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Beim Bäcker VI

von
Katrin von Bergen

Mein Plan war von langer Pfote vorbereitet und heute schien der Tag zu sein, an dem die Voraussetzungen äusserst günstig waren: Frauchen hatte sich gestern mal wieder als Hundefrisöse betätigt und mir viel von meiner schwarzen Wolle abgeschnitten, so daß mein Halsband sehr locker saß. Außerdem war es ein schwüler Tag und in dem kleinen Buchladen gab es eine neue Schaufensterauslage. Meine Besitzerin tappste mit dem Finger auf die Scheibe und sagte: "Da, das Buch muß ich mir nachher unbedingt kaufen!" Ich warf noch einen flüchtigen Blick in die Richtung, las irgendwas mit "Cyberia" und dann ging alles sehr schnell: ich flutschte mit meinem Kopf aus dem Halsband und raste den Gehweg entlang, bog links um die Ecke, an einer Baustelle vorbei und steuerte direkt das Objekt meiner gierigen Träume an: die Bäckerei. Vom weiten hörte ich die Rufe meines Frauchens: "Sokrates! Komm sofort zurück!!!!!!"

Es galt, keine Zeit zu verlieren, also sprang ich auf die Klinke der Bäckereituer und bedankte mich bei meiner Colliemutter, dass sie bei der Auswahl meines Vaters einen grossen Schaeferhund bevorzugt hatte. Größe war eben alles im Leben. Wie sollte ein Dackel jemals eine Tür öffnen können, es sei denn, sie ist nur angelehnt? Im Laden sondierte ich schnell die Lage und nahm die Schwingungen sofort wahr. Das lag uns Hunden im Blut; wozu Menschen meistens mehrere Stunden brauchten, erkannten wir sofort. Keiner beachtete mich, es war sehr schwül, und alle schienen zu träumen. Am kleinen Stehtisch ein muskuloeser Handwerker, der hingebungsvoll ein Rosinenbrötchen betrachtete, nachdem er kurz vorher einen neugierigen Blick auf eine große Frau am Tresen geworfen hatte. Diese blickte gerade versonnen drei kleine Mädchen an, die freudestrahlend Lollies in den Händen hielten und beabsichtigten, Geld in Weingummifroesche zu investieren. Die drei haben einen guten Geschmack, dachte ich.

Außerdem waren da noch zwei andere Frauen, die ebenfalls mit ihren Gedanken nicht bei der Baeckereisache waren. Die eine starrte die mit reichlich Wurst belegten Brötchen an und dachte eindeutig an etwas fleischliches, das nur mittelbar mit der Brötchenauflage zu tun hatte. Die andere hatte ihre Stirn in Falten gelegt und wälzte vermutlich absolut unlustige Gedanken. Der Bäcker verzog sich gerade in die Backstube, so daß hinter dem Verkaufstresen nur die Verkäuferin stand. Mit einem Satz sprang ich auf den Tresen, direkt neben die belegten Brötchen. Wir Hunde sind Schlingfresser, ein Erbgut unserer wölfischen Urahnen, und so hatte ich keine Mühe, ein halbes Brötchen in höchstens 2 Sekunden in meinen Magen umzuleiten. Am Rande bekam ich mit, wie die Verkäuferin schreiend in die Backstube flüchtete: "Hilfe! Eine Killerbestie!! Ein Kampfhund!!! Helfen Sie mir!!!" Meinte die mich mit diesen Bezeichnungen? Nein, wohl kaum, Frauchen nannte mich doch auch nie so.

Dann üeberschlugen sich auf einmal die Ereignisse: Der Juniorchef stürmte heraus und hatte ein bedrohlich wirkendes Teil in der Hand, welches mir voellig fremd war. Im gleichen Moment riß meine Besitzerin die Ladentür auf und brüllte: "Sokrates, Du verdammtes Flegelviech, komm sofort hierher!" Sofort wich ich in eine Ecke zurück, aber ich war gefangen, doch zum Glück kam der junge Bäcker wenigstens nicht näher. Mein Frauchen stellte sich schützend vor mich und sagte "bitte legen Sie Ihr Nudelholz weg, ich werde den Schaden bezahlen. Das ist mir alles sehr peinlich." Mit so hochrotem Gesicht hatte ich sie noch nie gesehen. Und dann geschah etwas, das mich sehr erstaunte. Der junge Mann pöbelte nicht los, sondern brach in lautes Lachen aus. Mein Frauchen schaute verwirrt und stammelte noch einige Male, wie unangenehm ihr das alles sei. Schließlich beruhigte sich der Bäcker wieder und meinte: "Ein hübscher Hund. Ich habe auch einen. Der könnte sowas ebenfalls schaffen. Wollen Sie ihn mal sehen?"

Die Stimmung entspannte sich und links neben mir im Regal lag so ein wunderbar duftendes grosses Vollkornbrot. Nutze die Gelegenheit, sagten die alten Lateiner doch immer? Also blickte ich mich kurz um und stellte fest, daß alle anderen Frauen, die Kinder und der Handwerker den Laden verlassen hatten. Vermutlich mit träumendem Blick und ohne viel von meiner Aktion mitbekommen zu haben, denn die Hitze ließ die Gedanken der Menschen in andere Sphären abdriften. Und auch der Bäckersohn und mein Frauchen blickten sich wie in Trance an. Das kannte ich schon und ich sah goldene Zeiten auf mich zukommen. Vor einigen Monaten passierte so etwas schon mal mit meiner Besitzerin. Immerhin bekam ich mindestens 3 Schweineohren oder einen mindestens 30 cm langen Büffelhautknochen zur Ablenkung, wenn die beiden auf dem dunkelblauen Wasserbett herumtollten. So etwas würde wieder geschehen, aber das war kein Grund, dieses leckere Schwarzbrot zu verschmähen. Die Verkäuferin und der alte Bäcker warfen vorsichtig Blicke in den Verkaufsraum, die eine ängstlich, der andere neugierig, und dann zogen sie sich leise zurück und verließen das Gebäude über den Lieferanteneingang. Der Bäcker hing von außen ein Schild an die Tür und mein Verstand sagte mir, daß es "geschlossen" verkündete. Das lief ja noch viel besser, als ich gedacht hatte!

2 Stunden spaeter hatte ich ein glückliches Frauchen, neuerdings ein Herrchen und fürchterliche Magenschmerzen, denn sämtliches Bäckereigut war von den Regalen in meinen Magen gewandert. Nur an die Plastikbehälter mit den schmackhaften Süßigkeiten bin ich nicht gegangen. Die kleinen Mädchen sollten auch morgen noch etwas zu naschen haben.
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Copyschrott by Katrin v. Bergen :-)

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