Aktivitäten hinterherrennen, deren einzig ersichtlicher Sinn es ist, jemand anderes reich zu machen.

Und Paul hat mir einen Text voller ernsthafter Überlegungen zum Thema "Aufrichtigkeit im Schreiben" geschickt, ausgelöst durch meine Überlegungen über kommerzielle Medien (29.2.). Doch er landet im Nichts mit seinen Gedanken, weil er einen Wert wie "Aufrichtigkeit" nicht mit naturwissenschaftlichen Methoden zu fassen bekommt - und die Naturwissenschaft mit ihren rein quantitativen Methoden ist nun mal unsere herrschende Religion, wer könnte sich ihr entziehen?
 
Ich springe von diesem zu jenem, um mein Unbehagen an der Welt zu illustrieren. Und ich kann niemals wissen, ob das "nur" eine Alterserscheinung ist: immer schon fanden die Älteren die Welt zunehmend unverständlich und zum Kotzen. Ein noch etwas älterer Freund leidet z.B. schwer unter dem schizophrenen Moral-Hype der Massenmedien in den aktuellen Politiker-Affairen. Im Ajatollah-Stil heftiger Entrüstung geben junge Moderatoren, Radio-Sprecher, Talkmaster und Journalisten Losungen aus, wer heute als Schwein zu gelten hat. Trennung von Nachricht und Meinung? Gestrichen, völlig altmodisch! Doch vor allem: Gerade die Massenmedien tun doch ALLES dafür, daß ein Mensch sich verdammt weit deformieren muß, um überhaupt den Schimmer einer Chance zu bekommen, in der Politik mitzureden. Wie kann dann also ein Medienmensch daherkommen und bei seinen Opfern jungfräuliche Unschuld in Sachen Machtpolitik einfordern?
 
An diesem Punkt sag' ich meinem Freund: jammere nicht, wende dich ab! Wo nur das Prinzip Hahnenkampf gilt, weil es nun mal Quote bringt, haben wir nichts verloren. Es hilft nicht, in den Massenmedien über deren Verfall und den Verfall der entsprechenden Öffentlichkeit zu lamentieren - das wird nur als "langweilig" überlesen, sofern es noch jemand druckt oder sendet. Die Geste der Kritik wird sinnlos, man muß sich den Taten zuwenden.
 
Und da kehrt meine gute Laune wieder: Faßt Mut, ihr Over40s mit den unverbesserlich geistigen Interessen! Wenn der Mainstream unseren Bedürfnissen zuwider läuft, gehen wir doch eigene Wege, entwickeln eigene "Formate" - die Technik von Bigbrother-Haus inspiriert z.B. geradezu, über eigene "Sendungen/Netzereignisse" nachzudenken: Nicht hübsche Ratten in einem Versuchsfeld, sondern interessante Leute, die noch etwas wollen (außer Geld & Quote) und sich darüber auch mitreißend unterhalten können - ohne Talkmaster, der ihnen über den Mund fährt und mit selbst organisierter Technik (man braucht keinen Fernsehsender, um einen Videostream ins Netz zu schicken, und wenn etwas Interessantes gesagt wird, auch keine 30 Kameras!).
 
Das ist NICHT der offene Kanal, kein "Medium von unten", nichts von der Art, wie es sich die wohlmeinende (und überhebliche) Politikpädagogik unserer jungen Jahre hat träumen lassen. Gerade diese Sichtweise: hier die tumbe Masse, da die Sender/Täter/Machthaber/Geldbesitzer ist nicht mehr "zeitgemäß" im wahrhaftigsten Sinne. Es geht nicht mehr darum, sich gegen feste Ordnungen oder einen "Mainstream" zu wehren, sondern darum, im Chaos zu navigieren. In einem NETZ gibt es keine FRONTEN (aber durchaus Krieg!). Es gibt nur Knoten, Verbindungen - oder es gibt sie nicht. Das Recht, Knoten zu knüpfen und Inhalte auszutauschen ist heute die Freiheit, die es zu verteidigen gilt, ist "erste Bürgerpflicht". Darüber hinaus gibt es nichts von vorne herein "Gemeinsames", sondern jede Gemeinsamkeit müssen wir selber durch aktives Setzen attraktiver Verbindungen erst herstellen.
 
Und das geht doch heute leichter denn je! Etwas Eigenes neben das Für-schlecht-befundene stellen, war noch nie so einfach, so billig zu veranstalten, so GEFRAGT wie neuerdings, wo sich der mediale Mainstream zum Minderheitenprogramm für Fitness-Center-Kunden verengt. Daß unsere "Formate" nicht ankommen, müssen wir nicht fürchten: schließlich sind wir eine zahlungskräftige Mehrheit.... Wir müssen bloß die Scheuklappe unserer Generation absetzen, die uns auf "die Gesellschaft" verpflichtet und unsere Contents oft so öde macht. Kehren wir zum eigentlichen Sinn von Kommunikation zurück: dem TOD, dem Nichts, der Sinnlosigkeit etwas entgegensetzen - nicht "dem Mainstream" oder irgend einer anderen Übermacht, die uns vermeintlich vom Leben abhält.
 
Und nur keine Angst vor der Technik! Zur Not gibt es da diese jungen flexiblen Menschen, immer bereit, auf dem Zahnfleisch zu gehen....

 

04:03:00 Big Brother

Ich wollte nicht versäumen, mir das "Medienereignis des Jahres" zu Gemüte zu führen (http://www.bigbrother-haus.de/) und sehe also zwei Leute, die am Frühstückstisch sitzen und ausgesprochen blöd-bemühte Unterhaltungen über ihre Urlaube führen. Die Infrarot-Kamera im Schlafzimmer ist "exklusiv für World-Online-Kunden" - ein Provider, der auf diese Weise wohl hunderttausende Kunden gewinnt. Ich habe verzichtet, was sieht man schon auf infrarot!
 
Technisch ist das ganze echt super gemacht. Jedoch inhaltlich außerhalb des Spektakels an sich (mediale Tabubrüche.... ) äußerst dünn. Ich weiß nicht, wie die junge Zielgruppe das findet, mich langweilen "Leute, wie du und ich", die ihren banalen Alltag, angereichert mit allerlei "Aufgaben" abspulen. Die Motivation "bekannt und berühmt zu werden", reicht einfach nicht aus, um einem Publikum wirklich etwas zu bieten.
   Variationen wären interessanter, etwa:

  • 5 Printautoren und 5 Netzliteraten - im Bigbrotherhaus endlich zusammengeschweisst....
  • 5 Penner, 5 Politiker - wär interessant, was sie 100 Tage so miteinander reden....

Oh ja, da wär viel drin, Philosophen und Programmierer, Bauarbeiter und Mausklicker, Ossis & Wessis..... Stattdessen das intellektuelle Nichts. Naja, ist halt RTL2, was will man da erwarten.
 
Als ich vor dem 1.Sendetermin im Radio die entrüsteten Statements diverser Funktionsträger hörte, wunderte es mich, daß sie sich allein auf die Fernsehsendung bezogen. Wobei dort doch nur ein Zusammenschnitt des Tages gezeigt wird - das EIGENTLICHE aber im Netz stattfindet.
 
Eine weitere Überlegung: Was ist wohl das MEHR gegenüber den üblichen WebCams? (Jenny-Cam etc.) Es ist offensichtlich das "Eingesperrt-sein" der Akteure auf überblickbarem Terrain. Man wird nicht - wie bei den WebCams - dadurch frustriert, dass die Leute meist ihrer Wege gehen und nicht etwa jederzeit zu sehen sind. Ich könnte mir vorstellen, dass so eine Zwangs-WG die Funktion einer Family On Demand einnehmen könnte - für die wachsende Gruppe verstreuter Individuen hinter den Monitoren, die echte Menschen neben sich nur noch schlecht ertragen.
 
Soweit dazu. Was sind denn Eure Eindrücke? Oder seid ihr ganz ehrenwert diesem Medienereignis ferne geblieben???
 

 

29:02:00 Medien

Ich bemerke, dass mir traditionelle Medien immer langweiliger werden. Und zwar wirklich spürbar, mir kommt das GANZ GROSSE GÄHNEN, wenn ich z.B. erlebe (in Ansätzen, ich schalte dann ja aus), wie die vorgestrige Wahl im TV des Langen & Breiten ausgewalzt wird, von Sendung zu Sendung, Kanal zu Kanal. Dabei hat diese Wahl wirklich nichts weiter Unerwartetes ergeben, ausser vielleicht, dass man vorher geglaubt hatte, der "Denkzettel" werde deutlicher ausfallen. Mir stundenlang anzuhören, was nun dieser und jener dazu für Gemeinplätze von sich gibt (40 Sek pro Statement, anderes ist ja nicht drin) halte ich einfach nicht mehr aus. Weil ich Interessanteres kenne. Z.B. die Mailingliste Netzliteratur, die für mich 'zigmal unterhaltender und informativer ist! Ich müßte mal ausrechnen, wieviel Zeit und Geld anderen Medien dadurch schon entgangen ist.
 
Oder auch das Feuilleton: GUTE Artikel sind heute Kunstwerke, die richtig Arbeit machen, voller Anspielungen, historischer Zitate, geistreicher Querverbindungen und natürlich kommen sie nur zustande, wenn jemand dafür zahlt. Als Beitrag zu einer Mailingliste oder auf einer WebSite würde sich niemand solche Formulierkünste abringen.
 
Und genau DAS ist der Punkt. Durch das Netz werde ich mehr und mehr daran gewöhnt, von Menschen ECHTE Aussagen zu bekommen! Das heißt nicht unbedingt "wahre" Aussagen, sondern Statements und Beschreibungen, die deshalb gesagt, geschrieben, gemailt werden, weil derjenige sie ausdrücken WILL. Also echte Kommunikationsangebote, anstatt "Werke". Und das ist bei weitem spannender als das Konsumieren all dieser schönen Artikel in den Zeitungen und Magazinen, wo es sogar doof wäre, würde ich einem Autor antworten. Er würde sich zu Recht wundern, schließlich hat er "nur einen Artikel geschrieben", nicht etwa ernsthaft etwas gemeint....
 
Für mich war es eine Befreiung, nicht mehr im Zeitungs/Magazinstil schreiben zu müssen, als ich begann, Webseiten zu verfassen. "Netzliteratur" wäre für mich auch das Bemühen, eine Form&Ästhetik zu er/finden, die zu dieser neuen Kommunikationslage passt. Ob das dann druckbar ist oder auf CD gespeichert werden kann, ist egal, denn die Art&Weise kommt aus der Netzerfahrung, wo das Dialogische seinen ganzen Charme entfaltet, den wir so lange vermissen mußten.
 
Jetzt besuch ich mal die Hühner!
 

 

28:02:00 Form ist Leere

...Leere ist Form. Über diese Weisheit aus dem Herz-Sutra denke ich manchmal nach. Gewöhnlich verstehe ich es als Beispiel bedingten Entstehens: ohne Leere keine Form! Was wäre der Topf ohne die Leere, die er umschließt?
 
Mir ist das gerade eingefallen, denn ich wollte ins Tagebuch schreiben, ohne noch zu wissen, was. Warum mach' ich das dann? Weil diese Form eine Disziplin ist, die u.a. den Sinn hat, mich geistig wach zu halten, zumindest gelegentlich den Kopf über alle Tellerrände zu erheben - auch, wenn da garnicht viel zu sehen ist, gerade dann. Schon öfter ist mir aufgefallen, daß Motive und Wünsche nur noch "stotternd" mein Leben begleiten. Kaum irgend ein Begehren hält so lange vor, daß damit die ganze Strecke zwischen Idee und Verwirklichung zu überbrücken wäre. Bei Konsumwünschen ist das besonders nützlich: noch bevor ich wirklich etwas kaufe, geht der Wunsch in ganz anderen Impulsen unter, er verschwindet einfach wieder und wenn ich es bemerke, bemerke ich die Leere. Und habe Geld gespart!
 
Schwieriger ist es bei Vorhaben und Projekten aller Art. Immer schon war mir der Anfang, der Aufbau, Konzept & Planung die interessanteste Phase. Geht etwas dann in Routine über, verabschiede ich mich und breche zu neuen Ufern auf. (Web-Arbeit ist dafür wie geschaffen, da ist alles ständig im Aufbau...). Doch auch hier begegne ich mehrfach am Tag der Leere. Ich kann mir nicht mehr vormachen, irgend etwas, was ich tue, sei von ganz besonderer Bedeutung für die Welt oder auch nur für mich. Dieses dringlich-bedeutungsvolle "Weltrettungsgefühl", eine verschleierte Form eigener Geltungssucht, hatte mich in der ersten Lebenshälfte im Griff und es gehört zu den schönsten Erfahrungen, daß es verschwunden ist. Ersatzlos gestrichen - doch diese Abwesenheit erzeugt das Gefühl der Leere, wann immer ich einen Moment inne halte. Da müßte doch etwas sein, denke ich dann irritiert - und wenn es mir gerade psychophysisch nicht gut geht, kann ich daran depressiv werden. Glücklicherweise hält auch das nie lange vor.
 
Erstaunlicherweise ist meine Arbeit viel besser geworden, seit ich nicht mehr glauben kann, es läge darin eine "Rettung". Auf einmal ist eine gewisse Beharrlichkeit kein Problem mehr, ich kann relativ diszipliniert die Dinge von Anfang bis Ende durchziehen und bin - anders als die frühere, vom Ehrgeiz Getriebene - durchaus ein stabiler Faktor im Geschehen. Ist das nicht paradox? Leere ist Form, heißt es, und vielleicht meint das auch: ERST IN DER LEERE kann eine FORM sein. Vorher ist alles nur herumwirbelnder Matsch.
 
Leider klebe ich nun manchmal zu sehr an der Form: da jenseits davon 'nur' die Leere ist, hafte ich im Alltag an meinen Vorstellungen vom Tagesablauf. Ein unangemeldeter Besuch kann mich "aus dem Gleis" werfen, es fällt mir schwer, von jetzt auf gleich 'umzuschalten' und mich völlig unbeschwert dem Augenblick zu öffnen. Das wird noch durch die Arbeit übers Netz verstärkt, die daran gewöhnt, alles immer nur "auf Mausklick" zu erleben: Erst, wenn ich beschließe, jetzt Mail abzurufen, öffne ich mich den aktuellen Anliegen anderer. Erst, wenn ich in den Ordner "Mailingliste Netzliteratur" schaue, trete ich in eine soziale Arena. Das "Mitmensch on Demand-Leben" ermöglicht eine ungeheure Bandbreite sozialer Kontakte, die im "Real Life" kaum zu verkraften wäre. Das ist ein großer Gewinn, sicher, doch ist er BEDINGT durch das "on demand". Derzeit kann ich das nur feststellen, nicht etwa ändern.
 

 

27:02:00 Hühner & Hype

Seit gestern haben wir 10 braune, gackernde, scheißende, Eier-legende Hühner!!! Nachdem der Hühnerstall fertig geworden war, dachten wir darüber nach, wo die Insassen herkommen könnten. Schließlich gibt es lebende Hühner nicht im Supermarkt. Doch das Problem hat sich von selbst erledigt: ein Tierhalter aus der Umgebung mußte seine Hühner loswerden und so bekamen wir die 10 Junghühner umsonst. Ein Hahn ist auch dabei, der jetzt in Abwechslung mit dem Nachbarhahn sein "Hallo-hier-ist-MEIN-Platz-Geschrei" von sich gibt.
 
Heute ist ein wunderschöner Tag, endlich mal wieder in diesem stets feucht-regnerischen Klima, das offensichtlich richtige Winter nicht mehr kennt. Das Schloß kommt mir jetzt noch ein Stück ländlicher vor als bisher, es gibt jetzt insgesamt schon 16 Tiere: 3 Hunde, 3 Katzen und die Hühner. Starke Kontraste zum Blick in den Monitor und ein Teil von mir bedauert, daß ich heute lebe, mitten in der Info-Gesellschaft und nicht in einer Zeit, wo Hühner noch lebenswichtig waren.
 
Immer "zwischen" verschiedenen Kräften zu stehen, nicht richtig zufrieden mit dem, was hier und heute ist, aber auch weit davon entfernt, zu glauben, es sei früher besser gewesen (im Gegenteil!) - das scheint meine Existenzform für dieses Leben zu sein und zu bleiben. Wenn mir Freunde von der CEBIT erzählen, wo gerade der Mobilitäts-Hype gefeiert wird, kann ich nur den Kopf schütteln über die seltsame Entwicklung: Menschen werden wieder zu Nomaden, heute hier, morgen dort und immer verbunden über das Netz, wie ein Vogelschwarm Stimmfühlungslaute austauschend: "Hallo, ich bin hier, wo bist Du?"
 
Meine Fantasie und Einfühlung reicht vielleicht gerade noch dazu aus, mir Produkte und Dienstleistungen einfallen zu lassen, die sie brauchen könnten - doch selber zum Nomaden werden, ist nicht mehr drin. Als mich vor zwei Tagen das Goethe-Institut Tokyo zu einer Flusser-Tagung im Mai einlud, kam mir das ganz schön absurd vor: um die halbe Welt fliegen, nur um ein bißchen zu reden? Ich reiße doch auch nicht das Haus ab, bloss weil der Mülleimer voll ist oder baue ein neues AKW, um ein Ei zu kochen.
 
Immer seltsamer mutet mich der rasende Stillstand an, in den die "entwickelte" Welt derzeit gerät. Was ich heute binnen zwei Wochen alleine von zuhause aus schaffe, dazu hätte ich noch Anfang der 90ger zwei Monate, ein Büro und ein Team gebraucht. Dem entsprechend wird gerade die gesamte Wirtschaft umgebaut und wer nicht eiligst mithält, umschult, flexibel wird, bleibt gnadenlos zurück und wird zum Problem. Aufbruchstimmung, Ruck-Mentalität, Gründerboom, steigende Aktienkurse - Deutschland holt auf. Da mir zementierte Verhältnisse immer schon recht langweilig waren, kann ich mich partiell damit anfreunden, es als ein spannendes Spiel begreifen. Andrerseits ist mir klar, daß ich keine Lust habe, IMMER weiter so mitzuspielen.
 
Für die letzte Lebensphase hätte ich ganz gern einen Ort der Ruhe, nicht unbedingt im physischen Raum, den habe ich ja jetzt schon, sondern vor allem in der Zeit. Eines Tages nicht mehr mitspielen müssen, sondern mich abwenden können und vielleicht neue Hühnerrassen züchten - dieser Gedanke ist mir nicht mehr fremd, da mag das aktuelle Spiel so spannend und abwechslungsreich sein, wie es mag.

 

23:02:00 Voll drin....

Seit dem letzten Eintrag ist eine kleine Ewigkeit vergangen, ganze 4 Tage, die sich anfühlen wie zwei Wochen - Netz-Zeit eben! Heute hatte ich einen wunderbar produktiven Tag. Endlich ist mir der Entwurf einer prototypische Website für das neue Weblandschaftsprojekt gelungen, an der ich seit Tagen sitze. Was heisst "sitze", ich hatte erst jede Menge designfremde Dinge zu tun und dann kam der typische Durchhänger zu Beginn einer gestalterischen Arbeit. Ich starre dann nur auf eine leere Seite, mal in dieser Farbe, mal in jener, mal mit einem bildlichen Element und einer Headline, dann wieder ohne - mal als Frameset, dann lieber doch framefree.... und das geht so garnicht voran, da kann ich stunden- und tagelang fest hängen und absolut nichts regt sich. Es ist nicht zu zwingen. Und mich zu entschließen, IRGEND ETWAS zu machen, nur damit jetzt mal was rauskommt, bringe ich nicht über mich. Zum Glück, denn das wäre das Ende meiner Freude an der Website, am Projekt - an JEDEM Projekt.
 
Und auf einmal geht es dann! Ich stehe morgens auf, und weiß gleich beim PC-Anschalten, in welche Richtung es gehen muß. Auf einmal ist es leicht.... bis ich merke, daß es total ablenkend und schlicht idiotisch ist, die Site gleich als Website bauen zu wollen. Die Feinheiten und Grausamkeiten einer HTML-Tabelle führen sofort weg vom Gefühl, wie es AUSSEHEN könnte. Also vergesse ich den Web-Editor, wechsle in die Bildbearbeitung und entwerfe die Seite als Bild.... und dann bekomme ich Lust auf einen "Code-Sklaven", der mir das Ganze in HTML zusammenstrickt (ich steh' auf schlanken, korrekten Code, falls sich jemand bewerben will...)
 
Interessant, wie unterschiedlich verschiedene Arbeiten beanspruchen - und wie sie sich gegenseitig stören und verunmöglichen können! Ich kann nicht einfach umschalten in ein anderes Programm, bzw. es kommt nicht viel dabei raus, wenn ich es versuche. Andrerseits hat das zeitweise mühselige Dasein als "Allrounderin" mich bisher ganz gut vor der Einseitigkeit geschützt. Immer nur designen würde mich langweilen, ab und an ist es auch nett, ein 'Loch ins Universum' zu planen, Menschen aus verschiedensten Lebenswelten zu kontakten und dazwischen noch zu versuchen, wie eine Maschine zu denken, weil auch mit Programmierern gesprochen werden muß.
 
Jetzt ist erstmal Schluß mit den Arbeitsthemen - ich muß nach Hühnern suchen für den eben fertig gewordenen Hühnerstall (eine irre Arbeit meines Lebensgefährten, so richtig im erdenschweren Physischen!!!). Ich versuch's mal in den Suchmaschinen....
 

 

17:02:00 Zeit und Geld

Techno-Musik war nie mein Fall, wenn es auch manches beeindruckende und mitreissende Stück gibt. Doch "Stück" ist bereits ein falsches Wort, Techno hat normalerweise keinen Anfang und kein Ende, ist nur ein Sound, den man auf- und abdreht. Ein Sound allerdings, der nur zum geringsten Teil melodisch daherkommt, sondern der sein Wesen aus der Maschine bezieht: Mit so-und-so-viel SCHLÄGEN pro Sekunde peitscht Techno vorwärts.... aber wohin? Wozu? Gerade das soll und will der Tanzende vergessen.
 
Mir fällt diese Musik ein, weil ich gerade einem altbekannten Geschehen ausgesetzt bin: Ein größeres Projekt, inhaltlich wirklich GUT & SCHÖN, gerät in die Nähe der Finanzierbarkeit: Geld soll fliessen, die Beisterung der Macher beginnt die Mächte des Venture Capitals zu interessieren. Und sofort wird aufgedreht! Da die Inhalte und die Notwendigkeiten qualitativ guter Arbeit auf jener Ebene nicht interessieren, soll auf einmal die Hälfte der ursprünglich vorgesehenen Zeit genügen, um etwas ins Werk zu setzen, zu dessen Verwirklichung hunderte Menschen (MENSCHEN, nicht Maschinen) kooperieren müssen.
 
Es versteht sich fast von selbst, daß es natürlich nicht darum geht, einen bereits vorliegenden exakten Plan 'nur' abzuwickeln - nein, das Projekt wird im Prinzip konkretisiert, während es verwirklicht wird. Gegen Learning by Doing ist nichts einzuwenden, das wird heute mehr und mehr zum Standard. Jedoch: Der Teufel steckt immer im Detail und jedes Just-In-Time-Management agiert in hohem Maße mit Versuch und Irrtum. Wenn dann nicht einmal Zeit bleibt, den bereits bekannten Teil der Abläufe und Arbeiten entsprechend vorhandener ERFAHRUNGEN zu timen, um Wachheit, Energie und Ressourcen auf das Neue, das bisher Nicht- Dagewesene zu konzentrieren, dann weiß ich nicht, wie das gehen soll.
 
Falsch, ich weiss es doch: es geht nicht! Man gewöhnt sich nur allzu schnell eine kompatible, unscharfe Sprechweise an und wenn ich nicht aufpasse, stehe ich eines Tages mit dem Gedanken aus dem Bett auf: "Und wieder ist es uns gelungen, einen großen Schritt in die richtige Richtung zu machen!"
Kurioserweise ist gerade das oben erwähnte "Neue", das Herzblut der Begeisterung aktiver und kreativer Menschen, die Ressource, mittels der das Kapital sich vermehren möchte. Doch kaum findet die ersehnte Berührung, der hoffnungsvolle Handshake zwischen Geist und Geld, statt, setzt sofort der hektische Rythmus der Maschine ein und beginnt, die menschlichen Potenziale zu verbrauchen, anstatt sie zu befördern, das seltene Herzblut echten Engagements auf dem heissen Stein des rasenden Stillstands zu verdampfen.
 
Natürlich gibt es trotzdem hier und da Ergebnisse und Realisierungen, doch ich nenne das "Ergebnisse als ob": alles ist mehr schlecht als recht hingerotzt, unzählige Fehler werden von schmucken Oberflächen verdeckt (im Baugeschehen genauso wie im WWW!), es entsteht eine Welt der Fassaden und Potemkinschen Dörfer, dahinter und darunter ist nichts als gut verpackter Müll.
 
Das schlimmste daran ist nicht die Welt-als-ob, die so entsteht, sondern der Selbst-Verschleiss der Menschen: Im Versuch, unter steter großer Anspannung dem Rythmus der Maschine zu entsprechen, fällt die eigene Leiblichkeit, die Gesamtheit aus Gefühl, Gedanke und Körperempfindungen, immer mehr auseinander (die Beziehungen sowieso!) - und jegliches Bemühen um Harmonie, um Vereinheitlichung dieser Ebenen wirkt dann wie ein schlechter utopistischer Witz.
 
Sehe ich zu schwarz? Weil ich das nicht für alle Zeiten ganz genau weiß, trete ich gelegentlich den beschriebenen Realitäten näher, lasse mich aufs Neue ein Stück weit ein: man gibt ja der Welt immer mal wieder eine Chance....
Gut zu wissen, daß ich nicht MUSS. Das nämlich war der große Irrtum meiner ersten Lebenshälfte und ich will hier nicht ausbreiten, was er mich gekostet hat, doch hat es sich gelohnt: heute lebt in mir ein psycho-physisch tief eingegrabenes Kosten/Nutzen-Kalkül, daß sich gerade NICHT nur auf Geld, Sicherheit, Ruhm & Ehre (oder gar "Weltrettung") konzentriert, sondern andere Werte hoch ansetzt: Gelassenheit, gute menschliche Beziehungen, Entspannung, Freude im Hier & Jetzt. Damit ausgestattet, wage ich es ab und zu, größere Projekte kommen zu lassen - wissend, daß ich gut ohne sie leben und mit hübschen kleinen Brötchen glücklich sein kann.

 

14:02:00 Neue Knoten

Zum Thema "Verwahrlosung" hat Wodile eine lesenswerte Mail geschickt, herzlichen Dank! Seine Site "Wodile's weekly" ist übrigens auch einen Besuch wert, allein schon wegen der originellen Zeichnungen!
 
Nachdem die letzten zwei Monate eher beschaulich verliefen, geht es derzeit wieder richtig los. "Richtig los" bedeutet: es gibt neue Aufgabenfelder, die mich nicht kalt lassen. Die nicht blosse Brotjobs sind, sondern spannende Experimente, immer neue Versuche, das Unmögliche möglich zu machen.
 
Es ist gefährlich, sich auf solche Arbeiten einzulassen, denn wenn man zu sehr engagiert wird, frißt es einen leicht auf. Ich hab' das ausreichend oft erlebt, um mich als gebranntes Kind an diesem einen Punkt für weiser zu halten - mal sehen, ob es stimmt!
 
Die kreative Verbindung von guten Inhalten und kommerziellen Interessen hat mich schon interessiert, seit es das Netz gibt (siehe "Glückliche Webwerbung" von 1998). Jetzt habe ich Gelegenheit, in dieser Frage ein Großprojekt mitzusteuern - spannend! Im Moment kann ich noch nicht mehr erzählen, doch werde ich mit Sicherheit HIER zuerst web-öffentlich darüber schreiben. "Märkte sind Gespräche", heißt es im ClueTrain-Manifest zum neuen Marketing, das zwar nicht 1:1 auf europäische Verhältnisse übertragen werden kann, doch die Richtung stimmt schon. Und es ist faszinierend, den Versuch zu machen, wieder mal ein großes Gespräch anzuzetteln!
 
Wer mag, kann mal in ein anderes aktuelles "Work in Progress" reinlesen: Ich wurde eingeladen, einen Beitrag zur "Virtuellen Konferenz Internet und politische Bildung" zu verfassen. Was bis jetzt da steht, ist die Einleitung: Dialogische Medien....
 

 

10:02:00 Verwahrlosung

Kennt Ihr diese alten Fabrikgebäde aus der Gründerzeit? Rote Backsteinbauten, an sich reine Zweckgebäude, doch immer finden sich auch dekorative Elemente, Säulen, Friese, schmiedeeisernes Kunsthandwerk. Als ich das zum ersten Mal sah, war ich erstaunt über diesen Willen, neben reiner Nützlichkeit immer auch Schönheit anzustreben.
 
Ich wohnte zeitlebens in Altbauten, Räume mit hohen Decken, großen Zimmern und manchmal Stuck. Wenn ich Freunde in Neubauten besuchte, fühlte ich mich "gedrückt", denn die Decken sind deutlich niedriger, man hat so ein Schuhschachtelgefühl.
Um alle Städte stehen mittlerweile riesige Schuhschachteln herum, Kaufcontainer auf der grünen Wiese, bar jeder Ästhetik, schnell gebaut, schnell abgerissen, wenn es nicht mehr läuft.
 
Einige Jahre erlebte ich in Berlin intensiv die Sanierung eines Altbau-Viertels - und stellte fest, daß der ganze neue Kram, den sie einbauen, recht schnell kaputt geht. Gerade mal die Gewährleistungsfrist überstehen die neuen Fassaden, dann blättert die Plastik-artige Farbe ab und das Ganze sieht bald furchtbarer aus als vorher.
 
Die ganze Welt der Gegenstände geht schnellstmöglich in Müll über, und so etwas wie Manufaktum ("Es gibt sie noch, die guten Dinge") ist nichts als eine nostalgische Fußnote zum Mainstream, zudem ein Privileg der Besserverdienenden.
 
Warum ist das so? Warum sind wir faktisch ärmer als die Gesellschaft der Jahrhundertwende, die sich offenbar leisten konnte, einem Haus nur 5 Stockwerke zu geben mit viel freiem Raum über dem Kopf? Niemals waren wir so "reich" wie heute, wenn man vom Umsatz, vom Bruttosozialprodukt, von den Einkommen, von der Gesundheit und der Lebenserwartung ausgeht. Doch bei näherer Betrachtung sind wir eine Müll-Gesellschaft, die ihre reale Umgebung verkommen läßt und sich in den Medien verliert.
 
Nächsten Monat wird hier ein Chip-gesteuertes Müll-Entsorgungsverfahren eingeführt: Jeder zahlt entsprechend seinem Müll-Aufkommen. Hört sich sinnvoll an, hat aber in anderen Gemeinden bereits zur Vermüllung der Umgebung geführt: Die Leute werfen so wenig wie möglich in die eigene Tonne und fahren den Rest "irgendwohin". Schon jetzt liegt in den kleinen Wäldchen jede Menge Abfall, die Gemeinden bauen lieber neue Straßen und fällen "störende" Bäume, als mal ein paar Sammelaktionen zu organisieren.
 
In den 70gern konnte man noch an den "Ausstieg" glauben: irgendwohin, auswandern oder einen Öko-Hof aufziehen. Vorbei! Heute wissen wir, daß die Mega-Müll-Maschine bis an den hinterletzten Ort der Erde vorgedrungen ist, there is no way out. Und "öko" ist auch out, liest man immer wieder, als sei das eine Frage der Mode.
 
Zwei Jahre war ich in Berlin Projektleiterin für Energiesparkampagnen im Auftrag des Umweltsenats, des Umweltbundesamtes und ähnlicher Institutionen. Stets mußten wir darüber grübeln, wie wir das Thema mit "positiven Werten", mit Fun und Lifestyle verkaufen könnten. Um Himmels Willen, bloß nicht von Verzicht sprechen! Nein, das hieß "effiziente Energienutzung". Und wenn ich den Aufwand überdachte, der erforderlich war, z.B. einen Wohnblock voller Mieter mittels Mitmachaktionen, Gewinnspielen und Festen dazu zu bewegen, den Energieverbrauch um 3% zu senken, kam mir echt das Kotzen! Und natürlich war kurze Zeit später alles wie gehabt....
 
Im BTX führte ich damals eine Umfrage durch, interessehalber, ganz für mich allein. Ich fragte: Wieviel Deines Geldes könntest du sparen, wenn du nur das kaufst, was du wirklich brauchst? Was "wirklich brauchen" bedeutet, durfte jeder für sich selber definieren. Die Antworten schwankten zwischen 20 und 80%. Da verschwand bei mir auch der letzte Rest von Motivation, mich dafür zu engagieren, irgendwelchen Energieverbrauch um minimale Prozente zu senken....
 
Bei alledem kann man leicht zum Menschenhasser werden, deswegen denke ich nur noch selten darüber nach. Ich möchte die Welt und die Leute nicht verachten, möchte auch mich selbst nicht verachten, denn ich bin ja keineswegs eine "grüne Heilige". Und mehr, als es mir immer mal wieder von der Seele zu schreiben, fällt mir dazu nicht mehr ein.

 

08:02:00 Tief

Ein Tief zieht über den Norden, Regen und Sturmböen sind angesagt. Paßt irgendwie, es sind düstere Tage. Im ORB hab' ich mir neulich die Sendung über Webdiarys angesehen, wollte doch mal sehen, was mir entgangen ist, als ich die Einladung ausschlug. War wirklich ein guter Entschluß! Diarys wurden vor allem als intimitätsverletzende Schreibereien seltsamer Gestalten dargestellt - doch so etwas findet sich hier nicht. Vielleicht sollte ich groß drüber schreiben: "literarisch-essayistisches Webtagebuch", damit deutlicher wird, daß es diese Form AUCH gibt. Journalisten lesen ja nicht erst lang 'rum....
 
Ihr Besucher - so um die 60 am Tag - guckt immerhin trotzdem rein und schreibt sogar oft interessante Kommentare. Nicht alle veröffentliche ich hier, das ist zeitlich einfach nicht zu schaffen. Doch freu' ich mich immer drüber, denn: eine Website und erst recht ein Diary ist ein Kommunikationsangebot. Wollte ich alleine vor mich hinschreiben, würde ich es als Zettel an meine Wand hängen! Feedback gibt mir oft auch Ideen zu Themen - schließlich schreibe ich aus Freude am Schreiben, nicht um etwas Konkretes zu verkünden oder gar die Welt zu belehren.
 
Ich überlege, eine Rubrik "Leser-Sites" einzuführen: Schickt mir Eure URL, mit Seitentitel und einem kurzen Kommentar, was man dort findet - wenn Ihr mögt. Ich verspreche, das in absehbarer Zeit zu verwirklichen...
 
Zum Text vom 6.2. sagte ein guter Freund, er sei so seltsam ambivalent: Was wären wir ohne all die Geräte? Und was sind wir doch für ein verrücktes Pack MIT dem ganzen Equipment!
Genau so erlebe ich es: das Leiden an der Technik und ihre Nützlichkeit halten sich derart die Waage, daß eine Konsequenz in die eine oder andere Richtung unmöglich wird. Weder will ich OHNE leben, noch kann ich die negativen Aspekte ignorieren, die mich täglich nerven.
 
Gerade wird unsere Zentralheizung hier im Schloß zum wiederholten Mal repariert - es war hochgradig kompliziert, das Leck zu finden. Verschiedenste Meßgeräte und Techniken wurden eingesetzt, unterschiedliche Testläufe und zeitweises Abstellen waren nötig. Und immer wieder kommen andere Leute, die nicht immer den Überblick über alles haben. Man fragt sich wirklich: ist es das wert? Vielleicht wäre das Zurück-zur-Ofenheizung doch überlegenswert, man hätte zwar individuell mehr zu tun, aber es wäre überschaubar. Und so ein richtiges brennendes Feuer ist doch auch was.
 

 

06:02:00 Die universale Maschine

Die 'Referenzliste' des Webhits-Zählers listet einige Links auf, die aus den Weiten des Web auf dieses Diary zeigen. Als ich gestern mal wieder reinsah, fand ich eine Seite, auf der Jörg (ohne Nachname) meinen Text "Wir können nicht dienen?" liebevoll gestaltet und ausgestellt hat. Sowas freut mich! Und gelesen hab' ich ihn auch nochmal: es ist eine heftige Anklage gegen die Dominanz der Geräte, die sich zwischen Mensch und Mensch schieben und zunehmend unsere Zeit und Energie auffressen.
 
Ein Aspekt, der in dieser Rede vergessen wurde, ist die Tatsache, daß auch jeder sein EIGENES Gerät braucht - nicht nur der PERSÖNLICHE Computer, auch das eigene TV, das eigene Auto, der eigene Rasenmäher, die eigene Waschmaschine, zum Heimwerken die eigene Bohrmaschine, Stichsäge, Kreissäge.... und natürlich liegt alles die meiste Zeit ungenutzt herum. Kurzum, die Wirtschaft basiert zum großen Teil auf der Unfähigkeit zu teilen, uns abzusprechen, unsere Bedürfnisse miteinander in Einklang zu bringen, zu verhandeln und Kompromisse zu schließen.
 
Als ich ungefähr sieben Jahre alt war, schaffte unsere Family einen Fernseher an. Ab da saßen wir abends im Halbkreis vor dem Gerät und guckten manchmal bis zum "Sendeschluß" (sowas gabs damals noch!). Das war nicht etwa schlecht, keineswegs ein Verlust an familiärem Miteinander - im Gegenteil, ich war wirklich froh, daß meine Eltern dadurch weniger auf uns Kinder konzentriert waren. Im Nachhinein erscheint es mir als der Gipfel familiärer Geborgenheit: alle vergessen sich selbst und schauen gemeinsam auf etwas Drittes, erleben dasselbe und können sogar darüber reden.
 
Natürlich war damit auch Ärger verbunden: Wir konnten uns nicht immer auf ein Programm einigen und ich fand vieles unglaublich öde, was ich mir da so ansah, ohne es zu verstehen. Mein Vater hatte nicht vor, Demokratie zu wagen: er war (fast) unumschränkter Herrscher über die Programmwahl und als die Fernbedienung aufkam, war das natürlich SEIN Ding.
 
In heutigen Familys hat oft jedes Kind einen eigenen Fernseher ("Geh doch rüber!"). Ich bin angenehm überrascht, wenn ich Freunde besuche und treffe sie mit den Kids vor der Glotze an - und es läuft sogar das Programm, das die Kinder sehen wollen! Aber das ist die Ausnahme, der Trend geht zum Eigengerät und ich vermute, bald sitzen wir alle lebenslang jeder für sich in völlig abgeschirmten Räumen, umgeben von Kommunikationsapparaten, vermeintlich unabhängig von Zeit und Raum und vor allem vom nervigen Mitmenschen, der allermeist gerade etwas anderes will. Soll er doch, kann er haben, hat ja sein eigenes Equipment!
 
Und weil ich gerade so schön dabei bin: noch eine andere Entwicklung verändert uns. So ein Leben, das hauptsächlich daraus besteht, Informationen aus Medien aufzunehmen und selber daraus neue Informationen zu schaffen, um sie wieder in Medien einzugeben - so ein Leben nutzt nur einen kleinen Teil unserer Fähigkeiten, unseres Potentials. Hauptsächlich der Kopf wird gebraucht, wenn ich z.B. ein Bild von einem Baum bearbeite oder einen Text über Kastanien schreibe. Aus der Erinnerung mögen dabei noch ein paar Gefühle aufkommen (schließlich bin ich in einer medienarmen Zeit aufgewachsen) doch bei vielen Themen und den meisten Arbeiten sind Gefühle eher kontraproduktiv. Wichtiger noch: Die BASIS, auf der Gefühle sich entwickeln, der KÖRPER, ist kaum mehr beteiligt an dem, was für mein Leben in der Info-Gesellschaft wichtig ist. Und das hat Folgen:

Schon in der Gutenberg-Galaxis hat es den Typus des "zerstreuten Professors" gegeben. Einer, der nur in Texten lebt und deshalb mit der Gegenstandswelt immer weniger zurecht kommt, ja, völlig hilflos ist. Genau dieser Typus wird zum Mainstream werden, da wette ich drauf! Denn unser Gedächtnis, unsere Konzentrations- und Wahrnehmungsweise verändert sich entsprechend den Anforderungen des Daily Life. Der Umgang mit den Medien lehrt uns auf einer wenig bewußten Ebene Stunde um Stunde eines: Das, was ich hier tue, hat nur Folgen innerhalb von Medien..... (auch der Blick auf das Bankkonto ist im hier gemeinten Sinne nur eine Mediennutzung!). Zwar WISSEN wir, daß das nicht auf allen Gebieten gilt, aber wir nehmen die Gewohnheit an, weil es die MEISTE ZEIT stimmt, in Stunden über den Tag betrachtet.
 
Und so kommt es, daß ich in die Küche gehe, einen Kaffee aufsetze, dann wieder an den PC zurückkehre und erst ein brenzliger Geruch erinnert mich daran, daß die Espressokanne überläuft und der Milchtopf seinen Inhalt über die fast glühenden Platten ergießt.... Oder ich werfe die Wäsche in die Maschine und erinnere erst abends: Ach, die liegt ja noch immer drin! Auf das, was ich gerade arbeite, kann ich mich verdammt gut konzentrieren, doch ansonsten zappt die Aufmerksamkeit ins Beliebige. Die Erfahrungen bei der Arbeit werden ja nicht im Körper verankert, nicht im Unbewußten zu automatisierten Verhaltensweisen "verdatet", bzw. nur auf einer sehr beschränkten mentalen Ebene. Das hat durchaus Vorteile: Weil die Arbeit nur diesen Schmalspurbereich belegt, kann ich sie auch leicht wechseln. Es ist ja kaum noch ein (nicht-mediales) Erleben anderer Menschen, anderer Räume und Dinge damit verbunden, switchen ist also einfach: ich bin die flexible Info-Arbeiterin, die die Welt braucht: Heute hier, morgen schon im nächsten Projekt....
 
Und was das Kaffee-Kochen angeht: Wo die Gefahr ist, wächst das Rettende auch, sagte Hölderlin. Schließlich wird auf Hochtouren am "Digital Home" gearbeitet: vernetzte Geräte werden uns alles abnehmen, bzw. daran erinnern, wenn ein Prozeß unser Eingreifen erfordert. Wir müssen uns ja auch nicht mehr "auskennen" und keine Landkarten mehr lesen können, weil uns das GPS-System verläßlich sagt, wo es lang geht.
 
Wenn ich solche Entwicklungen beschreibe, frage ich mich manchmal: Was geht da vor? WER bestimmt, wohin sich das alles entwickelt? Hat das irgend jemand gewollt, gewünscht, gewußt? Doch da ist niemand, es organisiert sich selbst. Individuell ist es natürlich möglich, Nischen zu finden, kleine Fluchten zu veranstalten - unbemommen, vielleicht Glück bringend für Einzelne, doch fürs Ganze irrelevant.
 
Vielleicht geht es uns einfach wie GOTT. Als ER den Menschen nach seinem Bilde schuf, wußte er nicht, daß er damit das eigene Verschwinden anzettelte. Und wir haben die universale Maschine geschaffen, nach unserem Bild, wie wir gerne wären, den Idealen der Aufklärung entsprechend: gerechter, rationaler, verläßlicher, optimal funktionierend, niemals korrumpiert durch Gefühle und Hormone. Unser Verschwinden hat begonnen....
 
Michael rief mich gestern an, völlig entnervt. Sein System ist zusammengebrochen, die Festplatte im Chaos versackt, Windows startet nicht mehr, Norton Utilities gaben der Sache den Rest.
Haaaaa! Gestern noch hatte er mein ganzes Mitgefühl - jetzt aber, nach diesem Artikel, erfüllt mich das Ereignis mit diebischer Freude!!!
 
 

03:02:00 Wer bin ich?

Als ich vor einigen Jahren den Text "Wer bin ich" ins Web stellte, glaubte ich schon lange nicht mehr ernsthaft daran, da etwas "Substanzielles" zu finden. Die Kindergeschichte von der Seele, die im Körper wohnt und nach dem Tod in Himmel oder Hölle "weiterlebt", hat mich allenfalls bis zur Einschulung in Angst und Schrecken versetzt (offenbar hielt ich es intuitiv für unmöglich, in den Himmel zu kommen!). Immerhin war sie ein Gedankenbild, das ein Stück von dem lieferte, zu dem ich "Ich" sagen lernte.
 
Je älter ich werde, desto besser erkenne ich, wie wenig "ich" existiert. Mir scheint, die Welt ist ein Gewebe aus ganz verschiedenen Kräften und Einflüssen, mehr oder weniger materieller Art. Dabei ist z.B. ein politischer Skandal ebenso ein Einfluß wie ein Gewitter, ein Unternehmen ebenso eine kraftvolle Wesenheit wie ein Feuchtbiotop, und die Verdauung siegt manchmal über philosophische Gedankengebäude von großer Ästhetik. "Ich" bedeutet mitten in alledem nur eine gewisse Trägkeit, ein Sammelsurium von Gewohnheiten, mehr nicht. Gießt man Wassser auf einen gleichmäßig runden Erdhaufen, so fließt das Wasser irgendwo herunter, ganz zufällig. Doch gießt man öfter, fließt es immer wieder an derselben Stelle, gräbt sich sein Bett und heißt auf einmal "Fluß".
 
Es ist unverzichtbar, Gewohnheiten zu entwickeln, erfolgreiche Erfahrungen "abzuspeichern" und bei Gelegenheit zu widerholen - schließlich kann ich nicht jeden Tag aufstehen und die Welt neu erlernen: Ohhhhhhhhh, wie wunderbar: der BAUM!!!! Oh, wie faszinierend, wie erschreckend und wunderbar: ein MENSCH! Nein, ich muß mich schließlich ohne großes Vorspiel an den PC setzen können und meinem Tagwerk nachgehen - wie sollte ich anders meine Miete zahlen?
 
Leben ist das aber nicht, dieses "funktionieren". Wer darin ganz verschwindet, ist so gut wie tot. Mit zunehmendem Alter werden mehr und mehr Erfahrungen abgespeichert, stärker und fester werden die Gewohnheiten, man weiß, "wo es lang geht", man geht keine Risiken mehr ein, ja, man kommt garnicht mehr in ihre Nähe, denn schon vorher wählt man den sicheren, den bewährten Weg. Und weiß natürlich alles besser.
 
Junge Menschen haben zwar noch mehr Bezug zu echter Lebendigkeit, doch es nützt ihnen fast nichts. Der Drang nach Anerkennung - zuerst beim anderen Geschlecht, dann auf der beruflich-gesellschaftlichen Ebene - ist derart stark, daß sie fast alles tun, um JEMAND zu sein, um anerkannt zu werden, im Guten und wenn das nicht gleich klappt, auch im Bösen: als Held oder Anti-Held, egal.
 
Kann ich irgend etwas tun, um diese Verläufe zu unterbrechen? Haben wir irgend eine Chance, etwas zu ändern, den üblichen Lauf der Dinge zu konterkarieren? Das frag' ich mich mein ganzes Leben schon immer wieder neu. Mit 20 glaubte ich fest daran, ich hätte einen freien Willen, könnte mich immer frei entscheiden und vor der Entscheidung sinnvoll überlegen, was das beste ist. Das hat sich als Irrtum herausgestellt, denn: Was sind die Ziele? Die Ziele, für die ich meine Gedanken, mein ganzes Hirnschmalz und meinen Willen jeweils einsetzte, sind ja gerade geboren aus diesem üblichen Spiel der Kräfte, SIND diese Kräfte!
 
Aus heutiger Sicht sage ich: es ist möglich, einfach still zu halten und alles zu beobachten. Das heißt nicht, nichts zu tun, sondern genau das Übliche weiter zu tun, dabei aber darauf zu achten, wie das so abläuft. Welche Ursachen zu welchen Folgen führen, welche Anstöße mich zu welchen Handlungen verleiten, welche Kräfte mich in Bewegung setzen und welche mich matt und eniergielos machen. Dann sehe ich, was ich oben schon andeutete: es sind jeweils Einflüsse, die mit der "Sache", um die es vordergründig geht, selten etwas zu tun haben. Und es sind sehr viele unterschiedliche Einflüsse auf ganz verschiedenen Ebenen: Psyche, Körper, Gedanken, "äußere" Einflüsse, Natur, Kultur, Mitmenschen.....
 
Je mehr und je öfter ich das beobachte, desto gelassener werde ich. (Kein Spruch!) Früher hätte es mich z.B. in Angst versetzt, wenn ich mehrere Tage hintereinander nicht die richtige Arbeitsenergie aufbringe für die anliegende Brotarbeit. Sondern statt dessen dies und jenes mache oder überhaupt nichts "nützliches". Heute kann ich das locker so stattfinden lassen, denn da ist das Vertrauen (die Erfahrung!), daß sich das Arrangement der Einflüsse mit Sicherheit wieder dahin ändert, daß ich in die Laune zum "Bäume ausreissen" gerate. Und wenn ich damit mal anfange, bin ich so produktiv, daß die Hängertage ausgeglichen werden. Nicht nur das: die Arbeit gewinnt sogar durch die faulen Phasen, denn in dieser Zeit entsteht ohne Bemühen - ich weiß auch nicht, wie - die Empfindung, was gut ist und was nicht.

 

02:02:00 Von PCs umstellt, II

Ingo hat einen Leserbrief zum leidigen Umgang mit dem Gerät geschrieben:

"...und ein wenig Interesse am Gerät führt den Anwender ganz von alleine in die schöne neue Welt der grenzenlosen Kommunikation."

Ach, ich habe ja viele Interessen, doch das "am Gerät" hält sich in engen Grenzen! Zu Anfang war das noch anders: 1992/93 machte es mich überglücklich, eine Weiterbildung zur "EDV-Fachkraft" auf Kosten des Arbeitsamtes absolvieren zu dürfen - und was ich da alles lernte, inspirierte mich zu philosophischen Überlegungen über Computer, Mensch, Technik.... Wer mag, kann mal einen recht dichten Text (Winword) aus der damaligen Zeit lesen. Noch gab es das Netz nicht, CD-ROM war gerade groß im Kommen und ich arbeitete auf einem 386er! Und dachte, die Welt erfindet sich gerade neu - naja, das war halt der "Hype"!

 

01:02:00 Von PCs umstellt

Nun hab ich es endlich mal geschafft, meinen Alt-PC voll neu zu installieren: angefangen mit der Festplattenformatierung, quer durch wilde Probleme (Boot-Sektor-Virus, falsche Partitionierungen...) bis hin zur Neueinrichtung mit Windows 98. Noch nie hatte ich mich sowas getraut, obwohl nun schon der dritte Computer seit 1992 vor mir steht. "Never touch a running system" - daran hab' ich mich gehalten und wenn es garnicht anders ging, Hilfe von einem kundigen Freund geholt. Der hat sich dann einen halben Tag damit beschäftigt und ich saß staunend daneben und guckte zu, wie er in den unbekannten Tiefen des Systems wühlte.
 
Jetzt, fern von der Metropole, bin ich plötzlich auf mich allein gestellt, kann allenfalls telefonisch Tips von Freunden einholen (Danke, Dirk!!!). Und der Alt-PC war sichtlich völlig verwirrt, Verzeichnisse und Dateien liessen sich nicht mehr löschen, laufend Abstürze, es mußte einfach sein.
 
Ob es wohl jemals so weit kommt, daß wir von diesem idiotischen Geräte-Basteln erlöst werden? Daß garnicht erst so komplexe Eumel daheim herumstehen, sondern einfache Terminals für den Netzzugang - und alles, was ich brauche, ist im Netz? Nett wäre, wenn damit auch gleich noch der Zwang aufhören würde, von früh bis spät zu SITZEN und in einen Monitor zu glotzen! Ach, wahrscheinlich bin ich zu früh geboren - oder zu spät, denn ich gehöre schon nicht mehr zu denen, die es FASZINIEREND fanden, ihre Zeit mit BIOS-Einstellungen, Norton-Utilities oder der Jagd nach Viren zu verbringen. Ich bin nur eine "blöde Anwenderin" und wollte es immer gern bleiben - doch das Gerät läßt mich einfach nicht!
 
Genug für jetzt - immer noch stimmt nicht alles, das Modem wählt nicht richtig ein und mein neuer PC kann noch keine FAXE empfangen. Dabei hätte ich wirklich anderes zu tun! (Zum Beispiel, interessantere Gedanken ins Diary zu schreiben, als den aktuellen Bericht von der Geräte-Front. Sorry!)
 
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© 1996-2000 Claudia Klinger
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