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07:04:99
 
Einige Tage hatte ich soviel Arbeit, daß an Tagebuch und andere nette Privataktivitäten nicht zu denken war. Ich freu mich schon auf Mai, wo es ein bißchen besser aussieht! Dennoch ist es mir zwischendurch gelungen, den Wörterwald zu updaten und ihm ein neues Outfit zu geben. Irgendwie fühle ich mich dieser Textsammlung besonders verbunden. Sie ist mein erstes Webprojekt, mit dem ich 1996 mit dem Webseiten-bauen begonnen hatte. Mit dem neuen Design bin ich noch nicht ganz glücklich, es STIMMT noch nicht - aber zum Herumprobieren reicht die Zeit nicht. Immerhin, besser so als vorher.

Glücklicherweise war der Tagesspiegelartikel am Ostersonntag wirklich nett geschrieben. Trotzdem komme ich mir vor wie ein komisches Insekt, wenn ich in einer Zeitung "über mich" lese. (Der Untertitel "Claudia Klinger gehört zu einer neuen Spezies Mensch, dem Netizen" ist ein Lacher...) Aber Schwamm drüber, wer die Printmedien machen läßt, darf sich nicht wundern, was dabei herauskommt. Das muß immer irgendwie "knallen", da kann man nix machen.

Vom Krieg...

Jeden Abend schaue ich Tagesschau und den Brennpunkt - mehr Krieg am Tag mag ich nicht ertragen. Doch auch in vielen Mailinglisten wird diskutiert, die pazifistisch Eingestellten ("Bomben sind immer falsch") werden lauter und es gibt manche Wortgefechte. Ich beteilige mich kaum daran, wundere mich nur, wie einfach sich manche die Sache noch immer machen. Es will mir nicht in den Kopf (und auch nicht ins Herz!), daß man einen Milosevic einfach so machen lassen soll, eine ganze Bevölkerung vertreiben und berauben, Leute ermorden wie's beliebt - soll man da daneben stehen und weisse Fahnen schwenken?

Und wenn insbesondere junge Menschen das "historische Argument" in den Mund nehmen und sagen, weil Deutschland dereinst Serbien angegriffen habe, dürfe man jetzt nicht an der NATO-Aktion teilnehmern, finde ich geradezu verrückt. Schließlich ist dies nicht Hitler-Deutschland und ich erinnere mich genau, was ich dachte, als ich als Teenager von den Nazi-Verbrechen hörte: gerade WEIL dies alles geschehen ist, sind wir in der Pflicht, dafür zu sorgen, daß es nicht ein neues Mal geschieht.

Im Krieg wird besonders deutlich, daß Politik eine Veranstaltung ist, die den Realitätsverlust der Einzelnen möglichst bewahren will. Politiker bemühen sich, die Traumvorstellungen ihrer Wähler zu erhalten und zu bedienen, die Dinge, wie sie sind, zu verschleiern und Unangenehmes nur Häppchenweise herauszulassen, wenn es denn unbedingt sein muß. Dazu gehört die Ablehnung von Bodentruppen, aber auch bei ganz unkriegerischen Themen verhält es sich nicht anders:

Unternehmen verlangen Steuersenkungen, wehren sich aber gegen Streichung von Subventionen. Wissen sie denn nicht, daß ein Staat Geld kostet und daß auch sie einen Staat brauchen, der ein menschenwürdiges Leben ermöglicht? Und wenn die Bauern für die Erhaltung der irrsinigen Agrarpolitik auf die Strasse gehen - wissen sie denn nicht, daß nur freiweilliges Teilen auf Dauer Frieden schafft? Daß Europa ein Ergebnis vieler furchtbarer Kriege ist und die Haltung "Was schert mich der Bauer in Portugal!" ein gefährlicher Rückschritt? Und schließlich: wenn die Gewerkschaften mit aller Macht die im Weltvergleich besonders privilegierten Arbeitsbedingungen in DE verteidigen - wissen sie denn nicht, daß damit vielen der Zugang zu Arbeit überhaupt genommen wird?

Oh doch. Alle wissen. Alle wissen, daß ihnen die eigene Jacke sehr viel näher ist als die des mittellosen Nachbarn. Doch man versucht, das nicht allzu offen zu zeigen, man kleidet den Eigennutz in edle Worte, sucht die Schuld bei anderen oder in irgendwelchen Strukturen (z.B. "der Kapitalismus!" - als wäre man zum Kommunismus willens oder fähig). Und wehe dem Politiker, der sagt, was Sache ist.
 
 

02:04:99
 
Gestern und vorgestern hat mich ein Tagesspiegel-Redakteur interviewt, eine Menge Fragen gestellt über meine Netzaktivitäten, über Netlife und Real Life und vieles mehr. Seit 1997 meide ich das Vorkommen in Printmedien, umso mehr, je näher sie an meinem räumlichen Ort erscheinen. Wenn man nämlich nichts konkretes verkaufen will und auch nicht unbedingt "viele Zugriffe" auf eine Webseite braucht, ist das persönliche Erscheinen als "Content" in traditionellen Medien nur eine Last. Es zieht allerlei Anfragen nach sich, auch andere wollen dann kostenlos mit Inhalten beliefert werden - man hat Arbeit und Termine und immer wundert man sich, was letzlich in den Artikeln steht!

Diesmal hab' ich dennoch zugesagt, nachdem der Journalist bereit war, es als Mail-Interview abzuwickeln und daraus dann seinen Artikel zu machen. Vielleicht, weil ich die Zeitung selber lese, dem eigenen Morgenblatt sagt man ungern nein. Andrerseits möchte ich schon gern Leuten, die dem Netz eher fern stehen, etwas sagen, etwas erzählen über die großartigen Möglichkeiten, die dieses neue Medium für uns alle, für jeden Einzelnen bietet. Ob im Artikel davon etwas übrig bleiben wird? Morgen abend kommt er heraus, ich bin gespannt, aber auch skeptisch. Vielleicht stell ich hier dann auch mal die Fragen & Antworten aus, zum Vergleich...

Unter www.claudia-klinger.de hab' ich die Leitseite erneuert. Es ist meine erste eigene Homepage auf weissem Grund, bin ganz glücklich damit! So einen weissen Raum ansprechend zu gestalten, ist viel schwieriger als mit schwarzem oder sehr dunklem Grund, wo alles, was man darauf schreibt oder abbildet, schon wunderbar strahlt.

Zur Zeit arbeite ich sehr viel, es sind interessante Aufträge von angenehmen Leuten, die auch gut bezahlt werden, es gibt nichts zu meckern. Doch ich grüble oft darüber nach, warum es wohl immer so ist, daß die einen zu viel und die anderen zu wenig Arbeit haben. Es gibt solche, die etwas können, bzw. sich das fehlende schnell beibringen (die sind dann schnell überlastet) - und solche, die keinen eigenständigen Zugang zur Welt der Arbeit finden, die in ungeliebten ABM-Stellen hängen oder in ihrer Arbeitslosigkeit unglücklich sind. Wie gerne würde ich dazu beitragen, daß andere im Netz Arbeit finden, die ihnen gefällt und die sie ohne großen Organisationsaufwand von zuhause erledigen können. Es hakt aber oft daran, daß ein psychisches Problem darin besteht, wirklich eigene Inititative zu entwickeln, die Verantwortung für das eigene Fortkommen selbst zu übernehmen - ohne auf ein Amt oder einen Arbeitgeber zu zählen.

Sich selbst etwas beibringen ist das A und O und noch nie war es so leicht wie heute, wo es im Netz überall Orte gibt, wo man fragen kann und Infos findet. Natürlich ist das aus dem Nichts heraus nicht ganz einfach. Ich vermisse deshalb Förderinitiativen, die Hilfe zur Selbsthilfe vermitteln, so eine Art ambulantes ABM. Stattdessen gibt es diese öden ABM-Jobs mit "Rundum-Betreuung", nach denen die Leute in der Regel genauso da stehen wie vorher: geeicht auf einen 9to5-Job mit einem Eintrag mehr im Lebenslauf. Schön und gut, aber wer will denn heute noch Leute ANSTELLEN?

Würde ich verschiedene Ideen verwirklichen, könnte ich tatsächlich einige Leute an der Arbeit beteiligen - aber ich könnte die Ideen nicht umsetzen, wenn jeder von ihnen sehr viel Anleitung braucht. Und ich sehe keinen Grund, eine Firma zu gründen und Leute ANZUSTELLEN. Dann bin ich nämlich gefangen in der Verantwortung, jeden Monat so viel Aufträge reinzuholen, daß auch alle versorgt und die immensen Arbeitskosten bezahlt sind. Es gibt wirklich NICHTS, was mich dazu motivieren könnte, mich in diese Zwangsjacke zu begeben. Alles Geld der Welt kann den Stress und die Unfreiheit nicht gutmachen, die ein Arbeitgeber-Dasein mit sich bringt.

Sorgt aber jeder für sich, bildet sich weiter, versichert sich selbst, kann man sich je nach Laune zu mehr oder weniger Projekten zusammenschließen - und danach wieder auseinandergehen. Zeigt sich jemand als dem Zusammenhang nicht dienlich, braucht es so keinen Kündigungsprozess und kein Mobbing. Ich bin wirklich überzeugt, daß DAS die Arbeit der Zukunft ist - und man sollte nicht darüber jammern, sondern es als Chance sehen, die mehr und mehr Leute in die Situation versetzt, Dinge zu tun, die sie wirklich mögen.
 
 

28:03:99
 
Endlich wieder bewölkt. Der graue Himmel, der sporadische Regen setzen eine Pause in das fast gewaltsame Frühlingsgeschehen. Wenn es draußen plötzlich 20 Grad hat, die Sonne auf einmal warm und stechend scheint, dann steigt der Lärmpegel in den Straßen. Alles wuselt herum in einer inneren Unrast, man will etwas unternehmen, rausgehen, das Verschwinden des Winters überschwenglich feiern. Es herrscht so eine überfröhliche Aufgeregtheit, die es kaum zuläßt, noch das "ganz gewöhnliche" zu tun. Da tut ein bißchen Regen und grau-in-grau ganz gut, ich kann wieder am Schreibtisch sitzen ohne das Gefühl: hier bin ich falsch...

Krieg, Tag 4. die NATO hat einen Tarnkappenbomber verloren, wird gemeldet. Kostet schlappe 80,58 Millionen Mark, so ein Gerät. Offenbar wirkt der High-Tech-Verlust derart schmerzlich, daß Clinton extra betonen muß, man werde trotzdem weitermachen. Der Pilot konnte immerhin gerettet werden, doch der Nimbus der vermeintlich 'unsichtbaren' Nighthawks ist weg und das tut weh.

Wer ab und zu amerikanische Mistery-Filme sieht, kennt die fast religiöse Wertschätzung technischer Geräte, die aus diesen Filmen spricht. Der Gegensatz dazu ist der "Alien", meist ein Wesen aus dem All, manchmal auch durch irdische Wissenschaftler herbeigeklont. Der "Alien" ist all das, was (nicht nur) Amerikaner am meisten fürchten: eine schleimige, glibberige, unkontrollierbar wachsende, allzu lebendige gefräßige Bioform. Der Alien greift in der Regel nicht von außen an, sondern wandert zunächst in die Menschen ein - mal per Stich in den Nacken, mal durch Mund zu Mund-Übertragung durch bereits Infizierte. Dann verdrängt der Alien den Menschen aus der Herrschaft über seinen Körper und übernimmt die Macht, der Mensch IST jetzt der Alien, verfügt über gesteigerte Kräfte und tut alles, um die Invasion des gesamten Planeten voranzutreiben.

Diese Geschichte wird derart häufig in so vielen Varianten gezeigt, daß sie etwas bedeuten muß. Vordergründig ist es die archaische und in zunehmend technischen Umwelten noch gesteigerte Angst vor der Natur, ihrer Macht und Unkontrollierbarkeit, die uns trotz aller hochentwickelter Geräte immer wieder kalt erwischt - sei es durch Katastrophen oder die schlichte Tatsache, daß gegen den Tod noch immer kein Mittel gefunden ist.

Spinnt man ein bißchen herum, ganz in Mistery-Manier, könnte man andrerseits sagen, der Alien-Mythos befördere absichtlich eine bestimmte geistige Verwirrung, die die Verhältnisse, wie sie sind, ins Gegenteil umdeutet. Während wir in untergründige Angst vor allem Biologischen versetzt werden, sind es in Wahrheit die Geräte, die ihre Invasion vorantreiben - bin hinein in die einzelnen Körper. Wir versinken in Bewunderung der Apparate, vom Herzschrittmacher über den Tarnkappenbomber zum "intelligenten" Kühlschrank. Je mehr wir mit der Maschine verschmelzen, desto größer werden unsere Kräfte, was die Macht des Machens angeht. Das Allerwichtigste aber verschwindet dabei, fällt sogar als Gedanke aus dem Kanon des "vernüftig Diskutierbaren": die Macht über uns selbst.
 
 

25:03:99
 
Seit gestern ist also Krieg. Es wirkt wie ein schlechter Film und ist doch Realität: "unsere Jungs" in Mazedonien, auf Tornados im Kampfeinsatz, Bomben auf serbische Stellungen, Ansprache des Bundeskanzlers ans Volk - und zwischen den Nachrichten vom Angriff die üblichen gute-Laune-Trailer im Radio und TV! Krieg unter Rot-Grün, Joschka ist Außenminister - hätte das vor 5 Jahren jemand geglaubt? Die Sender verzichten nicht darauf, ihr übliches Profilierungssüppchen zu kochen, PRO 7 meldete gestern um halb acht allen Ernstes: die Russen machen mobil! Erschreckt an die Glotze geeilt, harrte ich der öffentlich-rechtlichen Tagesschau. Dort nichts dergleichen, aufatmen - aber was nicht ist.... Auf einmal scheint alles wieder möglich.

Diesmal hängt niemand mehr weiße Tücher aus dem Fenster wie zu Beginn des Golfkriegs. Wer wüßte noch eine Alternative zum Zuschlagen nach allem, was war? Nur die PDS mogelt sich mit ihrem völkerrechtlich begründeten "Nein" noch immer über die Realitäten hinweg: Ein UN-Mandat zum Kampfeinsatz wäre nie zustande gekommen, die Russen hätten widersprochen, wer hätte da Zweifel? "Legal bleiben" hätte also bedeutet, weiter zuzusehen, wie die Albaner vertrieben und ermordet, die Dörfer in Brand gesetzt werden. Völkerrechtlich korrekt hätte man es zu akzeptieren, daß die Serben eine ganze Volksgruppe aus ihrem Staatsgebiet vertreiben, Hunderttausende, Millionen - ist ja schließlich "nur" eine innere Angelegenheit.

Doch jetzt geschieht nichts anderes, trotz NATO-Angriffen. Etwas nicht lassen können, was voraussichtlich alles verschlimmert, anstatt zu nützen, das ist das Dilemma. Man kann nicht ewig drohen und dann NICHT zuschlagen, wenn ein Minimum an Glaubwürdigkeit erhalten bleiben soll, bleiben muß. Aber glaubt irgendjemand ernsthaft, daß sich die Lage ohne Bodentruppen wenden ließe? Das behaupten nur die Politiker, gewählt, um den Menschen möglichst lange ihre Illusionen zu erhalten - Illusionen, die in diesem Fall der "ganz normale Bürger" garnicht hat.

Mein Freund fragt, wie es sein könne, daß die intelligenten Nato-Strategen und die politisch Verantwortlichen sehenden Auges in etwas hineinschlittern, dessen Weiterungen sie nicht absehen, geschweige denn steuern können? Ich denke, es liegt daran, daß Politik und Diplomatie zu großen Teilen eine Veranstaltung zur Aufrechterhaltung von Illusionen sind. Realitätsverlust als Programm. Die Alternativen sind nämlich deutlich: entweder man akzeptiert die "ethnischen Säuberungen" und nimmt die vertriebenen Millionen in Rest-Europa auf - oder man tritt den Agressoren entgegen, dann aber mit allen Mitteln, die zum Erfolg nötig sind. Daß diese Klarheit in der Politik unmöglich ist, macht Milosovics Vorgehen erst möglich.

Zwischen der Kriegsberichterstattung all die anderen Meldungen, es ist ja viel los, derzeit. Pinochet darf ausgeliefert werden, aber nicht wegen Folter vor 1988 - denn erst seit '88 gilt den Briten Folter auch außerhalb ihres Staatsgebiets als Straftat. Deutsche Bauern fahren mit 4000 Traktoren in Berlin auf, protestieren gegen die Einkommensverluste aufgrund der AGENDA 2000. Was haben sie eigentlich geglaubt, das Europa für die reicheren Länder bedeutet?

Im Grunde weist alles auf dasselbe Problem hin. Westliche Werte, die viel beschworenen Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, bei uns auch SOZIALE Marktwirtschaft, UMVERTEILUNG zugunsten Schwächerer - sie gelten entweder GLOBAL oder garnicht. Der Nationalstaat als Veranstaltung zur Besserstellung einer räumlich begrenzten Bevölkerung verträgt sich damit nicht, ist inhaltlich überholt. Wer Frieden will, muß teilen, die eigenen Rechte und Möglichkeiten allen zugestehen, Inländern und Ausländern, im In- wie im Ausland.

Eine einfache Wahrheit, so schwer zu verwirklichen. Wieviele Jahrhunderte wird es noch dauern, wieviele Kriege?


Net-News:
die serbische Seite kann man auf Radio Beograd hören, deutschsprachige Nachrichten, allerdings den Ereignissen 1 Tag hinterher. Der Kosovo-Server meldet oft Überlastung aufgrund der Angriffe.
 
 

23:03:99
 
Seit zwei Tagen heftig erkältet - tatsächlich zu schlaff um zu mailen, zu schreiben oder an Webseiten zu arbeiten. Sorry.
 
 

19:03:99
 
Zum Thema "Helfen" vom 15.3. sind Mails gekommen, deshalb hab' ich die Rubrik "Briefe" eingeführt - mir ist das lieber als ein Gästebuch, denn das wirkt immer irgendwie automatenhaft.

Es ist Freitag, das Wochenende naht. Als Freibruflerin mußte ich erst lange üben, wieder eine gewisse Rhytmik in mein Leben zu bringen. Schließlich ist es recht egal, wann ich meine Webseiten gestalte, meine Mails schreibe, meine Bilder bearbeite oder an Texten sitze. Der einzige Unterschied ist, daß die Läden zu sind, wenn ich Sonntags die Wohnung verlasse.

Immer hatte ich mir gewünscht, daß es keinen Unterschied geben möge zwischen "leben" und "arbeiten" - und allermeist ist es mir gelungen, auf diese Weise meine Brötchen zu verdienen. Ein 9to5-Job war das letzte, was ich mir vorstellen mochte und faktisch hab' ich auch insgesamt nur zwei Jahre so gearbeitet: ange-stellt.

Es ist angenehmer, selbständig zu sein, selbst-zu-stehen. Allerdings nur, wenn man sich nicht mitten in der Selbständigkeit zum Angestellten der Vorstellungen anderer machen läßt: der Banken, der Existenzgründungsberater, der Steuerberater und Anwälte. Wie viele reiben sich darin auf, ihre Business-Pläne umzusetzen, Anträge zu schreiben, Organisatorisches von der Geldbeschaffung über die kaufmännische Abwicklung bis zur Akquise zu betreiben! Alles Dinge, die mit der eigentlichen Arbeit nichts mehr zu tun haben.

Für "Unternehmen" ist das normal: der Unternehmer unternimmt, wenn er den Namen verdient. Er soll garnicht an der Sache arbeiten, sondern an der Firma. Für die inhaltliche Arbeit stellt er andere an, Arbeit-Nehmer. Letztlich bedeutet das: ein Unternehmer darf nicht allzu sehr an der Sache selbst interessiert sein, sondern muß am Gewinn, am Wachstum, am Erfolg seine Freude haben.

Vor 12 Jahren hatte ich die Kneipe in meiner Straße übernommen, ein Kiez-Lokal, in dem ich lange schon Stammgast gewesen war. Es hatte sich so ergeben, weil wir während der Hausbesetzungen in Berlin eine Option auf den Mietvertrag "herausverhandelt" hatten, im Tausch gegen die friedliche Räumung eines Besetzercafés, das wir im Stil "legal, illegal, scheißegal" betrieben hatten. Ich hatte nicht daran gedacht, daß die Sache sich ein paar Jahre später wirklich realisieren könnte, doch kam es wirklich so: eine Brauerei-freie Kneipe, kostenlos, niedrige Miete, vollsaniert - wer mag da schon nein sagen, wissend, dass viele für sowas hundertausend und mehr zahlen?

Vom "wir" waren mittlerweile nur mein Freund Thomas und ich übrig geblieben, doch wir packten die Sache in noch immer jugendlichem Leichtsinn an. Und schon binnen eines halben Jahres war mir all meine vorherige Freude an diesem Lokal vergangen! Ich konnte es nie wieder SO erleben, wie ich es als Gast erlebt hatte und ich lernte, daß "Wirtin" nicht mein Wunschjob ist, ja, weit entfernt davon! Ich hatte auch keine Lust mehr, irgendwo anders Gast zu sein, da ich jetzt automatisch darauf achtete, wie oft der Aschenbecher geleert wurde oder wie sauber die Gläser waren, wie die Belüftung funktionierte und dergleichen Wirtsbetrachtungen mehr. Ein Flop das Ganze und nach 10 Monaten hat es mir gereicht!

Freiberufler sein ist das Beste: frei seiner Berufung nachgehen! Da kann die Berufung ruhig öfter wechseln, sich verändern, ja, sogar Lücken können auftreten, wenn sich einfach nichts zeigt, wozu man sich berufen fühlt. Alles ist möglich, wenn man nur für sich selbst Verantwortzung trägt, sogar eine schlichte Pause. Frei bin ich nicht dort, wo ich alles tun, sondern da, wo ich es auch wieder LASSEN kann, ohne daß meine Welt einfällt. Je mehr Verbindlichkeiten ich eingehe, sei es durch Büros mieten, Kredite nehmen oder Leute anstellen, desto mehr entferne ich mich von dem, was mir Freude macht und baue mir stattdessen einen mehr oder weniger komfortablen Käfig. Eine Illusion, zu glauben, man werde dafür durch Geld oder Macht, Ruhm oder Ehre entschädigt! Denn das sind alles nur Gedanken, Worte und Zahlen auf Medien und Kontoauszügen, die gerade mal ein kurzes psychisches Highlight bieten, wenn sie GANZ NEU sind. Ansonsten sind sie nichts als "another brick in the wall".
 
 

15:03:99
 
Helfen funktioniert nicht. Sobald etwas explizit als "helfen" begriffen wird, ist Hilfe schon nicht mehr möglich. Man hat sich schon vom Schauplatz der Realität, wie sie gerade ist, verabschiedet und sich einem Konzept zugewendet. Man ist jetzt damit beschäftigt, das Konzept auszufüllen und sich zu fragen, was alles dazugehört. Man beginnt, es innerlich zu diskutieren, es mit Werten abzuklopfen, seine äußeren Bedingungen und das gesellschafltiche Umfeld zu reflektieren. Vielleicht hängt man sich ab und zu gar innerlich einen Orden an - immerhin erträgt man ja einiges, um dem Konzept zu entsprechen! Mehrfach gebrochene Gemüter schämen sich dafür dann noch - kurzum: für die Sache, das vermeintliche "Problem des Anderen" bleibt kaum Aufmerksamkeit und noch weniger Interesse. Löst sich so ein dingfest gemachtes Problem dann doch mal im Lauf der Zeit, wird allenfalls ein Erfolg im Bereich "Helfen" verbucht, einer, der für viele Mißerfolge entschädigen muß. Jetzt geht es darum, keine Dankbarkeit zu erwarten und falls doch, sich dafür wieder angemessen zu schämen. Auch Stolz kann aufkommen, ein ebenso übel beleumundetes Gefühl. Doch hinter alle dem steht das Wissen, daß die Hilfe entweder keine war - oder wenn doch, nicht unser Verdienst!

Gestandene Helfer lassen es nicht so weit kommen, dieser Tatsache ins Gesicht zu sehen. Sie ertrinken lieber im Helfen, später dann oft auch im Alkohol.

Was läuft da falsch? Soweit ich es sehe, liegt es darin begründet, dass in dem Moment, indem ich explizit etwas "zur Hilfe" tue (ich meine damit nicht so etwas handfestes wie die Pflege eines kranken Kindes), damit aufhöre, mir selbst zu helfen. Ich schalte mich (vermeintlich) aus und versuche, die Rolle des Helfenden gut zu bestehen - was immer hier "gut" gerade bedeuten mag. Ich urteile über den anderen und seine Situation, darüber, was er wollen kann und hoffen darf, schätze seine Chancen und Möglichkeiten ab, seine Energien und Erkenntniskräfte ein, kurz: ich stehe darüber, ÜBER dem anderen.

Sensible Gemüter meiden deshalb das Helfen lieber ganz - doch ist das auch keine Lösung (und droht jederzeit zur Maske für Hartherzigkeit oder Ignoranz zu gerinnen). Das "Gefälle" zwischen Helfer und Hilfsbedürftigem wäre ja vielleicht durch eventuelle Erfolge zu rechtfertigen. Wir regen uns auch nicht auf, daß einer größer ist, wenn wir gerade jemanden brauchen, der vom obersten Regalbrett etwas herunterholt.

Das Problem ist, daß ich beim Helfen in all seinen Varianten vom anderen verlangen muß, seine Situation zu verändern. Ich versuche, zu motivieren! Mit all meinen Ratschlägen und Veränderungsempfehlungen lege ich ihm nahe, etwas neues zu versuchen, in Gebiete aufzubrechen, die dem "Hilfsbedürftigen" vielleicht bisher verschlossen, bedrohlich oder zumindest fremd vorkommen. Ich erwarte, daß er sich aufrafft, einen Schritt ins Unbekannte tut - in das für den Anderen Unbekannte! (Schließlich kann ich nur in Angelegenheiten 'helfen', die ich zu überblicken glaube).

Doch während ich rate und helfe, Probleme analysiere oder wegdefiniere, Stimmung statt Problemtalk ausprobiere, tue ich alles mögliche, nur eines nicht: in mein eigenes Unbekanntes aufbrechen, etwas für mich Neues versuchen, bedrohliche oder unheimliche Erfahrungen riskieren, etwas Fremdes aushalten. Das Konzept "Helfen" enthebt mich dieser Notwendigkeit, gibt mir eine feste Rolle und verläßlichen Schutz vor dem Augenblick. Es läßt mich "von mir absehen" und bietet dafür auch noch respektabelste Rechtfertigungen.

Und dann sitze ich halt da und rede darüber, was nötig wäre.
 
 

13:03:99
 
Kaum ein Thema wird im Web derart ausführlich behandelt, wie das Seiten-Machen. Hier ist das Medium selbstbezüglich bis zur Langeweile: HTML, Webdesign, Javascript, Java, Einbindung von Grafik, Bildbearbeitung, Editoren und Zusatzprogramme bis zum Abwinken. Doch in all dem Überfluß an "How-To" findet sich etwas ganz Grundsätzliches nicht: wie kommt die Gestaltungsidee zustande? Wie entsteht eine Vision, wie das Projekt aussehen soll? - denn die braucht es doch, BEVOR es an die Umsetzung geht.

Gerade arbeite ich an einer Website, deren Auftraggeber mir alle Freiheit läßt. Keine umfangreiche Corporate Identity schränkt das Reich der Möglichkeiten ein, keine Farb-, Form- Strukturvorgaben, ich soll es machen, als würde ich eine eigene Seite entwickeln. Wunderbar, denkt jeder Designer angesichts solchen Vertrauens! Das ist es doch, was man sich wünscht: Freiheit für den kreativen Prozeß!

Allerdings: kaum ein Projekt für Andere hat mich je so ratlos gelassen. Einige Wochen hatte ich nicht den Schimmer einer Idee und wußte auch nicht, wie dazu kommen. Natürlich könnte ich irgendeine nette Site machen, Schema F ein bißchen variieren. Doch das wäre es ja nicht, meine eigenen Seiten entstehen auch nicht auf diese Weise - wie aber dann?

Eines Abends hab ich dann angefangen: eine leere Seite, dunkles blau - und dann da draufgestarrt, ganz ähnlich, wie Texter und Literaten auf das weiße Papier starren und ab und an dem Horror Vacui verfallen. Das Blau angesehen und versuchsweise verändert, ein bißchen anderes blau. Wieder still gesessen und das BLAU angesehen. Versuchsweise den Namen des Unternehmens eingesetzt, in kleinen, weit auseinander gezogenen Lettern, goldfarbig. Schön! - und wieder eine halbe Stunde hinsehen.

Es wäre langweilig, zu berichten, wie auf diese Weise nacheinander alle Bestandteile - Text, Background und Bildmotive - endlich auf der Seite erscheinen, geradezu "ausgesessen" werden müssen. Es ist kein Machen, sondern ein Lauschen, ein leer werden und doch aufmerksam und wach bleiben: mitten aus der Leere kommt plötzlich die Vorstellung, wie es aussehen muß - oder auch nicht.

Dabei bemerke ich noch anderes: je mehr ich mich auf dieses Warten und Hören einlasse, desto identifizierter bin ich mit den Ergebnissen. Ich fange an, die Seite zu lieben, betrachte sie mit Freude, schaue sie immer wieder an. Und auf einmal wird mir immer weniger egal, WAS hier verkauft wird. Die Website ist ein Teil von mir, nach außen in die Sichtbarkeit gestellt und dieser Teil dient jetzt einem fremden Anliegen. Plötzlich ist es wichtig, daß dieses Anliegen in Ordnung ist, ja, von mir sein könnte....

Auf einmal weiß ich, warum freie kreative Arbeit vergleichsweise teuer bezahlt wird. Ich neigte bisher eher dazu, dankbar (und deshalb preiswerter) zu sein, je weniger ein Auftraggeber mich durch eigene Vorstellungen einschränkt. Doch ist das zu kurz gedacht: man verkauft ein Teil von sich, ein Ergebnis, das aus dem Unverfügbaren kommt, aus dem Bereich des Selbst, der immer ein Rätsel bleibt. Das ist eigentlich unmöglich, man fühlt sich nicht ganz wohl dabei - und deshalb ist es mit Recht zumindest teuer!


 
 

11:03:99
 
Im Posteingang sind 137 Mails - sie tröpfeln herein, während ich mich frage, ob ich es mir noch leisten kann, einen Tag den PC nicht anzurühren, wie gestern. Natürlich sind nicht alle 137 Nachrichten an mich, gut die Hälfte sind für Mailinglisten, in denen ich Mitglied bin. Doch es bleiben genug übrig, um mich für zwei Stunden zu beschäftigen.

Am Information-Overflow leiden in solchen Situationen vor allem die Freunde: viel mehr als ein "bin sehr in Eile, jede Menge Arbeit, lieben Gruß!" kann ich mir nicht abringen und hoffe auf ihr Verständnis. Auch neue Leser schreiben mir Kommentare zu dieser und jener Webseite und eigentlich will ich ihnen allen antworten - aber manchmal schaff' ich es einfach nicht. Eigentlich müßte ich davor zurückschrecken, noch weitere Seiten ins Web zu stellen - denn Web ist nicht Print, Web ist interaktiv, verlockt zur Resonanz und das ist ja genau das, was ich daran liebe. Ein Wiederspruch, der mich manchmal fast zerreißt! Und an solchen Tagen auch noch Diary schreiben ist schon ein bißchen vermessen. :-)
 
 

07:03:99
 
Beim Spaziergang in der Hasenheide treffe ich meinen alten Freund Hans. Er sitzt mit zwei seiner drei Kinder an einem Tisch vor dem Imbiß im Stil der 50ger, den es seltsamerweise in der Hasenheide unverändert gibt. Eine lustige nierentischförmige Überdachung auf Säulen, darunter und davor Klapptische, so viele, wie gerade gebraucht werden, alles ein bißchen schmuddlig. Kein Investor hat hier je versucht, ein RICHTIGES Café aufzumachen, und das ist gut so, denn so, wie es jetzt ist, ist der "Point" für alle gesellschaftlichen Schichten besuchbar. Penner und Studienräte fühlen sich hier gleichermaßen wohl und stören sich nicht mal aneinander.

Mit Hans bin ich '79 nach Berlin gekommen, doch schon nach einem dreiviertel Jahr zogen wir auseinander. Wir sind beide schon öfter umgezogen, er sogar mal in eine andere Stadt. Doch jetzt wohnt er mit Familie im Haus neben mir, große Wohnung, immerhin Balkon. Aber trotzdem: angesichts seines Spitzenjobs, Manager in einem mittelständischen Betrieb, frag ich ihn mal wieder, ob er eine Datscha hat oder wenigstens plant, sich eine anzuschaffen. Da ich nun doch nicht aufs Land ziehe, frag' ich mich nämlich, wie ich mit meiner Sehnsucht nach Erde und Pflanzen umgehen soll, ohne in die Pampa zu müssen.

"Keine Zeit", sagt er. Und: "Ich dachte lange, ich brauch ein Landhaus - aber WANN soll ich denn dahin?" Ganz umziehen käme nicht in Frage, alle Bekannten und Freunde, die ES GEWAGT hätten, seien mittlerweile reuig zurückgekehrt. Oder sie säßen auf völlig unverkäuflichen Häusern und wären todunglücklich. "Tja, der Mitmensch ist halt das Problem auf dem Land", sag ich und er nickt. "Die Kittelschürze von nebenan", grinst er, dann muß er sich wieder den Kids widmen.

Es ist wahr: alle Landmenschen, die ich kenne, sind damit beschäftigt, Konflikte mit ihren Nachbarn auszutragen. Man kann dem offenbar nicht entgehen, denn selbst wer "garnichts tut", ist in einem Dorf schon gleich angeeckt. Und wer etwas tut, z.B. Hühner halten, einen Gartenzaun aufrichten oder was auch immer, hat mit denen zu kämpfen, denen er damit ins Gehege kommt - und sei es nur das Gehege ihrer festgefügten Vorstellungen.

In der Anonymität der Stadt leiden zwar viele unter Einsamkeit und Isolation - aber ich vermute, vier Wochen in einem kleinen Dorf (als Anwohner, nicht als Tourist!) würden genügen, um die heftige Sehsucht zu wecken, endlich wieder übersehen, ignoriert, von niemandem auf der Straße gekannt zu werden.
 
 

06:03:99
 
Einen ganzen Tag dem PC ferngeblieben. Nicht, um hinauszugehen, dazu war das Wetter zu regnerisch, nein, mit Freude bin ich versunken in einen Krimi von Elizabeth George , die ich kürzlich entdeckte. Sie ist zwar Amerikanerin, doch gilt ihre Liebe England, wo die meisten ihrer Geschichten spielen. Ich mag ihre Art, in die Seelen der Menschen zu blicken, wo niemals alles nur schwarz oder weiss ist. Dazu ist es wie Urlaub, mich von einer solchen Geschichte für Stunden, manchmal einen ganzen Tag oder eine Nacht, gänzlich verschlucken zu lassen.

Abends dann auch noch Fernsehen! Samstags ist es besonders idiotisch, den Einschaltknopt zu benutzen. Doch spät kam ein Film mit Yves Monteau (Aktion Ikarus), der das zusehen lohnte. Nicht so sehr wegen der Story (engagierter Staatsanwalt kämpft gegen den Geheimdienst, letztlich wird er erschossen), sondern wegen der Filmtechnik, die in diesem vielleicht 15 Jahre alten Film so ganz anders ist als das, was wir heute vom TV gewohnt sind. Alles was geschieht, wird hier auch gezeigt. Z.B. das wiederholte (!) Zurückspulen und Abspielen eines Tonbandgeräts, das aufwendige Knacken eines Safes und die Wege von hier nach dort, die von den Personen zurückgelegt werden. Aufzüge, die vom 1. in den 14. Stock fahren, muß der Zuschauer geduldig anhand der Leuchtanzeige verfolgen - alles ist in einer Weise ausführlich zu sehen, daß man ständig leichte Ungeduld empfindet: ich weiß doch jetzt, was kommt, warum zeigen sie das noch?

Ein heutiger Fernseh- oder Kinofilm ist verglichen damit eine schnelle Abfolge von Highlights. Ereignisse, Abläufe, alles, was Zeit kostet, wird lediglich mittels eines Minimums an schnellen Schnitten angedeutet - sobald wir erkannt haben, was Sache ist, folgt schon der nächste, möglichst überraschende oder sonstwie spektakuläre Eindruck. Der Film versucht, mit der Geschwindigkeit von Gedanken mitzuhalten - während die alten Filme noch an die Zeit der sinnlichen Wahrnehmung gebunden waren.

Die Beschleunigung wirkt erst einmal angenehm: keine "Längen" mehr, die Ereignisse kommen Schlag auf Schlag, so daß wir gerade noch folgen können (Ältere können das immer weniger...). Es gibt keine Zeiten mehr, in denen der Blick länger auf etwas verweilt - diese Zeit, die früher zwangsläufig dazu genutzt wurde, um einem 'Vertiefungsgedanken', einer persönlichen Assoziation Raum zu geben, ist verschwunden. Sie bot immer auch die Möglichkeit - aus der Sicht der Filmemacher die 'Gefahr' - , aus der aktuellen Traumwelt der Bilder zu erwachen und sich für ein anderes Tun zu entscheiden.

Die Filme von heute halten das Band der Aufmerksamkeit so straff gespannt wie möglich: keinen Augenblick sollen wir zur Besinnung kommen, kein Moment soll für die Selbstwahrnehmung übrig bleiben - und wir genießen das auch, es ist Unterhaltung, eine Art Kurzurlaub vom mehr oder weniger sinnvoll-im-Leben-stehen-müssen. Allerdings: wer sich viel in der TV- und Filmwelt aufhält, bemerkt die Abstumpfung, die das Hochgeschwindigkeits-Video mit sich bringt. Steigerungen sind nicht endlos möglich: wenn einmal alles in schnellsten Bildern von schreienden Menschen, supervertonten Zweikämpfen, rasenden Autos, Schießereien, schleimigen Monstern und Explosionen ohne Ende zusammenfällt, beginnt irgendwann das große Gähnen. Eine Langeweile, gegen die im Film kein Kraut mehr gewachsen ist. Man kann sich nur noch abwenden und - sofern das "Real Life" noch immer nicht verlockt - ein anderes Medium benutzen: das Buch, das mir die Lesegeschwindigkeit überläßt, oder das Web, wo ich sowohl die Geschwindigkeit als auch die Inhalte in jedem Moment selber wähle. Webseiten, deren Macher versuchen, durch bewegte Filmsequenzen (Flash, DHTML etc.) eine TV-Anmutung zu erzeugen, gehen so gesehen einen Weg in die Medien-Vergangenheit. Ich vermute, es ist ein falscher Weg.
 
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© 1996-2000 Claudia Klinger
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