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02:10:99 Arbeit bis zum Umfallen...
 
Wie ein Tunnel, der bei zunehmender Länge immer enger wird, verdichtet sich meine aktuelle Arbeit zur Abgabe hin. Von morgens bis in die Nacht produziere ich Webseite um Webseite - noch nie zuvor musste ich derartige "Massen" von Material verwebben, noch dazu schnell und sehr konzentriert. Normalerweise verlaufen meine Aufträge etwas gemütlicher, doch dies ist eine Uni-Website und das Semester beginnt nun mal zu einem festen Termin.

Je stärker ich mich selber antreibe und diszipliniere, desto größer werden auch die Bedürfnisse, ganz anderes zu tun. Einfach nur den Tag verbummeln, lesen, surfen, spazieren gehen, endlos einem Thema verfallen oder Mail-Dialoge zu schreiberischen Highlights vertiefen, endlich wieder an eigenen Projekten planen und basteln, recherchieren und gestalten. All das fehlt mir mehr und mehr. Ausbruchsversuche, trotz des Termindrucks DAS GANZ ANDERE zu tun, entfalten ungeahnte Verführungskräfte. Ich muß mich wirklich zusammenreißen, eine Disziplin, die ich noch nie sehr geschätzt habe.
 
Wäre es nicht nur eine kurze Phase, hätte ich den Auftrag nicht angenommen. Die Zeit, als Geld und Anerkennung, das "Sich-und-anderen-etwas-beweisen-wollen" mich an die Grenzen treiben konnten, sind zum Glück lange vergangen. Ich erinnere mich, wie ich früher z.B. monatelang ohne jede Rücksicht auf Gesundheit, Ausgeschlafenheit, auf eintretende Verspannungen und andere Begleit-Leiden mit einer Gruppe gleich Verrückter an einem Projekt arbeitete, tatsächlich "besessen" war vom MÖGLICHEN Erfolg. einem Erfolg, der dann darin bestand, dass ein Stadtrat das "große Werk" entgegennahm und sagte: Schön! Auch wieder so ein Wälzer für die Schublade...!"
 
Die wildesten Erfahrungen in dieser Hinsicht waren noch nicht einmal die Arbeiten, die auch gut Geld brachten - nein, es waren solche, die besonders SINNVOLL und WELTVERBESSERND erschienen. Alles Illusion! Man hat die Welt nicht besser gemacht, sondern ist selber 'auf dem Zahnfleisch gegangen', ist zu einem distanzlosen Bündel Nerven heruntergekommen, verbunden mit der Verblendung, das sei die wahre "Einheit von Leben und Arbeiten".
 
Heute weiß ich es besser - stressiges Engagement gibt es nur noch sehr kurzfristig, und nur gegen entsprechendes Schmerzensgeld. Meine eigenen Sachen brauchen gar kein solches Krummlegen mehr, im Gegenteil, sie leben geradezu von der Muße, vom Verweilen im Moment, vom Ins-Sich-Hineinhören und warten können, was da kommt.
 
So eine Stressphase wie jetzt hat immerhin das Gute, meine Eigenzeit zu finanzieren - und es ist auch wirklich unübertrefflich schön, wenn der Schmerz nachläßt.... Ohne Spannung ist halt auch keine Entspannung.

Surftip: Monitor im Bett. Die seltsamen Blüten der Netzkunst. - Ein literaturbegeistertes Grüppchen schreibt abseits des großen Verlagszirkus im World Wide Web: Netzkunst im Untergrund.

Zu dem Artikel hat es in der Liste Netzliteratur eine spannende Kontroverse gegeben: ob wir denn wirklich so VERRÜCKT sind, wie der Spiegel es darstellt - oder doch "ganz normale Leute"? Ich kann das nicht sagen, denn ich finde die Welt heute in fast allen Aspekten so verrückt, daß man da sowieso nicht mithalten kann...
 
 

28:09:99 Damals.... 1996....
 
Bei einigen, die hier öfter 'reinschauen, muß ich mich entschuldigen: es gab in der letzten Woche einige interessante und anregende Mails, die ich einfach nicht beantworten konnte: keine Zeit! Ich stecke in einer heftigen Arbeit: Bis zum 7.10. muß die neue Homepage der Uni Erfurt fertig sein. Eine riesige Weblandschaft von ca. 350 Seiten, ein Menü, das Explorer-mäßig aussieht und in seinen verschiedenen Ebenen einer Buchhaltermentalität bedarf, um die richtigen Links zu setzen - seufz!
 
Nun ja, es wird vorübergehen - und irgendwo macht es auch Spaß, mal aus einem vorgegebenen LayOut das beste zu machen....
 
Weil ich dazwischen auch geistig entspannen muß, hab ich mich gerade mal in die Tiefen meiner Festplatte verloren und Webseiten von 1996 und 1997 angesehen: Missing Link damals, Human Voices, Webkultur - sehr viele ungemein euphorische und arbeitsintensive Seiten - jede Menge "Community", was man 'damals' noch nicht so nannte. Es sieht alles irgendwie antik aus, nicht nur optisch, auch inhaltlich. Vielleicht bring ich einiges davon mal in eine Art "Museum": Websites aus der Netz-Steinzeit... oder so. Ob das jemanden interessiert?
 
Die Seiten sind von der Stimmung her deutlich anders, als Anfängerseiten von heute. Mir scheint, wenn etwas wirklich Neues in die Welt kommt, und sei es 'nur' ein Bündel neuer Kommunikationstechniken, dann geben Menschen erstmal ihr Bestes. Alle sind freundlich zueinander, erwarten vom Anderen nur Gutes, verschonen die Welt mit ihren schmuddligeren, langweiligen oder agressiven Seiten - es KÖNNTE ja mal was werden....
 
Ja, was denn? Das Paradies? Die Revolution? Die Erlösung? Die große Liebe? Erleuchtung? Ein kollektiver Bewußtseinssprung? Friede, Freude, Harmonie? Egal was, es war eine Stimmung in der Welt, die ES versprochen hat. An EINES dachte allerdings niemand: ans große Geld! Ob es daran gelegen hat, daß diese Geburtsjahre des Netzes so wundervoll waren?
 

 
 

23:09:99 Wir können nicht dienen?
 
Mit empört hochgezogenen Augenbrauen wird der Vorwurf von Besser-VER-dienenden unters verstockte Volk gebracht, um die Bereitschaft zu stärken, für ein Taschengeld dreckige und langweilige Jobs anzunehmen.
 
Doch der Vorwurf geht fehl: Wir sind ein Volk von Dienern, ja, Sklaven! Und vorne weg die sogenannte Info-Elite, die gerade dabei ist, zum Mainstream rundum vernetzter Gerätebediener zu mutieren.
 
Wir sind willenlose Sklaven unserer Geräte und Programme. Wir pflegen sie besser als unsere Körper, geben mehr Geld für sie aus als für geliebte Menschen, verbringen die meiste Lebenszeit im "Dialog" mit ihnen oder im Entziffern ihres kryptischen Begleitmaterials. Wir kümmern uns mütterlich um ihre Fehlfunktionen, ihre Zipperlein und Eigenheiten bestimmen unsere Gespräche - hör doch mal, was die Leute an den anderen Kneipentischen reden: Geräte, Geräte, Geräte..... Und wir fühlen uns meist noch gut dabei. Informiert, "State of the art", erfolgreich! Ist ja auch toll, wenn eine Installation mal problemlos klappt - oder wenn man nach eineinhalb Tagen Schuften, Infos einholen, Mailinglisten abfragen, Tips mit Freunden austauschen, herumprobieren, löschen und neu installieren endlich etwas ZUM LAUFEN GEBRACHT hat. HEUREKA!!!

Wozu wir selber noch Beine haben, wissen wir nicht mehr so recht, die Geräte und Programme machen sie mehr und mehr überflüssig. Mit einem entwickelten E-commerce braucht man doch garnicht mehr raus gehen, alles wird hergefahren, ausgepackt und installiert - nur die Verpackungen, wohin damit?
 
Man darf es nicht wagen, die wertvolle Umverpackung unseres wichtigsten Geräts, des Computers und seiner Nebengeräte, einfach wegzuwerfen. Bewahre! Es könnte ja was dran sein und dann braucht man die wieder! Die Kartons, die sich im Lauf der Zeit sammeln, belegen mehr Platz als unsere Klamotten - und es werden MEHR, wenn bald sämtliche Haushaltsgeräte GEUPDATET werden, damit sie sich untereinander verständigen können. Ist doch klar, so ein armes einsames isoliertes Gerät - welch ein Unglück!
 
Jedes neue Gerät, jedes "innovative" Programm, dem wir bereitwillig den roten Teppich auslegen, frißt nicht nur Geld und Energie: es frißt unser wichtigstes: Lebenszeit und Aufmerksamkeit.
 
Kennt jemand noch ein Gerät oder Programm, das einfach NÜTZLICH ist: einstecken/installieren, anwenden, fertig? Da muß man erstmal grübeln, ...vielleicht ein elektrischer Flaschenöffner? Oder hat der auch schon eine CD-ROM dabei, auf der sich "irgendwo" eine Anleitung versteckt - in einem Format, für das man erst ein anderes Programm braucht? Und eine eigene Website, auf der man sich registrieren lassen muß, weil sonst die "Supportberechtigung" verloren geht? Oder eine "Hot-Line", bei der man sich für 2,40/Minute in lautstarkem Call-Center-Charme sagen lassen kann, wie das Ding funktioniert? Oder alles auf einmal? Nicht zu vergessen die hilfreichen Fan-Seiten im Web, die zu jedem Gerät und Programm DAS NEUESTE, die Updates, die Bugs, die Treiber, die Tips & Tricks bereitstellen, die der Hersteller vermissen läßt!
 
Ich stehe mit einem lieben Freund auf der Wiese. Gerade hab' ich meine neue Digitalkamera erklärt und er macht erste Fotos. Da klingelt sein Handy, das in einem Halfter am Gürtel in Bereitschaft hängt. Kein Problem, eine Hand ist ja noch frei! Ein Gerät am Auge, ein Gerät am Ohr - manche träumen vom Gerät im Hirn, weil sie sich erhoffen, dann von allem Ballast befreit zu sein.
 
Frei? Es ist Zeichen des Sklaven, unfrei und willenlos fremden Befehlen zu gehorchen. Wir glauben, wir seien frei, weil wir zwischen verschiedenen Geräten wählen können. Doch dieses WÄHLEN vertieft nur die Sklaverei, denn: um sich zu informieren, was verschiedene Geräte unterscheidet, welches das günstigste Preis/Leistungsverhältnis hat, welches für unsere "Bedürfnisse" das genau passende ist, VERBRAUCHEN wir noch viel MEHR Lebenszeit, verstricken uns tiefer in das Feature-Denken, versinken noch stärker im Tech-Talk und häufen Prospekte und Fachzeitschriten in großen Stapeln, die uns immer mehr RAUM wegnehmen: realen und geistigen Raum.
 
Ich sehe nicht nach, welches gerade der billigste Telefondienstleister ist. Noch immer ist mein Komfort-ISDN ohne Anrufbeantworter, weil ich die Gebrauchanleitung nicht studiere. Info-E-Mails zu Geräten und Programmen lösche ich ungelesen, Prospekte kommen in den Müll. Und meinen Strom werde ich bei DEM Unternehmen bezahlen, das mir immer schon die Rechnung schickt.
 
Alles "kleine Fluchten", Verweigerungen "als ob". Unsere Welt heißt jetzt "Wissensgesellschaft", so hört man überall - es ist das "Wissen vom Gerät", von Methoden, Abläufen und Programmen, von denen wir glauben, mit ihnen die Welt IM GRIFF zu haben. Dabei ist es umgekehrt. Und wir wüßten ja auch garnicht mehr, nach was wir greifen sollten - außer nach dem nächsten Gerät.
 
 

19:09:99 Konsum / Community
 
Durch die wenigen, für Erwachsene noch erträglichen Medien weht die Klage darüber, daß das Leben, die Gesellschaft, ja die ganze Welt in den 90gern auf unerträgliche Weise durchkommerzialisiert wurde. Alles, aber auch alles wird zur Ware, zur Dienstleistung. Geld allein zählt, Konzerne rotten sich zusammen, Individuen RUCKEN, so gut sie eben können oder verfallen in den Stupor der Totalverweigerung.

Man könnte meinen, eine Seuche habe die Welt erfaßt, gegen die es keine Impfung gibt. Viele leiden lautstark unter dem zur Normalität werdenden Kampf aller gegen alle und erwarten Schutz und Sicherheit von den Regierenden. (Diese wiederum halten so gut es geht den SCHEIN für ihre Wähler aufrecht, sie könnten in diesen Dingen allerhand ausrichten. Und immer wieder möchte man ihnen GLAUBEN.)

Im täglichen Leben aber, jenseits der letzten besinnlichen Minuten, die dem einen oder anderen noch bleiben mögen, ist der Tunnelblick auf den eigenen Nutzen zum einzigen Blick geworden. Das ICH in all seiner im Grunde tief langweiligen Gespreiztheit geht durch die Welt und scannt sie auf Beute: Verwertbare Ideen, Schnäppchen, schnell verfügbare Informationen, sofortige Problemlösungen. Und es giert nach Resonanz, Applaus, nach bemerkt-werden, möchte als je ganz Besonderes wahrgenommen werden.

Marketingleute kennen ihre Pappenheimer. Nichts ist weniger besonders als der Wunsch, etwas Besonderes zu sein. Und so schütten sie uns zu mit "individualisierten" Produkten, "MyYahoo" und MEINE Kaffee-Mischung - ist doch heute kein Problem mehr.

Und für die Resonanz, für ein bißchen Heimatgefühl und Stallgeruch ist die COMMUNITY gut, auch das haben sie schnell gelernt. So werden also Leute dafür bezahlt, um auf Webboards zu posten, in Chats anwesend zu sein, jeden freundlich zu begrüßen und schon bald zu fragen: Hast du schon das neue Buch von X? Die CD von Y? Die Software von Z?

Doch es gibt sie noch, die ECHTEN Communities, die Szenen und Themen-Gruppen, die sich eigendynamisch zusammenfinden, sich selber verwalten, ihre "Umgebung" selbst gestalten. Seit 1996 bin ich in solchen Communities und sie waren und sind für mich das Beste, das das Netz zu bieten hat.

Allerdings: Das Rauschen nimmt zu. Immer weniger Menschen scheinen einen Gedanken darauf zu verwenden, ob ihr Beitrag der Allgemeinheit oder auch nur einer kleinen Minderheit einer solchen Community nutzt. 'Nutzen' ist hier mal als Sinngebung gemeint - oder, mit Flusser: als Ein-bilden, als Schaffen von In-Formationen aus Daten zu zwischenmenschlicher Bedeutung, Komplexität, Negenthropie.

Fast automatisch wird in die Tasten gehackt und was als meist Tippfehler-durchsetzter Text in der "Gemeinschaft" landet, ist in 50% der Fälle ein Kommentar zur Kommunikations-TECHNIK, nicht etwa zum Inhalt. ("Du sollst keine HTML-Mails verschicken...", "die URL funktioniert nicht", "dein Footer ist zu lang",...).

Weitere 35% des Mailaufkommens sind blöde Sprüche, 1-Satz-Reaktionen auf aus dem Zusammenhang gerissene Sätze. Ihre Funktion ist allein das Signalisieren: "Mich gibt's noch! Und ich bin WITZIG!"
10% Text sind dann tatsächlich echte Infos: "Schaut mal meine Seite XX an...". Das ist immerhin am Thema, der Mensch zeigt etwas, das ihm wichtig ist - doch nur selten erfahren solche Mails Resonanz. Allenfalls in der Art: ja, und meine Seite ist auch nett, guck mal hin!

Nur 5% der Beiträge einer Mailingliste oder Webcommunity (wahrscheinlich noch weniger) bringen das herüber, warum COMMUNITY überhaupt existiert. Es wäre eine für jetzt zu umfangreiche Aufgabe, das zu definieren - vielleicht geht das auch gerade NICHT. Mir würde es genügen, wenn sich mehr Leute beim Verfassen einer Mail darauf besinnen könnten, sie noch einmal zu lesen. Und sich zu fragen: Braucht das die Welt? Ist es die Lebenszeit wert, die die Leser darauf verwenden müssen?
 
Wenn wir nicht selber veranstalten, was wir wünschen, dann werden wir morgen dafür zahlen, daß es uns jemand anrichtet. Aber es wird nicht ganz dasselbe sein....
 
 

18:09:99 Schreib-Orte...
 
Gestern bin ich fremd gegangen! Hab' in eine Mailingliste geschrieben - etwas, was eigentlich 'hierher' gehört hätte. Der Spontantext eines Mitglieds der Liste Netzliteratur hatte mich inspiriert - später dann setzte ich das ganze doch ins Web, jedoch nicht ins Diary, sondern unter Glück - "Erfahrungen". Es sind die ersten beiden Beiträge ("Nächte..."). Würde mich interessieren, wie Ihr diese Art Textdesign findet - und ob das mit den Zoom-Bildern in Richtig dunkel bei allen funktioniert....
 
Vor mir liegen zwei Wochen heftig viele Arbeit - und gerade dann kommt immer besondere Lust auf, etwas ganz anderes zu tun.
 
 

13:09:99 Geräte...
 
Geräte bringen Leiden, mehr Geräte bringen noch mehr Leiden. Dieser leicht abgewandelten buddhistischen Weisheit zum Trotz hab' ich mir ein Midi-Keyboard angeschafft. Gestern wurde es geliefert, in einem Karton, dreimal so groß, als es nötig gewesen wäre. Geräte lieben eben den großen Auftritt. Man soll schon gleich vorab von der schieren Größe beeindruckt sein, um sich dem Inhalt dann entsprechend vorsichtig und ehrerbietig zu nähern!

Entgegen meinen Erwartungen war die "Inbetriebnahme" einfach und störungsfrei. Das mitgelieferte Profi-Programm für Midi-Arrangements auf 64 Spuren (Kanäle? Parts? Schon wieder eine neue Fachsprache!) war zwar auf Anhieb zu komplex, um es zu benutzen. Doch glücklicherweise befand sich noch ein kleines Shareware-Programm auf meiner Platte, das es ohne technoide Geistesvertiefung ermöglicht, alle 128 'Instrumente' auszuprobieren.

Welch ein Wunderwerk! Klaviere, verschiedene Orgeln, Cello, Baß, Dudelsack, Panflöte, Percussion-Instrumente und vieles mehr laden ein, nirgends lange zu verweilen, sondern immer gleich das nächste auszuprobieren. Und wem die 128 Klänge nicht reichen, für den gibt es ganze Tonwelten zum Herunterladen oder auf CD..... Halt, dafür müßte ich erstmal meine Soundkarte verstehen, und außerdem genügt mir, was da ist. Reicht, um 1000 Jahre Musik zu machen - ich kann ja nicht mal richtig Noten!

NOTEN!!! Warum nur sind mir diese kleinen schwarzen Zeichen auf fünf Linien so verhaßt? In der Schule konnte ich sie immerhin begreifen, wenn auch mit schwer genervten Gefühlen. Und als ich dereinst Gitarre lernte (mit einem Tabulator-System, nicht mit Noten!), brachte ich es immerhin fertig, mir einige Stücke, die es nur "in Noten" gab, mühsam selber beizubringen, Takt für Takt auswendig zu lernen, bis die Finger ihre Bewegungen beherrschten - dann konnte ich die Noten sofort wieder vergessen.

Musiktheorie, Harmonielehre, Transponieren, verminderte Akkorde - man könnte meinen, der Widerstand gegen das Notensystem sei ein Widerstand gegen Theorie, gegen ein abstraktes Zeichensystem, das vom "realen Leben" der Sinne weit weg führt. Doch andrerseits hab' ich mit TEXTEN keine Probleme - obwohl es doch da die Grammatik gibt, eine Literaturgeschichte, verschiedene Studienfächer und ganze Philosophien, die sich mit theoretischer Durchdringung von Sprache und Text befassen. Das alles tangiert mich nicht, wenn ich schreibe.

Doch Musik ist anders. Schließlich höre ich sie nicht zuvorderst und alleine im Kopf, sondern muß mit den Händen einen mechanischen Akt vollführen - einen Akt, der sofort den Ton auslöst und nicht etwa ein neues Zeichen zu Papier bringt, wie die Schreib-Tastatur. Denken, texten, schreiben - das bleibt alles im selben Metier, im gleichen Kontinuum einer zeichengestützten Bedeutungswelt, die uns zudem dazu verführt, sie für die einzige Welt zu halten. Gerade, weil ich besuchsweise auf einer anderen Ebene spielen will, bin ich auf das Keyboard gekommen. Ich will nicht einen Ton hören und dabei im Kopf an das Zeichen mit dem Kreuz davor denken müssen - sondern möchte mich in das GEFÜHL vertiefen, das der Ton auslöst. Ist es nicht ein großes Wunder, daß Töne in der Lage sind, uns zu bewegen? Was geht da eigentlich vor?
 
 

12:09:99: Keine besonderen Vorkommnisse...
 
Keine Einträge, nichts zu vermelden. Sonnige Tage, der Morgen wird Mittag, wird Abend, ganz ohne Kritik. Selbstbetrachtung, Weltanschauung - wozu eigentlich, es gibt doch genug zu tun. Zum Beispiel den Salat gießen, zum Beispiel ein paar Schnecken töten, zum Beispiel vor einer wildgewordenen Hornisse in der Nacht ins andere Zimmer fliehen, zum Beispiel die Tischplatte endlich an die Wand bringen, den Computer mehrfach aus- und einschalten, in die Tasten tippen und die Maus auf dem kleinen schwarzen Rechteck hin- und herbewegen.
Keine besonderen Vorkommnisse. Gut so.
 
 

08:09:99 Wer einmal eine Maus geklickt....
 
Was für ein schrecklicher Tag! Dabei hatte er sehr gut angefangen: warme, leicht diesige Luft, so, als wäre noch ganz ungebrochen Sommer. Der Körper entspannt ganz von alleine und ich dachte: nutze die Stunde und kauf' was ein!

Ich hatte es wochenlang vor mir hergeschoben: eine Arbeitsplatte soll in die Küche neben die Spüle. Eigentlich ganz einfach - schon mein erster Gedanke dazu war: Platte kaufen, Winkel drunter, an die Wand dübeln, fertig.

Auf der Fahrt zum OBI-Heimwerkermarkt wollte ich noch Geld abheben: Kleine Läden haben hier in den Dörfern diesen Dienst übernommen und wirken als Filialen von Post und Postbank. Ich stoppe also auf halbem Weg nach Schwerin, will, wie immer, mit einem Auszahlungsschein abheben (die Geheimnummer konnte ich mir noch nie merken...), doch leider: der Ladeninhaber herrscht mich an, ohne Nummer gehe es nicht. Schließlich wolle der Computer eine PIN-Nummer und er sei nur der, der den Computer bedient. Außerdem habe er sein Leben lang IMMER mit Geheimnummer Geld holen müssen....

Also weiter nach Schwerin. Schwerin ist für unkundige Autofahrer der Horror. Endlos fährt man vielspurige Straßen im Kreis, das Zentrum ist weitgehend autofrei - und genau da liegt die einzig findbare Post. Ich erspare die Schilderung meiner Leiden, die zunehmende Wut, die Schweißausbrüche, die Wortwechsel mit Parkplatz-Aufpassern.... sage und schreibe zwei Stunden nach meinem Aufbruch bin ich endlich mit ausreichend Bargeld bei OBI. Der direkte Weg hätte 15 Minuten gedauert.

Und dann diese Heimwerker-Kathedrale! Alles schreit aus allen Ecken: Das könntest du auch mal brauchen... Und das, was ich brauche, erfordert jede Menge Einzelentscheidungen: die Platte - welches Holz? Fichte, Kiefer, Preßspan? Welche Oberflächenbehandlung? Wachsen, ölen, lackieren, lasieren oder versiegeln? Welche Winkel werden das Gewicht tragen? Welche Schrauben dazu - einmal für's Holz, einmal für die Wand? Und wie werde ich die Platte zurecht sägen? Eine Pendelstichsäge muß her (schließlich wartet auch noch ein Schrank auf die Bearbeitung), doch davon gibt es ca. 15 verschiedene von fünf Herstellern. Allein diese Entscheidung kostet mich eine halbe Stunde, insgesamt bin ich fast 2 Stunden im Markt, was sag' ich: in der Hölle! In der Weitläufigkeit verliere ich öfter mal meinen Einkaufswagen aus dem Blick, irre durch die Regalreihen, stehe manchmal still und frag' mich: Läßt du es jetzt alles stehen und haust lieber ab??? Oder gibt es nicht doch eine Alternative zu dieser arbeitsintensiven Herangehensweise?

Mehrfach suche ich andere Lösungen: Böcke, Werkbänke, Tischbeine - doch nichts paßt, es gibt keinen Weg vorbei an Platte, Winkel, Streichen, Dübeln, Bohren, Sägen..... igitt! Verwundert erinnere ich mich daran, daß ich in früheren Jahren eigenhändig mehrere Wohnungen renoviert, Regale gebaut, Löcher verputzt, Schränke abgeschliffen und lackiert hatte, ohne daran irgend etwas unangenehm zu finden. Sogar den Lösungsmittelrausch konnte ich genießen, der dabei beiläufig aufkam.

Jetzt jedenfalls stehen mir alle Haare zu Berge angesichts dieses Vorhabens mit all seinen mühevollen Einzelhandgriffen, dem ganzen sperrigen Umgang mit fester Materie. NIE WIEDER, denke ich mir, das ist jetzt das LETZTE MAL. Nächstens hohl' ich einen Dienstleister und sage: "Bau hier mal eine Platte ein!", zahle per Mausklick den Handwerkerlohn und bleibe gänzlich unbeschwert.
 
Ist es das Älter-Werden, daß mich derart Do-it-yourself-inkompatibel macht? Oder ist es das Herumklicken mit der Maus, das für mich seit Jahren "Arbeit" ist? Das schwerelose Arrangieren virtueller Welten entwöhnt offenbar vom Umgang mit gewichtigen Dingen, läßt die Erden-Schwere der Objekte vergessen.

Doch sei's drum! Dagegen kritisiere ich jetzt nicht mehr an, schließlich gibt es in der Virtuality unendlich viel Arbeit - ganz bestimmt genug, um gelegentlich einen Meister fürs Grobe mit ein wenig Reality-Design zu beauftragen!
 
 

07:09:99 Land-Marketing?
 
Volker Feddersen hat einen denkwürdigen Leserbrief zum Thema Stadt-Land geschickt, der die Frage nach dem Verhältnis von Stadt und Land unter dem Aspekt des Marketing stellt. Offensichtlich gibt es einen städtischen Bedarf an Authentizität und Echtheit, der nicht nur in der griechischen Eck-Kneipe gedeckt wird, sondern auch durch Ausflüge aufs Land. Dort aber will der Städter nicht etwa selber Früchte pflücken... nein, das ist to much! Allein die Umgebung will genossen werden - wie aber soll der Bauer davon leben? Hilft es ihm denn, "echt & authentisch" zu sein - oder geht er daran pleite?

Wenn ich mich hier umsehe, bestehen 85% der Umgebung aus riesiegen Feldern, die gerade mit Monster-gleichen Landmaschinen unter unglaublichem Getöse abgeerntet, umgegraben und mit Gülle besprüht wurden. Tourismus ist in Mecklenburg noch nicht das selbstverständliche Credo der hinterletzten Gemeinde, sondern konzentriert sich auf bestimmte Seengebiete. So gibt es kaum Wege zum Wandern, alles wurde zu DDR-Zeiten im Zuge der vollen Ausnutzung des letzten Quadratmeters bereinigt - ulkigerweise stehen sogar in manchen Dörfern ein paar kleine häßliche Plattenbauten: der Boden war der landwirtschaftlichen Nutzung vorbehalten.

Es wird dauern, bis wirklich eine nachhaltige Änderung der "Optik" der hiesigen Landschaft eintritt. Ich habe keine Ahnung, ob im Bereich Europäischer Agrarpolitik die Umwandlung landwirtschaftlicher Flächen zu etwas Anderem wirklich einen nennenswerten Stellenwert hat. Es gibt Initiativen, rund um manche Stadt Fahrradwege einzuführen, auch sollen Moore wieder geflutet, die Entwässerung gestoppt werden. Ich schätze, es ist noch ein weiter Weg, bis der Städter hier sein Ausflugserlebnis bekommt, wie es in westdeutschen, touristisch voll erschlossenen Landschaften üblich ist.

Doch Volker sagt ja: auch dort darben die Bauern, die authentischen Bauern (so es sie noch gibt) dümpeln vor sich hin, wenn sie nicht Gastronomen, Hoteliers oder erfolgreiche Direktvermarkter werden!

Ich denke mir, "authentische Bauern" gibt es heute nicht mehr. Insofern ist das Land ganz Stadt: eine Agrarindustrie, die wir nicht einmal mehr nötig haben, sondern mit viel Steuergeld zu Lasten nicht-europäischer Länder am Leben erhalten.

Die in den 70er-Jahren entstandene Bio-Bauern-Bewegung hat für heutige Städter wahrscheinlich oft zu starken Sektencharakter: als wäre es etwas fast Religiöses, biologisch anzubauen. Der Vertrieb dieser Waren über mehrheitlich Tante-Emma-Laden-artige Ökoläden ist völlig unzeitgemäß und verteuert die Waren so, daß sie im Grunde nur von Besser-Verdienenden gekauft werden können. Eine Sackgasse, die psychisch bedingt ist, nämlich durch das übertriebene Anders-Sein-wollen der Aktiven (Supermarkt: igitt!).

Ein "authentischer Bauer" muß m.E. heute den Städter in sich entdecken: faul und träge, genuß-süchtig, bequem, gierig nach außergewöhnlichen Eindrücken - aber auch zum (Förder-)Engagement bereit, wenn die Projekte gut aussehen und ein Sinn-Gefühl vermitteln!

Und da ist doch noch ein weites Feld: Projekte machen, nicht nur Konsum anbieten! Das "Trinkgeld" muß in Form eines Beitrags zu konkreten Vorhaben erhoben, der Förderer muß gehalten, gebunden, mit regelmäßigen Infos versorgt werden. Community-Forming ist hier gefragt - und vielleicht braucht auch jedes erwähnenswerte Landprojekt eine entsprechende gemeinschaftsfördernde Website! (Nicht so etwas unprofessionell hingeschludertes, wie man es manchmal sieht.)
 
 

05:09:99 Namenskriege, Content-Jäger...
 
Jemand hat "Missing Link" als MARKE angemeldet - jemand war so freundlich, mich davon in Kenntnis zu setzen. Offensichtlich in der Erwartung, ich werde nun alle Hebel in Bewegung setzen, um diesen, seit 1996 für mein Cyberzine bestehenden Namen, zu verteidigen oder zumindest irgendwelche SCHRITTE einzuleiten.

Werde ich nicht! Der Tanz um die goldenen Kälber MARKE und TITELSCHUTZ, der Run auf die letzten sinnvollen Domain-Namen, die Abmahn-Orgien - all dies deprimiert mich eher, als daß ich große Lust hätte, da mitzumischen.

Offenkundig können Projekte aus spielerischer Fantasie und individuellem Engagement regelmäßig nur in anarchischen Anfangsstadien eines neuen Mediums "gedeihen", also in einer Zeit, wo noch niemandem die Dollar-Zeichen aus den Augäpfeln blinken und der Anruf beim Rechtsanwalt die eigene gute Idee ersetzt.

Derzeit sind auch die Content-Jäger unterwegs und kaufen alles auf, was nur irgend verwertbar erscheint, heften die Projekte wie Orden an ihre kreativ unterbelichteten Brüste und hoffen, daß das Erworbene seinen Glanz und seine Bindekraft für "Community" auch im goldenen Käfig weiter entfaltet.

Gegen Geld-Verdienen habe ich nichts, schließlich verdanke ich mein Landleben auf Schloß Gottesgabe meinen kontinuierlich fließenden Einkünften aus Webdesign-Aufträgen. Aber daß so viele nun ganz wild darauf sind, nichts wirklich EIGENES zu unternehmen, sondern lediglich darauf zu schauen, wie man anderen in die Suppe spucken oder ihre kreativen Leistungen billigst dem eigenen Gemischtwarenladen einverleiben kann, ist einfach ein Elend. Wer einen NAMEN schützen läßt, damit aber nichts anfängt, sondern versucht, künftig von Abmahnungen zu leben, ist im Grunde ein sehr armer Tropf, der auch nicht den Schimmer einer Ahnung hat, wie Glück & Arbeit zusammen hängen. Und die Konzerne auf Einkaufstour werden bemerken, daß die eingekauften Blüten unter ihren allzu machtvollen Händen verwelken - oder aber aufhören, Blüten zu sein, um schlichte Dienstleistungen zu werden. Vielleicht reicht das ja vielen aus, mir ist es zu wenig.
 
 

02:09:99 Alt? Jung? Angst? II
 
Das Thema "Alt & Angst?" hat nicht nur mich gereizt: Lest die Briefe, die dazu gekommen sind: von Regula, die klar macht, daß "die Leute am Drücker" aus dem Club der Over40s schon weit herausgewachsen sind. Von Dieter, der von einem 30-jährigen Klassentreffen erzählt, das einigermaßen erschreckend war - und von Ulrike, die ganz besonders auf die "äußeren" und "inneren" Werte eingeht.
 
 

31:08:99 Alt? Jung? Angst?
 
Dies ist ein interaktives Tagebuch, wenn es auch nicht so aussieht, zum großen Teil inspiriert durch E-Mails, die täglich in meine Box rinnen. Die Sound-Website (derzeit inaktiv, wegen laufender Gema-Anfrage!), die ich vorgestern fertig hatte, war die erste Seite, auf der ich mich mal deutlich einer Altersgruppe - den Over40s - zugeordnet hatte: Nur so ist die Musikauswahl einschließlich der Kommentare verständlich.

Daraufhin bekam ich Mails von Menschen, die nicht geglaubt hatten, daß ich über 40 bin - und nebenbei kam heraus, daß sie sich das auch alles andere als angenehm vorstellen. Ja, da ist sogar eine richtige ANGST vor dem älter werden, wobei ALT heute schon mit über 30 anfängt.

Frauen hatten ja schon immer diesen Stress mit der jugendlichen faltenlosen Schönheit (ironischerweise leiden sie am meisten in Zeiten, in denen sie dem Ideal noch weitgehend entsprechen!). Doch was heute an Jugendkult durch die Medien flimmert, geht auf keine Kuhhaut. Im TV gewinnt man den Eindruck, es lebten fast nur junge Leute auf diesem Planeten - zumindest bekommen nur sie einen Job, so scheint es, weil sie noch 'vorzeigbar' sind. Ältere werden nach und nach entsorgt. (Zum Beispiel diverse Kommmissar-Darsteller, die zwar noch die Ausstrahlung "Ich weiß, was ich tue" mitbrachten, aber auch ein faltiges Gesicht. Beides ist heute nicht mehr so gefragt.)

Dabei ist das alles nur Schein, nur Oberfläche. Die Macht, das Geld und das Sagen haben in der Regel Over40s. Sie sind die große Mehrheit, sitzen auf allen wirklich interessanten Posten, verfügen über Vermögen, wie noch keine Generation vorher, sie sagen, wo es lang geht - im Guten wie im Schlechten.

Neulich las ich über ein Produktionsteam bei RTL - wie es da so zugeht, alles ganz junge engagierte Medienleute, TOTALES ENGAGEMENT ist Voraussetzung, dabei sein zu dürfen (!). Ständige Verfügbarkeit, volle Flexibilität (heißt: auch nachts, am Wochenende, mitten im Urlaub arbeiten), natürlich Mobilität und die Bereitschaft, sich fraglos unterzuordnen - das alles bringen sie mit, sind dabei total begeistert, arbeiten bis zum Umfallen und sind stolz darauf, so einen Job zu haben (ja, BEIM FERNSEHEN!!!).

Mit solchem Engagement, das selbst die Jungen oft auf dem Zahnfleisch gehen läßt, entstehen dann diese platten Infotainment-Sendungen, die peinlichen Talkshows, das rücksichtslose Real-Life-TV, das die Mutter an der Leiche ihres Sohnes fragt, was sie gerade fühlt. Ich denk mir manchmal: all diese Power, schade, daß da nix besseres rauskommt! Aber kann ja garnicht, denn es regiert der Markt, die Quote, das Geld - und irgendwo im Hintergrund sitzt ein Over40 am Drücker, der mit dem Daumen rauf oder runter zeigt. Für ihn ist das ganze Engagement, die Flexibilität und Mobilität, die echte Begeisterung, das Herzblut der Mitarbeiter nur ein kostensenkender Faktor, eine selbstverständliche Ressource.

Jung-Sein ist in vieler Hinsicht ein Nachteil. Zwar wird man nachgefragt, wenn man sich genug krumm legt - aber eben nur als Content (schönes Gesicht, straffer Körper) oder als pflegeleichte Arbeitskraft. Wer daran festhält, auf diese Weise jung bleiben zu wollen, wird dann einfach ausgemustert, wenn spätestens Mitte 30 die Kraft nachläßt (die Wachstumshormone reduzieren sich mit ca. 33 von 100 auf 10%!). Das werden dann die miesepetrigen Älteren, die nur jammern und klagen, weil sie kein Bein mehr auf irgendeinen Boden bekommen.

Der Kult ums EGO, der heute Trend ist, könnte in gewisser Weise den Jungen eine Hilfe sein: Nur das tun, was ICH möchte, was MIR nützt. Aber das Problem dabei ist, dass es noch gar kein wirklich individualisiertes Ich gibt, an dem man sich ausrichten könnte. Ob ich Mitte 20 nun für oder gegen etwas war, ob ich nach etwas jagte oder vor etwas flüchtete: Das war nicht wirklich ICH (noch nicht...), sondern ich reagierte nur auf das Vorhandene, beugte mich dem Trend, um dabei sein zu können. Ob das in Gestalt von Ablehnung oder totaler Akzeptanz geschieht, ist ganz egal. Schon die Tatsache, in sich sofort "Ja" oder "Nein" zu spüren, heißt in jungen Jahren: da ist noch nicht viel passiert, noch bist du nur Resonanzboden, das Trampolin, auf dem die Gesellschaft ihre vielfältigen Sprünge macht.

Ein andermal mehr dazu. Das Thema reizt mich. Beiträge willkommen!
 
 

29:08:99 Neues Spiel, neues Glück, neue Website!
 
In letzter Zeit hatte ich keine Lust zum Arbeiten. Trotz aller Mühen, nun aber endlich mit den wichtigen Dingen, den Aufträgen, den Brotjobs weiter zu machen, schlugen fehl. Ich sitze dann vor dem Monitor, klicke herum und denke: eigentlich sollte ich.... Doch es treibt mich, auf irgend eine Weise wieder einen neuen EIGENEN Bezug zum Web herzustellen, etwas zu machen, das ich bisher NICHT angefaßt habe, ein neuer unverbrauchter Gegenstand, an dem sich die Begeisterung füs Netz erneuern kann. (Offenbar bin ich nicht in der Lage, längere Zeit zu arbeiten, ohne begeistert zu sein! Das war auch schon vor den Netz-Zeiten so....)

Definitiv hatte ich in letzter Zeit nicht viel zu sagen und auch keine besonderen Wünsche an die (Online-)Welt. Wenn ich Lust hatte, eine Seite zu gestalten, ging ich vom Design aus, nicht vom Text: Was reizt mich denn jetzt, mal auszuprobieren??? Doch ohne ANLIEGEN ist es egal, ob man Texte, Bilder, Filme oder in Büchern flach gepreßte, getrocknete und dann eingescannte Blüten in Web bringt. Es fetzt einfach nicht, kommt nicht aus dem Herzen. (Seit längerem mach' ich ja deshalb nur noch Fotos und schreib dieses Tagebuch - immerhin gibt es noch bewegte Momente...)

Gestern klickte ich also mal wieder lustlos durch die Festplatte und stieß auf die Halde mit den aus unterschiedlichen Gründen und Quellen angesammelten Soundfiles, brachte das eine oder andere zum Erklingen... DAS WAR ES! Seither bin ich beschäftigt, und heute steht die neue Website (Design ist da ganz unwichtig, kommt evtl. später...). Wer Lust hat, kann ja mal reinsehen:

Sound, Gefühl, Gedanke - Sounds & Music, nach Gefühlen geordnet, locker kommentiert. (derzeit inaktiv, wegen laufender Gema-Anfrage!)

Kommentare (und Beiträge) würden mir gefallen!
 
 

26:08:99 Zurück aus Berlin....
 
Kurzreise in den Moloch Berlin. Es stinkt. Es lärmt. Alles bewegt sich eilig hin und her. Kopfschmerzen, Druck auf das Schädeldach, zwei Stunden Akklimatisierungsprobleme: mein Gott, diese dicke Luft hab' ich früher nie wahr genommen! Alle leben mitten im Gestank, als wär' nix. So ist halt Stadt, dafür gibt es viel zu sehen: Eindrücke drücken von allen Seiten herein und ich komme mir vor wie ein Flaschenhals. Keine Zeit, auf alles zu reagieren. Man muß abstumpfen, das allermeiste übersehen, kommentarlos ins Unbewußte wegstecken, an den Menschen vorbei sehen, nicht fragen, nicht wundern, nicht hassen, nicht lieben. Geradeaus laufen, die eigenen Gedanken, den Affen im Kopf an die erste Stelle setzen, sonst kommt man zu nix.

Schön war's auch, keine Frage. Überwältigend, doch trotzdem wunderbar. Aber genug, schließlich sind Städte allgemein bekannt. Gestern bin ich zurück gekommen, todmüde. Der Sauerstoff-Input legt mich regelmäßig flach und auch hier brauche ich zwei Stunden, um wieder "normal" zu empfinden. Der Blick aus dem Fenster: Immer diesselbe Wiese, diesselben Bäume und Sträucher, allenfalls leicht im Wind bewegt und mit den Jahreszeiten sich langsam verändernd. Hier wird die Bewegung von mir gemacht, oder auch nicht. Hinaussehen und einfach warten, bis der Kopf leer ist: wie angenehm!
 
 

22:08:99 Es muß doch gebaut werden....
 
...sagte der Architekt, einer der vielen, mit denen ich mitten im wilden, konfliktreichen Sanierungsgeschehen der frühen 80ger Jahre in Berlin-Kreuzberg Streitgespräche führte. Wir hatten uns in den heruntergekommenen und entsprechend romantischen Gründerzeitbauten verschanzt und der "Zugriff des Kapitals" (Entmietung, offensives Verfallen-lassen vor Luxusmodernisierung) auf diese brach liegenden Ressourcen hatte einen Sturm der Entrüstung entfacht. Ein Sturm, mit dem keiner gerechnet hatte, auch wir selber nicht.

Heute weiß ich: Der Architekt hatte Recht! Planzenarten breiten sich aus, Tiere vermehren sich und erweitern dadurch ihre Territorien (wenn sie können...), und der Mensch macht es erst recht so. Und es läßt sich nicht so einfach stoppen oder wegplanen. Eine Gemeinschaft braucht die Expansion, das gemeinsame Bauen. Selbst das Idyll des alternativen Kreuzbergs hat sich aufgelöst, als der Baukonflikt kein Thema mehr, alle "Projekte" abgearbeitet, die Häuser (teils in Selbsthilfe) saniert waren. Jedes Dorf und jede Kleinstadt auf dem Land ringt um Siedlungen und Baugebiete, das erlebe ich auch hier, in Gottesgabe.

Und nach vier Jahren Netzkommunikation seh' ich: es gilt auch für Netz-Communities. Mailinglisten dümpeln aufs Langweiligste dahin, Mitglieder steigen angeödet aus - kein THEMA, das bloß intellektuell abgearbeitet wird, hat gemeinschaftsbildenenden Effekt. Den haben jedoch gemeinsame Vorhaben, Baumaßnahmen im Cyberspace: Homepages, Archive, Webzines, Ereignisse, die sichtbare Spuren hinterlassen. Ja, manche "Bauten" werden im Lauf der Zeit zu verfallenden Ruinen, um die sich keiner mehr kümmert, ganz wie im physischen Raum.

Derzeit boomt das Netz. Nahezu alle "relevanten Kreise" haben erkannt, daß sie den neuen Kommunikationskanal, die neue Darstellungsebene, die Welt der Webseiten und Communities für ihre Zwecke nutzen können, zunehmend auch MÜSSEN. Das ist nicht mehr der utopistische Net-Hype, das ist der echte Run auf die besten Plätze.

Beste Plätze??? Platz, Raum, Ort - im Netz existiert diese Dimension nicht. Nicht so, wie wir sie aus dem physischen Raum kennen: als echte Beschränkung, als Mangel, als kostenintensive Hürde vor aller raumgreifenden Aktivität. Die Zeit hat den Raum in dieser Hinsicht abgelöst: Wer hat Zeit, all die Ideen zu verwirklichen, all die Webseiten und Projekte zu errichten und zu pflegen?

Mir gefallen die neuen Verhältnisse. Sie sind gerechter, denn jeder hat Zeit: seine je eigene Lebenszeit. Natürlich können Geld-Eigentümer sich Zeit kaufen, Arbeitszeit anderer, genau, wie sie sich Grundstücke und Ländereien erwerben konnten. Doch das stört im Grunde nicht, wenn alle über ein gewisses Grundkapital verfügen, mit dem sie kreativ umgehen können. Nicht alle werden mit Geld oder Grund und Boden geboren - aber alle haben Zeit.
 
P.S. Montag bis Mittwoch bin ich auf Kurzreise in Berlin.
 
 

20:08:99 Kein Land nirgends....
 
Bodenlos leben wir, innerlich der Erde fern - und noch so intensives Graben in Matsch und Mist ändert daran nichts.

Gerade lese ich das Buch Mylopa von Ulrike Linnenbrink, das (noch...) in Auszügen auf ihrer Homepage angelesen werden kann. Es beschreibt eine Erfahrung, die viele aus meiner Generation gemacht haben: der große Umzug aufs Land, den Versuch, eine nostalgische Idylle mit Tieren und Pflanzen aufzubauen, mit Hühnern, Katzen, Hunden, Schweinen, Schafen und sogar einem ESEL. Das Arbeiten bis zum Umfallen, um auch ja jedes stillose Bauelement modernisierungssüchtiger Altbauern durch das originale, traditionelle, echt-hölzerne Teil zu ersetzen; das Pflanzen der Bäume, die Freude am Wachsen und Werden im Garten, der selbstgepflückte Kräutertee am Morgen; Und natürlich die Tränen beim unvermeidlichen Schlachten eigener Tiere, die konsequenterweise fortan keine NAMEN mehr bekommen.

Hauptpersonen sind - wie könnte es anders sein - beamtete Lehrer, die all dies ohne die geringste echte Gefährdung ihrer "bürgerlichen Exisitenz" mit Hilfe von Staat, Banken und Eltern ins Werk setzen können: Eine Suche nach Licht ohne Schatten, wobei die Schattenwelt der Spätmoderne, die Hochzivilisation mit ihren bösen Apparaten und Verfahren, mit ihrer Industrie und Gigantomanie doch die Basis ist und bleibt, auf der diese Suche nur stattfinden kann.

Natürlich handelt das Buch vom Scheitern - doch ich bin ja erst in der Mitte, die Idylle ist noch im Aufbau begriffen. Die Akteure sind ungebrochen in ihren Gut-Mensch-Meinungen, den einfachen Polaritäten: hier die böse Chemie, dort der gute Kompost.... Ehemals waren sie politisch aktiv, grün, alternativ - doch wenn das Glück im eigenen Garten so nah liegt, warum dann noch kämpfen?

Ein lesenswertes Buch für alle, die, im Sog der bewegten 70ger-Jahre, irgendwann einmal versucht haben, sich abzuwenden und alles anders zu machen. Und die allermeist zurückgekommen sind, zurück in die Stadt, aus der die Kälte kommt - aber auch der Scheck.

Vermutlich hat jede Generation einen großen Traum, an dem sie kollektiv und individuell scheitert. Für mich hat sich diese Erfahrung recht spät in ein paar Monaten Toskana Mitte der 80ger verdichtet, und ich bin dankbar, daß es nicht aufwendiger war. Ich hatte viele Bücher vom einfachen Leben auf dem Land verschlungen, hatte neidvoll die verschiedenen Landprojekte beäugt, ohne selbst je ernsthaft den Absprung in Betracht zu ziehen. Dann, in dem alten Bauernhaus in der Nähe von Siena war ich nahe daran: legte einen Garten an, machte Früchte ein, trocknete Kräuter, träumte von eigenen Tieren, spazierte durch die Mittagshitze in verwunschenen Landstrichen mit verfallenen Häusern umher und überlegte, ob ich dort bleiben sollte. Es war zwar unübersehbar, daß diejenigen, die dort ansässig wurden und ihre Idyllen aufbauten, alles andere als glücklich waren. Doch das störte meinen Traum nur wenig, schließlich hält man sich als junger Mensch für GANZ ANDERS.

Eines Tages fand ich auf einem ziemlich zugewachsenen alten Weideweg eine samentragende Senfpflanze. Senf war damals in den Läden nicht zu finden und ich hatte Lust auf die richtige Zutat zum "Wurstel" (so heißen in Italien die fünf schlaffen Bockwürstchen im Glas). Ich untersuchte das Gewächs genauer - schließlich bin ich nicht pflanzenkundig und erinnerte mich nur blass an die Zeichnung im Buch - ich kostete einen der Samen: ja, es war tatsächlich Senf!

Aber wie weit war doch dieser Geschmack entfernt vom Senf, wie ich ihn kannte! Es schmeckte scharf und bitter, zudem trug die Planze nur wenige Samen, die man zuerst mühevoll aus flachen Kapseln herausreiben mußte. Ich erinnerte mich an die Zubereitung, wie sie "traditionell" beschrieben wurde: Sammeln, irgendwie aus den Kapseln herausdreschen, langwierig trocken, mörsern, gären, mit Essig und anderen Gewürzen vermengen, ziehen lassen...... so ganz genau wußte ich es nicht mehr, doch der Aufwand stand mir überdeutlich vor Augen!

Ich saß lange vor der Senfpflanze, während mein Traum starb. Es war nicht zu leugnen: Ein Glas industriell gefertigter Senf bei ALDI für 69 Pfennig, im Trinkglas zum Weiterverwenden abgepackt, war die wahrhaft ÜBERLEGENE Alternative. Ich konnte nicht im Ernst daran denken, die wertvolle Zeit meines Lebens damit zuzubringen, außerhalb der Gesellschaft lächerlich veraltete Herstellungsverfahren zu zelebrieren, nur um Nahrungsmittel zuzubereiten, auf die ich 1000 mal lieber verzichten würde, als mir eine solche Tortur anzutun. Und das galt nicht nur für den Senf!

Seit diesem Tag war ich eine andere. Der hochmütige Haß auf den "Mainstream" war verflogen, denn ich wußte jetzt: Der Mainstream bin ich selbst. Die dunkle Seite der Macht, die diesen Planeten zu verschlingen droht, ist meine eigene dunkle Seite: die Gier, die Bequemlichkeit, das Streben nach Macht, vor allem der Macht, alles mit einem Knopfdruck (oder Mausklick) ins Werk setzen zu wollen. Gerade noch "einen Finger krumm machen" und damit in der Stunde soviel verdienen, daß es für ein ganzes Regal voller Senfgläser reicht.

Eine ernüchternde Erkenntnis, die ich der Senfplanze danke.
 

 
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© 1996-2000 Claudia Klinger
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