von
Katrin von Bergen
Mein Plan war von langer Pfote vorbereitet und heute schien der Tag zu sein,
an dem die Voraussetzungen äusserst günstig waren: Frauchen hatte sich
gestern mal wieder als Hundefrisöse betätigt und mir viel von meiner
schwarzen Wolle abgeschnitten, so daß mein Halsband sehr locker saß.
Außerdem war es ein schwüler Tag und in dem kleinen Buchladen gab es eine
neue Schaufensterauslage. Meine Besitzerin tappste mit dem Finger auf die
Scheibe und sagte: "Da, das Buch muß ich mir nachher unbedingt kaufen!" Ich
warf noch einen flüchtigen Blick in die Richtung, las irgendwas mit
"Cyberia" und dann ging alles sehr schnell: ich flutschte mit meinem Kopf aus
dem Halsband und raste den Gehweg entlang, bog links um die Ecke, an einer
Baustelle vorbei und steuerte direkt das Objekt meiner gierigen Träume an:
die Bäckerei. Vom weiten hörte ich die Rufe meines Frauchens: "Sokrates!
Komm sofort zurück!!!!!!"
Es galt, keine Zeit zu verlieren, also sprang ich auf die Klinke der
Bäckereituer und bedankte mich bei meiner Colliemutter, dass sie bei der
Auswahl meines Vaters einen grossen Schaeferhund bevorzugt hatte. Größe war
eben alles im Leben. Wie sollte ein Dackel jemals eine Tür öffnen können,
es sei denn, sie ist nur angelehnt? Im Laden sondierte ich schnell die Lage
und nahm die Schwingungen sofort wahr. Das lag uns Hunden im Blut; wozu
Menschen meistens mehrere Stunden brauchten, erkannten wir sofort. Keiner
beachtete mich, es war sehr schwül, und alle schienen zu träumen. Am
kleinen Stehtisch ein muskuloeser Handwerker, der hingebungsvoll ein
Rosinenbrötchen betrachtete, nachdem er kurz vorher einen neugierigen Blick
auf eine große Frau am Tresen geworfen hatte. Diese blickte gerade versonnen
drei kleine Mädchen an, die freudestrahlend Lollies in den Händen hielten
und beabsichtigten, Geld in Weingummifroesche zu investieren. Die drei haben
einen guten Geschmack, dachte ich.
Außerdem waren da noch zwei andere Frauen, die ebenfalls mit ihren Gedanken
nicht bei der Baeckereisache waren. Die eine starrte die mit reichlich Wurst
belegten Brötchen an und dachte eindeutig an etwas fleischliches, das nur
mittelbar mit der Brötchenauflage zu tun hatte. Die andere hatte ihre Stirn
in Falten gelegt und wälzte vermutlich absolut unlustige Gedanken. Der
Bäcker verzog sich gerade in die Backstube, so daß hinter dem
Verkaufstresen nur die Verkäuferin stand. Mit einem Satz sprang ich auf den
Tresen, direkt neben die belegten Brötchen. Wir Hunde sind Schlingfresser,
ein Erbgut unserer wölfischen Urahnen, und so hatte ich keine Mühe, ein
halbes Brötchen in höchstens 2 Sekunden in meinen Magen umzuleiten. Am
Rande bekam ich mit, wie die Verkäuferin schreiend in die Backstube
flüchtete: "Hilfe! Eine Killerbestie!! Ein Kampfhund!!! Helfen Sie mir!!!"
Meinte die mich mit diesen Bezeichnungen? Nein, wohl kaum, Frauchen nannte
mich doch auch nie so.
Dann üeberschlugen sich auf einmal die Ereignisse: Der Juniorchef stürmte
heraus und hatte ein bedrohlich wirkendes Teil in der Hand, welches mir
voellig fremd war. Im gleichen Moment riß meine Besitzerin die Ladentür auf
und brüllte: "Sokrates, Du verdammtes Flegelviech, komm sofort hierher!"
Sofort wich ich in eine Ecke zurück, aber ich war gefangen, doch zum Glück
kam der junge Bäcker wenigstens nicht näher. Mein Frauchen stellte sich
schützend vor mich und sagte "bitte legen Sie Ihr Nudelholz weg, ich werde
den Schaden bezahlen. Das ist mir alles sehr peinlich." Mit so hochrotem
Gesicht hatte ich sie noch nie gesehen. Und dann geschah etwas, das mich sehr
erstaunte. Der junge Mann pöbelte nicht los, sondern brach in lautes Lachen
aus. Mein Frauchen schaute verwirrt und stammelte noch einige Male, wie
unangenehm ihr das alles sei. Schließlich beruhigte sich der Bäcker wieder
und meinte: "Ein hübscher Hund. Ich habe auch einen. Der könnte sowas
ebenfalls schaffen. Wollen Sie ihn mal sehen?"
Die Stimmung entspannte sich und links neben mir im Regal lag so ein
wunderbar duftendes grosses Vollkornbrot. Nutze die Gelegenheit, sagten die
alten Lateiner doch immer? Also blickte ich mich kurz um und stellte fest,
daß alle anderen Frauen, die Kinder und der Handwerker den Laden verlassen
hatten. Vermutlich mit träumendem Blick und ohne viel von meiner Aktion
mitbekommen zu haben, denn die Hitze ließ die Gedanken der Menschen in
andere Sphären abdriften. Und auch der Bäckersohn und mein Frauchen
blickten sich wie in Trance an. Das kannte ich schon und ich sah goldene
Zeiten auf mich zukommen. Vor einigen Monaten passierte so etwas schon mal
mit meiner Besitzerin. Immerhin bekam ich mindestens 3 Schweineohren oder
einen mindestens 30 cm langen Büffelhautknochen zur Ablenkung, wenn die
beiden auf dem dunkelblauen Wasserbett herumtollten. So etwas würde wieder
geschehen, aber das war kein Grund, dieses leckere Schwarzbrot zu
verschmähen. Die Verkäuferin und der alte Bäcker warfen vorsichtig Blicke
in den Verkaufsraum, die eine ängstlich, der andere neugierig, und dann
zogen sie sich leise zurück und verließen das Gebäude über den
Lieferanteneingang. Der Bäcker hing von außen ein Schild an die Tür und
mein Verstand sagte mir, daß es "geschlossen" verkündete. Das lief ja noch
viel besser, als ich gedacht hatte!
2 Stunden spaeter hatte ich ein glückliches Frauchen, neuerdings ein
Herrchen und fürchterliche Magenschmerzen, denn sämtliches Bäckereigut war
von den Regalen in meinen Magen gewandert. Nur an die Plastikbehälter mit
den schmackhaften Süßigkeiten bin ich nicht gegangen. Die kleinen Mädchen
sollten auch morgen noch etwas zu naschen haben.
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Copyschrott by Katrin v. Bergen :-)