von Antje Fischer
Was für ein Tag, ich hatte ganz verschwitzt, daß Gregors Mutter zum
Kaffee kam. "Verdrängt" wäre treffender. Fabian quengelte wegen seiner
Zähnchen und ich wienerte die Wohnung, damit die alte Hexe nicht ganz so
viel zu mosern hätte. Die Fenster schienen nach dem Putzen streifiger zu
sein als vorher, die Flecken im Teppich waren gegen den Staubsauger
immun und bestimmt würde sie mit mitleidigem Blick auf Fabian wieder
bemerken, daß die ganze Bude nach abgestandenen Qualm stank. Ach, wenn
man der doch mal das Maul stopfen könnte... Apropos: Kuchen! Ne, das würde
ich mir jetzt echt nicht antun, auch noch zu backen. Die Frau hat den
magischen Blick, der jeden Kuchen sofort in der Mitte flüssig werden
läßt, oder knochentrocken. Statt dessen klemmte ich mir Fabian unter den
Arm, schnappte mir den Buggy und ab, zu Kölns teuerster Bäckerei.
Vielleicht konnte man einen ihrer Kuchen so herrichten, daß er aussah,
als hätte ich ihn selbst gemacht. Gregors Mutter hatte ich jedenfalls
schwer im Verdacht, genau so an ihre gebackenen Meisterwerke zu
gelangen.
Vor der Bäckerei war eine riesige Baustelle, aber sofort kam einer der
südländischen Bauarbeiter, schleppte mir den Buggy samt Kind über die
Holperstrecke, kramte in den Tiefen seiner Hosentaschen nach einem
Bonbon und lobte das gesunde Aussehen meines Kindes. Früher "hatte ich
nichts gegen Ausländer", weil das "in" war - aber seit ich einen
Kinderwagen durch die Stadt transportieren muß, liebe ich jeden,
der nicht deutsch ist! Schon mal aufgefallen, daß die meisten
Rolltreppen nur nach oben gehen? Selbst am Hauptbahnhof. Und Aufzüge,
sofern existent, sind garantiert außer Betrieb. Aber es gibt ja die
Ausländer, die helfen immer. Die haben keine Angst sich dreckig zu
machen, und sie leiden auch nicht gerade an einem Tennisarm.
In der Bäckerei fand ich gleich einen Pflaumenkuchen, den ich ganz gut
als mein Werk verkleiden könnte. Ich stellte mich an und sah, daß Fabian
eingeschlafen war. Die Bonbonpampe verklebte sein ganzes Gesicht, aber
er schlief. Nur ein schlafendes Baby ist ein gutes Baby... Ich streckte
mich, verlagerte das Gewicht auf den anderen Fuß und wartete. An der
Kasse drei Mädels mit der "zu-wenig-Kleingeld-Masche" und eine Sekretärin,
die prompt darauf einging und Lollies springen ließ. Hinter ihr die
nächste Sekretärin, etwas ungeduldig mit dem Fuß wippend. Irgendwie
sehen wir Frauen doch alle gleich aus, wenn wir im Büro arbeiten. Teure
Pumps, Nylons, kurzer Rock, teure Bluse, noch teurerer Blazer und eine
ozonschädliche Frisur, die alle 4 Wochen nachgeschnitten wird. Perfektes
Make-up und wenig, aber teurer Schmuck. Ich weiß, ich sah auch so aus,
als ich noch bei der Bank war.
An einem der Stehtische lehnte ein Mann im blauen Overall und ich hatte ein Dejavu
der feinsten Art.
Es war so: die Lolliekäuferin hatte den Typ im Visier und griff
ganz verträumt in ihre Haare. Frauen tun das immer. Kaum sehen sie einen
schönen Mann - und ich schwöre, dieser hier war einfach toll - wuscheln
sie plötzlich in ihren Haaren herum und finden irgendeinen Grund,
glockenhell zu lachen. Ja, tatsächlich, die Kinder bedankten sich und
prompt warf sie den Kopf in den Nacken, wuschelte wieder in ihren Haaren
herum und lachte glockenhell.
Ja, damals - vor 2 Jahren - oh Mann, ödete mich die Bank an. Besonders
die Männer, die dort arbeiteten. Lächerliche Gestalten, die den Begriff
Mann ad absurdum führten. Alle sahen sie so verdammt gleich aus. Grauer
oder blauer Anzug, unauffälliges Hemd und eine originelle Walt Disney
Kravatte. Kurze Haare und einzelne Schuppen auf den Schultern. Ihre
Abenteuer betanden aus "an den Mann gebrachten Verträgen" und "über den
Tisch gezogenen Kunden" - wie aufregend! Rosa Hände, die vor der Benutzung
eines Hammers erst einmal nach der Gebrauchsanweisung grapschen... Rosa
Patschhändchen können nur grapschen - zum Zupacken, zum Festhalten, zum
Erregen, da braucht es schon ein paar Muskeln und Sehnen - und vom
Kugelschreiber stemmen bekommt man die nicht. Oh, diese Männlein sind
sich dieser Makel bewußt und mutieren am Wochenende zum Helden. Da
hüpfen sie aus den Flugzeugen, hängen sich Gummibänder an die Füße
um von Brücken zu hopsen oder schnallen das Surfboard aufs Auto und fahren
damit durch die Innenstadt. Erbärmlich.
Damals ging ich in eine Metzgerei, um für meinen Chef die bestellten
Brötchen abzuholen. Jubiläum bei Sekt und Mettbrötchen (künftig hatte
er ein neues Goldührchen an der rosa Faltenhand...) Ich sah dem Metzger zu, der
einen riesigen Brocken Fleisch mit einem Beil zertrennte. Jeder einzelne
Schlag ging mir durch und durch. Ich merkte, wie meine Lippen in
sekundenschnelle austrockneten. Mir wurde heiß und ich öffnete zwei Knöpfe
meiner Bluse. Diese Hände! Zwei große, kräftige Pranken. Selbst den
blutverschmierten weißen Kittel fand ich irgendwie anziehend. Er packte
ein Stück Fleisch, knallte es auf die Waage und ich wischte mir den
Schweiß aus dem Nacken. Die Kundin ging und sein Blick fiel auf mich.
"Was darf es sein?" Oh Mann, was wollte ich nur? "Würstchen sind heute
im Angebot - oder lieber Kalb? Brust?" Brust? Ich öffnete meine Bluse
ganz, Gregor schluckte, flitzte zur Tür, erzählte der erbosten Kundin,
die gerade den Laden betreten wollte, etwas von einer frischen Lieferung
und dann wurde ich "bedient".
Nie hätte ich gedacht, daß ich glücklich als Metzgersgattin auf der
"schäl Sick" enden würde (das ist die 'falsche' Seite vom Rhein, wo der
Kölner Dom NICHT steht!) In unserem Schlafzimmer hängt ein Foto von
einem Schweinskopf mit Apfel im Maul. Der Kerl hatte mich während
unseres "Kennenlernens" angestarrt, zugesehen, wie Gregor mich mit
Fabian beglückte.... Meine Geldgeschäfte erledige ich seither per
Telefonbanking.
Der Bäcker fragte die Lollikäuferin, ob er noch etwas für sie tun könne.
Sie riß ihren Blick vom Handwerker und verlangte verwirrt noch einen
Lollie. Ich und die andern Damen, als Marke
"Mehrfamilienhaus-in-leblosem-Stadtrandviertel" verkannt, sahen ihr
mitleidig nach, wie sie nach dieser verpaßten Chance aus dem Laden
stolperte, einen Bauarbeiter aus dem Weg scheuchte und zu den Männlein
im Büro zurückging. Ich hätte sie schütteln mögen: "Keinen Lollie,
bestell dir einen Kaffee, und dann ran an den Mann!" Aber nein, Frau
nimmt nicht, was sie will. Frau wuschelt in den Haaren und hofft, daß
einer gesprungen kommt...
August 1996 - Antje Fischer